Heute morgen verlassen wir das Waterberg Plateau. Langsam taucht die aufgehende Sonne den Ring aus Felsen um uns herum in ein kräftiges Rot, das immer mehr verblasst, je höher sie am Himmel steht. Diesmal sitze ich auf der Terrasse, bereit für das Spektakel.
Schnüre an Perlhühnern queren, als wir den sandigen Weg entlang den Ausgang der Lodge ansteuern. Geier sitzen in den Bäumen wie alte Greise, schwarze Silhouetten am hellblauen Himmel. Eine Affenfamilie hockt am Straßenrand – ruhig schaut die Affenmutter zu uns rüber, während die Kleinen auf ihr herumklettern und um sie herumtoben.
Wir tanken das Auto in Okahandja, ein kleiner Ort, in dem die Armut sofort ins Auge springt in Form junger Männer, die Neuankömmlinge um Geld oder Essen bitten. Okahandja ist eine dieser namibischen Städte, in der man an der Kleidung der Menschen, an ihren Blicken und an der Art, wie sie die Straße entlang gehen – ziellos, abwartend – die Armut einfach sieht.
An der Tankstelle spricht uns ein Jugendlicher an. Während Stefan im Tankstellenhäuschen die Rechnung zahlt und ich im Auto warte, klopft dieser an die Autoscheibe. Ich macht die Tür auf. Ob ich den Holzmarkt kenne, er sei weithin berühmt ähnlich dem Etosha Nationalpark oder dem Sossusvlei. Sehr sehenswert, wir müssen ihn uns unbedingt ansehen. Ich spähe durch die Frontscheibe in die angezeigte Richtung, und tatsächlich sind auf der anderen Straßenseite Marktstände und Holzschnitzereien zu sehen.
Und während ich noch überlege, ob nicht etwa hier und nicht in Otjiwarongo diese berühmte Holzschnitzerstadt zu finden ist, fragt der Mann in meine Gedanken hinein, ob ich ihm etwas Geld für Essen geben könnte. Er und seine Freunde hätten Hunger; dabei führt er seine Hand zum Mund in einer eindeutigen Etwas-essen-Geste. Eine Gruppe Jugendlicher hängt wie zur Bestätigung am Straßenrand im Schatten der Bäume ab.
Da solche und ähnliche Anfragen fast immer in erster Linie an mich gerichtet werden, beschließe ich, mich sauber aus der Sache zu ziehen, indem ich sage: „Ich habe kein Geld bei mir, du musst warten, bis mein Mann wieder da ist und ihn dann fragen.“ Nun läuft der Mann zum Tankhäuschen und ich warte indessen darauf, dass Stefan die Sache regelt. Ein paar Augenblicke später steigt dieser auch sichtlich irritiert zu mir ins Auto.
„Der Typ ist mir in die Tankstelle gefolgt und wollte, dass ich ihm eine Cola kaufe.“ Warum eigentlich nicht, denke ich mir, aber wahrscheinlich war Stefan im ersten Moment genauso irritiert wie ich. Wir fahren los; der Jugendliche schaut mich vorwurfsvoll durch die Autoscheibe an und macht wieder mit fragendem Ausdruck seine Hand-zur-Mund-Bewegung. Essen – nix? Ich blicke so bedauernd aus der Wäsche wie irgend möglich und habe ein schlechtes Gewissen. Doch plötzlich lächelt er und versucht, uns durch Winken erneut zu dem Holzschnitzereien-Markt zu locken.
Wir nehmen die Gegenrichtung und verlassen schnell die Stadt.
Am Rande eben jener Stadt gibt es ein größeres Einkaufszentrum. Auf der Suche nach einem Cafe kehren wir dort ein. Sehr enthusiastisch winkt uns einer der Parktplatzlotsen zu sich und lenkt uns energisch in eine gerade freigewordene Parklücke. Und während ich noch im Auto meine Sachen zusammen suche, höre ich draußen, wie der Junge Stefan zu seinen Fahrkünsten lobt.
Mir schwankt nichts Gutes.
Der Junge spricht ganz passables Deutsch, und als ich aussteige und dazu komme, hat der Junge Stefan längst in ein Gespräch verwickelt. Woher wir kommen? Wohin wir fahren? Wie lange sind wir schon in Namibia? Er selbst hat Verwandte in Hannover, daher beherrscht er größtenteils die Sprache. Ob Stefan Kinder hat? Nein? Ja, er selbst auch nicht – Kinder seien viel zu teuer. Geschwister? Eine Schwester? Na, wunderbar! Wie heißt denn die Schwester?
So langsam stellt sich bei mir ein Deja-vu Effekt ein.
Der Junge lässt sich den Namen buchstabieren. Stefan sagt: „Ich kaufe keine Kastanien.“ Der Junge hält inne und ein verlegenes Grinsen, das er nicht aufhalten kann, stiehlt sich in sein Gesicht. Schnell wechselt er das Thema.
„I don’t need your money.“ Sagt er zu Stefan, der ihm, wenn wir zurück kommen, ein gutes Trinkgeld verspricht. Nein, er möchte kein Geld, aber es wäre toll, wenn wir ihm Schuhe kaufen. Nicht für ihn selbst, sondern für seine Oma. Seine Oma hat keine guten Schuhe.
Stefan lehnt ab, mit einem Gesichtsausdruck, der alles aussagt. Und ich frage mich just in diesem Moment, ob die Oma-Masche jemals funktioniert hat. Sicher hätte sich die Oma über ein paar neue Sneaker gefreut aus einem Laden, der unserem Foot Locker entspricht.
Ob wir ihm dann zumindest etwas zu Essen kaufen würden, fragt er uns. Er habe Hunger. Stefan bietet ihm Äpfel an. Nein, Äpfel verursachen ihm Beschwerden, er sei allergisch.
Der Junge nähert sich unserer Geduldsgrenze.
Ob wir ihm etwas anderes kaufen? Wir verbleiben bei einem „mal sehen“.
Einen Cafe hat das Einkaufszentrum nicht. Mit einem Big Boss Burger plus Coke kehren wir zu dem jungen Lotsen zurück. Breit grinsend nimmt er seine Essenstüte entgegen. „Danke, Mamma!“
Ob wir die Äpfel noch hätten? Für seinen Kumpel hier, denn der mag Äpfel…