Deutschland, Europa

Vulkaneifel – Das Ulmener Maar

Eifel, April 2017

Ein später Nachmittag mit einem leicht trüben Himmel, an dem die Sonne wie ein Geist nur dem Namen nach präsent ist. Eine sich schlängelnde Straße, die zwischen Bergen und Tälern entlang führt, teilweise so eng, dass mir jeder Gedanke an Gegenverkehr Schnappatmung verursacht. Und ein ungeduldiger Zeitgenosse, der hinter mir gerne mal Nürburgring spielen würde – es aber nicht kann…

Bitburg, Prüm und wie sie alle heißen – an all den Ortschaften bin ich bereits vorbei und fahre die, zugegeben, sehr liebliche Strecke an der Prüm entlang. Hier irgendwo, direkt an dem kleinen Fluss, der mich vielmehr an einen etwas zu groß geratenen Bach erinnert, war ich letztes Jahr mit Stefan zelten – es war einer der letzten, wirklich heißen Tage in jenem Jahr 2016, und wir saßen am Ufer auf großen Steinen, die Füße ins Wasser gehängt und je ein kaltes Radler in der Hand, und beobachteten Kinder, die mit ihren Schwimmringen auf den Stromschnellen spielten.

Das war letztes Jahr. Nun irritiere ich meinen mir am Kofferraum hängenden Mitmenschen mit einem kurzfristigen Brems- und Einbiegemanöver; ich habe die Einfahrt zu meinem Hotel entdeckt.

Das Landhotel Blick ins Tal in einem kleinen Ort namens Wißmannsdorf, jenseits von Gut und Böse; wenn man nach einer langen Fahrt beinahe glaubt, dass da gar nichts mehr kommt. Ich stelle mich vor einer Garageneinfahrt und stelle den Motor ab. Die Garage ist geöffnet, ein Mann neben mir hängt seine frisch gewaschene Jeans am Wäscheständer auf. Hm, so häuslich alles hier? Sieht so gar nicht nach einem Hotel aus…

Ich steige aus. Ein irritierter Blick rundum. Wo bleibt mein „Blick ins Tal“; wo bleibt mein Ausblick? Der Mann schaut mich und mein Auto an, fragt sich wohl, was ich hier mache. In diesem Moment entdecke ich die Hotelzufahrt eine Hausnummer weiter – und stelle mir dieselbe Frage selbst.

Es geht eine sehr enge und steile Auffahrt hinauf. Und als ich mich hinten auf dem Hotelparkplatz befinde, entdecke ich da auch endlich meinen Ausblick – sanfte, dunkelgrüne Hügel, die aussehen, als seien sie noch nicht aus dem Winterschlaf erwacht – hier in der Eifel geht es mit dem Frühling etwas langsamer voran.

Das Hotel selbst hat eine ländliche, heimelige Atmosphäre. Geradlinig, authentisch, echt, mit echter Herzlichkeit und ohne aufgesetztes Lächeln heißt es den Gast sozusagen mit einem Handschlag willkommen. Das weiträumige Haus beherbergt eine alte Bar, eine Kegelbahn, ein „Biker welcome“- Schild; und das W-lan Passwort lässt die Vereinsliebe des Inhabers erkennen. Es ist ein Haus im Familienbesitz, was man auch spürt – kein eigens für Touristen generierter Bau, sondern ein Haus, welches das Leben von Generationen vermuten lässt. Es erinnert mich ein wenig an das Haus meiner Oma, mit diesem speziellen, eigenen Geruch, den nur belebte Familienhäuser haben.

Die vielen Gänge und Räume bergen die Gefahr, sich zu verlaufen; im Korridor steht ein Schachspiel auf einem kleinen Tisch, ein ausgemusterter Kinderstuhl (?), eine Kinder-Spielecke und ein mit Münzen betriebener Schuhputzautomat, vermutlich aus dem vorigen Jahrhundert. Die Putzbürsten bedienen vier verschiedene Farben von Schwarz bis Hellbraun und mich reizt der Gedanke, mein Kleingeld in den Schlitz zu werfen und zu sehen, was passiert. Falls das Gerät bereits auf Euro-Münzen umgerüstet ist.

Ich behalte mein Kleingeld bei mir und haue mich aufs Zimmer. Das Wetter draußen sagt mir: Geh spielen – und doch ist die Müdigkeit stärker. Ich habe einen Balkon zur Straße hin, doch kann mich nicht beschweren – alle halbe Stunde kommt mal ein Auto vorbei. Eine wirklich abgeschiedene Gegend.

Als ich am nächsten Morgen in Frühstücksraum sitze, liegt ein Nebelschleier über den Hügeln der Eifel. Die Sonne scheint matt auf das scheinbar mit Spinnweben geflochtene Netz. „Hier: Der Blick ins Tal vom Blick ins Tal aus.“ Schreibe ich unter das an Stefan verschickte Bild.

Der erste Ort, den ich besuche, ist Gerolstein. Ich kann mir zunächst nichts drunter vorstellen – bis auf diese weithin bekannte Mineralwasserflasche aus der Werbung. Schon am Ortseingang wird mir jedoch die Namensgebung klar. Die Felsformation, die ich weit oben über dem Ort erblicke, ist mehr als charakteristisch. Eine Form, so willkürlich, als sei sie gezielt, genau so, dorthin gesetzt worden – wie die untere Zahnreihe einer alten Frau sieht das aus.

Die Strecke führt steile, verwinkelte Wege entlang der hügeligen Landschaft rauf und runter; enge Straßen ziehen sich an atemberaubenden Aussichten vorbei und verspotten mit ihren halsbrecherischen Kurven die Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/H. Ab und an hängt sich ein ungeduldiger Geselle an meine Fersen, nur um dann an der nächsten Biegung wieder zu verschwinden. Manchmal kommen mir Transporter entgegen – doch mehr Sorgenfalten bereiten mir die flotten Sportwagen, die in ihrer zügigen Fahrweise beinahe auf meine sowieso schon enge Fahrbahn kommen.

Mein Weg führt mich durch das sanfte, blühende Moseltal, wo die Farben heller und die Hügel sanfter sind; die Weinterrassen senken sich bis hinunter zur Straße und die vielen Obstbäume, über die Hänge des Tals verteilt, sehen aus wie mit Puderzucker bestäubt.

Dann zieht sich die Straße wieder in die Höhe, vom schönen Tal weg und ins Eifelgebirge zurück. Hier ist es etwas grüner, etwas dunkler, die Blüten und die sanften Hänge habe ich hinter mir gelassen. Es geht nach oben. Wieder die kurvige Strecke lang.

Im Ort Daun frage ich mich kurz verwundert, wieso der Ortskern so touristisch aufbereitet ist: Mit einer touristischen Informationsstelle, Souvenirständen und Postkarten. Dann sehe ich die vielen Schilder, die auf das wohl bekannteste Naturwunder der Vulkaneifel hinweisen: die Maare, kleine, kullerrunde Seen vulkanischen Ursprungs, die aufgrund ihrer Vorgeschichte und ihrer Form jedes Jahr Urlauber in die Region anlocken. Unter einem Viadukt hindurch führt mich die Hauptstraße weiter.

Die Landschaft der Vulkaneifel ist charakteristisch; grün und hügelig, wie große, bewaldete Maulwurfhügel heben sich die Berge vom Horizont ab. Hier befindet sich auch der jüngste Vulkan Deutschlands; ein Maar, das sich in in einem kleinen, unscheinbaren Ort Ulmen befindet. Knapp elftausend Jahre ist es erst her seit seinem letzten Ausbruch. Die kleinen, aufsteigenden Blasen in Ufernähe deuten auf die noch aktive Vulkantätigkeit hin. Nördlich davon liegt der Jungfernweiher. Dieser ist von seinem Ursprung her auch ein Maar, hat aber nicht mehr die charakteristische, runde Form. Ich stelle das Auto ab und mache mich zu Fuß zu dem kleinen See hin.

Grün schimmert er im Abendlicht zwischen den Bäumen hindurch, reflektiert die hellen Zweige der Trauerweide, kräuselt seine Oberfläche im Wind. Ich kann auf den ersten Blick keine aufsteigenden Bläschen entdecken – wie ein ganz normaler See sieht es aus. Bei strahlend blauen Himmel würde das Maar, der der Größe nach für mich eher in die Kategorie „etwas größerer Teich“ fällt, wahrscheinlich azurblau erscheinen; doch nun, gen Abend, haben sich bleierne Wolken am Himmel versammelt. Auf der gegenüberliegenden Seite  steht ein einsames, verlassen aussehendes Haus; zu meiner Seite hin erheben sich die Mauern einer Burg über dem Wasser. Ich bin alleine, das kühle Wetter verlockt niemanden dazu, hier spazieren zu gehen.

Ein ausgetretener Pfad führt um das Maar herum, doch ich möchte die charakteristisch runde Form des Maares von oben sehen. Ich möchte zu der mittelalterlichen Burgruine hin, die einst den Kreuzrittern ein Zuhause war. Also mache ich mich mit meinen piekfeinen, glatten Businessschuhen an den Aufstieg.

Ich bin ja der Ansicht, dass man mit jeder Art Schuhwerk wandern kann; seien es die in einem früheren Beitrag bereits erwähnten 12cm-Absätze oder auch sonstige Auswüchse der Schuhmode. Wenn ich damit laufen kann, dann kann ich damit auch auf Berge klettern, basta! (…und der Hintergrund ist meistens, dass ich keine Lust mehr habe, nach Feierabend zum Umziehen ins Hotel zu fahren, so auch diesmal…) An einer grünen Hecke huscht ein Schatten entlang und sanfte, große braune Augen sehen mich neugierig von der Seite an. Na, hallo, wer bist du denn? Das Reh huscht weiter, gesellt sich zu seinem Kumpanen, der auf gemähten Rasen unter einem Baum sitzt.

Von oben, von der Burg aus, habe ich einen guten Blick auf das metallisch, bleiern schimmernde Wasser. Dahinter – die Hügel der Eifel. Und hier bin ich wirklich alleine – kein einziger Jogger kreuzt meinen Weg. Die Lichtstrahlen der Sonne versuchen, sich durch die schweren Wolken zu kämpfen; ab und zu verirren sie sich auf der gewellten Wasseroberfläche. Zur anderen Seite hin bietet die Burg einen Blick auf den darunter liegenden Ort. „…haben denn meine Untertanen ihre Steuern pünktlich gezahlt..?“ Flüstere ich vor mich hin. Es muss erhaben gewesen sein, Tag für Tag auf die Köpfe seiner Untergebenen hinab schauen zu können. Erbaut im Jahr 1000; belehrt mich eine Schautafel. 1000 nach Christus! Man, ist das alt. Nur die Römer mit ihrer Porta Nigra können diesen Bau noch toppen.

Der große Innenhof ist mit Gras bewachsen; ein weiß blühender Baum drängt sich an die Steinmauer.  Kleine Wildblumen blinzeln bunt, an den Steinen entlang verteilt. In der Mitte befindet sich ein Brunnen. Die Sonne hat es endlich geschafft; warm und einladend wärmt sie nun meinen Kopf. Von irgendwo weit unten dringt Musik zu mir hoch – vergeblich versuche ich, zuzuordnen, aus welcher Richtung sie kommt.

An einem blühenden Obstgarten vorbei verlasse ich die Burg. Die Straße, die zwischen der Ulmener Burg und der St. Matthias Kirche am Friedhof entlang führt, muss für (Hobby)Geologen ein einziger Augenschmaus sein; zur einer Seite hin ins Tuffgestein gehauen erlaubt sie einen genauen Blick auf das Gestein. Die einzelnen, erkalteten Lavaschichten lassen sich aus der Nähe betrachten, sogar anfassen – wie eine Schichttorte sieht es aus. Das 37 m tiefe Ulmener Maar ist mit seinen elftausend Jahren der jüngste Vulkan Deutschlands; zweitausend Jahre jünger als der noch immer aktive Laacher See. Bruchstücke vom Grundgebirge und lockere Lava bilden poröse Schichten.

 

Der Riesenfisch

Also, ich stehe ja auf Märchen und Sagen aller Art. Die Sage zum Ulmener Maar erzählt von einem Riesenfisch, den niemand fangen konnte und bei dessen Erscheinen jedes Mal einer der Burgherren starb.

Die Sage wurde 1542 von dem Basler Gelehrten Sebastian Münster niedergeschrieben:

„Auch zwei namhafte Seen sind in dieser Eifel, einer beim Schloss Ulmen und der andere am Kloster zu Laach. Die sind sehr tief, haben keinen Zufluss, aber einen starken Abfluss. Die nennt man Maare, und sie sind fischreich. Im Maar zu Ulmen gibt es einen Fisch, den schon viele gesehen haben, der ist dreißig Fuß lang, und ein anderer ist zwölf Fuß lang, die haben die Gestalt von einem Hecht. Und wenn sie sich sehen lassen, stirbt gewiss ein Ganerbe des Hauses Ulmen, sei es Mann oder Frau. Das ist oft beobachtet und erfahren worden. Diese Maare liegen gewöhnlich auf hohen Bergen. Man hat das zu Ulmen in seiner Tiefe untersuchen wollen, und nachdem man das Blei dreihundert Klafter tief hinabgelassen hat, hat man keinen Grund finden können.“ Quelle: Wikipedia

Hier eine andere Version der Sage:

„Vom Ulmener Maar

In düstere Wälder, fruchtbare Ackerbreiten und sonnige Heidehänge eingebettet, liegen geheimnisvoll blinkend die sagenumwobenen Eifelmaare. In ihrem Rund spiegelt sich an lieblichen Frühlingstagen seidenblau der Himmel, träge wie geschmolzenes Blei liegt unter der Sommersonne ihre Flut, an düsteren Herbsttagen ist tiefe Schwermut über sie ausgebreitet, und im Winter steigen die Nixen aus der Tiefe und pochen gegen die glitzernde Decke, die die Wasser gefangen hält.

Die Alten sagten, die Maare seien unergründlich tief und ständen nicht nur untereinander, sondern auch mit dem Weltmeer in Verbindung. Einst fing ein Fischer im See von Ulmen einen Hecht, der mehr als zwei Meter lang war. Er band ihm eine Schelle um und brachte ihn dann wieder ins Wasser zurück. Und siehe, einige Wochen später zog ein Klosterbruder am Laacher See den Riesenfisch mit der Schelle staunend aus dem Netz.“
Quelle: gutenberg.spiegel.de

Kasia

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