Nun sind wir schon fast eine Woche auf Sizilien – und wir hatten die Existenz der ominösen sizilianischen Mafia beinahe vergessen. Bis wir uns nach Cefalù begeben, der Küstenstadt des Vergnügens und der heißen Wellen.
Und was wir dort vorfinden, ist Geldwäsche… in gaaanz großem Stil…
Um Cefalù zu erreichen fahren wir zur anderen Seite der Insel. Quer durch Berg und Tal kann ich auf meinem Beifahrersitz förmlich beobachten, wie sich die Landschaft vor meinen Augen in Minutentakt verändert. Denn die sizilianische Insel ist vielseitiger als angenommen; das trockene und karge weicht stellenweise richtiggehend fruchtbaren, grünen Landstrichen, nur um dann wieder von abenteuerlichen Felsenformationen abgelöst zu werden (beispielsweise fahren wir in der Nähe von Raffadali jedes Mal an einem Hügel vorbei, dessen steinerne Auswüchse wie Teufelshörner aussehen). Manchmal sehen wir Olivenheine, manchmal wirken die Berge mit ihrer Form und Vegetation wie ein Streuselkuchen. Die Sonne gibt sehr viel gelb, ocker und sand frei und zwischendurch sehen wir die fast schon obligatorischen Brände, die flächenweise trockene Gräser verschlingen (tagtäglich machen wir uns einen Spaß daraus, sie zu zählen; wir kommen immer auf drei-bis vier pro Tag). Wir kommen an unzähligen Brücken vorbei, die keine Straßen miteinander verbinden; an Viadukten vorbei, die unbenutzt sind. Der Weg schlingelt sich über die ganze Insel dahin wie eine überdimensionale Schlange, immer wieder neue, fantastische Schleifen bindend und lässt gewagte Kurven entstehen, die die Einheimischen im waghalsigen Tempo befahren. Kleine, eingefallene Hütten stehen hier und da wie zufällig verstreut in der Landschaft. Tore, die, teilweise sogar noch verschlossen, ob der fehlenden Umzäunung nichts weiter beschützen als ein karges Feld.
Die Fahrt über unzählige Brücken, vor denen immer wieder das Vorsicht, starker Windböen-Schild prangt, eröffnet uns Mal für Mal überwältigende Aussichten auf Berge, Ortschaften, Täler. Dies ist meine allererste, etwas weitere Reise, die in südliche Regionen führt (die drei Tage Ballermann auf Mallorca zähle ich jetzt mal nicht dazu…) und alles, was ich sehe, wirkt auf meine unerfahrenen Augen vollkommen neu, aufregend, exotisch. Wie eine andere Welt – wobei sie so weit weg von Zuhause doch nicht ist…
Ein bekannter Blogger (Sebastian von off the path) hatte mal geschrieben: Ja, genau das ist das Tolle an Europa; dass es so vielseitig ist. Man fährt los und ist nach relativ kurzer Zeit in einer völlig anderen Kultur. Woanders sind die Menschen erstmal eine ganze Weile unterwegs, bis sich kulturell irgend etwas ändert…
Nach circa zweieinhalb Stunden Fahrtzeit kommen wir in Cefalù an. Die letzten Kilometer fahren wir an der Küste entlang und immer wieder sehen wir zwischen den Bäumen, die die Straßen säumen, das tiefblaue Meer aufblitzen.
„Das ist schön, ich will mehr davon sehen.“ Sage ich und verrenke mir den Hals. „Mehr Meer…“
Die Küstenstadt ist auch wieder eine Empfehlung von Franco gewesen (dafür, dass wir zunächst einmal so gar keinen Plan hatten, sprengt unsere To-see und To-do-Liste schon jetzt beinahe unseren zeitlichen Urlaubsrahmen.) Doch ich muss gestehen; die Stadt gefällt mir gut.
Cefalù liegt in der Provinz Palermo, ca. 140 Kilometer von Raffadali entfernt und ist durchaus touristisch angehaucht (wobei sich das, wie fast überall auf der Insel außer vielleicht in Taormina, sehr in Grenzen hält; die meisten Touristen stellen Festland-Italiener…)
Wir parken das Auto auf einem großen, bewachten Parkplatz und laufen zunächst zum Zentrum der Stadt – obwohl mich schon jetzt der Strand, den ich vorhin kurz erspäht habe, förmlich zu rufen scheint; Die Menschen, die unter den vielen weißen Heineken-Sonnenschirmen sitzen und ihre kalten Drinks genießen, sehen sehr zufrieden aus…
An der Strandpromenade, wo sich Händler mit allerlei bunten Sachen ausgebreitet haben, schlendern wir zunächst einmal durch. Schmuck, an dem ich natürlich nicht einfach vorbei laufen kann; Kleider, Handtücher, die, auf einer Steinmauer ausgebreitet und mit Blumentöpfen befestigt, damit sie nicht wegfliegen, bunt und lustig im Wind daherflattern; ein Stand mit wie kleine Soldaten in mehreren Reihen aufgestellten, weißen Hello-Kitty Figuren mit einer roten Blume auf dem großen, runden Köpfchen…
Ich fotografiere die farbenfrohen Kleider, die Blumentöpfe, das blaue Meer. Die drapierten Handtücher gibt es in unzähligen Farben und Motiven zu erstehen, doch am beliebtesten scheint das Motiv der bunten Geldscheine zu sein. Ich schaue hin, beobachte, wie die 500€ Scheine aus Textil im Wind vor sich hin flattern, als ob sie jemand just zum Trocknen aufgehängt hätte…
„Hey… da, siehst du das auch?“ Sage ich und stupse ihn in die Seite. „Das nenne ich mal Geldwäsche auf sizilianisch…“
Wir lachen uns schlapp.
In der Stadt selbst faszinieren mich die engen Gassen, die so oft in alten Stadtkernen anzutreffen sind. Die Mauern mit den Balkonen ragen hoch auf, auf dem engen Pflaster teilen sich die vielen Besucher den wenigen Platz mit Postkarten- und Souvenirständen und hin und wieder sehen wir farbenfrohe Gemälde, die die Schönheit der Insel festhalten, auf Treppen drapiert und an Wände gelehnt.
Schön an solch mediterranen, alten Städten sind auch die teilweise einsehbaren Innenhöfe; schattige Oasen, bepflanzt mit Topfblumen und kleinen Bäumen, geschmückt mit Keramik an der Wand und hier und da einem Bewohner, der auf einer alten Bank seine Siesta genießt und neugierig zu uns rüber späht.
Einige enge Gassen weiter kommen wir an der Piazza Duomo an – vor uns die Kathedrale, die mit ihrer Erscheinung den Platz auszufüllen scheint. Die Kathedrale im romanischen Stil, die den Titel Basilica Minor trägt, wird als eine der schönsten Kirchen der Welt gehandelt. Sie wird 1130 von König Roger II gebaut; wenn man der Sage Glauben schenkt, als Dank dafür, dass seine Flotte heil aus einem großen Sturm nach Palermo zurückkehrte.
Nach dem Erkunden der engen Gassen der Stadt gehen wir zu meiner Freude zurück zum Strand. Die Sonne hatte sich inzwischen gedreht und lässt die Hello Kitty-Reihe erstrahlen. Das Meer rauscht einladend und die Wellen schlagen Mal für Mal am Ufer auf.
Der Tag geht in unsere Erinnerung ein als der gefühlt schönste Tag unseres Urlaubs. Vergeblich versuchen wir, ihn gegen Ende der zweiten Woche zu wiederholen; der Wind ist nicht mehr der gleiche, die Wellen sind nicht mehr die gleichen, das Erlebnis ist nicht mehr das gleiche wie damals, an diesem warmen Augustnachmittag, als wir die strahlende, von bunten Strandtüchern gesäumte Promenade für uns erobern.
Das Wasser ist ungewöhnlich warm an diesem Tag, selbst für mich, die immer zuerst den kleinen Zeh in die Wellen steckt. Da ich noch nie der Typ fürs zu lange Liegen auf der Strandmatte war, springe ich sogleich ins Meer. Nach einigem Herumplantschen versuche ich, die Menschen um mich herum nachzuahmen, die teils auf aufblasbaren Ringen auf den Wellen schwimmen, sich aber teils vom Wellengang ans Ufer an den Strand treiben lassen.
Was für ein Spaß! Ich passe die perfekte Welle ab, werfe mich ins Meer und sie trägt mich bis an den flachen Strand.
Ich mache sogar eine kleine Reise; neugierig umrunde ich die Mole und schwimme, mich immer weiter weg vom Strand entfernend, an der Küstenlinie entlang und nähere mich den sandfarbenen Häusern der Stadt. Beobachte Jugendliche, die auf den Steinen stehen. Lasse die Menschen hinter mir. Und fühle, wie der Stress der letzten Wochen vor dem Urlaub von mir abfällt; die Bilder der letzten Wochen, die mich bis dato überallhin begleitet haben, lösen sich auf und verschwinden und so langsam beginne ich, so etwas wie Unbeschwertheit, wie Glück zu empfinden.
Dann kehre ich zurück und werfe mich wieder in die Wellen, einvernehmlich lachend und quietschend mit den Menschen um mich herum, die das gleiche tun wie ich. Ich könnte ewig so weitermachen.
Das tue ich dann auch, und auch Jimmy* scheint seinen Spaß zu haben. Wobei sich der Spaß für ihn eher auf der Decke mit gelegentlichem Abkühlen abspielt.
Wir bleiben bis in den späten Abend da.
Gegen Abend wird der Strand wider Erwarten immer voller. Gehen denn die Menschen um diese Uhrzeit nicht eher nach Hause, in eine Taverne oder wohin auch immer? Aber nein, immer mehr Handtücher bedecken den Strand; ganze Familien breiten ihr mitgebrachtes Essen und trinken aus. Am Ufer tauchen nach und nach Boote auf. Große, kleine, alles ist dabei.
„Die feiern hier ein Fest.“ Sagt Jimmy*. Er hatte sich erkundigt. „Alle versammeln sich heute am Strand, mit Freunden und der ganzen Familie, und sie feiern die ganze Nacht durch.“
„Was ist das für ein Fest?“ Frage ich. Doch das weiß er leider nicht. Ich bin sofort Feuer und Flamme. Jimmy* nicht. „Wir müssen Heim.“
Sehr gerne würde ich bleiben und mich der Festivität anschließen; einfach am Strand sitzen, die untergehende Sonne und die feiernden Menschen beobachten, sich mal der Kultur der Insel anzunähern. Solche Dinge machen mich immer neugierig. Doch wir hatten noch einen weiten Weg um die halbe Insel vor uns und wollten nicht im Dunkeln nach Hause fahren (warum eigentlich nicht…?)
Doch sobald ich im Auto sitze, macht sich die Erschöpfung des Tages in mir breit, den ganzen Tag in den Wellen tanzen ermüdet; es sollen Bilder von mir kursieren, wie ich, den Sitz zurückgelehnt und den schwarzen Hut vom Kopf gerutscht, im tiefen Schlummer nichts mehr vom Heimweg mitbekomme. Das halte ich natürlich für ein völliges Gerücht, versteht sich… 😉
Spät im Dunkeln kommen wir in Raffadali an Francos Anwesen an. Müde steige ich aus dem Auto und schleppe mich hinter Jimmy die Auffahrt hinauf. Wir laufen durch das Tor und lassen uns, wie jeden Tag, von dem grauen, zotteligen Köter ankläffen, der, wachsam wie der Polizeifunk, das große Haus bewacht…
Das war: Sizilien, August 2010
(* Namen geändert)