Aruba, Mai 2016
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Ein ganzer Schwarm Fische hat sich um mich versammelt. Ich schüttle meine mit eingeweichtem Brot gefüllte Plastikflasche, so dass einige Brotkrümel ins Wasser entweichen können, und sofort stürzen sich die gefräßigen, etwa Faustgroßen rosa Fische (Soldatenfische, habe ich mich vom Google belehren lassen…) auf die Flasche. Sie zupfen gierig an der Öffnung, versuchen, sich gegenseitig das herausragende Brot streitig zu machen, knabbern und zwicken an meinen Fingern. Eine ganze bunte, hungrige Meute tummelt sich um mich herum, mal alle durcheinander, mal unerwartet in eine Richtung flüchtend wie ein Mann. Dann sammeln sie sich wieder, kommen zurück, stürzen wieder auf die Flasche. Schwarz-gelb getigerte, flache Kaiserfische kommen auf mich zu, verdrängen die anderen, bis das Wasser mit ihnen gefüllt ist. Ich kann förmlich die Hand nach ihnen ausstrecken, kann sie anfassen, sie fressen Brotstücke aus meiner Hand, die ich ihnen entgegen halte.
Etwas weiter abseits, aber immer in der Nähe, bewegt sich ein würdevoll aussehender Kollerfisch mit einem rüsselförmigen Maul, der aussieht, als würde er ständig schmollen. Unter mir, in größerer Tiefe; schillernde blau-schwarze Schönheiten, deren blau in den verlorenen Sonnenstrahlen schimmert. Ganz unten in Bodennähe tummeln sich ganze Schwärme gelber und grauer, sehr kleiner Fische, doch sie bleiben am Boden und kommen nicht zu mir herauf. Vielleicht befürchten sie, als Fraß der größeren Artgenossen zu enden.
Am Boden; Seeigel, Schwämme; um mich herum – blau, nichts als blau, unterbrochen nur durch Regenbogenfarben der Fische. Ich hebe den Kopf aus dem Wasser – eine gekräuselte Wasseroberfläche, an der sich die Sonnenstrahlen brechen, Rufe, Geräusche, die grellen Paddeln anderer Schnorchler, von unserem Boot herkommende Partymusik. Doch sobald ich wieder mit dem Kopf unter Wasser tauche – eine andere Welt. Ich höre nur noch das gedämpfte Geräusch des eigene Ein- und Ausatmens durch die Schnorchelmaske, alles, was oben geschieht, ist ausgeblendet, alles geschieht langsamer, wie in Zeitlupentempo, als würden dort eigene Regeln herrschen. Unter mir sandiger Boden, um mich herum tiefes blau.
Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich schnorchle. Und es ist wundervoll.
Zur Anfang kostet es mich Überwindung, mich mit Mund und Nase unter Wasser zu begeben, auch wenn ich wohl weiß, dass der Schlauch nach außen ragt und ich Luft bekommen würde. Mich mit dem Gesicht auf die Wasserfläche zu legen ist eine Handlung, gegen die jegliche Selbsterhaltungstriebe in mir rebellieren. Doch nach der ersten Überwindung fühlen sich die ersten Augenblicke erstaunlich gut an. Mit dem Gesicht unter Wasser zu sein und alles zu sehen… ich fühle mich wie in einem Bann gefangen.
Dabei fängt der Tag ziemlich stressig an. Wir sind spät dran und ich befürchte, irgend etwas zu vergessen; Sonnenmilch, lange Hosen usw. Die Stimmung ist gereizt und ich geladen. Doch als wir dann an Board kommen, weicht der Stress einer glückseligen, erwartungsvollen Aufgeregtheit.
Die Teilnehmer der Tour sind, wie schon gestern auf der Schmetterlingsfarm, fast alle Amerikaner. Die einzigen Deutschen sind wir. Die Amis habe ich als sehr entspannt und total locker empfunden, sehr angenehme Menschen.
Die Crew schafft es, jeden aus der Reserve zu locken. Die Art, wie sie jeden von uns zum Lachen bringen und allgemein die Stimmung anheizen, zeigt, dass auch sie selbst sehr viel Spaß an der Sache haben. Sie kümmern sich um jeden. Kasia kommt mit der Schwimmweste nicht klar? Kein Problem, es ist sofort jemand zur Stelle…. Auch im Wasser hat uns immer jemand im Blick und fragt bei dem kleinsten Verdachtsmoment: „Are you okay?“
Stefan hat anfangs Probleme mit der Maske, das Atmen durch den Mund löst bei ihm Beklemmungen aus. Mit einer Schwimmweste geht es dann besser und die Angst, zu ertrinken, verschwindet.
Beim zweiten Tauchstopp werden wir alle zur Schwimmweste verdonnert. Als ich ins Wasser gehe, begreife ich auch, warum: der Wellengang ist an dieser Stelle besonders stark, wir befinden uns im offenen Meer, statt wie vorhin in einer Bucht geschützt zu sein.
Denn die Attraktion sind diesmal nicht die Fische, sondern der versunkene Rumpf eines deutschen Kriegsschiffes, das im ersten Weltkrieg vor der Küste Arubas unterging. Ich tauche am Rumpf entlang, versuche, den Paddeln anderer Schnorchler auszuweichen. Diesmal konzentrieren sich fast alle Schnorchler an diesem einem, ziemlich kleinen Fleck entlang des versunkenen Schiffes, und so kommt es, dass ich mich ein wenig vom Wrack entferne, um mehr Raum um mich herum zu haben. Vor mir taucht eine dunkle Männerbadehose im Wasser auf – Stefan? Ich tauche auf; ein farbiger Kopf, nein, es ist nicht Stefan.
„Do you speak russian?“ Fragt mich der „farbige Kopf“ plötzlich.
„No, sorry. I’m from Germany.“
„Ah, Germany!“ Der Mann strahlt und gibt sofort eine Kostprobe seiner Deutschkenntnisse zum Besten: „Guten-Tag! Wie-geht-es-dir? Meine-Tante-heißt-Hildegard. Du-bist-ein-schöner-Mädchen!“
Das „schöner-Mädchen“ hebt einen Daumen hoch und begibt sich wieder unter Wasser. Als ich da so weiter tauche, merke ich, dass ich geradewegs auf jemanden vor mir zusteuere, also tauche ich auf und hätte dabei fast unserem Tourguide meinen Kopf in den Bauch gerammt.
Wieder an Deck. Ich bin tropfnass, mit zersaustem Haar, quietschglücklich. Jetzt schön eincremen. Die vier schwarzen Ladys mir gegenüber beobachten mich, ohne eine Miene zu verziehen. Die arme German Girl, werden sie sich gedacht haben, die muss das ja dauernd machen, ist ja hell wie ein Stück Käse… Ich bin ja auch, vor lauter Angst, zu verbrennen, in langer Hose und Hemd an Deck gegangen. Inzwischen jedoch fühle ich mich sicher genug, um in Bikini an Bord zu sitzen.
Der dritte Stopp war der längste. Wir bleiben über eine Stunde in einer schönen Bucht, jeder kann schnorcheln, solange er will, danach würde es Lunch geben.
„Ich bleibe diesmal an Bord.“ Sagt Stefan. „Das war mir zu anstrengend vorhin mit dem starken Wellengang.“
Also mache ich mich alleine auf, die Unterwasserwelten von Aruba zu erkunden. Brotflaschen werden diesmal keine mehr verteilt, aber als ich schon an der Leiter nach unten bin, sehe ich eine dastehen, die scheinbar übrig blieb. Die ist für mich! -denke ich und schnappe sie mir, noch bevor irgend jemand ein Auge darauf werfen kann.
Ich begebe mich mit meiner vollen Brotflasche ins Wasser und mit dem Kopf nach unten. Ich sehe viel Blau, einen sandigen Boden, Schwämme und ein paar Korallenriffe, aber diesmal keine Fische. Nur weit, weit weg schwimmt mal ein Schatten vorbei. Ich schüttelte meine Brotflasche und lasse die Brotkrümel entweichen, doch diesmal lassen sich keine Fische blicken. Sind sie etwa alle bereits übersättigt?
Ich steuere das steile Ufer an, in der Hoffnung, dort auf Korallen und größere Schwämme zu stoßen. Unter mir: ein weißer Sandboden, dann ein Gürtel aus Algen… runde, zusammengekauerte, weiß-graue Seeigel, die unbeweglich am Boden ausharren. Und da, schau… zwei schöne, große Seesterne.
Am Ufer sehe ich weitere Pflanzen, Seeigel, Korallen… Ich denke schon daran, meine Brotflasche zu schütteln, um Fische anzulocken, das Problem ist nur; es gibt hier weit und breit nichts, das ich hätte damit anlocken können.
Also paddle ich, mit dem Kopf unter Wasser, wieder in Richtung Schiff. „Kasia!“ Höre ich plötzlich. Ich tauche auf und sehe Stefan, wie er mich aufgeregt in seine Richtung winkt. „Ich wollte zum Ufer schwimmen. Da wird es bestimmt Korallen und Fische geben.“
„Da war ich schon. Aber da ist nix… zumindest keine Fische, allerdings habe ich Seeigel gesehen.“ Wir tauchen beide unter.
Und plötzlich sind die Fische wieder da. Wie aus dem Nichts aufgetaucht schwimmen sie, noch in einiger Entfernung, um uns herum. Ich nehme die Flasche, drücke sie ein wenig, und schon stürzen sich die gefräßigen kleinen Biester gierig auf die Öffnung. Während ich die Fische füttere, sehe ich Stefan staunend neben mir, wie er fasziniert die Hände nach ihnen ausstreckt. Einer Eingebung folgend gebe ich ihm die Flasche in die Hand. Er nimmt sie, drückt ein bisschen Brot heraus, und dann höre ich ihn unter der Schnorchelmaske lachen, als die kleinen rosa Fische anfangen, an seinen Fingerkuppen zu zupfen. Der Schwarm um ihn herum wird dichter, alle sind sie plötzlich wieder da: die frechen kleinen Soldatenfische, die getigerten Kaiserfische, der Kollerfisch, der aussieht, als würde er schmollen. Die blauschwarzen Schönheiten.
Stefan taucht auf und schnappt nach Luft. „Das ist so klasse!“ Ruft er und strahlt mich mit großen runden Augen an wie ein Kind. „Die getigerten folgen einen ja überallhin, die könnte man glatt mit nach Hause nehmen!“ Es tut gut, ihn so glücklich und losgelöst zu sehen.
Die Flasche bleibt bis zum Ende des Tauchgangs fest in Stefans Hand.
Irgendwann werden wir zum Essen zusammengepfiffen. Und „gepfiffen“ meine ich wortwörtlich, denn die Jungs benutzen so etwas wie Trillerpfeifen, um auch die weiter entfernten Schnorchler zur erreichen. Wir schwimmen zum Boot zurück. Das Schwimmen klappt bei diesem dritten Mal wesentlich besser, ich habe herausgefunden, wie ich mich mit den Schwimmflossen geschickt vorwärts bewegen kann. Beim ersten Tauchgang war das ein unkoordiniertes Geplantsche, und ich hatte die Dinger als eher störend empfunden.
Ein Blick zurück in die ferne Vergangenheit. Vor ein paar Jahren…
…meine Freundin Sui und ich im Mannheimer Herschelbad.
Ich: „Sui, du schwimmst ja ganz anders als ich. Du schwimmst wie eine Meerjungfrau!“
Sui (verwundert): „Wie soll ich denn sonst schwimmen?“
Zurück ins Jahr 2016, an der Küste von Aruba. Füße rauf und runter, rauf und runter, komm, Kasia, mach es so, wie du es damals von Sui gelernt hast…
Das Essen an Deck ist fantastisch. Ich glaube, von Fisch verstehen sie hier wirklich etwas. So zart und schmackhaft, dazu ein schön gewürztes Schnitzel mit Reis und Salat, und Obst am Spieß. Hmm…
Die Zeit vor dem Essen vertreiben sich die Jungs und Mädels damit, von Deck, wie Tarzan an seinen Lianen, an einer Leine, einer Art Trapez, ins Wasser zu springen. Die Guids sorgen für Stimmung, indem sie die Menge immer wieder anheizen und allen voran ins Meer plumpsen. Aus den aufgedrehten Lautsprechern kommt Partymusik, alles, was irgendwie mit Sommer zu tun hatte. Man kann sich dem kaum entziehen. Die Crew sorge dafür, dass der Trip zu einem richtig tollen Erlebnis wird. Es herrsche eine ausgelassene Stimmung, und nach dem Essen machen die Mädels Party an Board. Ich sag ja, die Amis… total cool. Viele von ihnen hatten schon was intus, noch bevor es das erste Mal ins Wasser ging. Jetzt feiern sie oben, tanzen und trinken und lachen. Wir bleiben unten und ich schaue glücklich ins azurblaue Wasser.