Amsterdam, Januar 2016
Der nächste Morgen, bin total erledigt…
…aufstehen? Neeein…
Du musst, du musst bis zehn Uhr auschecken, und auch das Frühstück gibt es nicht ewig…
Also quäle ich mich raus, und die Bedeutung des Wortes Wochenendleiche wird mir erst richtig bewusst.
Alle Betten sind schon leer. Die Dusche hilft ein wenig. Und nach dem Frühstück fühle ich mich fast schon wieder wie ein Mensch. Die Nacht ist gezeichnet von Albträumen in einer Endlosschleife. Gegen Morgen wache ich auf, weil mein Hals total trocken ist und brennt.
Doch sobald ich draußen bin, erwachen meine Lebensgeister. Wieder ein sonniger, ein knackig-kalter Morgen. Ich ziehe mir meine Kapuze tiefer ins Gesicht. Doch die Leute tragen teilweise nicht mal Mützen auf dem Kopf. Scheinbar hat man hier ein anderes Kälteempfinden, ich sehe Frauen, die feine Strumpfhosen tragen. Auch Motorradfahrer lassen sich den Spaß nicht nehmen, bei minus vier Grad ein paar Runden zu drehen.
Da, an der Ecke stehen zwei und unterhalten sich mit einer Autofahrerin. Sicher fragen sie sie nach dem Weg. Ein Foto. Der eine schaut in meine Richtung. Kamera wegstecken, weiterlaufen.
Doch als ich die Straße überquere und direkt an den beiden vorbeilaufen muss, ist etwas seltsam.
Shit! Es ist die Polizei.
Und die fragen bestimmt nicht nach dem Weg.
Schuldbewusst denke ich an das Tütchen in meiner Jackentasche. Ich werde es fertig rauchen müssen, oder irgend etwas damit machen. Ich überschlage meine Möglichkeiten. Stoff in der Tasche – im Bus- erwischt – vorbestraft… nicht gut. Arbeit als Pharmazeutin an den Hacken hängen… Halb so wild, dann werde ich eben Domina! (Mein Plan B, wenn alles schief läuft 😉 Männern den Hintern versohlen, das kann ich immer!) Vorbestraft wegen Drogenschmuggels. Aber dann… Pharmaziestudium bye bye… nicht gut. Gar nicht gut.
Also den Rest aufrauchen.
Aber zuerst kommt die Grachtenfahrt dran.
Die Grachtenfahrt
Die Grachtenfahrt dauert eine Stunde und führt durch die schönsten Bezirke der Stadt, während man über Kopfhörer der Stadtgeschichte lauscht. Ich stelle mir eine deutsche Übersetzung ein, das intuitive Verstehen von Sprachen hat sich seit gestern leider nicht mehr eingestellt.
Wir fahren am Haus der Anna Frank vorbei, die sich mit ihrer Familie in Amsterdam versteckt hielt, bevor sie von einem Nachbarn verraten und deportiert wurden. Auch das ehemalige Wohnhaus von Rembrandt passieren wir. Wir erfahren auch, dass die Stadt auf Moor erbaut wurde, deshalb stehen die Häuser auf Pfählen. Inzwischen werden Betonpfeiler verwendet, doch früher verwendete man Holz, das mit der Zeit vermoderte und nachgab. Viele Häuser weisen heute einen schiefen Stand auf.
Die Stadt hatte ihre Blütezeit im 17 Jh. Wir passierten einen Kirchenturm, der liebevoll „der verrückte Jakob“ genannt wurde. Und das hatte den Hintergrund, dass die Glocken in der Vergangenheit immer wieder „ausbrachen“, so dass sie zu den unterschiedlichsten Zeiten schlugen.
Nach der Grachtenfahrt begab ich mich auf die Suche nach einer Poststelle, um meine Karten abzuschicken. Dann fiel mir aber ein, dass ich ja noch nicht alle Karten fertig geschrieben habe… Also ein Cafe suchen.
Das Popeyes
Ich blieb in Popeye Coffeeshop hängen. Es ist urgemütlich, man kann oben sitzen, dh. im Verkaufsraum am Tresen, oder unten – ein paar Stufen runter in den bunt ausgemalten, spärlich beleuchteten Raum, dann Achtung… Kopf einziehen, und schon ist man da. Der Raum ist schummrig, verraucht, die Wände mit bunten indischen Motiven bemalt Alle Sitzgelegenheiten waren soweit belegt, aber an einem der Tische saß nur ein Mann.
Ich fragte, ob ich mich dazu setzen kann. Dann bestelle ich einen Cappuccino und krame mein Zeug raus. Mir fehlen Filter, also schnorre ich bei dem Typen welche. Er sitzt da, total tiefenentspannt, die Kapuze tief im Gesicht hängen. Ja, die Erfahrung mit der Kapuze habe ich auch gemacht – bekiffte wollen nicht, dass man ihnen ins Gesicht schaut.
Die Papers, die ich mir im Vorfeld gekauft habe (habe tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, das Zeug doch irgendwie rüber zu schaffen), waren zu nichts zu gebrauchen, also schnorre ich noch Papers. Der Typ fragt mich, ob ich allein hier in Amsterdam bin. Ansonsten sitzen wir da, total entspannt.
Irgendwann geht er. Jemand anders setzt sich dazu. Wieder entspanntes Sitzen. Ja, es ist gemütlich hier. Ich schreibe meine Karten fertig. Trinke Cappuccino, esse meinen Keks. Ja, hier bleibe ich. Die Bedienung ist nett, ich bekomme Tabak, obwohl ich mir mein weed selbst mitgebracht habe. Ich habe noch so viel Zeit, bis mein Bus abfährt, und viel habe ich heute nicht mehr vor. Jawohl, hier bleibe ich und räuchere mich ein.
Doch mein schöner Dämmerzustand wird jäh unterbrochen, als eine Gruppen von fünf Leuten hereinkommt und ich in die andere Ecke des Tisches umgesetzt werde, zwar auf eine sehr nette Art (It`s okay for you, Darling?), doch die gemütliche Stimmung von „Darling“ war dahin.
Also wieder raus auf die Straße. Uaah, Sonne… die Kapuze wird tiefer ins Gesicht gezogen. Es ist kurz nach drei.
Ich beschließe, in Richtung Busbahnhof zu marschieren. Irgendwann muss ich mich auch irgendwo hinsetzen und schreiben.
Es ist schon faszinierend, überlege ich unterwegs. Faszinierend… du kommst rein, egal in welchen Shop, setzt dich hin und kannst einfach in Ruhe rauchen, und keiner macht dir was. Selbst wenn du alleine als Frau da bist, jeder lässt dich in Ruhe, keiner stellt es infrage, dass du dort bist, alleine, die Leute sind total hilfsbereit und wundern sich nicht unnötig. Ich konnte einfach neben jemand x-beliebigen Platz nehmen, und entweder hilft derjenige mir dann drehen, oder ich kann Papers schnorren… Ich komme auf jeden Fall wieder. Eine entspannte, wundervolle Stadt. Mein Pfefferspray hätte ich überhaupt nicht gebraucht. Da hatte ich den Leuten hier aber sehr Unrecht getan.
Unterwegs fotografiere ich noch die Stadt. Bleibe an einer Brücke stehen und blicke genau in die untergehende Sonne. Wie schön das ist. Ich setze mich hin. Die Ruhe, die Kälte, die Möwen. Rauch, der aus dem kleinen Kamin eines der Boote kommt. Hin und wieder fährt ein Radfahrer vorbei. Ich kann nicht glauben, dass ich schon bald wieder in den Bus nach Hause steigen werde.
Aber jetzt ist erstmal der Sonnenuntergang dran.
Das restliche weed verschenkte ich übrigens an den Typen in Popeye`s. Ich glaube, er kann`s gebrauchen.
Der Sonnenuntergang
Ich habe mir einen schönen Platz gesucht und schaue mir den Sonnenuntergang über den Amsterdamer Grachten an. Ich sitze an einer wunderbaren Stelle, bewundere das Schauspiel. Über dem Wasser schwebt ein Dunst, erfüllt mit warmen, diffusem Licht. Boote spiegeln sich im Wasser. Sie sind bewohnt. Ich beobachte, wie ein junger Mann in so ein Boot hineingeht. Aus dem Kamin kommt Rauch, und in den kleinen Fenstern brennt Licht.
Es ist ein ruhiger, ein erfüllender Augenblick. Eine Entenformation durchschneidet das Wasser. Die Sonne sinkt tiefer, das Licht verändert sich. Über den Grachten kreisen Möwen. Manchmal fährt ein Radfahrer vorbei.
Ich friere nicht. Nichts kann das hier stören. Das – genau das hier – ist es. Bleib noch sitzen. Morgen kommst du wieder zurück in deinen Alltag, kommst in die Arbeit und wirst so etwas wie das hier nicht mehr machen können. Bleib noch, es geht schon noch schnell genug vorbei.
Wenn man einen Augenblick anhalten könnte, dann dürfte es sehr gerne dieser hier sein.
Bei der Grachtenführung hat man uns erzählt, dass es in Amsterdam einmal einen city-swimm-run gibt, und dass sogar Königin Beatrix schon daran teilgenommen hat.
Ich frage mich, ob die Königin an solchen Tagen an den Grachten spazieren geht.
Meine letzte Vorstellung ist die, wie Königin Beatrix, die mir die Hand schüttelt. Und mit diesem Fantasiebild vor Augen stehe ich auf und entferne mich in Richtung Sloterdijk.
Fazit:
Amsterdam wird häufig als das „Venedig des Nordens“ bezeichnet.
Beide Städte sind umgeben von Wasser, damit hören die Ähnlichkeiten aber auch schon auf.
Während Venedig eher an ein Freiluftmuseum erinnert, ist Amsterdam authentisch, lebendig, offen, hip… mit einem ganz eigenem, kühlen Charme. Eine wunderbare Stadt.