Europa, Italien

Sizilien – Die Tempel von Agrigento

Eines unsere ersten Ziele, kurz nachdem wir auf Sizilien angekommen sind, sind die berühmten Agrigento-Tempel, der Muss einer jeden Sizilienreise. Da sich Agrigento nur knapp 20 km von Raffadali entfernt befindet, bietet sich dieser Besuch förmlich für uns an. 

Bevor wir aus dem Auto steigen, studiert Jimmy* erst einmal die Karte. Vor dem Eingangsbereich tummeln sich Besucher und Souvenir-Shops gleichermaßen. Ein alter Mann mit gegerbtem, ledrig braunem Gesicht führt sein geschmücktes Pferdchen an den Zügeln und postiert sich vor dem Eingang. Ich lasse mich für einen kleinen Obolus mit ihm fotografieren. Während wir posieren, redet er die ganze Zeit eindringlich auf mich ein. Dumm nur, dass ich kein Wort von dem verstehe, was er mir da erzählt, und das irritiert mich. Nach dem Foto bin ich froh, mich aus der Situation lösen zu können – irgendwie jagt mir der Mann ein seltsames Gefühl ein.

An den Souvenirshops decken wir uns ein – die allererste Amtshandlung eines Touristen vor dem Betreten einer Sehenswürdigkeit. Ich bin überrascht zu sehen, wie humorvoll die Menschen hier ihr Mafiosi-Image  in klimperndes Bares umwandeln; es gibt Mafiosi-Tassen, Mafiosi-Schlüsselanhänger, Mafiosi-Figuren und Homer Simpson als Der Pate auf einem schwarzen T-Shirt (als eingefleischter Simpson-Fan dürft ihr dreimal raten, womit ich den Stand an diesem Tag verlassen habe…). Die Insulaner gehen ganz offen mit ihrem Mafia-Klischee um. Dann holen wir uns Tickets für die Anlage und treten ein.

Die Tempel muten mir griechisch an, was sich durch die Tatsache, dass die Stadt Agrigent (ital. Agrigento) früher einmal griechische Kolonie gewesen ist, leicht erklären lässt. Die Stadt wurde im Jahre 581 v. Chr. von griechischen Siedlern gegründet, dann 210 v. Chr. von den Römern erobert und endete als Getreidelieferant für die aufstrebende Weltmacht. 829 n. Chr. eroberten wiederum Araber den Teil der Insel und die Stadt verlor an Bedeutung.

Die Tempelanlage (oder: Das Tal der Tempel, ital. Park Valle dei Templi) erstreckt sich über 1300 Hektar. Es ist somit eine der größten Tempelanlagen der Welt und trägt seit 2007 den Titel Weltkulturerbe der UNESCO. Das Tal der Tempel ist eigentlich gar kein Tal – um es zu erreichen fahren wir stetig einen Hügel nach oben, und auch jetzt wandern unter rauschenden, meterhohen Pinienbäumen über mehrere Hügel hinweg – aber es ist immer noch unterhalb der Stadt Agrigento gelegen.

Wir genießen kurz noch den Schatten eines sehr alten, knorrigen Olivenbaumes. Die Tempelanlage ist alles andere als überfüllt; überhaupt scheinen sich nicht übermäßig viele Touristen auf Sizilien aufzuhalten.

Ein langer Schotterpfad führt uns zum Tempel der Concordia; Göttin, die Eintracht und Einheit der Menschen untereinander verkörperte.
Langsam schlendernd werfen wir Blicke nach rechts und nach links. Die unfassbar riesigen Aloe-Pflanzen faszinieren mich; ebenso auch die Kakteen, die hier in dem warmen Klima ungeahnte Höhen erreichen. Manche blühen, manche tragen pflaumengroße, gelbe Früchte. Auf manchen der fleischigen Kakteenteile entdecke ich eingeritzte Namen von Besuchern aus aller Welt, die sicherlich längst wieder in ihrem eigenen zu Hause sind…
Reines Aloe-Gel ist das beste Mittel gegen Sonnenbrand, schallen mir die Worte unserer italienischen Mitbewohnerin im Kopf herum. Die Dame ist Physiotherapeutin und Masseurin und hat die besten kosmetischen Tricks in petto. Glaube ich zumindest.

Ein paar kommt uns entgegen. „Oh, schau mal; Deutsche!“ Rufe ich freudig Jimmy* zu. Die beiden tun so, als hörten sie uns nicht oder als seien sie peinlich berührt. Warum tun die wenigen deutschen Touristen hier so, als käme man nicht aus derselben Ecke Europas? Ich bin irritiert.

Die Felsen haben hier seltsame Formationen und manche scheinen in Form von Bänken behauen zu sein, damit sich der Wanderer auf ihnen niederlassen kann. Es gibt Höhlen mit halbrunden Öffnungen, gerade einmal groß genug, dass ein erwachsener Mann bequem in ihnen liegen kann.

Am Tempel der Concordia erwartet uns eine Überraschung: eine weitere Kasse. Die geschäftstüchtigen Schlitzohren hier lassen den Klingelbeutel aber häufig klingeln, denke ich mir. Wir nehmen es mit Humor, bezahlen und betreten die Tempelruine. Sogar ein gemeinsames Foto mit dem jungen Kassierer ist für Jimmy* noch drin.

Der Concordia Tempel zählt zu den besterhaltenen Tempeln der Antike im Mittelmeerraum und wurde zw. 440-430 v. Chr. erbaut. Im Inneren des Tempels finden wir ausgestellte Kunstwerke; bronzene Statuen, die unter anderen Masken auf Pfählen darstellen. Eines davon beeindruckt mich am meisten: es ist eine übergroße Skulptur zweier Hände, so geformt, als würden sie behutsam etwas halten wollen. Sie erinnern mich an die Vorstellung der schützenden Hände Gottes.

Die Lage des Tempels lässt atemberaubend weit blicken; bis hin zum Meer reicht unser Ausblick. Wir sind oben, exponiert und doch vom Tempel geschützt; ja, es fällt wahrlich schwer, das hier ein Tal zu nennen.

Wir kommen an einer großen, antiken Grabanlage vorbei: es ist die Nekropole, deren früheste Gräber zw. 3 und 5 Jhd. n. Chr. entstanden. Die Gräber wurden in den felsigen Boden gehauen, so dass der Boden links und rechts von uns nun mehr oder weniger wie Schweizer Käse aussieht. Der Felsen besteht vorwiegend aus relativ weichem Kalkstein und die Grabanlage breitet sich nach unten aus. Wie würde es mich reizen, mich in diese unterirdische Welt zu begeben, doch aus nachvollziehbaren Gründen ist das Betreten der Grabstätten verboten. So gelangen wir zu einem grünen Hain.

Dieser Teil der Anlage wirkt auf uns wie ein wunderschöner Garten, unerwartet viele Bäume, Sträucher und Blüten in der kargen Umgebung lassen einen Ort der Ruhe und Zuflucht vermuten. Schmetterlinge schweben hin und her und in der Mitte dieser grünen Oase entdecken wir das Archäologische Museum, hinter dem sich ein beeindruckend schöner, weitläufiger Garten befindet.

Die Kakteenbäume hier in diesem Garten sind riesig und ja, es mag botanisch nicht korrekt sein, doch kann man hierbei wirklich schon von Bäumen sprechen, denn den Größenvergleich mit unseren einheimischen Gartenbäumchen bräuchten sie nicht zu scheuen. Die Teiche plätschern leise vor sich hin und erzeugen mit ihren Plätschern ein Durstgefühl in meinem Inneren, welches sich nicht löschen lässt, egal, wieviel Wasser man trinkt. Unter der Wasseroberfläche schwimmen kleine Fische und schwere Wasserlilien liegen in der Sonne glänzend dar wie große Juwelen. In der vor Hitze flimmernden Luft hören wir ein stetiges Summen der Insekten. Skulpturen schmücken den Garten; eine überdimensionale Kaffeetasse teilt sich mit einer geschmeidigen, blauen Katze den unwirklichen Ort. Auf den aufgeheizten Steinen flitzen kleine Eidechsen umher.

Auch der Garten lässt weit rundum blicken. An einem Geländer stehend sehe ich über die karge, doch malerische sizilianische Landschaft hinweg zum blauen Streifen des Meeres am Horizont.

Da wir archäologisch nicht allzu sehr bewandert sind und Säulen für uns eben nur Säulen sind, schauen wir uns nicht alle über die gesamte Anlage verteilten Tempel und Heiligtümer an. Am Archäologischen Museum kehren wir um – mich reizt nun etwas weit mehr als alte Grabstätten, und zwar ist es der Gedanke, sich nach der langen, staubigen und heißen Wanderung in die erfrischend kühlen Wellen des Meeres zu stürzen und den Tag auf einer Stranddecke ausklingen lassen.

Etwa eine Stunde später findet man uns am Strand von Siculiana Marina, in der Hand gefühlt das beste Eis, das man dort auf der Insel erstehen kann – von unserem mürrischen Eisverkäufer um die Ecke…

(*  Namen geändert)

 

Agrigento, die Stadt

Heute ist einer unserer ruhigeren Tage, geplant ist nicht viel außer – faul am sonnigen Strand von Siculiana Marina zu liegen. Doch am Vormittag treibt uns die Neugier doch noch auf den Weg – einfach so, ohne Plan und ohne Ziel… das Ziel ergibt sich unterwegs. Spontan entscheiden wir uns, uns die zum Tal der Tempel dazugehörige Stadt anzusehen – wir fahren nach Agrigento.

Auf dem Weg in die Stadt fahren wir die Straße entlang und am Tal der Tempel vorbei. Ein bunt geschmückter Pferdekarren kreuzt unseren Weg und trabt ein paar Meter langsam vor uns her, bis er schließlich in Richtung des Tals der Tempel verschwindet. Ich erkenne das schmucke Pferd und unseren alten, braungesichtigen Sizilianer wieder.

Wir fahren in die Stadt hinein, an Kirchen aus gelbem Stein und belebten Plätzen vorbei. Fahrende, hupende Autos, flanierende Menschen, allesamt Einheimische. Touristen sehen wir hier im Ort nirgends. Eine schmucke Kirche und eine Tankstelle genau nebendran. Hier ist der Glaube wahrlich in den Alltag mit eingebunden. An Häuserwänden und Straßenecken begegnen uns kleine Gedenkstätten für die heilige Maria, Mutter Gottes; Kerzen stehen davor und die kleinen Häuschen sind geschmückt mit Girlanden aus Blumen. Sie erinnern mich an Zuhause, denn in Polen gibt es solche kleinen Andachtsstätten auch im ganzen Land.

Wir arbeiten uns durch die engen Seitengassen, an bröckelnden Hauswänden vorbei, an Menschen, die uns vors Auto springen, um dann wieder zur Seite zu eilen. Über uns sehe ich Balkone, die sehr marode wirken, bei manchen frage ich mich, ob ein Statiker hinzugezogen wurde. Ein paar wenige dieser Balkone bestehen nur noch aus einem Geländer; der Boden fehlt ganz.

Dann kommen wir zum Rande der Stadt. Wir stellen das Auto ab und wagen uns zu Fuß hinein.

Dies scheint der ärmste Bezirk der Stadt zu sein; hatte ich die Hauswände bisher als marode bezeichnet, ist es hier ein Wunder, dass die Häuser überhaupt noch stehen. Baustellen sehen unfertig aus; manche von ihnen wirken so, als hätte jemand schon vor langer Zeit die Arbeit an ihnen aufgegeben. Anderswo fehlt mal eine Hauswand ganz. Mal sind es mehr oder weniger bröckelnde Ruinen. „Das müssen die Slums sein, an denen wir so oft vorbeigefahren sind.“ Sagt Jimmy*.

Als „Slums“ meint er die Häuserreihe, die wir tagtäglich von der Schnellstraße sehen, wenn wir auf dem Weg nach Raffadali sind – oder auch von Raffadali aus woanders hin. Die Häuser sehen unbewohnbar aus, Wäsche flattert auf den Wäscheleinen, doch die Gardinen zeigen uns an, dass da wohl noch jemand ist.

Genauso wie hier.

In diesem Bezirk, in den wir uns verirrt haben, sind wir die einzigen Touristen. Mehr noch – wir sind die einzigen Weißen. Denn der Ärmste Teil der Stadt scheint nur von Schwarzen bewohnt zu sein; Italiener sehen wir nirgends. Und von den wenigen Menschen auf der Straße werden wir angestarrt – genauso wie wir sie anstarren oder besser gesagt, versuchen, sie nicht anzustarren und uns ganz natürlich zu geben. Wir fühlen uns beobachtet, doch noch scheint sich unsere Anwesenheit hier nicht flächendeckend herumgesprochen zu haben.

Paranoia?

Jimmys* Gesicht verfinstert sich zunehmend. Ich versuche, nicht zu fotografieren. Irgendwann kommen wir zu einem kleine Platz, von dem aus man bis hinunter zum Tal der Tempel und noch weiter bis hin zum Meer blicken kann. Ganz Sizilien scheint aus solch atemberaubenden Aussichts-Spots zu bestehen.
Hier entspanne ich mich. Ich lehne am Geländer und lasse meinen Blick schweifen. Große, dicke Palmen spenden uns Schatten und der erfrischende Wind verbreitet Blumenduft. Links und rechts von uns stehen ganze Bäume voller Hibiskusblüten. Über diesem Ort hier hängt eine angenehme Stille, die Art Mittagsstille, wenn alles Leben, um sich der Hitze zu entziehen, an einen kühlen Zufluchtsort flüchtet; die Menschen in ihre Häuser, die Tiere in ihre Verstecke. Noch nicht einmal das Zwitschern der Vögel ist zu hören.

Doch so angenehm der Ort hier auch ist, den angespannten Ausdruck in Jimmys* Gesicht vermag er nicht zu vertreiben. Finster schaut er umher, blickt misstrauisch zurück, dorthin, wo wir die zerfallenden Häuser hinter uns gelassen haben. Er fühlt sich hier nicht sicher, macht sich Sorgen um uns – das kann ich sehen, ohne ihn großartig danach fragen zu müssen.

Wir bleiben nicht lange. Nach einigen kurzen Minuten der Entspannung laufen wir zurück zum Auto und fahren los.

Das war: Sizilien, August 2010

Kasia

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