Aruba, Mai 2016
Es gibt Momente, in denen Raum und Zeit sich verdichten und Sekunden zu Minuten, Minuten zu Stunden werden in einer so quälenden Langsamkeit, dass man jeden Blick in Richtung Uhr scheut.
So ist es auch, wenn man den letzten Arbeitstag hinter sich bringt und den Traumurlaub ansteuert. Die Motivation ist auf dem Tiefpunkt, die Stunden dauern ewig. Jede Bewegung des Zeigers scheint sich in Slowmotion abzuspielen. Man geht im Kopf bereits seine Reisetasche durch, das Kribbeln unter dem Hintern ist schier unerträglich.
Und wenn die Uhr dann wirklich geschlagen hat, ist man fast schon überrascht, dass dieser Tag doch noch sein Ende gefunden hat. So wie heute… am Tag vor Aruba.
Countdown läuft
So, die Tasche ist gepackt. Das hat schon einige Zeit in Anspruch genommen, und es hatte rein gaaar nichts damit zu tun, dass jedes Kleid nochmal einzeln anprobiert werden musste ?
Mein Motorrad haben wir auch schon abgeholt. Maja, die Hornet, musste die Woche über in die Werkstatt, da sie vorne einen platten Reifen hatte – eine Schraube hat sich reingebohrt. Dabei wurden die Reifen im Herbst erst gewechselt, aber na ja… man hat ja sonst nix zu tun…
Wie alles begann…
Ursprünglich hätten es die polnischen Masuren werden sollen. Doch das ist mir zu unspektakulär (…schon wieder Europa…? wir sind doch schon letztes Jahr zweimal an die Nordsee gegondelt…) also schlage ich Sizilien vor. Jaaa, okay, es ist auch Europa… aber wenigstens etwas wärmere Gefilde. Und Sonne. Und Strand. Doch ich ahne noch nicht, wie warm es wirklich werden soll…
Samstag Abend. Stefan stöbert bei Urlaubsguru und liest mir Angebote vor, ich höre beiläufig hin. Doch eines lässt mich aufhorchen: Eine Woche Karibik für 600 Euro. Alles weitere interessiert mich ab dem Moment nicht mehr. Ich sitze aufrecht da wie ein Erdmännchen. Karibik, damit hat er meine volle Aufmerksamkeit. Ich will in die Karibik. Mai ist genau unsere Reisezeit. Doch Stefan bucht nicht gerne online… 🙁 „Ich möchte einen Menschen vor mir sitzen haben.“ Sagt er. Die im Reisebüro machen auch alles online, denke ich mir, nur dass sie die Tasten drücken, nicht du. Aber ich halte den Mund. Es ist noch zu früh, um zu maulen.
Na gut, ein bisschen maule ich doch noch. Karibik, Aruba, es wäre doch so toll… will hin… bääh…
Stefan schaut hoch, sieht mich kurz von der Seite an und fängt an zu buchen. So schnell geht das? Mir bleibt der Mund offen stehen. Überraschenderweise hat es gar nicht so viel gebraucht, um ihn zu überzeugen…
In mir brodelt bereits die Vorfreude, doch ich gebe keinen Mucks von mir, befürchte, die Sache doch noch zu verderben.
Irgendwann legt mir mein Freund ein paar Ausdrucke hin. Ich schaue scheinbar unbeteiligt hin. „Hast du gebucht?“ „Ja.“ Erst dann erlaube ich mir auszurasten und hüpfe durchs Wohnzimmer. Stefan schaut mir grinsend hinterher, wie immer die Beherrschung in Person.
Dann googeln wir Bilder. Und wie es aussieht, hatten wir uns direkt ins Paradies gebucht. Die Strände sind weiß wie Schnee, das Wasser seicht und türkisblau, ein Südseetraum, auf den Monitor gebannt. Selbst Herr-Ernsthaftigkeit macht einen kleinen Hüpfer auf seinem Sessel. „Wie gut, dass ich dich gezwungen habe.“ Sagte ich und umarmte ihn. So sehr zwingen musste ich ihn gar nicht.
Vor lauter Vorfreude erschöpft schlafe ich auf der Couch ein und träume von blauen Wasser und ewig langen, weißen Stränden.
Ein paar Tage später…
Aruba rückt immer näher… und die Vorfreude wächst. Was nehme ich mit? Was ziehe ich an? Reicht nur ein Bikini? Oder zwei? Oder für jeden Tag einen? Speicherkarten freimachen nicht vergessen…
Nach dem ganzen Stress im Job und den Umwälzungen haben wir uns die Auszeit wirklich verdient. Am liebsten würde ich mich, dort erstmal angekommen, unter einer Palme verstecken, und den Rückflug einfach ignorieren…
Die Welt sehen… yeah… das wär`s…
Und während Stefan schon googelt und recherchiert, überlasse ich mich dem Träumen von den langen, weißen Stränden. Die Tage ziehen sich wie Kaugummi und es fühlt sich an wie ein Countdown, der immer runter zählt. Noch drei Wochen bis Aruba… noch zwei Wochen und drei Tage… Ja, und während mein Liebster Inhalte googelt, google ich Bilder…
Die Reise geht los…
Moin! Wir befinden uns gerade an einer Raststätte bei Hünxe hinter Duisburg, und nähern uns der deutsch-holländischen Grenze. Es kommt mir vor, als hätte ich eben erst die Augen zugemacht, dabei sind wir schon nachts um zwei gestartet. Stefan ist gefahren, und ich schlief auf dem Beifahrersitz, eingehüllt in eine warme Decke. Jetzt ist es sechs Uhr morgens, und gerade schweben zwei heiße Cappuccino zu mir ins Auto herein.
Es sind noch ca. 75 km bis Amsterdam. Unser Flug geht um 12:15 Uhr von Amsterdam Schiphol ab.
Gestern Nacht um zwei… oder nein, falsch… heute Morgen um zwei fahren wir los. Ich hatte bei mir zu Hause noch die restlichen Sachen gepackt, das eine oder andere von der Wäscheleine eingesammelt, was noch mit musste. Es hat gestern Nachmittag stark gewittert, und meine Lieblings-Jeans war noch klatschnass. Doch die musste mit, unbedingt. Und nein, eine andere hätte es nicht getan. Also stand ich eine Dreiviertelstunde da und bearbeitete sie liebevoll mit Bügeleisen und Heißfön.
Bei der Passkontrolle blieb mir dann kurz das Herz im Halse stecken.
„Darling, dein Pass ist auf einen anderen Namen ausgestellt…“ Sagt die Dame am Schalter.
Shit! Richtig. Im Pass steht noch mein Mädchenname. Stefan will neben mir etwas sagen, doch nach einem Blick von mir verstummt er und verzieht sich aus der Schusslinie. Ich stehe unter Strom. Zeige meinen Personalausweis vor, der sowohl meinen alten wie auch meinen neuen Namen enthält. Wird mir das hier gerade den Flug ins Paradies verhageln?
„Das gilt aber nicht für Aruba.“ Sagt die Mitarbeiterin. „Die Tickets müssen denselben Namen wie dein Pass tragen.“
Sie telefoniert, während es mich abwechselnd heiß und kalt überläuft. Irgendwann lächelt sie und sagt: „Ich habe dein Ticket auf deinen Mädchennamen geändert. Jetzt stimmt es überein. Guten Flug!“
Als alles vorbei ist, fing Stefan an zu scherzen, dass er mir aus Aruba eine Ansichtskarte schicken würde. Doch ich bin noch immer zu geschockt, um zu antworten. Nur langsam beruhigt sich mein Herz, hatte ich doch die Horrorvision vor Augen, diese Woche in trautem Mannheim verbringen zu müssen…
Der Flug dauert über zehn Stunden, mit Zwischenstopp auf Bonaire, einer der beiden anderen ABC-Inseln. Aufstehen und umgucken ist nicht – alle, die in Richtung Aruba wollen, werden gehießen, sitzen zu bleiben.
Stefan ist während des Fluges erstaunlich friedlich, was nicht zuletzt an Tavor liegt, mit dem ich ihn vor Flugbeginn ruhiggestellt habe. Wenn ich an die Erzählungen an seine sonstigen Panikattacken während des Fliegens denke, kann ich mir das jetzt, wenn ich ihn so friedlich dösen sehe, wahrlich nicht vorstellen.
Mitten in der Nacht kommen wir auf der Karibikinsel an. Warm gefönte Luft umgibt unsere Gesichter. Wir sind da, auf Aruba, der Insel unter Winden.