Afrika, Senegal

Unter den Schwingen der Milane…

…vergeht die Zeit wie im Flug. Zumindest uns ergeht es so auf Gorée. Mamadou winkt einmal kurz und sein senfgelber Kaftan verschwindet zwischen den anderen Strandgängern in Richtung Fährableger. „Morgen früh werde ich in Dakar auf euch warten.“

Während unser Guide frei hat, wissen wir nicht, wohin mit so viel neuerworbener Freiheit. Ist die bestellte Dorade erstmal aufgegessen und das Flag Bier ausgetrunken, beobachten wir die Menschen um uns herum. Viele Urlauber aus den Staaten haben sich hier eingefunden, und die Lotsen, die den Besucherstrom zuverlässig in ihre Restaurants lotsen, haben alle Hände voll zu tun. Ich wende meinen Blick von rechts nach links. Eine Touristin knutsch verstohlen einen senegalesischen, jungen Typen ab. Vermutlich laufen hier ganz andere Geschäfte als die mit überteuerten Armbändern mit bunten Glasperlen. Geschäfte mit der großen Liebe, bei denen beide gewinnen oder einer verliert. C’est la vie.

Unser kleines Lokal hat weder knallig farbige Wände noch originelle Bemalungen, noch hat es überhaupt jemanden vor der Tür stehen, der es nötig hat, auf Reisende zu lauern. Und vielleicht deshalb gefällt es uns so gut, dass wir nochmal am Abend hierher kommen werden. Doch vorerst zieht es uns zurück in unser geräumiges Zimmer der Maison du Mare, wo sich um diese Uhrzeit bereits leise ein heißer Sonnenstrahl durch das zur Straße hin gerichtete Fenster stiehlt.

Die Bäder in so manchem Senegaler Hotelzimmer haben eine Besonderheit, an die wir uns erst einmal gewöhnen müssen: die Wände reichen nicht bis zur Decke. So können Reisende gegenseitig fröhlich an Geräuschen und Gerüchen des anderen teilhaben. Oder sie handhaben es wie wir uns verlassen höflich das Hotelzimmer. Entweder Stefan oder ich, einer von uns wartet jeweils höflich draußen im mit Kunstobjekten und ausladenden Pflanzen ausgeschmückten Innenhof.

Was tue ich nun? Ein Nickerchen? Ein Spaziergang? Ein paar Notizen machen? Die Insel auf eigene Faust erkunden? Mir wird ganz schön schwindlig vor so viel Freiheit. Indessen hat mein Stefan damit keinerlei Probleme und holt seinen E-Book Reader heraus.

Ich schließe die Augen. Die Rufe der Milane klingeln noch immer in meinen Ohren, langgezogen, aus weiter Höhe. Mit ausgebreiteten Schwingen reiten sie auf der Thermik. Frauen in farbenfrohen Kleidern mit Körben auf dem Kopf schwingen auf meiner Netzhaut vorbei. Ich bin voll und ganz da, bereit für alles, was noch kommt.

Die Temperaturen sind perfekt. Es ist nicht zu warm und nicht zu kalt, angenehme 25 Grad, angenehmer Luftzug. Musik, Stimmengewirr. Vogelgezwitscher dringt an meine Ohren. Stefan sitzt im Innenhof und liest und ich lasse das ausgetrunkene Bier langsam in meinen Kopf steigen.

 

Gorée am Abend

Nach Ausruhen im Zimmer geht es runter, Bierchen trinken. Leute gucken. Von der Idee, die kleine Insel auf eigene Faust zu erkunden, kann mich Stefan erfolgreich abbringen. Eventuell könnte er Recht haben. Goree ist knapp einen Kilometer lang und dreihundert Meter breit und wir haben das meiste schon gesehen. Das einzige, was noch auf uns wartet, sind emsige Händlerinnen wie Ivette, Amina und Maria, und die Sehnsucht, ihnen zu begegnen, hält sich in Grenzen.

Also wackeln wir wieder zum Strand. Ein Bierchen kostet um die 1500-2000 CFA, das entspricht Stand heute 2,28. Es ist ein stolzer Preis nach senegalesischen Maßstäben, vielleicht auch deshalb können die Händler nicht verstehen, warum wir nichts bei ihnen kaufen. Auch mit den Trinkgeldern in Senegal sind wir im Laufe der Reise schlauer; haben wir zur Anfang unabsichtlich zu viel gegeben, so bekommen wir im Laufe der Zeit heraus, dass 500 CFA ein angemessenes Trinkgeld im Restaurant oder fürs Koffer tragen ist. Das hat vielerlei Gründe und mit Geiz nichts zu tun. Vielleicht werde ich einmal in einem separaten Beitrag darauf eingehen, warum man als Tourist in einem Land mit großem Preisgefälle nicht mit Geld um sich werfen sollte. Auch wenn einem die Armut im Herzen weh tut.

Zurück zu den schönen Dingen des Lebens: Bier. Uns hat es Flag angetan. Gut, es reicht nicht ans fränkische oder belgische heran, aber es ist trinkbar und es ist lecker. Einmal probiere ich die lokale Marke Gazelle aus; nicht so gut. Zu wenig Geschmack, zu wenig Wumms. Zu wenig Doppelwumms.

Streunende Katzen flüchten auf einen Baum vor einem streunen Hund. Einzelne Händler sind noch unterwegs. Die obligatorischen Frauen mit ihren Körben auf dem Kopf, die Schmuck verkaufen. Einige von ihnen nehmen langsam die abendlichen Fähren nach Dakar. Ich beobachte, wie eine junge Frau irgendwo in einer Ecke schnell ihre wallende Kleidung von sich wirft – eine moderne, enge Jeans kommt zum Vorschein. Du bekommst, Tourist, was du sehen willst, doch öffne die Augen, dann siehst du mehr.

Ein Händler auf dem Rollstuhl kommt an den Strand gefahren. Dort, wo der Sand beginnt, hievt er sich hinaus und schleppt sich zu den Leuten herüber. Er verkauft Schlüsselanhänger. „I made it with my own hands.“ Sagt er.

Der eine geht, der andere kommt. Je weiter der Abend jedoch fortschreitet, umso seltener werden die Anfragen. Doch manch einer will seine Waren unbedingt vor der letzten Fähren an den kaufwilligen Mann oder die kaufwillige Frau bringen; so ergeht es einem gewissen, nigerianischen (…Prinz??) Maskenhändler. Ungeachtet unseres nicht vorhandenen Interesses an einer „antiken“, wertvollen, nigerianischen Maske, für die wir natürlich den besten Preis erhalten, eröffnet der Händler die Spiele… pardon, die Verhandlungen. Der Preis für das gute Stück beginnt irgendwo bei 150.000 CFA (es darf sich bitte jeder selbst ausrechnen, wieviel das ist…) und sinkt immer weiter, wobei wohl nur der Verkäufer glaubt daran, sich seinem Ziel zu nähern. „Ich gehe zurück nach Nigeria.“ Versichert er uns. „Ich werde es nicht mitnehmen. Ich werde die Maske irgendwo fortschmeißen, wenn ich sie nicht verkaufe.“

Am Ende der einseitigen Negoziationen ist der Wert des historischen Stückes auf 15000 CFA gesunken, was in etwa fünfzehn Euro entspricht. Auch hat sich der „antike“ Status irgendwo zwischen wechselnden Preisschildern verloren. Doch wir wollen noch immer partout keine hölzerne, nicht mehr antike Maske in unserem Koffer. Der Händler nimmt seine Ware und geht.

„Weißt du…“, sage ich zu Stefan. „Vielleicht hätten wir das Teil ja kaufen sollen.“ Bedauernd schaue ich mich um, doch mein nigerianischer Maskenprinz ist weg.

Die kleine Episode war lehrreich für uns. Sie hat uns gezeigt, wie hoch und wie willkürlich die Preise angesetzt werden und wie weit man sich in seinen Verhandlungen nach unten bewegen kann. Am besten ist es, gar keinen preislichen Gegenvorschlag zu nennen, denn dann werdet ihr niemals mehr weiter runter gehen können. Einfach abwarten und schauen, welchen Betrag der Verkäufer euch am Ende nennt. Alternativ dann zuschlagen, wenn sich der Preis euren Vorstellungen für das gewünschte Objekt angenähert hat. Also, fühlt ihr euch gewappnet genug, in die afrikanischen Verhandlungen einzusteigen?

Der Strand leer sich. Das kitschige rote Herz, welches tagsüber von allen Touristen nacheinander belagert wurde, steht einsam da. Palmen, die die Küste säumen, beginnen, in der perlmuttfarbenen Dämmerung zu leuchten. Wir erheben uns von unseren Stühlen und schlendern ein paar Schritte über den Sand. Und prompt fallen wir Ivette und ihren Freundinnen in die Hände. Sie haben ihre Freiluftshops an der Kirche zusammengeräumt und warten nun auf die letzte Fähre, die an diesem Abend ablegt. „Ihr wolltet kommen.“ Ivette spricht eine Mischung aus englisch und französisch, doch es ist nicht schwer zu verstehen, was sie gerade sagt. Doch sie muss weiter, die Fähre wartet nicht auf sie. „Kommt ihr morgen?“ Fragt sie. „Ihr habt es versprochen“ Ja, sage ich. Morgen. „Ich werde auf euch warten.“

Sie weiß es nicht, doch „morgen“ werden wir wieder zurück in Dakar sein.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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8 Kommentare

  1. Hat Stefan auch eine Dorade gegessen? Oder gab es auch grätenfreie Fischbuletten 😁? Dass zwischen Zimmer und Bad keine durchgehende Wand ist, ist ja wirklich kurios. Das bisschen mehr Material, was dazu notwendig gewesen wäre, hätte sich doch bestimmt auch noch beschaffen lassen. Habt ihr im Laufe der Reise herausgefunden, welcher Grund dahinter steckt? Ivette und ihre Mädels haben euch ja echt zugesetzt. Ich würde da vermutlich nur schwer die Fassung wahren können. Zumal ich als bekennende Material-Minimalistin eh nie irgendeinen Schnickschnack von meinen Reisen mitbringe. Ihr wart ja immerhin grundsätzlich willig, wäret ihr nicht so bedrängt worden. Aber davon ab habt ihr ja offenbar eine schöne Zeit auf dem ehemaligen Sklaven-Eiland gehabt.

    1. Das Problem mit den Verkäufern ist, dass sie sich irgendwelche kuriosen Preise einfallen lassen und wenn du dann doch nichts kaufen möchtest, kommst du so gut wie gar nicht mehr vom Haken. Wenn du bei einem kaufst, haben zudem alle anderen Hoffnung und du hast keine ruhige Minute 🙂 deswegen haben wir uns, was das Shopping betrifft, diesmal sehr zurückgehalten.

  2. Das Handeln wäre mir zu zeitaufwendig. Auf der anderen Seite: Wer nicht handelt zahlt hat mehr. Manchmal funktioniert Handeln auch in Deutschland.
    Liebe Grüße, Harald

    1. Uns war das Handeln meist auch zu zeitaufwändig. Was damit geendet hat, dass wir nichts kauften…
      Lg Kasia

  3. Festpreise sind offensichtlich kein Thema 😉

    1. Nein, so überhaupt nicht… der Preis richtet sich unter anderem nach der Pigmentierung des Käufers 😉

  4. In Indien ging es uns ähnlich, als ein Junge uns einen TajMahal-Magneten für 4€ anbot. Wir kaufen prinzipiell nicht, wenn wir angesprochen werden. Der Kerl verfolgte uns und reduzierte im Lauf der Zeit auf 40 ct. Als er schon aufgab, fiel uns ein, dass wir genau so einen Magneten kaufen wollen und Zack, Deal perfekt.

    1. Es war spannend, sich diese Preisverhandlungen mal anzusehen. Und eigentlich schade, hätte sich der Händler noch irgendwo in sichtbarer Nähe herumgetrieben, dann hätte ich das Ding sogar gekauft… Ich meine, wer bekommt schon eine seltene, historische Prinzenmaske aus Nigeria ausgehändigt…😜

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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