Das Haus aus Holz
Der heutige Tag dient dazu, ein wenig in meiner Vergangenheit herumzuforschen. Meine Mutter und ich machen das Haus ausfindig, in dem ich als Fünfjährige früher einmal gelebt habe.
Ich erinnere mich noch gut an diese Zeit. Wie ich mit den Nachbarskindern in dem riesigen Sandhaufen am anderen Ende der Straße gespielt habe, der eigentlich für den Hausbau bestimmt war. Wie ich mit der Nachbarstochter ganze Tunnelsysteme im Weizenfeld der Nachbarin trampelten, in der unschuldigen Annahme, dass wir ab nun dort „wohnten“. Das Ende vom Lied war eine klägliche Beschwerde besagter Nachbarin. Die „Wohnung“ im Kornfeld war ab da gestrichen.
Wie ich die neu gekaufte Puppe irgendwo im Dorf verlor und mich meine Mutter abends losschickte, sie zu suchen. Oder wie wir, die Kinder, den morschen Holzzaun des Nachbars auseinander genommen haben. Auch dies führte zu einer wütenden Beschwerde des besagten Nachbarn. „Kasia, warst du das?“ Ich stand neben meiner Mama, kleiner blonder Engel mit großen blauen Augen. Nein, Mama, das war ich nicht. „Aber ich habe es doch gesehen!“ Schimpft der Nachbar. „Mit meinen eigenen Augen habe ich es gesehen, wie die Kinder die Bretter herausreisen.“ Kann nicht sein, antwortet meine Mutter; das war sicher der Wind. Ja, ich war ein kleiner Teufelsbraten.
Es ist spannend für mich, all das nun wiederzusehen, denn ich wusste nicht: werde ich mich erinnern? Werde ich diese Gegend wiedererkennen?
Doch schon als wir an der Kirche des Ortes Szymanów vorbei fahren, ist mit einem Schlag alles wieder da: die Ausflüge mit dem Kindergarten, das Warten auf den Bus, all die Spiele mit den Nachbarskindern…
Das Haus erkenne ich auf Anhieb. Auch wenn es jetzt eine andere Farbe hat – es war früher einmal blau. Es ist ein niedriges Haus, außen mit Holzpanelen verkleidet und in einer alten Bauweise errichtet. Selbst meine Mutter, die neben mir im Auto sitzt, weiß es nicht mehr genau, doch ich habe keinen Zweifel. Hatte ich es doch so oft zuvor in meinen Träumen gesehen.
„Bist du dir sicher?“ Fragt sie mich.
„Ja, Mama. Schau mal: hier auf dieser Seite ist noch der Holzzaun, den wir früher als Kinder kaputt gemacht haben.“
Sie schaut mich kurz verwundet an. „Hm. Und ich war überzeugt, es sei der Wind gewesen. Ich dachte mir: mein Kind macht so etwas nicht.“ Ich halte das Auto an.
Wir sind in meiner Kindheit ziemlich oft umgezogen, und auch in meiner Jugend, die ich in Deutschland verbrachte, setzte sich dieser Trend fort. Vielleicht ist das der Grund für meine Rastlosigkeit, für die Gier nach neuen Reizen und für die Tatsache, dass ich ungern länger an ein- und demselben Ort bleiben möchte.
Als ich das Haus fotografiere, kommt der Eigentümer heraus. Ich erklärte ihm offen, dass ich diese Gegend kenne, da sie ein Teil meiner Kindheit ist. Meine Mutter bleibt zunächst im Auto sitzen. „Ich möchte hier nicht aussteigen.“ Sagt sie, doch im Laufe der Zeit taucht sie doch neben uns auf. Der Mann zeigt sich hilfsbereit und erzählt uns Interessantes über die Vorbesitzer und Nachbarn, und ich frage nach Menschen, die ich früher einmal kannte. Was ist aus den Vorbesitzern geworden? Lebt die Nachbarin noch, die mich mit ihrem Mann als Kind immer gehütet hat, als meine Mutter zur Arbeit musste? Und so kam es, dass wir uns über eine halbe Stunde lang draußen am Auto unterhalten.
Irgendwann entschuldigt er sich höflich mit der Begründung, dass er noch flüssigen Beton in der Schubkarre hätte. Er sei gerade dabei, zu renovieren und zu erneuern. „Hier gibt es immer etwas zu tun.“ Sagt er. „So ein Haus ist wie ein großes Projekt, das nie fertig ist.“
Ich fahre Heim, nun mit dem festen Wissen, dass es diesen Ort nicht nur in meinem Kopf und in meiner Erinnerung gibt. Ein weiteres Mosaikstückchen in meinem Leben ist lebendig geworden, hat wieder Farbe bekommen. So viele Mosaiksteine, so viele Orte, und manche davon fühlen sich an wie ein nebliger Traum. Bis man sie wiedergesehen hat.
Was das Zuhause ausmacht
Was das Zuhause zu einem Zuhause macht, ist im Großen und Ganzen nicht leicht zu greifen. Wie sollte es das auch. Es sind ja so viele Kleinigkeiten, die es dazu machen. Sie sind nicht mit einem Wort zu beschreiben. Es ist der Blick auf die Geranien auf der Terrasse. Die Piroggen im geblümten Teller, einem dieser alten Teller, die die Familie seit Generationen hat und die nie ersetzt worden sind. Wozu auch.
Jedes Detail weckt Erinnerungen und zeigt, dass das, was uns wichtig ist, irgendwo doch fortdauert. Vielleicht nicht mehr exakt am selben Ort. Vielleicht nicht mehr exakt in derselben Konstellation. Vielleicht sieht man in die alternden Gesichter seiner Eltern und Großeltern und wird sich darüber bewusst, wie die Zeit vergeht, während man sie mit etwas anderem verplempert.
Vielleicht wird einem bewusst, dass man die Zeit nicht einfrieren kann. Dass es keine Zeitkapsel gibt. Keine zweiten Chancen. Und Zeit plus Entfernung können manchmal zu grausamen, unscheinbaren Monstern werden.
Nutzt eure Zeit. Denn was übrig bleibt, ist ein Bild. Ein reales, oder das in eurem Kopf. Es geht so schnell. Unaufhaltsam.