Am nächsten von Francos Tipps kommen wir erst abends an – wir verbinden die Tour mit dem vorhergehenden Besuch von Erice. Als wir uns der Strandlinie nähern, passieren wir ein wild knutschendes französisches Pärchen, das weit abseits des Wassers und der anderen Menschen sich völlig ungerührt seiner Hingabe hingibt.
Franco hatte nicht übertrieben: Der Strand ist schön, der Sand ist sehr weiß und puderweich. Doch das wissen nicht nur wir; das wissen hier gefühlt alle Sizilianer auf der näheren Umgebung, denn in der Nähe des Wassers ist fast gar kein Sand mehr zu sehen, abgedeckt von Liegen, Decken, Kinderspielzeug und faulenzenden Menschen. Wir gehen vorsichtig um die Handtücher herum und quetschen unseres noch dazwischen. Das Meer rauscht, die Sonne senkt sich. Ob es sich noch lohnt, ins Wasser zu gehen?
Es dauert eine Weile, bis wir den Ort finden. San Vito lo Capo ist am nördlichsten Zipfel der Provinz Trapani gelegen, und so brauchen wir von Erice aus circa eine Stunde, bis wir endlich da sind. Schon der Tag in der Altstadt und auf der Burg von Erice sind so ereignisreich, dass wir müde sind – doch die Tage auf Sizilien sind begrenzt und wir wollen noch so viel sehen und erleben… Nichtsdestotrotz halte ich es für keine gute Idee, jetzt noch San Vito lo Capo zu besuchen; wieviel werden wir von diesem Besuch, jetzt so gegen Abend, denn überhaupt noch haben?
Wir fahren eine fantastischen Strecke entlang. Steile Felswände erheben sich links von uns, während es auf der rechten Seite abrupt hinunter geht und der Blick auf die Küste und das weite Meer frei wird. Städte, Felder und die Vegetation liegen vor uns wie ein Patchwork Teppich direkt auf unserer Hand ausgebreitet. Schroffe Felsen erheben sich am Horizont. Das ist Sizilien – irgendwie ungezähmt.
Der Ort an sich ist nicht so schwer zu finden, wohl aber der Strand: ab Ortsmitte folgen wir dann ausschließlich der unzureichenden Beschilderung. San Vito lo Capo sieht für mich etwas amerikanisch angehaucht an; wir folgen einer breiten, einer seehr breiten Hauptstraße, die in ihrer Mitte mit Fahnenmasten gesäumt ist. Dicke Palmen stehen links und rechts wie Soldaten in einer langen Reihe und wedeln im Wind. Mir kommen Bilder von Kalifornien, die ich aus dem Fernsehen kenne, in den Sinn.
Irgendwann, nach ein paar Mal wenden und einigen Irrfahrten sehen wir am Rande des Ortes einen großen Parkplatz. Das Schild weist hier eindeutig den berühmten Strand aus und auch die vielen halbnackten Menschen, die ihre Badesachen unter dem Arm spazieren tragen, können sich nicht irren. Es sieht ganz so aus, als seien wir endlich angekommen. Nur dass jetzt später Nachmittag ist. Sehr später Nachmittag.
War es das wert?
Ein dicker, steiler Felsbrocken erhebt sich über dem Parkplatz. Wir folgen den Menschen mit den Badesachen unter dem Arm, von denen welche tatsächlich jetzt noch zum Strand gehen.
Nur dass die keine lange Anfahrt haben bis nach Hause.
Der Strand ist voll, dicht an dich drängen sich die Handtücher. Wir passieren das schon erwähnte, liebestolle Pärchen, dessen Blicke wirken, als wollen sie uns zum mitmachen animieren. Nicht hinschauen, denke ich mir und fühle mich rot angelaufen, bloß nicht dahin schauen…
In kuscheliger Nähe legen wir uns mitsamt Stranddecke zu den anderen Sonnen- und Wasseranbetern. Einmal gehe ich ins Wasser. Ja, der Strand ist schön, weich und hell der Sand… doch so schön er auch ist, so gut besucht ist er auch – wie die Highschool-Schönheit; der Liebling des Football Teams (ich habe die letzten Tage zu viele US-Amerikanische Komödien gesehen, fürchte ich… 🙂 ).
Irgendwann sind wir wieder trocken, die Sonne neigt sich schon gefährlich dem Horizont zu und ihre Strahlen werden wärmer, weicher, orangener, die Schatten ziehen sich in die Länge. Die Wärme ist noch da, doch der Gedanke an eine zweite Badeeinheit lässt mich frösteln. Viele sind schon gegangen, denn plötzlich eröffnen sich bis dahin nicht vorhandene freie Flecke zwischen den Strandtüchern. Wir packen, wie viele Badegäste auch, unsere Sachen zusammen und setzen uns in Bewegung in Richtung Auto.
Im Halbdunkel des Abends fahren wir dahin. Ich bin müde, erschöpft, schmecke Salz auf meinen Lippen. Von der Straße aus, auf der wir fahren, sehen wir das sich unter uns ausbreitende Meer unter dem orangenen Himmel. Die Konturen der Bäume, Bauten und Menschen wirken wie schwarze Schatten, man sieht nur den flammenden Himmel und die Farben, die sich langsam verlieren.
Das war: Sizilien, August 2010