Sri-Lanka, Mai 2018
Heute morgen im Hotel packen wir wieder einmal unseren Koffer. Die Tour beginnt und Supuns Fahrer wartet schon am Eingang zum Hotel auf uns.
Verträumt und enthusiastisch fiebere ich unserer Tour entgegen, doch Stefan, ein von Natur aus skeptischer Mensch, hat da noch ein wenig Kopfschmerzen: Die Rundreise wird in Bar bezahlt – wird der ATM funktionieren? Viel hat man gehört und gelesen über Kartenbetrug und manipulierte Automaten auf Sri Lanka – was, wenn wir Probleme bekommen? Was, wenn die Tour mit Fahrer und Hotel doch mehr kostet als die im Vorfeld online vereinbarten 98 Euro/Tag? Was, wenn der Automat unsere Karte schluckt? Was, wenn…?
Doch ich mache mir keine Sorgen – schon am Morgen sitze ich da und genieße mein Frühstück. „Sieh es so.“ Sage ich zu Stefan. „Wenn die Tour viel mehr kosten sollte, dann machen wir sie einfach nicht. Wenn der Automat unsere Karte verschluckt, dann lassen wir sie sofort sperren. Wenn wir kein Geld bekommen – dann ist es eben so. Entspann dich.“ Ich bin tiefenentspannt. Ich weiß einfach, es ist dieses sichere, untrügliche Gefühl in mir drin, dass alles gut werden wird. Soliya, Supuns Fahrer, erweist sich als ein sehr angenehmer, ruhiger Mensch. Er versucht uns jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Doch als der Van losfährt und wir uns durch die Stadt entlang schlängeln, haben wir nur diesen einen: mögen doch bitte alle Verkehrsteilnehmer überleben.
Der Verkehr auf Sri Lankas Straßen ist berüchtigt, und so beobachten wir die nächsten Tage, wie unser Fahrer vor jeder Fahrt ein kleines Gebet spricht. Es wird überholt mit einem Abstand, wo gerade mal eine Hand dazwischen gepasst hätte, an Stellen, an denen Überholen eigentlich unmöglich ist erscheint. Es gelten keine Vorfahrtsregeln – die Dicken (Bus, Van, Truck…) haben immer Recht, der Loser ist der Tuk Tuk, noch weiter unten in der Hierarchie ist das Moped. Die vielen Motorräder auf Sri-Lankas Straßen quetschen sich irgendwie in die freien Lücken, es ist wie Tetris spielen. Für Fußgänger wird nicht gehalten, ja nicht einmal abgebremst. Wer nicht todesmutig, jedoch mit wohl kalkuliertem Risiko auf die Straße läuft, der wird sie niemals überqueren. Vergebens stehen Gruppen von Menschen an gelben Zebrastreifen. Ich sehe auch Weiße unterwegs, die entweder zu Fuß gehen oder sich todesmutig mit einem Roller in den Verkehr stürzen.
Doch auf Sri Lankas Straßen herrscht keineswegs Anarchie, ganz im Gegenteil ist in all dem nach einer Weile für mich eine Art Ordnung erkennbar. Denn die Menschen fahren – so lächerlich das an dieser Stelle jetzt klingen mag – sehr vorausschauend. Soll heißen: jeder rechnet mit unerwarteten Aktionen des anderen. Und niemand hier regt sich über irgend etwas auf – die Verkehrsteilnehmer haben Nerven wie Drahtseile. Mit frohem Gemüt versuchen sie möglichst, jede Regung des anderen vorauszusehen und lassen sich durch eine mehr oder minder gefährliche Situation nicht die Laune verderben.
Auch unser Fahrer manövriert den Van ohne jede erkennbare Gemütsregung an Mopeds, Menschen und Tuk Tuks vorbei. Gehupt wird oft und auch Lichthupe gegeben, doch eher als Warnsignal und Ankündigung einer Überholabsicht, denn aus Ärger.
„Ist es gefährlich, hier zu fahren?“ Will ich wissen. Er lacht. „Manchmal. Na ja, man muss seine Augen rund um den Kopf herum haben.“ Wir teilen ihm mit, dass wir uns längst bei diesem Verkehr vor Angst in die Hosen gemacht hätten.
Wir fahren konstant die Küste entlang Richtung Süden. Die Städte, die wir passieren, haben nicht viel zu bieten: zerfallen und irgendwie zusammengeschustert sieht alles aus, chaotisch, bröckelnd. Bunte Tuk Tuks drängen in den Straßen und der Geruch von Abgasen, die pechschwarz den Auspuffen entweichen, hängt schwer in der Luft und dringt zu uns durch das offene Autofenster. Ich hatte die Scheibe geöffnet, um mehr von der Atmosphäre da draußen mitzubekommen, doch jetzt habe ich genug davon. Schwer legt sich der Smog auf meine Lungen und äußert sich in einem drückendem Gefühl in meinem Magen. Schnell schließe ich das Fenster. Ja, die Abgase hier haben schon eine ganz andere Qualität, da merkt man doch direkt, dass die ganzen Filter und die EU-Abgasnormen tatsächlich etwas bewirken.
Der Van ist modern und komfortabel, das Innere gekühlt, eine Klimaanlage lässt uns die Hitze draußen vergessen. Durch die verdunkelten, nicht einsehbaren Scheiben können wir ungeniert das Treiben draußen beobachten.
Unser erster Stopp ist die Schildkröten-Rettungsstation Hatchery in Koskoda, in der Nähe von Galle. Hier werden Schildkröteneier aufgesammelt, damit sie nicht Räubern wie Vögel und Warane zum Opfer fallen. In speziellen Bereichen werden die Eier aufgezogen und je nachdem, wie der Bereich temperiert ist, Männchen oder Weibchen hochgezogen. Danach entlässt man sie ins Meer.
Doch auch die ausgewachsenen Exemplare, die einen Unfall oder Angriff hinter sich haben oder sonst wie gehandicapt sind, werden hier aufgepäppelt. Ein junger Sri Lanker, der fließend deutsch spricht, führt uns herum. Vier Jahre lang hat er in Deutschland studiert. „Das hier ist ein Weibchen. Sie hat Plastik gefressen, weil sie dachte, dies sei eine Qualle. Schildkröten haben keinen Geschmackssinn und können das nicht unterscheiden. Durch das Plastik hat sich viel Luft in ihrem Körper entwickelt und egal, was sie versucht, sie kann nicht mehr untertauchen und nicht jagen. Wir geben ihr Medikamente, die das Plastik im Körper langsam auflösen. Es ist schon viel besser geworden.“
Er zeigt uns geschlüpfte Babyschildkröten, die in großen Auffangbehältern schwimmen und demnächst in die Freiheit entlassen werden. Mich interessiert vor allem, ob Infektionsrisiko für die Schildkrötenbabys besteht, da sie scheinbar jeder betatschen und die Hände ins Wasser hängen kann. Doch der Junge beschwichtigt: Das Wasser würde regelmäßig gewechselt.
„Und das hier…“ wir gehen zu einem besonders großen Exemplar: „ist eine Lederschildkröte. Sie werden bis zu drei Meter lang und leben bis dreihundert Jahren. Diese hier ist 150 Jahre alt und noch nicht ausgewachsen, am Panzer können wir das genau erkennen.“ Was für ein Brummer!
„Diese hier…“ wir kommen zu einem weiteren Becken und einer besonderen, bedrohten Schildkrötenart – „… ist die Echte Karettschildkröte. Sie ist anders als die anderen, da viel aggressiver. Sie wird oft aufgrund ihres Panzers gejagt, denn jeder Panzer ist einzigartig bei dieser Schildkrötenart. Sie können schwarz oder farbig oder gemustert sein und aus ihnen werden Brillengestelle oder Schmuck gemacht. Willst du sie mal halten?“
Diese Frage ist an mich gerichtet – Stefan hat sich schon vorsorglich zurückgezogen. Lächelnd hält unser Guide den Racker in der Hand und ich sehe mich dem spitzen Schnabel entgegen. „Klar, warum nicht?“ Ich greife mir beide Seiten des Panzers und halte das Tierchen in die Höhe. Tja, da hilft dir auch dein Schnäbelchen nicht, mein Lieber!
Danach laufen wir zum Strand, zu den Plätzen, an denen die Weibchen ihre Eier ablegen. Schildkröten gibt es bereits seit zwei Millionen Jahre auf der Erde. Sie werden häufig wegen ihres Panzers gejagt und den am Strand vergrabenen Eiern sprechen die Einheimischen potenzsteigernde Eigenschaften zu. Jeden Tag wird der lange Strandabschnitt nach Eiern abgesucht.
Die Weibchen suchen sich keinen bestimmten Ort fürs Eierlegen aus, sie orientieren sich an den Magnetfeldern der Erde wie an einem inneren GPS-Signal, und jedes Weibchen kehrt dahin zurück, wo es auch selbst zur Welt gekommen ist. „Manchmal passiert es, dass die Schildkrötenweibchen ihre Umgebung nicht erkennen, als ob das GPS nicht einschlägt. Dann legen sie keine Eier, sie kehren dann um und zurück ins Meer.“
Und während Stefan noch interessierte Fragen stellt, bin ich eher an der Hintergrundgeschichte des Mannes interessiert, wo und was er in Deutschland studiert hat und wieso er zurück ist nach Sri Lanka. Doch ich frage nicht, denn mein Eindruck ist, dass er nicht wirklich über sich sprechen möchte.
Und wer kann es ihm auch verdenken.