Afrika, Namibia

Der Ranger

„Nashörner mögen langsam und behäbig aussehen.“ Erzählt er weiter. „Aber das sind sie nicht. Oder kann jemand von euch mit einer Geschwindigkeit von 45 km/H rennen? Denkt jetzt aber nicht, dass es so gefährliche Tiere sind. Es ist nicht gefährlich, wenn man einen erfahrenen Ranger mit dabei hat.“ Er klopft sich kurz auf die Brust. „So wie Tom…“

Während der Weiterfahrt begegnen uns Perlhühner, Pumbas und verschiedene Antilopenarten. Wir sehen Zebras, Giraffen und eine große Herde Gnu. Doch für mich hatte der Höhepunkt der Fahrt bereits stattgefunden; zufrieden wackele ich im Jeep vor mich hin. Bei den Giraffen halten wir an. Sie stehen etwa zweihundert Meter von uns entfernt in einem Hain aus Bäumen und Gestrüpp und nur ihre Köpfe ragen an den langen Hälsen über den Baumwipfeln wie die Köpfe uralter Saurier.

Hier macht unser Guide die Jeeptüren auf und zunächst glauben wir an eine weitere Pirschtour – vielleicht an die Giraffen heran? Doch dann sagt er etwas von einem Drink. Ich schaue mich um, sehe die Savanne, die tief stehende Sonne, Bäume, trockenes Gras – wo will er denn hier bitte einen Drink her kriegen?

Aus der Kühlbox im Kofferraum. Schon bald stehen auf der Ladefläche drapiert: Cola, O-Saft, Bier, Cidre und Wasser. Fast niemand entscheidet sich für letzteres, fast alle nehmen Bier. Und während wir da so stehen und trinken, während sich das leichte Schwips-Gefühl in uns ausbreitet und die Giraffen hinter uns in den Bäumen neugierig die Köpfe recken, beginnt der erste Ranger an, zu sprechen.

Er ist Fachmann für Giraffen (oder hat bei der Tour diesen Part übernommen) und klärt uns über die Besonderheiten dieser Tiere auf. Eine männliche Giraffe ist von einem Weibchen anhand ihrer Hörner zu unterscheiden. Weibchen haben dünne Hörner mit schwarzen Haarbüscheln drauf, die Hörner der Männchen sind dünn und ohne Haarbüschel. Ein Giraffenbaby ist bei der Geburt über zwei Meter groß und kann nach einer Stunde bereits mit der Herde mitziehen. Selbst für einen Löwen ist es schwierig, eine Giraffe zu töten, denn sie wissen sich ihrer Haut durchaus zu wehren: Sie treten aus. Zu ihrem Schutz macht die Giraffe alles im Stehen: Sie isst im Stehen, sie schläft im Stehen, sie gebiert im Stehen ihr Junges. Die größte Chance hat der Löwe, wenn er die Giraffe beim Trinken angreift, denn da stellt sie ihre Beine ein Stückweit auseinander und senkt zum Trinken ihren Hals ab.

Danach betritt Ranger Nr. 2 die Bühne, derselbe, von dem wir kurz zuvor einen Anpfiff fürs zu langsame Laufen einkassiert hatten. Kurz räuspert er sich, ganz so, als sei er auf seinen Auftritt völlig unvorbereitet, doch das gehört zur Show, wie wir gleich feststellen sollen. Denn als er zu sprechen beginnt, sprudelt jedes einzelne Wort nur so aus ihm heraus.

Die Nashörner, die wir gesehen hatten, sind Weiße- oder auch Breitmaulnashörner. Doch wie unterscheiden wir nun einen Weißen- von einem Schwarzen Nashorn? Entgegen dem ihnen verliehenen Namen sind sie beide von gleicher Farbe; nämlich grau. Das Schwarze Nashorn (oder Spitzmaulnashorn) ist kleiner. Was sich unterscheidet, ist das Maul – dieses ist beim Schwarzen Nashorn schmaler, vergleichbar mit einer Giraffe oder einem Löwen. Breitmaulnashörner haben ein Maul wie ein Hippo, sagt der Guide. Und noch einen Unterschied gibt es:

„Habt ihr gesehen? Die Mutter mit dem Baby folgte uns notgedrungen nur deshalb, weil das Baby so neugierig war und wissen wollte, was da los ist. Selbst wenn es mitten in der Nacht ist, alles ist still und alles schläft und dann kommt jemand und zerbricht einen Grashalm – sofort ist das Baby wach und munter und will wissen: Hey, whats going on? Die Mutter trottet dann hinterher, um es im Auge zu behalten.“ Bei den Schwarzen Nashörnern sei es anders – das Baby läuft hinter der Mutter.

„Am besten zu vergleichen…“ Sagt der Ranger und grinst „mit einer weißen und einer schwarzen Lady. Eine weiße Lady hat ihr Kind immer vorne im Kinderwagen und schiebt es vor sich durch die Stadt; ich habe noch nie eine gesehen, die ihr Kind hinten gehabt hätte. Bei uns hingegen ist es anders: Eine schwarze Lady hat ihr Kind immer hinten am Rücken gebunden oder es läuft hinter ihr her, ab und zu schaut sie sich um und denkt: Ist meine Bagage noch da? Alles klar!“ Allgemeines Lachen ist zu hören; während wir lauschen, komen die Giraffen neugierig noch ein Stück hinter den Bäumen hervor. Ein Giraffenbaby schaut fragend zu unserer Gruppe herüber. Die Sonne steht noch tiefer als zuvor und wirft lange Schatten.

„Nashörner mögen langsam und behäbig aussehen.“ Erzählt er weiter. „Aber das sind sie nicht. Oder kann jemand von euch mit einer Geschwindigkeit von 45 km/H rennen? Denkt jetzt aber nicht, dass es so gefährliche Tiere sind. Es ist nicht gefährlich, wenn man einen erfahrenen Ranger mit dabei hat.“ Er klopft sich kurz auf die Brust. „So wie Tom…
Ich kenne die Nashörner und sie kennen mich. Ich kommuniziere mit ihnen durch Laute. Sie zählen mich fast schon zu ihrer Familie.“

Er macht uns darauf aufmerksam, dass das männliche Nashorn plötzlich bei der Mutter und dem Baby aufgetaucht ist. Wenn das Junge, wie in diesem Falle, männlich ist, versucht jeder ausgewachsene Bulle, es zu töten, ehe es groß wird und ihm zum Konkurrenten werden kann. Das erwachsene Männchen weiß, dass es gegen einen jungen Bullen nicht ankommen könnte. Auch der leibliche Vater kann für das Junge zur Gefahr werden. Der Bulle, der sich zu der Mutter gesellen wollte, hatte nicht einfach nur Gesellschaft gesucht.

„Ihr habt gesehen, dass es der Mutter nicht so gut geht. Sie hat viele Narben – die stammen alle von den Kämpfen mit dem Bullen. Wenn sie nicht kämpft, verliert sie ihr Baby.“

Des weiteren erfahren wir, dass eine Nashorn-Schwangerschaft 16 Monate dauert. Ein Nashorn lebt an die 50 Jahre, ein Weibchen kann während dieser Zeit höchstens sechs mal ein Baby zur Welt bringen – mehr geht nicht. Deswegen sind die Bestände so bedroht.

Eine Teilnehmerin will wissen, woher der Guide immer Bescheid weiß, wo sich die Tiere gerade aufhalten.
„Because I’m a ranger.“ Sagt Tom stolz. „Ich kenne die Tiere schon seit vielen Jahren, ich pflege und ich beschütze sie, denn es gibt viele Menschen, die sie jagen wollen.“ Die Ranger informieren sich gegenseitig über Funk über den Verbleib der Nashörner.

Die Schatten werden länger, die Getränke sind leer und die Giraffen sind seit einer ganzen Weile nicht mehr zu sehen. Sanft schaukelt uns der Jeep zurück zu unserer Lodge. Antilopen kreuzen unseren Weg, Warzenschwein-Familien rennen mit erhobenen Mähnen über die Straße und gefleckte Perlhühner stöbern aufgeregt davon.

An diesem Abend, als wir in der Lodge ankommen, sitzen keine Paviane brüllend oben auf den Felsen. Wir genehmigen uns je einen Amarula, während die dünne Mondsichel langsam am Nachthimmel sinkt.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
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Die Welt wartet auf uns.

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2 Kommentare

  1. Schöne Geschichte! Ich kann bestätigen, dass Nashörner ziemlich beeindruckend sind, wenn sie ca. 10 Meter vor einem über den Weg galoppieren. Glücklicherweise können sie nicht so gut sehen. Denn ich hätte nie im Leben meinem Guide auf den nächsten Baum hinauf folgen können.
    Beste Grüße
    Ulrike

    1. Hallo Ulrike,

      Danke für Deinen Kommentar, schön, dass Du Dich bei mir umgeschaut hast? Ja, so gemütlich wie die Tiere aussahen, kann man sich kaum vorstellen, dass sie auch mal Tempo geben können… auf Bäume klettern ist auch nicht so meins, in meinem „Was-wäre-wenn“-Kopfkino habe ich mich hinter dem Jeep verkrochen…? Liebe Grüße Kasia

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