Bonn, März 2017
Base Camp. Was ist Base Camp? Das klingt so ein bisschen nach Space Shuttle, meint Ihr nicht? Nach einer „Base“ irgendwo am Fuße eines hohen Berges… zumindest konnte ich mir nichts Näheres darunter vorstellen, trotz der Bilder der vielen Wohnwägen, die mir vom Reiseportal her im Gedächtnis blieben.
Unbeauftragte Werbung
Ich sitze mit ausgestreckten Beinen auf der Holzablage im Inneren des Wohnwagens, der Koffer dient als Stütze für meine Füße. Eine alte Lampe, im Stil früherer Öllampen aufbereitet, spendet warmes, gelbes Licht.
Hm, mit Camp wie Camping hat das ganze schon mal was zu tun. Und Base wie Basis. „Camp-Base“, eine Camping-Basis, wäre der bezeichnenderer Begriff gewesen, überlege ich kauend. Mein Blick wandert zu den schweren, dunkelgrünen Vorhängen, die die Sicht aus den kleinen Fenstern nach draußen verhüllen und für Privatsphäre sorgen.
Krümel rieseln aufs Papier. Ich hatte im Auto noch einen Rest Baguette von heute Mittag und eine Flasche Wasser – das ist mein Abendessen. Einfache Dinge schmecken herrlich, wenn man Hunger hat. Im Allgemeinen esse ich nicht so viel, wenn ich auf Reisen bin.
Ich entdecke, dass der Spiegel über meinem Kopf ein verborgenes Ablagefach ist. Schwerfällig lässt sich die Scheibe bewegen; ich schiebe sie zur Seite. Vielleicht hat ja jemand etwas darin versteckt? Einen Batzen Geld oder die Perlen seiner Großmutter?
Von der Wand schauen mich die Augen der Schwarzweiß-Fotografien an; unten ein Soldat, oben eine Dame im hochgeschlossenen Kleid. Aus dem Lautsprecher draußen in der Halle rieselt leise, langsame Musik. Die stimmungsvolle Beleuchtung im Inneren der Halle erinnert irgendwie an die Abenddämmerung, wenn man aus der Tür des Wohnwagens schaut.
Auf den Ablagen der Nautilus stehen alte, zerschlissene Bücher – Abenteuer von Piraten und Seglern und Disneys 20000 Meilen unter dem Meer. Über dem Bett hängt ein Kompass.
Mein Bett ist groß und so breit, dass ich hier theoretisch quer schlafen könnte. Ich beschließe, genau das zu tun. Schön viel Platz in der kleinen Wohnkabine, die eigentlich fast nur aus dem großen Bett besteht.
Die Halle ist leer, bis auf mich und den Typ an der Rezeption, der aussieht, wie man sich so einen Hostel-Rezeptionisten so vorstellt (eine Mischung aus Hipster und alternativ) und einem jungen Asiaten, der nur englisch spricht und auf Nachfrage das Innere meines Wohnwagens bestaunen und fotografieren darf.
So laufe ich ungestört herum und staune. Die „Zimmer“ des Hostels bestehen aus alten, umgestylten und liebevoll gepflegten Wohnwagen-Kabinen; jeder Wohnwagen läuft unter einem eigenen Motto. So gibt es zum Beispiel eine Jägerhütte, mit den Fellen und Geweihen erlegter Hirsche und dem Kopf eines Ebers verziert; einen Rockabilly, einen Trabi, Flower-Power mit lauter Blümchen und sogar tatsächlich ein Space Shuttle im Stil einer Raumstation aufbereitet.
Die „Schlafsäle“ sind ausgemusterte Zugwaggons außerhalb der Halle im Außenbereich des Hostelbereiches abgestellt.
Man bekommt hier die Camping-Stimmung, nur ohne Regen, und die gedimmte, farbige Beleuchtung lässt ein Gefühl von Gemütlichkeit aufkommen. Als ich die sanitären Einrichtungen betrete, bin ich überrascht, wie topmodern alles ist. Nix da mit Oldschool – die runden Waschbecken sehen regelrecht stylisch aus.
Ich fühle mich wie im Urlaub – jetzt schon. Dabei bin ich beruflich hier und morgen geht es wieder auf die Arbeit. Doch allein das hier ist schon wie ein kleines Abenteuer. Etwas völlig neues, denn so habe ich noch nie übernachtet. Das Baguette hat so la la gereicht. Ich überlege, ob ich mir noch etwas Essbares besorgen soll. Doch nochmal hinaus zu gehen und im Regen durch die Pampa (hier auch: Bonn) zu fahren, darauf habe ich auch keine Lust mehr. Also verschanze ich mich unter der Decke mit Stephen Kings Doctor Sleep in der Hand. Leise dringt Musik durch die holzverkleideten Wände der Kabine. Ja… so lässt sich’s leben.
Tropfnass in Bonn
Vergiss „Atemlos durch die Nacht“: Hier kommt die fulminante Fortsetzung: Tropfnass in Bonn! Mit mir in der Hauptrolle…
Irritiert kreise ich durch den Bezirk. Hm, Base-Camp, Base-Camp… Sie haben Ihren Zielort erreicht. Die Routenführung ist beendet. Aber ich sehe hier keinen „Zielort“, alles, was ich sehe, sind ein paar gelbe Stiere…
Einige Minuten später stehe ich auf einem Hof am Eingang zu einer großen Industriehalle. Rezeption hier, steht da über der unauffälligen Tür. Ich trete fünf Schritte zurück und schaue mich nochmal um. Den Hof zieren ausgemusterte Zugwaggons. Base-Camp. Ja, das muss hier sein. Ich öffne die schwerfällige Stahltür und hieve meinen Koffer hinein. Innen finde ich mich im Dämmerlicht inmitten einer Wohnwagenlandschaft wieder. Ja, eindeutig… ich bin angekommen.
An der Rezeption lasse ich mir die Beschreibung der Halle geben: W-lan, Lageplan, Eingangs-Code für die Außentür und wann es Frühstück gibt. Dann spaziere ich, den Lageplan in der Hand, und halte Ausschau nach meinem „Zimmer“. Die Nautilus, die Nautilus… die Nautilus? In der Mitte der Halle, klein aber fein, wie ein U-Boot mit Eisen beschlagen. Und abgeschlossen. Ich dripple zurück. „Sollte ich dafür nicht einen Schlüssel bekommen oder so?“ Der Rezeptionist langt sich an den Kopf. Nochmals Augenblicke später spaziere ich mit einem Schlüssel wieder zu meiner Nautilus.
Die ganze Halle ist ein Hingucker. Jeder Wohnwagen, ob groß oder klein, ist ein Unikat. Allein meine Nautilus ist 1965 gebaut worden. Und auf ihrem Dach schnacken zwei verstaubte, wilde Enten. (Die „Eisenbeschläge“ der Nautilus sind in Wirklichkeit geschickt angebrachte Deko-Elemente, doch täuschend echt wirkend erfüllen sie ihren Zweck in jeglicher Hinsicht). In der Kabine bewundere ich die Einrichtung. Draußen bewundere ich jeden einzelnen Wohnwagen.
Das war gestern.
Und heute?
Bonn ist ins Wasser gefallen. Buchstäblich. „Was für ein Elend,“ murmele ich, während ich vom Kunden zu Kunden aus dem Auto springe und penibel darauf achte, dass all meine Arbeitsunterlagen trocken bleiben. Es hat nur einmal geregnet – dafür aber den ganzen Tag. Und nicht in Schauern; nein, es war eher die Gießkannen-Art. Die Straßen glänzen im Licht der Autoscheinwerfer wie mit Folie beschlagen. Mein kleiner, blauer Regenschirm gibt im Wind auch schon langsam den Geist auf. Bei Douglas hole ich mir einen neuen, im strahlenden, kräftigen Pink (zur Auswahl gab es sonst nur schwarz und lila – schwarz war mir zu düster und Ihr wisst ja, was man über lila sagt…)
Ja, es gibt einige Anschaffungen, die für den Außendienst unverzichtbar sind; das ist zum einen Gelo Revoice für die Stimme und ein großer, stabiler Regenschirm.
Die Tasche am Unterarm aufgehängt und den Schirm zwischen Ellbogen und Hüfte eingeklemmt fotografiere ich mit dem I-Pad die klatschnassen Straßen. Heute will nicht einmal ein Hund hinaus. „In manchen Ländern wären sie froh über ein Wetter wie bei uns; die Dürre-Regionen…“ höre ich am Nachbartisch, als ich beim Bäcker meinen Cappuccino schlürfe. Bemerkenswert, dabei beschweren sich die Menschen doch meist nur…
Viele Möglichkeiten hatte ich heute nicht, mir Bonn anzuschauen. Ich würde die Stadt als sehr vielfältig beschreiben und das ist etwas, was für mich die Spannung ausmacht. Wenn man genau hinschaut, kann man an jeder Ecke etwas Neues entdecken. Wunderschöne, verzierte Häuser wechseln sich mit Kunst und hippen Details ab. Es gibt keinen roten Faden, keinen prägenden Stil, auf den man sich bei der Betrachtung verlassen könnte. Mitten im Zentrum, zwei Straßenzüge weiter, gibt es Wohngegenden, die mit ihren Einfamilienhäusern mit Gärten und Bäumen wiederum einen sehr ländlichen Eindruck erwecken. Im Stadtteil Godesberg thront die Burg über der modernen, innenstädtischen Fußgängerzone. Ein alter, morbide anmutender Friedhof mit verdrehten, knochig-verdorrten Zweigen eines Baumes, der über die Mauern ragt… mit Moos bedeckte Grabsteine und eine alte Kapelle – das alles in unmittelbarer Nähe zur Einkaufsmöglichkeiten und Szenekneipen wie dem Bla in der Bodenheimer Straße.
Eine schwarzgraue, gotische Säule steht einsam mitten zwischen zwei Leitplanken einer belebten Bundesstraße mitten in Bonn – einfach so. Die Stadt ist wie ein Mosaik, wie Puzzleteile, die, obgleich unterschiedlich, sich nahtlos ineinander zu einer Einheit fügen. Keinesfalls touristisch im eigentlichen Sinne, für mich spannend – ob sehenswert, muss jeder für sich entscheiden.