31 Mai 2018
Der Flug Frankfurt – Bukarest
Wie ein gestreifter Parkettboden breitet sich die rumänische Landschaft unter uns aus, während der Flieger auf Landung geht. Langgezogene Ortschaften ziehen sich an den Hauptverkehrsstraßen entlang wie in der Sonne glänzende, lange Adern. Wie in Polen sieht die Landschaft aus, denn auch dort ziehen sich die Orte unendlich in die Länge, hinter jedem Haus befindet sich ein mehr oder weniger großes Feld, das den Einwohnern gehört.
Ganz anders als in Deutschland. Als der Flieger sich erhebt, sehen die Felder wie ein bunter Flickenteppich aus: grün, braun, goldgelb. Die Dächer der kleinen, punktförmigen Orte glänzen in der Sonne wie Glitzersteine und nach und nach ist ein klares Muster erkennbar: die Mitte bilden die Orte, um sie herum kranzförmig die Felder und den Rest bilden dunkelgrüne Waldflächen, die wir, obgleich sie auch so schon von oben gesehen nicht wirklich verhältnismäßig groß sind, mit Bundesstraßen und Autobahnen in noch kleinere Segmente brechen. Rumänien von oben erscheint mir wilder. Die Felder sind schmäler, die Berge und Wälder irgendwie zerklüfteter. In wenigen Minuten werden wir in Bukarest sein.
Der kleine Flieger ruckelt und buckelt und, obgleich ich nicht wirklich an die Möglichkeit eines Absturzes glaube, verursacht das Achterbahn- Auf und Ab ein flaues Gefühl im Magen. Nachdem wir gelandet sind, die Räder sicher auf der Fahrbahn aufsetzten und die Maschine nur noch vor sich hin rollt, sage ich zu meiner deutschen Sitznachbarin: „Ach, jetzt bin ich hier in Bukarest. Ich bin doch verrückt.“
Sie nickt nun und lächelt. „Ja, das sind Sie. Ein bisschen schon.“
Eben hatte ich ihr erzählt, dass ich Anfang des Jahres kurzerhand einen Flug nach Rumänien gebucht und ein Auto gemietet hatte – einfach so.
An der Gepäckausgabe warten wir ewig auf unsere Taschen – zuerst wird wohl der Flug aus Dubai abgefertigt. Die Koffer sind so lieblos auf das rotierende Band geklatscht worden, dass sie in den Kurven immer wieder abzurutschen drohen und von umherstehenden wartenden Menschen wieder aufs Band geschoben werden.
An dem kleinen Europcar-Schalter erklärt mir die streng aussehende Dame mit hartem, rumänischen Akzent die Formalitäten. Während des Fluges hatte ich mir auf die Schnelle ein paar der wichtigsten Floskeln auf rumänisch selbst beigebracht und nun, als wir die Dame am Schalter verlassen und draußen auf einen Kollegen warten, frage ich den netten Europcar-Mitarbeiter nach der richtigen Aussprache.
„Eure Sprache klingt ein wenig wie italienisch oder spanisch, kann es sein?“
„Ja.“ Sagt er. „Es ist eine romanische Sprache. Ein paar Begriffe haben wir auch dem französischen entliehen, doch die verwenden wir nicht so…“ Er stutzt, versucht, die richtigen Worte zu finden. „…nicht so häufig.“ Na so was, und ich dachte schon, er würde „nicht so gerne“ sagen…
Hier ein paar Beispiele der häufigsten rumänischen Floskeln:
Guten Tag – Buna ziua
(Das „buna ziua, ganz schnell gesprochen, hört sich ganz wie das französische Bonjour an)
Guten Abend – Buna Seara
(Im italienischen: buona sera)
Auf Wiedersehen! – La revedere!
(ital. arrivederci)
Danke! – Multumire
(Mit diesem Begriff hatte ich die meisten Probleme, da die Aussprache völlig anders ist und ich mir dieses Wort auch sonst nirgendwoher ableiten konnte, insofern hatte ich es immer wieder vergessen…)
Bitte! – va rog
(Auch so ein unmöglicher Begriff…)
Zunächst kämpfe ich mit dem Wagen (kleiner Spielzeug-Polo, eine etwas ruckelige Gangschaltung, kein Pfeffer unterm Hintern – wie kleine Autos nun mal so sind…), doch dann finde ich mich im Verkehr schnell wieder zurecht. Ich habe in vollem Umfang die Bukarester Rushhour erwischt, es ist kurz nach siebzehn Uhr, die Straßen sind gestopfte voll und meine zu fahrende Strecke beträgt circa 17 km. Für diese 17 Kilometer brauche ich über eine Stunde.
Man kann noch erahnen, wie schön die rußgeschwärzten, rissigen Fassaden einst gewesen sein müssen. Wie eine alte Dame, deren Glanz nur noch ein Echo vergangener Zeiten ist, die jedoch dennoch ein Ballkleid anziehen möchte für die letzte, große Show ihres Lebens.
Ein Ort der Kontraste: bröckelnde Häuser werden mit Hochglanzfassaden wie mit Glitzersteinen durchbrochen. Verwahrlosung – und die morbiden Reste einer einstigen Schönheit.
Der Fahrstil der Rumänen ist… sehr anarchistisch und mich beschleicht nach und nach das undeutliche Gefühl, dass jeder so ziemlich das tut, wonach ihm ist. Doch da dies ebenso ist, sind sie auch sehr tolerant gegenüber dem Fehlverhalten anderer… und dann auch wieder nicht. Rumänen sind beim Fahren leidenschaftlich und sehr kreativ darin, die Verkehrsregeln frei für sich umzusetzen.
Und nun dürft Ihr Euch den Kopf zerbrechen, was Kasia wohl damit wieder meint…
Und ich mittendrin. Doch erstaunlicherweise finde ich mich mühelos zurecht. Was wird wohl passieren bei einem fremdverschuldetem Blechschaden, überlege ich, während ich einen vollgestopften Kreisel passiere – ob ich es wohl schaffen würde, der Polizei zu erklären, was passiert ist? Die ehemals weißen Streifen auf Kreuzungen, Kreiseln und anderen Knotenpunkten sind hier in Bukarest so abgenutzt, dass sie praktisch gar nicht mehr vorhanden sind, alle fahren mehr oder weniger blind und jeder hupt mal ein bisschen. Ach was, ich als wohlhabender Ausländer, sie werden mich rupfen wie ein Hühnchen.
Ich fahre unter einem Triumphbogen hindurch und siehe da… dort hinten kann man bereits den Regierungspalast sehen.
Doch niemand rupft mich, denn der Fahrstil der Leute hier scheint darauf ausgelegt, in zentimetergenauen Maßarbeit etwaige Blechschäden zu vermeiden. So komme ich sicher an und stelle meine weiße Knutschkugel am Wegesrand ab.
Mein Hostel Cozyness Downtown ist von seiner Lage her ein Phänomen, denn obwohl fast zentral im Sektor 4 gelegen (die 2,2 Millionen Einwohner große Stadt Bukarest ist in sechs administrative Sektoren aufgeteilt, die ihre eigenen Verwaltungen haben und in großem und ganzen dem Bürgermeister unterstehen), so ist das umgebende Viertel trotzdem still, beschaulich, fast schon provinziell mit ruhigen Straßen und Gärten, eine Umgebung von der Sorte, wo Vögel zwitschern und noch vor dem Tor ein Kinderfahrrad herumsteht.
Das dreistöckige Haus ist mit einem Code gesichert, den ich noch vor meiner Anreise per E-mail zugeschickt bekommen habe und den ich nun eintippe. Mit einem leichten Knacken gibt die Tür nach. Ich wandere durch den Eingangsbereich, wo im Wohnraum lediglich ein Mann auf der Couch schläft. Kurz darauf erscheint eine Mitarbeiterin.
Auf jeder Etage finden sich ein oder zwei Badezimmer. In einem der Bäder bin ich überrascht – sogar eine Badewanne ist vorhanden, sie steht frei im Raum auf ihren kleinen Füßen. Mein kleines Zimmer liegt direkt unter dem Dachboden, den immer kleiner werdenden Gang entlang, und ehe ich den Raum betrete, ziehe ich unwillkürlich den Kopf ein.
Jetzt bin ich also da, lege mich aufs Bett und verschnaufe. „Ich mache unten gleich Crepes.“ Sagt das Mädchen. „Wenn du also Lust auf was Süßes hast…“
Bukarest duftet, und wie es duftet! Mit jedem Atemzug, mit jedem Schritt atme ich den süßen, schweren Blumenduft ein. Die Straßen sind gesäumt mit Akazien und blühenden Lindenbäumen, doch ich kann nicht sagen, was es noch ist… Es ist, als ob die marode Bausubstanz selbst diesen Duft verströmt…