Moseltal, April 2017
Als ich das Eifelgebirge verlasse und an der Mosel entlang fahre, vollzieht sich in der Landschaft eine komplette Wandlung. Hohe, dunkelgrün bewachsene Berge weichen sanften, hellen Hügeln; die bis dato scharfkurvige Straße führt kerzengerade am Ufer entlang. Und Blumen tauchen auf; ganz, ganz viele weiße Blumen…
Ja, das Tal sieht aus wie mit Puderzucker bestäubt. Hier, in der Sonne bekommen Bäume ihre ersten, hellgrünen Blätter angezogen, ein blühender Obstgarten nach dem anderen rauscht an mir vorbei. Weiße Blütenblätter tanzen auf der Straße und zwischen all dem Grün und Weiß sticht alle paar hundert Meter ein rosarot blühender Kirschbaum hervor. Ich kann meine Augen nicht satt bekommen an den Farben des Frühlings nach dem tristen Winter. Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber jedes Jahr aufs neue kommen mir die Wintermonate rückwirkend so ewig lang und dunkel vor…
Zwischen den einzelnen Orten eröffnet sich mir manchmal eine unglaubliche Aussicht: zwei Berge und dazwischen das Tal, die darin eingequetschten Häuser, hier und da auf einer oder beiden Seiten von einer Burg garniert. So unerwartet taucht der Ausblick auf, dass ich nicht immer auf der Seite stehen bleiben kann. Doch manchmal klappt es.
Dann stehe ich da und bin entmachtet. Ich habe lange nach einem passenden Wort gesucht, welches nicht schon oft verwendet wurde, doch wie beschreibt man etwas, das einen überwältigt?
„Vermutlich bekommen Sie das oft zu hören, aber… Sie haben eine wunderschöne Gegend hier.“ Platze ich heraus, als ich im nächsten Ort bei einer Kundin bin.
„Ja… das stimmt.“ Sagt sie und freut sich. Aber… „…aber im Winter ist es hier sehr trostlos. Es sieht dann alles grau aus.“ Nun, im Winter sieht alles irgendwie trostlos aus… denke ich mir. Ich versuche, mit das Tal grau in grau vorzustellen, doch es will mir nicht so recht gelingen.
Ich komme an der Hochmoselbrücke vorbei, die gerade im Zuge der Fertigstellung ist und das ganze Tal von Urzig bis Zeltingen-Rachtig umspannt. Rund 160 m ist sie groß und 1,7 km lang. Der Bau der Hochmoselbrücke hatte 2010 begonnen und ist für Ende 2018 angedacht. Fasziniert halte ich das Auto an, denn der Anblick hat etwas surreales an sich – dieses riesige Gebilde, von dem die Hälfte fehlt; den unfertigen Rest bilden aufragende Pfeiler – sonst nichts. Das Gehirn es nicht wahr haben, will dieses Bild andauernd ergänzen, denkt sich den Rest der Brücke dazu. Und nicht nur ich bin fasziniert von dem Anblick; als ich meinen Weg fortsetze, sehe ich, wie weitere Autofahrer ihre Autos anhalten und ihre Handys zücken.
(Für Interessierte werden Führungen zum Bau des Hochmoselübergangs B50 angeboten)
Der nächste Ort ist Traben-Trarbach. Eine lange, eiserne Brücke führt über die Mosel in den Ortskern hinein. Hier gibt es Touristen – der Ort hat eine schöne Altstadt. Doch die meisten Besucher halten sich auf der Brücke auf, von wo sie ins blaue Wasser schauen und die vorbeifahrenden Fähren beobachten. Über dem Ort erhebt sich (wie soll es auch anders sein) eine Burg. Ich erstehe ein leckeres Eis von einer mürrischen Verkäuferin. Nicht so traurig gucken, es ist ein wunderschöner Tag!
Das Eis schmilzt, ich begebe mich in die Altstadt. Hier bin ich komplett alleine, das Rauschen des Autoverkehrs auf der Brücke ist kaum noch zu hören. Ich setze mich auf eine Bank und lasse mir die Sonne auf den Kopf scheinen.
Am nächsten Morgen besuche ich Bernkastel-Kues. Ich denke noch unbewusst über den seltsam klingenden Namen des Ortes nach, da sehe ich auch schon viele Bären, im ganzen Ort verteilt. Man versteht es hier also, die Namensgebung clever für Marketingzwecke der Stadt zu nutzen.
Im Bernkastel-Kues ist es früher Morgen. Zumindest hat es so den Anschein, denn morgens, halb zehn in Deutschland sind alle Bürgersteige noch hochgeklappt. Das hält jedoch ein paar Touristen nicht ab, bei semi-strahlendem Wetter die verlassen wirkenden Gassen der Altstadt zu erforschen (der Sonnenschein von gestern hat sich heute nicht mehr zeigen wollen…).
Am Marktplatz dringt ein Geräusch in mein Bewusstsein, welches ich bis dahin unterschwellig irritierend fand – das Schnattern der Enten (…Gänse?), welches von irgendwo oben zu kommen scheint. Ich hebe den Kopf. Der Kamin! Das prunkvolle Rathaus ist ein Zuhause für die Schnatterschnäbel geworden; da sitzen sie oben und strecken ihren Schnabel gen Himmel aus. Auf dem Kamin. Auf dem Marktplatz.
In der Altstadt…