Bonaire, September 2016
Die Tiere kommen näher und näher und der Mann, der sie füttert, weicht immer weiter zurück. Ich halte drauf, fast die ganze Zeit über. Da wuseln irgendwo noch Mini-Leguane herum, doch die interessieren mich nicht, ich will die großen – ich will die Monster-Echsen!
Auf der anderen Seite der Straße, gegenüber den Felshöhlen, ist hinten das Meer zu sehen – und riesige Felsbrocken, bei deren Größe man sich zu fragen beginnt, wer und warum sie dorthin geworfen hatte. Das fragt sich auch Stefan. „Die Insel ist ja vulkanischen Ursprungs.“ Er will weiter fahren, doch ich hüpfe bereits fröhlich zum Rand der Klippen.
„Da geht es steil runter! Du kannst nicht ans Wasser!“ Ruft er mir zu.
„O doch, und wie ich kann!“ Rufe ich zurück. Stefan folgt mir.
„Oder auch nicht…“ Sage ich zu mir selbst, als ich an den Klippen ankomme. Ich habe mich ziemlich weit vorgewagt. Stefan bleibt hinter mir stehen. Unten herrscht eine ziemlich starke Brandung und der Wind peitscht uns (mir 🙂 ) die Haare aus dem Gesicht. Ich setze mich an den Rand der Klippe. Von unten her kommt ein Tosen zu uns herauf, die Oberfläche des Meeres sieht aus wie marmoriert, dort, wo das Wasser gegen die Felsen schlägt und sich der Schaum auf der Oberfläche verteilt. Dunkles Azurblau mischt sich mit hellem, karibischen Türkis und es schäumt so wild, als hätte man eine Sprudeltablette ins Glas geworfen. Die Wellen knallen gegen die Felsen, überschwemmen sie teilweise und dann sieht es aus wie ganz viele kleine Wasserfälle, wenn sich das Wasser zurückzieht, um wieder aufs Neue zuzuschlagen.
„Man kann da bestimmt runter.“ Sage ich. „Schau mal, da hinten geht es etwas flacher zu.“ Das Felsgestein ist scharf und löchrig, doch, wie schon auf der anderen Seite, erstaunlich hart. Unterwegs entdeckten wir, dass all das um uns herum abgestorbene Korallenriffe sind – deshalb die ausgewaschene, löcherige Struktur.
„Das würde ich nicht machen.“ Sagt Stefan. „Das ist alles Muschelkalk, das kann brechen. Außerdem sind die Felsen sehr scharfkantig.“ Ich stehe auf, lege meine Kamera um die Schulter und setze einen Fuss vorwärts; dort, ein wenig weiter unten bildet das Gestein so etwas wie eine schützende Einbuchtung.
„Lass es.“ Höre ich hinter mir. Es ist die Sorge in seiner Stimme, die mich innehalten lässt. Ich weiß zwar, dass ich auf mich aufpassen würde, doch die Angst, mich da hinunter klettern zu sehen, will ich ihm nicht zumuten. Also bleibe ich in meiner Einbuchtung und setze mich hin.
Eine ganze Weile beobachten wir die tosenden Wellen. Das sind Dinge, von denen man sich bewusst losreißen muss, um weiter zu kommen, ansonsten bleibt man für immer fasziniert sitzen.
Als wir weiter fahren, wird die Landschaft immer bizarrer, die Gesteinsbrocken immer größer und dichter. Hier und da laufen ein paar Ziegen am Straßenrand entlang. Auch wilde Esel sind zu sehen – meistens sehen wir sie erst in letzter Sekunde, wie sie so grau in grau am Straßenrand im Gebüsch stehen und die Zweige abknabbern.
Hier in der Gegend wurde früher Kohle gefördert, deswegen sahen die Höhlen im Fels, die wir gesehen hatten, so schwarz aus. An den Hängen sind auch hin und wieder schwarze Steinbrocken zu sehen. Zwei Förderwaggons, abgestellt, vergessen und der Witterung ausgeliefert zeugen noch davon.
Fast unvermittelt taucht der See vor unseren Augen auf, als wir um die Kurve biegen. Wir halten an. Auf beiden Seiten ist Sperrgebiet: gelbe Wegmarkierungen zeigen an, dass man die Straße nicht verlassen darf. Ich laufe am Ufer des Sees entlang. Etwas Interessantes fällt mir ins Auge: kleine, grüne Steine.
Grün? Warum grün?
Wir fahren weiter am See entlang. Auch hier gibt es Flamingos zu sehen. Ohne Scheu kommen sie bis ganz ans Ufer vor. Ihre grazilen Hälse verschwinden mal für mal im Wasser und tauchen dann elegant wieder auf.
„Ob das ein Süßwassersee ist?“ Fragt Stefan.
„Nein, ist es nicht.“ Natürlich hatte ich, wie sollte es auch anders sein, bereits todesmutig das Wasser gekostet. „So viel Salz, dass dein Wochenbedarf gedeckt ist, wenn du allein schon die Zunge reinsteckst.“
Und der See ist p***warm, stelle ich fest, als ich mir nach dem Steinesammeln die Hände wasche (ja, ein paar der grünen Steine sind „durch Zufall“ in meiner Tasche gelandet, aber erzählt es nicht weiter 😉 )
Der Weg schlängelt sich durch die felsige Hügellandschaft und wird immer steiler. „Neunzehn Prozent Steigung?“ Stefan schaut entgeistert aufs Schild. Er schaltet das Auto in den ersten Gang und quält es so irgendwie nach oben.
Kurz darauf bringe ich ihn durch mein Rufen dazu, beinahe eine Vollbremsung auszuführen. „Leguane! Da sind Leguane!“
Vor uns – ein kleiner Parkplatz. Auf diesem stehen bereits zwei weitere Pick-up, deren Besitzer vornedran bereits begeistert Schinken an die Echsen verfüttern. Die Leguane, freilich nicht so groß wie der, den ich an den Höhlen gesehen hatte, stritten sich ums Futter. Es sind ein Männchen und zwei Weibchen, und sie kommen immer näher. Ich schnappe mir Stefans Kamera und springe aus dem Auto.
„Hallo!“ Zwischen zwei Schnappschüssen grüße ich schnell die Touristen und fotografiere weiter, denn Zeit ist Ge… ich meine: Leguan 🙂
Die Tiere kommen näher und näher und der Mann, der sie füttert, weicht immer weiter zurück. Ich halte drauf, fast die ganze Zeit über. „Schüchtern sind die aber nicht.“ Sagt einer der Männer.
„Da ist auch ein Baby!“ Ruft ein anderer. Da wuseln irgendwo noch Mini-Leguane herum, doch die interessieren mich nicht, ich will die großen – die Monster-Echsen!
„Ob die springen können?“ Fragt sich laut der Tourist mit dem Schinken in der Hand und weicht zurück. Die zwei waren dem Akzent nach irgendwo aus Bayern oder aus Österreich, das hatte Stefan festgestellt (ich kann mir immer noch keine Dialekte merken, daran hatte sich immer noch nicht geändert 🙂 )
„Ich springe schneller!“ Antworte ich. Doch ich bleibe, wo ich bin, und das aus zweierlei Gründen: Die Tiere kommen näher, doch nicht in meine Richtung – sie folgen dem, der ihnen das Futter gibt. Und zweitens: Zähne sehe ich an ihnen keine – nur die roten Zungen lecken sich gierig die schuppigen Echsenmünder ab. Trotzdem halte ich es für sinnvoll, alle drei Exemplare nicht aus den Augen zu lassen.
Stefan steht mit seinem Handy neben uns und amüsiert sich prächtig.
„So, Schatz, ich bin glücklich; magst du deine Kamera wieder haben?“
„Schon gut!“ Lacht er.
Der Tourist mit dem Futter hat jetzt ein Problem. Er hat kein Futter mehr… doch das wissen die Tiere nicht, oder besser: sie lassen sich so schnell nicht davon überzeugen – und folgen ihm auf Schritt und Tritt. Er steht mit ausgebreiteten Armen da:
„Ich habe nichts mehr!“ Und die Echse denkt wohl: Überzeug mich! – und kommt noch ein bisschen näher.
Nun ist es aber so, dass die beiden Herren gerne wieder weiterfahren würden, doch die ganze Szene spielt sich genau hinter ihrem Pick-up ab. Nach vorne hin geht es nicht raus. Die Tiere hatten sie praktisch „eingeparkt.“
Ich gehe mit Stefan zum Auto und winke den beiden zu. „Viel Glück!“
„Danke!“ Antwortet der jüngere der beiden. Er beäugt die Echsen und sie äugen zurück. Glücklich sieht er nicht aus.