Remagen, März 1945
Der Führer tobt. Er schreit. Er läuft den Raum auf und ab, das Gesicht feuerrot angelaufen. Seine Männer haben versagt. Versager, alle miteinander! Seine Stimme wird heiser.
Oder…
Der Gedanke ist so naheliegend und zugleich ungeheuerlich, dass er sich kurz setzen muss. Sein Gesicht wird noch eine Spur dunkler.
Vielleicht haben sie gar nicht versagt. Nein, unmöglich; schließlich nennt er die besten Offiziere des Landes sein eigen. Sie haben nicht versagt… sie habe ihn verraten!
Die Brücke von Remagen ist ein Kriegsfilm aus dem Jahr 1969 über den legendären ersten Rheinübergang durch Verbände der United States Army. Die obere Szenensequenz ist einzig auf meinem Mist gewachsen.
Remagen, April 2017
Langsam steige ich die Anhöhe wieder herunter. Blüten, Vögel, Frühling. Ich erforsche Remagens fast ausgestorbene Fußgängerzone. Nur dass es da nicht viel zu erforschen gibt; das Leben hat sich zur Rheinpromenade hin verlagert.
Im Hof der St. Peter und Paul Kirche, an der ich mein Auto stehen lasse, entdecke ich mehrere alte, grünlich angelaufene Grabsteine und steinerne Kreuze. Solche alten Grabsteine fand ich schon immer toll; ich hatte mich früher öfters damit beschäftigt, die Inschriften zu lesen, zu erfahren, wer da begraben liegt und vor allem: wie lange schon. Dann rechnete ich zurück, erfuhr, wann die Person gelebt hat, wie lange ist es schon her. Begriff die Dimensionen der zeitlichen Entfernung – und begriff sie doch nicht. Denn vor den Überresten des Grabes eines Menschen zu stehen, der an die hundert Jahre vor meiner Geburt bereits starb, ist etwas, das mein Vorstellungsvermögen doch irgendwo ein wenig sprengt. Es ist nun mal so: All das, was sich vor unserer Geburt ereignet hatte, ist irgendwie gar nicht mehr unsere Welt…
In Bahnhofsnähe gibt es eine Reihe hübscher Häuser; die Fassaden fielen mir schon im Vorbeifahren von der Straße aus auf, grün, gelb, rosa und blau, verschnörkelt, doch irgendwie toll. Am Platz vor dem Bahnhof wird gelacht, Menschen sitzen unter den Ästen der Bäume und essen Eisbecher. Remagen ist auch die Heimat des verstorbenen Rennfahrers Rudolf „Karratsch“ Caracciola, nach dem eine berühmte Kurve des Nürburgrings benannt wurde und an dessen Familienwohnsitz ich nun vorbeilaufe.
Ich rufe Stefan an. Den Blick auf die bunten Stiefmütterchen unter zwei großen, grünen Bäumen geheftet erzähle ihm, dass mein Urlaub September genehmigt worden ist. In September geht es nach Namibia. Stefan erwähnt die Ludendorff-Brücke. Moment, denke ich mir, da war doch irgendwas mit dieser Brücke und Hitler; davon hat mein Chef heute Mittag auch schon erzählt… Plötzlich habe ich es eilig, zu meinem Auto zu kommen.
Ich gebe sie in mein Navi ein; zehn Minuten später stehe ich davor. Nun, nicht ganz, denn die Brücke ist während des Zweiten Weltkriegs eingestürzt, kurz nachdem die Amis trockenen Fußes auf die andere Seite des Rheins übersetzen konnten. Über dem Rhein spannt sich jetzt nichts mehr, nur die steinernen, massiven Bögen und Pfeiler sind noch auf beiden Uferseiten sichtbar. In einem von ihnen, auf Remagens Seite befindet sich heute das Friedensmuseum; die Ausstellungen wechseln von Zeit zur Zeit, allesamt sind sie aber der Mahnung und dem Streben nach Frieden gewidmet.
Ich gehe zu den dunkel aufragenden Überresten der Ludendorff-Brücke hinauf, lese die angebrachte Tafel.
„Friedensmuseum Brücke von Remagen“
„Als eine Vorausabteilung der 9. US-Panzerdivision am 7. März 1945 bei Remagen zum Rhein vorstößt, finden die amerikanischen Soldaten die Rheinbrücke unzerstört. ‚Trockenen Fußes über den Rhein…‘, schreiben sie stolz in großen Lettern an die Brücke.
Der amerikanische General Dwight D. Eisenhower wird mit den Worten zitiert, die Brücke sei ihr Gewicht in Gold wert – Hitler tobt, er vermutet Sabotage und lässt fünf seiner Offiziere durch ein Fliegendes Standgericht zum Tode verurteilen. Zehn Tage später stürzt die von zahllosen Zerstörungsversuchen durch Artillerie, Bomben und Raketen stark beschädigte Brücke ein.“
Auf die Wasseroberfläche senkt sich warmes, goldenes Abendlicht. Der massive Brückenbogen ist schwer und dunkel auf der anderen Seite sichtbar, wie er sich vom Grün der Bäume und dem imposanten Fels abhebt. Das Ufer ist mit kleinen Kieselsteinen gepflastert; Kinder spielen, werfen sie ins Wasser. Ruhe und Stille breiten sich aus.
Was für ein Ort.
Ludendorff-Brücke
„Beim Rückzug der Heeresgruppe B unter Generalfeldmarschall Walter Model auf die rechte Seite des Rheins 1945 sollten nach dem Willen der Wehrmachtsführung alle Rheinbrücken gesprengt werden. Bei der Ludendorff-Brücke wurden jedoch weniger (300 kg statt 600 kg) und weniger effektiver Sprengstoff (Donarit statt Dynamit) verwendet als geplant. Bei der Sprengung wurde die Brücke kurz aus ihren Lagern gehoben, jedoch nicht zerstört, wodurch es den alliierten Truppen in der Folge möglich war, den Rhein an dieser Stelle zu überqueren und ihren ostwärts gerichteten Vorstoß zu beschleunigen. Von deutscher Seite wurde in der Folge vergeblich versucht, die Brücke zu zerstören. Diese kollabierte schließlich am 17. März, wahrscheinlich aufgrund der misslungenen Sprengung und der Kampfhandlungen der vorherigen Tage. Hitler ließ mehrere Offiziere, die für die nicht erfolgte Zerstörung verantwortlich gemacht wurden, durch ein Standgericht verurteilen und erschießen.“
Quelle: Wikipedia
Der Remagen-Tipp: Das Pfannkuchenschiff
Ein Pfannkuchenschiff klingt ein wenig nach der Hexe aus dem Märchen, denke ich mir; obgleich jenes seinerzeit ein Lebkuchenhaus war. Doch damit hat das hier nur wenig gemein…
Ich erblicke den Yachthafen und lenke spontan mein Auto auf einen der Parkplätze, die frei und geräumig am Rand der B9 auf mich warten. Der Ort ist mir aufgefallen, bereits, als ich vor drei Stunden Remagen ansteuerte. Nun kehre ich zurück – zurück nach Bonn – und während ich so das fallende Tageslicht betrachte, fühle ich mich rastlos und seltsam unternehmungslustig. Und da kommt mir der Anblick der schaukelnden Boote und die Ruhe, die sie vermitteln, gerade recht.
Ein wenig umherschlendern ist zunächst einmal mein Gedanke. Doch als ich so meine Blicke das Wasser entlang gleiten lasse, fällt mir eine Aufschrift auf dem größten der Boote auf. Café – Restaurant, verspricht sie mir. Und während ich unentschlossen da stehe, höre ich unter mir im Wasser ein Geschnatter und Geplantsche; eine Gruppe wilder Enten stöbert gerade auseinander.
Fünf Minuten später. Vor mir ein dampfender Tee. Vor mir, ein ruhiger Fluss. Um mich herum – ein bemühter Kellner, der, unheimlich freundlich, versucht, jeden Wunsch von den Augen abzulesen. So bemüht sind sie alle doch oft nur am Anfang, denke ich mir und bin gar nicht überrascht, als ich am Nachbartisch mitbekomme, dass das Lokal, ehemals legendär und weithin bekannt, nach fünf Jahren Pause seit Mai neu eröffnet hat.
Das Wasser ist unheimlich ruhig und auch ein wenig der schweren, dumpfen Hitze weicht nun zusammen mit der erlöschenden Sonne. Obgleich die Luft immer noch sehr warm ist, scheint sie nicht mehr zu stehen wie am heutigen Nachmittag. Der Himmel trägt dunkler werdende Wolken und ab und zu zerrt eine stärkere Windböe an den Regenschirmen, doch frage ich mich, ob sie das bringt, was sie meinem erhitzten Körper den ganzen Tag lang verspricht: Ein ordentliches Gewitter. Der Regenguss vor einer Stunde war in Wirklichkeit keiner; nicht mal mein Auto ist richtig nass geworden.
Ich wende mich meinem Teller zu. Ich habe mir etwas Außergewöhnliches bestellt: Stockfischkugeln. Da mir Stockfisch entfernt etwas sagte (es ist diese Fischsorte, die man in Norwegen aufhängt und trocknen lässt und die danach in die ganze Welt exportiert wird), war ich gespannt, was mich erwartet und fürchtete ein wenig den berüchtigten, kräftigen Fischgeschmack. Und da stehen sie vor mir, golden gebraten und ein Genuss, der Geschmack ist mild, der Fisch wurde anscheinend vor dem Braten mit Kartoffelbrei verarbeitet.
Und während ich die Hügel am anderen Rheinufer betrachte, denke ich mir, wie gut ich es eigentlich habe. Das Boot schaukelt leicht, die Enten haben sich entlang des steilen Ufers versammelt und sind dabei, sich in sich zusammen zu rollen, den Schnabel unter einen Flügel steckend. Endlich hat der Wind, der mir vom Wasser her entgegen kommt, auch etwas kühles an sich und das Geräusch der Autos von der Straße her ist nicht mehr als ein leises, ruhiges Rauschen, welches sich im Flüstern des Windes verliert. Ich habe einen neuen Lieblingsort entdeckt, an dem ich nach Feierabend, wenn mich die Arbeit mal wieder nach Bonn verschlägt, einkehren kann, ausruhen, aufs Wasser schauen und die Seele baumeln lassen.
Howdy Kasia,
ist auf deinem Blog was kaputt? Ich bekomme heute in der Jetpack-App, dass Du einen Beitrag veröffentlicht hast. Nur, der ist vom 11.8.2017!
Ich meine auch, dass der letzte Fragenkatalog vom Dienstag bereits ein paar Kommentare hatte. Ich habe wie üblich brav geantwortet – aber es ist nix zu sehen. Auch von den anderen üblichen Verdächtigen ist nix zu lesen.. Kopfkratz…
Hallo Peter, ich habe die Kommentare noch nicht beantwortet. Bei einem so ausführlichen und mühevoll erstellten Kommentar will ich ebenso ausführlich antworten, nichts anderes ist deiner würdig 😉 Der Beitrag von 2017 wurde von mir überarbeitet und von einem weiteren Beitrag „entkoppelt“. Also keine Angst, die Webseite geht nicht den Bach runter 🙂