Bonaire, Südamerika

Indians of the caribic

Bonaire, September 2016

Mit dem Kanu durch die Mangrovenwälder

Mehr oder weniger leise bewegen wir unsere Boote über das Wasser durch die verschlungenen Pfade. Wir durchqueren ein Geflecht aus Blättern und Wurzeln, die um uns herum einen Tunnel bilden. Ein Kanu nach dem anderen gleiten wir dahin, eine leichte Berührung des Paddels reicht aus und wir werden vorwärts getrieben. Wir fahren durch das Wurzelgeflecht der Mangrovenbäume; wie in einem Urwald türmt sich die Pflanzenwelt über uns und die Sonne sendet Strahlen ihres diffusen Lichtes durch das verschlungene Blätterdach. An tiefsten Urwald erinnern auch die Geräusche; laute, seltsame Rufe irgendwo aus dem Dickicht, die wir nicht zuordnen können. Ob es hier auch kleinere Haie gibt?

„Wenn ihr einen schwarzen Schatten an euch vorbei huschen sieht…“

„Wenn ihr einen schwarzen Schatten an euch vorbei huschen sieht…“ Sagte Janet, „dann gebt acht.“ Wir beobachten kleinere Fischschwärme, die unter und an unserem Kanu vorbeiziehen und versuchen, uns so leise wie möglich zu verhalten. Zwischen den Mangrovenwurzeln verbergen sich im Halbschatten wesentlich größere Fische. Da, wo die Sonne mit ihren warmen Strahlen die Wasseroberfläche trifft, schimmert sie grünlich; das Licht erleuchtet den sandigen Boden. Es riecht modrig, nach Wasser, Salz und Wald, nach Schlamm und den Fischen. An manchen Stellen wachsen Muscheln an den Baumwurzeln, ganz so, als hätten sie sich dazwischen geschoben und wären dort kleben geblieben.

Stefan sitzt im Kanu hinter mir. Immer wieder zeigen wir uns gegenseitig Fischschwärme oder eine interessante Unterwasserwelt, die an uns vorbei zieht. „Ihr werdet große und kleine Fische sehen, verschiedene Fischarten, die sich gegenseitig als Futter dienen, Korallen und Schwämme, manchmal auch kleinere Quallen.“ Manche der Wurzeln strecken sich von oben aus dem Geflecht wie Finger nach uns aus. Mit dem Kanu durch solch einen Urwald – wir fühlen uns wie in den Abenteuern von Indiana Jones.

Vom ersten Moment an sind wir verzaubert; bereits als wir mit den Booten in die Wälder glitten, waren wir verloren.

Wir hatten die Kanu-Tour mit anschließendem Schnorcheln in einem der Naturschutzgebiete von Bonaire gebucht. In diese Gebiete (es waren übrigens dieselben, die ich von der Lagune aus schwimmend zu erreichen versucht hatte) durfte man alleine nicht hin; Janet, unser Guide, erklärte uns, wie das Ökosystem dort funktionierte. Die Tour begann um halb neun Uhr morgens, doch da wir hier (nicht zuletzt dank der Zeitverschiebung) sowieso immer etwas früher aufstehen, stellte es keinen Problem dar.

Das Mangroven-Center war der Organisator der Führung und gleichzeitig der Treffpunkt für unsere Tour. Morgens, auf dem Weg dorthin, sahen wir wieder die Flamingos, wie sie, ungerührt, grazil an derselben Stelle standen wie beim letzten Mal, als wären sie nie weggewesen.

Wir sind die ersten am Treffpunkt; die anderen trudeln nach und nach ein. Ich bin nervös zu Beginn der Tour. Was darf man mitnehmen? Was nicht? Zieht man sich vorher schon aus?

Doch Janet meistert alles sehr souverän. Sie gibt acht auf jeden von uns und ihr freundliches, liebenswürdiges Gesicht lässt zu keinem Zeitpunkt eine Spur von Irritation oder Ungeduld erkennen.

Nach einer allgemeinen Einführung bekommen wir Paddeln ausgehändigt und gehen zu den Kanus. „Seitlich ganz locker hineinsetzen.“ Erklärt Janet. „so als wäret ihr zu Hause auf dem Sofa; dann zack…“ Hier dreht sie sich mit einem geschickten Schwung „und schon seid ihr drin.“ Das klappt bei allen verhältnismäßig gut – danach folgen wir Janet durch das lichtdurchflutete Dickicht des Mangrovenwaldes.

Nachdem wir diesen durchquert und an eine größere, freie Fläche kommen, sammeln wir uns. Janet erklärt uns die verschiedenen Reifestadien der Mangrovenpflanzen: Blüte, Knospe und Frucht gehen von Boot zu Boot und von Hand zur Hand. Dann geht es weiter in den nächsten Tunnel. Stefan paddelt begeistert hinter mir her. Wir sind uns beide einig, dass die Tour eindeutig eines der Höhepunkte der ganzen Reise darstellen wird.

Nach dem zweiten Tunnelsystem erwartet uns eine große, offene Fläche, und in der Ferne sehen wir die babyblauen Gewässer der flachen, warmen Lagune des Lac Bay.

Doch die Lagune ist noch nicht unser Ziel. Dieses befindet sich in einem weiteren Abschnitt des Mangrovenwaldes, auf einer relativ freien Fläche, wo alle Kanus (wir waren an die fünf-sechs Boote) Platz zum Anlegen hatten. Janet bringt uns an eine flache, sandige Stelle, wo man gut stehen kann, und erklärt uns jetzt, wie man am besten (und elegantesten) aus dem Boot steigt. Was einem Mittfünfziger so gar nicht gelingen will: er fällt mit großem Geplantsche kopfüber aus dem Kanu. Wir (die Anwesenden) versuchen, keine Miene zu verziehen.

Zuerst gleite ich aus dem Boot (geschafft… nicht ins Wasser gefallen… Kanu nicht zum Kentern gebracht… guuut), danach kommt Stefan an die Reihe, doch auch dies geht zwar mit etwas mehr Geschaukel, doch ansonsten glatt vonstatten. Janet macht die Kanus fest, gibt uns noch einige Anweisungen mit aus den Weg und danach ist jeder sein eigener Herr und darf auf eigene Faust schnorchelnd die Wälder erkunden. Wir ziehen beide unsere Schnorchelmasken an und begeben uns unter Wasser, zurück in die engen Gänge des Wurzelgeflechts hinein.

Ein unglaublicher Reichtum an Fischen tut sich vor unseren Augen auf. Das grüne, trübe Wasser durchscheinen Sonnenstrahlen und um uns herum schwimmen die Fische wie Wesen von einem anderen Planeten. Links und rechts die tief ragenden Wurzeln wie die Säulen eines vergessenen Unterwasser-Tempels. Kleinere Fischschwärme sind um uns herum zu sehen und die größeren kommen seitlich an uns vorbei und machen Jagd auf die kleinen. Und die ganz großen, die richtig großen Fische harren fast unbeweglich und beinahe unbemerkt im Schatten aus, in Schutze der vielen Wurzeln.

Wir lassen den engen, düster-schattigen Gang hinter uns und kommen an eine weitläufige, sonnendurchflutete „Wiese“, mit relativ flachem, sandigen Boden, winzig kleinen Fischlein und viel Seegras.

„Ihr könnt dorthin schwimmen – oder wieder den Gang entlang zurück.“ Erklärt Janet. „Versucht aber nur eure Hände zum Fortbewegen zu benutzen, das wirbelt weniger Sand vom Boden auf.“

Stefan will auf die „Wiese“. Also paddle ich hinterher. Mir schwankt nichts gutes, hatte ich ja bereits in der Lagune so meine Erfahrungen gemacht mit allem, was da in der Meerespflanzenwelt keucht und fleucht…

Während wir uns schnorchelnd vorwärts bewegen, sehe ich etwas dort am Boden des Gewässers; eine Qualle, unten am Boden (ich denke, dass es eine war…?), ein rundes, weiches, lebendiges, rhythmisch pulsierendes Gebilde. Kleinere Fische kreisen um sie herum. Und noch etwas seltsameres mit gelben, weichen und biegsamen Tentakeln sitzt da am Boden fest und versucht, sich alles zu greifen, was in seine Nähe kommt… in dem Moment bin ich schon ganz froh darüber, einen Meter siebzig groß zu sein…

Eine Zeitlang paddelt Stefan begeistert vor mir her; doch schon bald merke ich, wie wir uns immer tiefer ins flache Seegras hinein manövriert hatten und mit unseren Bäuchen über die Pflanzen streifen. Ich spüre wieder das bekannte Brennen vom Vortag – und Stefan ergeht es anscheinend nicht besser, denn wir drehen wie ein Mann fast gleichzeitig wieder um und treten den Rückzug an.

Bei Janet angekommen kommen wir prustend aus dem Wasser. Sie beobachtet uns amüsiert, während sich Stefan am ganzen Körper kratzt. „Das juckt wie Hölle.“

„Das ist Seegras.“ Erklärt sie uns. „Seegras brennt auch, wenn man es anlangt, aber das geht schnell wieder weg. Es ist heute nicht dein Tag, was?“ Sie schaut Stefan bedauernd an. Wir entschieden uns nun doch, die andere Richtung zu nehmen und wieder den „Wurzel-Korridor“ zurück zu schwimmen.

Doch als wir diesmal wieder eintauchen, ist irgend etwas anders. Ich meine – die Fische sind noch da, alles schön und gut, aber… es geht keinen Meter vorwärts! Es herrscht da unten eine dermaßen starke Strömung; es kommt uns nun vor, als plantschen wir auf der Stelle herum. Nur langsam und mit einiger Anstrengung kommen wir Stück für Stück nach vorne. Immer wieder hebe ich den Kopf aus dem Wasser, um zu sehen, wo Stefan gerade ist. In diesem Moment taucht er gerade unter einem tiefliegenden Ast hindurch, auf dem ein kleiner, exotischer Vogel sitzt. Oh Stefan, wenn du nur sehen könntest, was da so nah über deinem Kopf ist… Doch der Vogel hat keine Angst vor uns, noch nicht einmal Bedenken: er regt sich gar nicht da auf seinem Ast. Wahrscheinlich hält er uns für eine Art größere Fische…

Als wir wieder bei den Kanus ankommen, ist es gleichzeitig der Auftakt für das Ende unserer Tour. Janet macht die Kanus los und wir paddeln zurück durch den verwunschenen Mangrovenwald, so schön, voller Licht und Schatten, wie eine andere; eine Zauberwelt.

Sehr souverän führte Janet die Tour an

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
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