Europa, Italien

Murano… und die Jagd nach dem blauen Elefanten

Murano, Juli 2014

Irgendwann brach die Sonne durch die Wolken und das Wetter besserte sich nachhaltig. Eine immer größere Anzahl an Touristen bevölkerte die Straßen. Inzwischen sind wir ins Zentrum von Murano vorgedrungen, und ich hatte die ganze Zeit schon, noch bevor wir überhaupt nur einen Fuß auf diese Insel gesetzt hatten, nur einen einzigen Gedanken:

Wo krieg ich bloß einen blauen Elefanten her??

 

Glasinsel Murano

Die kostengünstigste und bequemste Art, sich zwischen den Inseln zu bewegen, ist mit Sicherheit die Vaporetto, die Fähre. Die Karten sind nicht teuer, und die aktuellen Preise und Fahrpläne kann man sich im Vorfeld im Internet ausdrucken. Man kann zwischen einem Tagesticket und einem Zweitagesticket wählen, oder nur eine einfache Überfahrt buchen. Um nach Venedig Stadt zu kommen fährt die Vaporetto (ital. Wasserbus) an Murano, Burano und diversen anderen kleinen Inseln vorbei. Im vorigen Jahrhunderten war es üblich, dass die Arbeitsbereiche aus der Hauptstadt Venedig auf die umliegenden Inseln ausgelagert wurden, so dass jede Insel ihren ganz eigenen Zweck erhielt. So gab es eine Klosterinsel, eine Friedhofsinsel, eine Gemüseinsel, Glas- und Spitzenherstellung und noch einige mehr. Manche der Inseln sind heute unbewohnt.

Morgens um halb neun standen wir am Fährhafen. Ob der frühen Stunde und des bewölkten Himmels hatte ich mit nur wenigen Menschen gerechnet, doch da lag ich grob daneben – bereits jetzt hatte sich am Fähranleger eine Traube Wartender gebildet. Nicht nur wir dachten wohl, dass halb neun eine gemütliche, aber doch nicht allzu späte Zeit zum Losfahren ist…

Nachdem wir uns mit Not einen Sitzplatz ergattert hatten, sprang ich trotzdem immer wieder auf und lief von Fenster zu Fenster zwischen den Sitzreihen her, um die Inseln zu fotografieren, die auf dem bleigrauen Wasser unter bewölktem Himmel an uns vorbeizogen. Manche der Inseln sahen von weitem winzig-klein aus, mit jeweils nur einem oder zwei Gebäuden bebaut; wobei die „Gebäude“ größtenteils schon eingestürzte Ruinen waren.

Wir kamen an der Klosterinsel vorbei und einigen anderen, die ich nicht zuordnen konnte. All das war spannend für mich. Auch Burano, die Insel der bunten Häuser, war in einiger Entfernung zu sehen.

Auf Murano stiegen wir dann aus. Es begrüßte uns ein großer, weißer Leuchtturm an der Anlegestelle Murano Faro, der sich leuchtend hell in den dunkelblauen Wolkenhimmel erhob – der Leuchtturm von Santo Stefano. Gleich ein paar Schritte weiter war ein Freiluft-Kunstwerk zu sehen, das aus farbigem Glas gefertigt war: drei oder vier Wildenten, die in allen Farben leuchtend ihre Flügel ausstreckten und ihre Hälse gen Himmel reckten. Geschützt war das Ganze durch ein Metallgerüst, an dem rundherum von allen vier Seiten Glassteine, an Schnüren befestigt, hingen und im Wind hin und her schwangen.

In der Nähe befanden sich zwei oder drei Geschäfte, die Souvenirs in Form von Glaskunstwerken aller Art anboten. Besonders die kleinen, rechteckigen Halskettenanhänger hatten es mir angetan, und ich deckte mich schon jetzt mit einem Vorrat an Mitbringsel für Freunde, Familie und meine Apothekenmädels ein, noch bevor mein Fuß Murano überhaupt so richtig betreten hat.

Wir gingen weiter den Bürgersteig entlang, der links und rechts am Kanal entlang führte. Unzählige Boote, große und kleine, lagen vor Anker und auf den schmucken, kleinen Holzbrücken, die von einer Seite auf die andere führten, hingen mit allerlei farbigen Blumen bepflanzte Holz-Blumenkästen.

Murano, die Häuser, überhaupt alles, war irgendwie ganz anders als ich es mir vorgestellt hatte; wobei ich eigentlich gar keine konkrete Vorstellung hatte, ich hatte mir nie Bilder dazu gegoogelt. Anders- aber auf seine Weise schön, sehr charmant mit einem rustikalen Zauber. Die Gebäude waren größtenteils aus dunkelroten Ziegeln erbaut. An den Fenstern hingen Blumenkästen, und an vielen Stellen blätterte die Farbe von den Fensterläden und -rahmen ab. An einigen Stellen zeigten sich Risse im Mauerwerk.

Zwei italienische „Mammas“ unterhielten sich lebhaft in einem Hauseingang. Zwischen den ziegelroten Häusern sah man immer wieder Schaufenster mit allerlei Kunst aus Glas; Menschen, Figuren, Tiere… und immer wieder Schmuck.

Je näher wir uns dem Ortskern näherten und je weiter die Stunde vorrückte, umso mehr Touristen kamen uns auch entgegen. Wir kommen an einen großen Platz, der von allen Seiten durch Häuser, Restaurants und eine Kirche, die Basilika Santa Maria e San Donato, umschlossen war. Etwas seitlich wurde ein meterhohes Denkmal drapiert; es sah aus wie ein Stern aus hell- und dunkelblauen Glas, dessen Strahlen sich wellenförmig in alle vier Himmelsrichtungen ausbreiteten.

Wir ließen uns an einen der Restauranttische nieder, die um den Platz herum aufgestellt wurden. Es tat gut, mal zu sitzen, denn irgendwie, ob es nun an der schwülen Hitze lag oder woran auch immer, ich fühlte mich total erledigt.

Die Karten waren in drei Sprachen gedruckt: italienisch, englisch, deutsch. Wir bestellten Wein und jeweils ein Fischgericht. Da ich liebend gerne herumprobiere, wurde es bei mir Tintenfisch mit Gemüse als Beilage. Das Gericht kam passenderweise mit einer pechschwarzen Soße garniert.

„Magst du mal probieren, Schatz?“

„Nein…“ Ein bisschen befremdet sah Stefan auf meinen Teller. Aber hey… ich sage euch eins… dieser Tintenfisch war eines der besten und köstlichsten Gerichte, die ich je gegessen habe!

Nach dem Essen saßen wir da, tranken Wein, beobachteten die vielen Menschen, die an uns vorbeigingen und genossen die Ruhe.

Besser gesagt – wir versuchten es.

„Wenn er das noch einmal macht, dann drehe ich ihm eigenhändig den Hals um!“ Knurrte Stefan, nachdem ein circa fünfjähriger Bengel zum vierten oder fünften Mal mit großen Geschrei an unserem Tisch vorbeistürmte und versuchte, die Taubenschar zu verscheuchen, die sich um die Tische herum versammelt hatte. Ich schielte nach den Eltern; tiefenentspannt saßen sie da, nichts konnte sie aus der Ruhe bringen. Sie bremsten den Jungen nicht, ja, sie hatten ihn noch nicht einmal im Blick. Soll doch der Kleine seinen Spaß haben, egal, ob es andere Gäste stört oder nicht (inzwischen kamen vielsagende Blicke auch von anderen Tischen herüber). Antiautoritäre Erziehung. Deutschsprachig, stellte ich fest.

„So, das reicht jetzt aber, verdammt nochmal!“ Herrschte Stefan das Kind beim achten Mal an. Die Eltern brachen abrupt ihr Gespräch ab und sahen betroffen zu uns herüber. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Nach dem Essen, leicht angeschwipst vom Wein, besuchten wir die Kirche. Ich machte diesmal keine Bilder. Ich erinnere mich noch, wie wir da saßen, uns an den Händen hielten und die Atmosphäre auf uns wirken ließen. Damals dachte ich… hey… sogar eine Kirche kann ich mir mit ihm zusammen ansehen…

Irgendwann brach die Sonne durch die Wolken und das Wetter besserte sich nachhaltig. Eine immer größere Anzahl an Touristen bevölkerte die Straßen. Inzwischen sind wir ins Zentrum von Murano vorgedrungen, und ich hatte die ganze Zeit schon, noch bevor wir überhaupt nur einen Fuß auf diese Insel gesetzt hatten, nur einen einzigen Gedanken:

Wo krieg ich bloß einen blauen Elefanten her??

 

Der blaue Elefant

Rückblick…

Eine Woche vor unserem Urlaub; mein Chef und ich in der Apotheke. „Na, Herr Simon (Name geändert), was soll ich Ihnen denn schönes aus Venedig mitbringen?“

Mein Chef winkt ab: „Ach, was willst du mir den schon mitbringen, einen blauen Elefanten…?“ Das hat mich so gefuchst, und ich dachte mir, na warte…

Nun liefen wir Straße für Straße ab und ich pilgerte von Geschäft zu Geschäft, während Stefan geduldig draußen wartete, und hielt nach so ’nem Ding Ausschau. Etwas Schönes sollte es sein, klein, zierlich, hübsch. Ein Schmuckstück eben. Ach, und mein Budget sollte es möglichst auch nicht überschreiten.

Die Händler boten allerlei überhaupt Erdenkliche an Glas: Schmuck, Gebrauchsgegenstände, Skulpturen, alle Arten an Tieren… auch Elefanten, und ja, auch blaue. Diese allerdings meist als ganze Elefantenfamilien, bei welchen der eine den anderen mit dem Rüssel am Schwänzle festhält und alle drei im Gänsemarsch, von groß bis klein, durch die Savanne marschieren.

Nichts für mein Vorhaben also.

Auf einer breiten, mit Bäumen gesäumten Promenade, die ausnahmsweise nicht durch einen Kanal entzwei geteilt wurde, stand ein weiteres Kunstwerk zwischen den Bäumen: eine Frauenskulptur, schlank, grazil und mehrere Meter hoch, in einer geöffneten Blume stehend. Die Skulptur wurde aus weißem, durchsichtigen Glas gefertigt und strahlte entsprechend in der Sonne. Zu ihren Füßen hatte sich’s Stefan bequem gemacht; er ließ sich auf einer Bank nieder, mit Zigarette im Mundwinkel und einer Wasserflasche in der Hand.

Und genau da, auf der gegenüber liegenden Straßenseite, habe ich ihn gefunden!

Ein kleines, elegant marschierendes Kunstwerk, eher türkis als blau, mit forsch in die Luft erhobenem Rüssel.

Mein Elefant.

Ich ließ ihn mir gut einpacken und in der Handtasche verschwinden. Meine Mission war beendet. Die nächste Fähre brachte uns in den Hauptort unserer Reise: in die Stadt Venedig.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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1 Kommentar

  1. […] Doch ohne eine kleine Erzählung geht es auch diesmal nicht. Die Erzählung spielt in Venedig, Italien… […]

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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