Silvester in Reykjavik: schon am Morgen startet der Silvesterlauf in Verkleidung, abends gibt es große Lagerfeuer und das Feuerwerk danach hat es in sich…
In Island gibt es viele Legenden und Bräuche, die mir bisher unbekannt waren. Da das Land ziemlich ab vom Schuss gelegen ist und lange Zeit recht abgeschieden war, hat sich vieles davon bis heute erhalten und die Einflüsse der restlichen Welt halten nur langsam Einzug auf die raue Insel. Auch einen nennenswerten Tourismus gibt es in Island so gesehen erst seit etwa zehn Jahren.
So kommt es auch, dass Weihnachtsmärkte in der Adventszeit zwar vorhanden, aber doch sehr anders und bei weitem nicht so umfangreich sind wie bei uns. Auch der Silvestertag und -abend hat seine eigenen, besonderen Traditionen. Wie ich in Island ins Neue Jahr gekommen bin? Das kannst du hier nachlesen ?
Dem Neuen Jahr entgegen laufen – Der IR’s New Years Eve Run
Die Isländer sind zum großen Teil ein sportbegeistertes Volk. Und sie schlürfen nicht gemütlich mit Wollsocken und Mütze ins Neue Jahr hinein, nein, sie rennen. Mit all der Begeisterung, die man bei kaltem und ungemütlichen Wetter aufbringen kann. Jedes Jahr am Vormittag des Silvestertages gibt es den traditionellen New Years Eve Run, der pünktlich um zwölf Uhr startet. Mit diesem zehn Kilometer langem Lauf wird der Start ins Neue Jahr gefeiert.
Das Event ist mit rund 2000 Teilnehmern einer der größten isländischen Laufveranstaltungen und für alle Altersgruppen geeignet. Die Tradition der Silvesterläufe ist kein eigens isländischer Brauch, sondern zieht sich wie ein rotes Band rund um den Globus. Es gibt Silvesterläufe überall auf der Welt, doch in Reykjavik gibt es dabei eine Besonderheit: viele Teilnehmer sind verkleidet und tragen abgefahrene Kostüme und so, kostümiert und in großartiger Laune rennen sie dem Neuen Jahr entgegen.
Und das will ich mir nicht entgehen lassen.
Das Neue Jahr beginnt regnerisch. Nachdem ich mich am frühen Morgen ab acht Uhr schwimmend an der allgemeinen Sportbegeisterung beteiligt habe, mache ich mich nun auf zur Harpa Konzerthalle, wo der Lauf um Punkt zwölf beginnen sollte. Unterwegs versuche ich noch, ein Essen abzugreifen, was nicht so einfach ist angesichts dessen, dass viele Lokale erst ab Mittag öffnen. Schließlich schnappe ich mir bei meinem Lieblingsbäcker eines der sagenhaften Pastries, die auf der Zunge zergehen, und gehe weiter, um pünktlich zum Beginn des Ereignisses vor Ort zu sein.
Einige Menschen sind bereits an diesem Morgen in der Stadt unterwegs, erledigen die letzten Einkäufe, ehe die Läden dicht machen und man nichts mehr bekommt. Einige müssen wohl auch arbeiten, wie bei uns auch. Es ist inzwischen hell geworden, doch ein feiner Nieselregen ergießt sich weiterhin vom Himmel, mal stärker und mal schwächer. Der Himmel selbst ist bedeckt und trotz des aufkommenden Tageslichts (das ja in Island zu der Jahreszeit so eine Sache für sich ist…) leuchtet weiterhin die Straßenbeleuchtung. Speziell bei einem solchen Wetter wirken die Tage wie eine einzige Blaue Stunde, die niemals endet. Trüb, energieraubend, kalt. Da habt ihr euch ja das perfekte Wetter für euren Lauf ausgesucht, denke ich mir und rechne in diesem Jahr für den New Years Run mit nicht wirklich viel Aufkommen.
Ich bin dick eingemümmelt in meine Mütze, meinen Wollschal und unter der Kapuze sieht die Welt für mich gar nicht mehr so kalt aus. Die Reste des süßen Gebäcks verschwinden klebrig in meinem Mund. Langsam nähere ich mich der Harper Konzerthalle. Hier beginnen die Menschen bereits, zusammen zu kommen. Schon von weitem dringt zu mir laute Musik, die aus den Boxen kommt und Energie, Sportsgeist und Begeisterung vermittelt.
Und ich sehe, wie sehr ich mich geirrt habe, denn vor und speziell in der Konzerthalle selbst ist es voll und es kommen immer neue Läufer dazu. Der laute Beat aus den Boxen lässt keine Müdigkeit oder schlechte Laune aufkommen und der Isländer wäre kein Isländer, würde er sich groß von schlechtem Wetter beeindrucken lassen – das hätte ich besser wissen sollen. Die Menschen lachen, sie wärmen sich auf oder schwätzen miteinander, es treffen sich Freunde und Teams, Erinnerungsfotos werden geschossen.
Und fast alle Läufer tragen fancy Kostüme, seien es Schneemänner aus „Die Eiskönigin“, Spiderman, die Schlümpfe oder einfach ganz undefinierbare, abgefahrene Sachen. Ich stehe inmitten von all dem Trubel und spüre, wie sich die Begeisterung auf mich überträgt. Also, ihr seid schon ein bisschen verrückt, würde ich den Menschen am liebsten zurufen – ein kleines bisschen nur, aber das ist okay. Ich liebe eure Verrücktheit, ich liebe eure Kostüme und eure Begeisterung. Die Stimmung ist großartig.
Auf einer kleinen Bühne steht eine Animateurin, die zum Aufwärmen drängt. Rund um die Bühne versammelt sich nun eine kleine Gruppe verkleideter Läufer und beginnt, sich aufzuwärmen. Das sieht schon skurril aus. Ich drücke mich an die Glaswand der Halle, spähe ab und zu nach drinnen, wo es gestopfte voll ist und von verkleideten Läufern nur so wimmelt. Die Halle ist der Treffpunkt der Läufer, hier kann man sich umziehen oder eine Kleinigkeit trinken oder auch im Warmen abwarten, bis der Lauf startet – nicht dass hier irgend jemandem die Kälte etwas ausgemacht hätte.
Der Zeiger rückt immer näher an die zwölf heran. Und irgendwann ist es so, als hätte jemand ein unsichtbares Zeichen gegeben – so ab zehn vor zwölf beginnen die Läufer, sich zur Startlinie zu begeben. Ich habe noch das Glück, im letzten Moment ein Foto von einer „Kiss-Band“ zu ergattern – das musste einfach sein, die Kostüme der Frauengruppe sind großartig.
Nun werden auch die letzten aufgerufen, sich zur Startlinie zu begeben. Schlagartig leert sich die Halle. Es sind bereits Straßen abgesperrt worden und die Startbahn markiert und Polizeifahrzeuge begleiten den Lauf und fahren vorneweg. Noch nicht, natürlich. Noch wartet alles auf den Startschuss.
Die Läufer sind in Startposition und am Straßenrand haben sich bereits ein paar Touristen mit ihren Kameras positioniert, doch es sind nur wenige, der isländische Silvesterlauf scheint vielen noch ein Geheimtipp zu sein.
Der Countdown läuft, eine Stimme aus dem Lautsprecher zählt herunter. Acht… fünf… drei… eins… und los! Der Schuss fällt und sie laufen los. Unzählige bunte Verkleidungen ziehen sportlich an mir vorbei, die Zuschauer jubeln mit. Was für eine Art, ins Neue Jahr zu gehen!
Als die Läufer vorbei gezogen sind, zerstreuen sich langsam die wenigen Zuschauer. Vor der Halle ist es nun leer, die Startmarkierung wird wieder abgeräumt. Ich schlendere langsam wieder ins Zentrum von Reykjavik zurück, wo ich später in einem Lokal die besten Fish & Chips meines Lebens esse und über den Lauf sinniere.
Also, leicht irre sind die Isländer schon, denke ich mir mit einem kleinen Grinsen im Gesicht – leicht irre, aber auf eine gute Weise. Und ich beginne, den zartesten Fisch meines Lebens kauend, die Vorzüge eines solchen Starts ins Neujahr zu sehen.
Zum einem ist da der Ehrgeiz. Der bestandene Lauf hilft dabei, feste Ziele zu setzen und stärkt das Vertrauen in sich, sie auch zu erreichen. Es ist eine Challenge, die auf viele weitere Herausforderungen vorbereitet, die das Leben stellt und die gemeistert werden wollen. Der Läufer weiß – ich habe den Lauf absolviert, alles andere schaffe ich auch noch.
Dann ist da die Gemeinschaft.
Man trifft Freunde, Bekannte, Gleichgesinnte, die genauso verrückt und begeistert sind wie man selbst. Die Stimmung ist großartig. Und bei allem Ehrgeiz und Zielsetzung erinnern die bunten, ausgefallenen Kostüme daran, das Leben nicht zu verbissen zu sehen und niemals den Humor und den Spaß an der Sache zu verlieren. Wie ich finde, ist es die perfekte Mischung, um das Neue Jahr anzugehen.
Der Lauf dauert etwa bis 13:30 Uhr. Danach versammeln sich die verschwitzten, glücklichen Teilnehmer wieder an der Harper Halle, um drinnen voller Glück und Endorphine die anschließende Party zu feiern. Die überlasse ich ihnen, da muss ich nicht dabei sein. Ich bezahle den Fisch und die Chips und schlendere zurück zum Hostel.
Die Áramótabrenna – Reykjaviks Silvesterlagerfeuer
Eine weitere, schöne Tradition am Vorabend des Neuen Jahres sind die großen Feuer, die überall in der Stadt an den Stränden von Reykjavik entzündet werden. Egal bei welchem Wetter, es wird gemütlich und warm und die Menschen rücken näher zusammen, lassen das Jahr Revue passieren.
Und so habe ich in diesem Jahr die Aramotabrenna in Reykjavik erlebt:
Gegen Nachmittag nach dem Silvesterlauf wird es ruhig in der Stadt. Die Menschen erledigen letzte Einkäufe und ich nutze die Zeit, um im Hostel ein kleines Schläfchen zu halten. Heute, in der Silvesternacht, werde ich kein Auge zutun, denn es ist gleichzeitig die Nacht – oder der Morgen – meiner Abreise. Momentan nieselt es vor sich hin und draußen gibt es nicht viel zu holen. Kasia macht ein stärkendes Nickerchen.
Gegen acht verlasse ich äußerst schlecht gelaunt das Hostel. Bei meinem Transfer zurück zum Flughafen hatte sich ein Fehler eingeschlichen und es wurde ein falscher Abholort ins System eingegeben. Der Anbieter ist trotz eines 24h Services nicht erreichbar und ich weiß nicht wirklich, wo ich mich heute Nacht um vier einfinden soll. So laufe ich vor mich hin durch die dunklen Straßen auf der Suche nach den großen Silvesterfeuern, den Aramotabrenna, die an mehreren Stellen an den Küsten Reykjaviks entzündet werden.
Dabei bewundere ich die vielen, festlichen Dekorationen, die Lämpchen und Lichter, mit denen die Häuser, Bäume und Zäune geschmückt sind. Zumindest regnet es nicht, denke ich mir und schaue hoffnungsvoll zum Himmel hinauf. Wie auf Kommando beginnt es einen Augenblick später zu nieseln. Ist das euer Ernst?
Ich gebe es auf, mich selbst moralisch aufzubauen. Da gibt es jetzt nichts mehr schön zu reden, es ist Silvesterabend und ich laufe alleine draußen im Regen die dunklen Straßen und glaube, die isländischen Elfen mögen mich gerade nicht besonders. Was habe ich mir nur dabei gedacht. Ja, es gibt sie, diese Augenblicke, in denen ich als Alleinreisende für einen kurzen Moment alles infrage stelle und mich frage, was das ganze eigentlich soll. Ich hätte diese Zeit in den Armen meines Liebsten verbringen können, der gerade auf Föhr herumgondelt. Aber Föhr? Neee… All die Erlebnisse verpassen, die ich hier hatte? Dann doch lieber Island.
Doch schnell lenken andere Dinge meine Aufmerksamkeit von den kleinen Problemchen ab. Ich bin fatalistisch und wenn alles gerade so richtig schlecht für mich läuft, dann ist es der perfekte Moment, um sich zu entspannen, denn dann kann es ja nur besser werden.
Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her… Und hier kommt es tatsächlich, und zwar in Form kleiner, brennender Kerzen, die vor vielen Türen stehen und in die Nacht hinein leuchten und deren Bedeutung mir zu diesem Zeitpunkt noch verborgen ist. Doch die Silvesternacht in Island ist magisch und da geschehen viele Wunder. Habe ich mir sagen lassen.
Die Aramotabrenna sind an gleich mehreren Orten in Reykjavik zu finden; gleich neun solcher Feuer werden in diesem Jahr entzündet. Unter folgendem Link findest du eine Karte mit den aktuellen Standorten der jährlichen Aramotabrenna, so dass sich bestimmt auch eines in deiner Nähe finden lässt.
Von meinem Hostel aus befindet sich die nächstgelegene Feuerstelle an der Aegissida Straße, südwestlich von der Altstadt. Lange Zeit gehe ich alleine durch die leeren, dunklen Straßen. Immer wieder werden Feuerwerke entzündet, lange vor der eigentlichen Zeit.
Das geht schon seit mindestens drei Tagen so, immer wieder hört man Feuerwerkskörper in der ganzen Stadt. Ansonsten liegen die nassen Straßen still und glänzend vor mir da und die ganze Stadt leuchte festlich in der Dunkelheit der Nacht.
Doch je näher ich meinem Ziel komme, umso mehr Menschen finden sich um mich herum ein. Wenn du auf der Suche nach einem Ort, einem Event bist und nicht genau weißt, wo es stattfindet, merkst du trotzdem sehr schnell, ob du richtig bist. Wie Geister, wie ferngesteuerter Zombies schälen sich immer weitere Gestalten aus dem Dunkel ins Licht der Straßenlaternen und gehen langsam, in einstimmigem Schweigen, in die gleiche Richtung wie ich.
Schließlich, an einer Abzweigung zweier Straßen, gibt es nur diese eine Option: von links peitscht der Wind den Regen heran und da, auf der rechten Seite, leuchten schon die Blaulichter der Feuerwehrautos. Genau dorthin wendet sich nun die stille Menschenmenge.
Als ich vor Ort ankomme, merke ich, dass ich keineswegs zu spät bin, denn der große, aus Sperrmüll errichtete Scheiterhaufen ist noch nicht entzündet. Da es auf Island kaum Bäume gibt (sprich, Pflanzen, die die Bezeichnung Baum verdienen…) und Holz entsprechend teuer ist, werden für die Feuer ausrangierte Sperrmüll-Stücke verwendet, die, wie es scheint, eigens für diesen Anlass das ganze Jahr über gesammelt und aufgehoben werden. Es ist die perfekte Entsorgung, das schöne, jährliche Feuerchen. Warum gutes Holz verschwenden.
Ich bin nicht zu spät, doch auch keineswegs zu früh; ich komme gerade zur rechten Zeit, denn immer mehr Menschen strömen im Regen zu dem Holzhaufen und platzieren sich in einem weiten Bogen um ihn herum. Das Ganze hat schon etwas von einer Prozession, von einer stillen Urteilssprechung, die Kapuzen auf den Köpfen der Leute und die im Schatten liegenden Gesichter vervollständigen noch das Bild. Alles wartet schweigend darauf, was als nächstes passiert. Doch es ist eine freudige Erwartung. Die Gesichter der Kinder glühen vor Anspannung. Es ist gleich halb neun am Abend.
Die Feuerwehr entzündet den Haufen Holz und als der erste Funke glüht, löst sich die Anspannung. Die Menschen kommen enger um das Feuer herum, es wird applaudiert und der Begeisterung kundgetan. Das Lagerfeuer brennt.
Doch damit ist die Arbeit für die Feuerwehrmänner noch lange nicht getan, ganz im Gegenteil. Der Holzhaufen ist vom Regen durchweicht. Gerade jetzt setzen die Männer alles daran, um das kleine Feuerchen, das in dem nassen Haufen brennt, am Leben zu erhalten. Doch das stellt sich als gar nicht so einfach heraus. Immer wieder wird Brennstoff (Benzin? Ich habe keine Ahnung, ich bin Laie…) in und neben das Feuer geschüttet und das Holz von anderen Seiten angezündet.
Doch zunächst will das Feuer gar nicht richtig übergreifen. Und wie überall auf der Welt, so wissen auch hier viele der Umherstehenden, woran das liegen oder nicht liegen könnte. Es wird viel kommentiert und die englisch- und polnischsprachigen Bemerkungen kann ich zumindest verstehen.
Doch schließlich ist der Bahn gebrochen und die Flammen schießen nach oben und übernehmen die Mitte. Jetzt brennt der Holzhaufen lichterloh. Der Geruch nach Holzofengrill weht mit den Flammen zu uns herüber.
Die Menschen freuen sich. Sofort verändert sich die Stimmung und so etwas wie Feierlaune kommt auf. Das heiße Feuer wärmt die Gesichter und hält, zumindest von einer Seite, die Kälte und den Regen fern, der sich seitlich heranzupirschen versucht. Die Witterung auf Island ist rau und ich sehe immer wieder mit Begeisterung, wie sehr die Menschen hier drauf pfeifen.
Der Rauch zieht leider in Richtung Stadt, doch das schmälert die Begeisterung nicht. Kerzen und künstliche Feuer werden entzündet, viele der Teilnehmer holen vorher eingekauftes Bier aus den Taschen. Ganze Familien machen Selfies oder lassen sich zusammen am Lagerfeuer fotografieren. Das ist einer der Augenblicke, in denen ich, ungeachtet der ganzen Sache mit dem alleine Reisen, doch jemanden an meiner Seite gehabt hätte. Ich frage ein hinter mir stehendes polnisches Paar, das mit zwei kleinen Kindern da ist, nach einem Foto.
Der Regen hört nicht auf und trotz der Hitze an meinem Gesicht spüre ich, wie meine Jacke langsam durchweicht. Das Wetter ist so unberechenbar hier. Erst klarer Himmel, dann ganz feine Regenschwaden, die von der Seite ankommen, eine ganz feine Gicht, der man nicht entkommen kann. Ich versuche, etwas näher ans Feuer zu rücken. Es riecht nach brennendem Holz und Rauch. Schwarze Rauchwolken stöbern in den Himmel und heiß glühende Funken tanzen in den rauchgrauen Himmel.
Viele der Menschen sind jetzt in Partylaune. Auch hier werden bereits Raketen entzündet, die die Nacht mit gleißendem Licht erhellen. Viele der jüngeren Leute tragen funky Kostüme (von heute Morgen?) und spitze Partyhüte. Irgendwie cool, denke ich mir; die wissen, wie man Spaß hat. Und trotz des Regens macht keiner Anstalten, zu gehen.
Bis circa zehn Uhr brennen offiziell die Feuer, doch einige der Leute beginnen bereits früher, sich zu entfernen, was sicher dem Regen geschuldet ist, denn Regenschirme haben nur die wenigsten dabei. Die Menschen gehen nun nach Hause, um sich einer weiteren, typisch isländischen Tradition zu widmen: der jährlich zum Jahresabschluss ausgestrahlten Sketch-Comedyshow.
Áramótaskaup, die jährliche Sketch- Comedyshow
Sie gehört in Island zum Jahresabschluss wie bei uns das obligatorische Glas Sekt. In der Sketch-Comedyshow, die seit 1966 jedes Jahr am Abend um 22:30 Uhr ausgestrahlt wird, werden die Höhepunkte und Schlagzeilen des Jahres auf die Schippe genommen und sie ist auch ein beliebtes Unterhaltungsthema auf den Partys, die die feierwütigen Isländer im Anschluss an das Feuerwerk besuchen. Leider ist es keine Tradition, an der man als Tourist einfach so teilnehmen kann, es sei denn, man versteht die Sprache. Trotzdem interessant zu wissen, dass es das gibt… ?
Das Feuerwerk in Reykjavik
Das Feuerwerk in Reykjavik hat es in sich. Bereits einige Tage vor Silvester beginnen schon die ersten, ihre Raketen abzufeuern und die Nacht zum Neuen Jahr ist lediglich der fulminante Höhepunkt. Isländer sind leidenschaftliche Fans der Feuerwerkskörper, im Schnitt geben sie jedes Jahr rund umgerechnet hundert Euro für das farbig leuchtende Spektakel aus. Eigentlich sind die Feuerwerke zum Jahresende eine recht junge Tradition, erst seit 1970 wurden die ersten Feuerwerkskörper in Reykjavik verkauft.
Inzwischen hat der freiwillige Rettungsdienst ICE-SAR den Verkauf übernommen und finanzieren sich zum Teil über die Einnahmen. Und da sie den Rettungsdienst natürlich unterstützen wollen, kaufen die Menschen schon mal die Läden leer und feuern in den Himmel, was das Zeug hält. 2015 sollen sie mehr als fünfhundert Tonnen an Feuerwerkskörpern abgefeuert haben.
Und das können sie gut – wenn man hier in Island was drauf hat, dann ist es Pyrotechnik. Das Spektakel ist einmalig, vor allem wenn man bedenkt, dass alle Raketen, die den nächtlichen Himmel erleuchten, ausschließlich von privat abgeschossen werden. Und die ungeduldigsten von ihnen knallen schon den ganzen Abend. Und gerade in diesem Jahr kann ich die Begeisterung und die Ungeduld besonders gut verstehen, denn ab dem Jahr 2020 soll ein Verbot der Silvesterfeuerwerke beschlossen worden sein.
Im Hostel habe ich es geschafft, nach dem regnerischen Besuch der Lagerfeuer einigermaßen meine Kleidung zu trocknen – nach den Aramotabrenna-Feuern rieche ich wie ein gegrilltes Würstchen.
Diesmal bin ich schlauer und nehme, ehe ich mein Domizil auf Zeit verlasse, den schicken, gelben Regenmantel mit. Mit den klobrigen, aber regenfesten Schneeschuhen und dem dicken Schal über Mund und Nase sehe ich zwar nicht sehr sexy und nach Party aus, aber mir ist warm und ich bleibe trocken. Das hiesige Wetter ist ein guter Lehrmeister.
Für mich stehen zwei Locations zur Auswahl, um mir das sensationelle Spektakel anzusehen. Zum einen der Vorplatz der Hallgrímskirkja Kathedrale, wo die halbe Stadt hin strömt, um ihre Raketen abzufeuern. Die Kathedrale war ein Tipp eines Isländers, den ich zwei Tage vorher am alten Hafen von Reykjavik getroffen hatte. Dort sehe ich die Feuerwerke aus nächster Nähe und bin mittendrin im Geschehen.
Die zweite Option ist ein schöner Platz am See, den ich mir während meiner Suche nach dem Lagerfeuer ausgeguckt habe. Hier werde ich – so vermute ich – etwas abseits des Spektakels sein, dafür habe ich einen grandiosen Blick auf die Skyline der Stadt mit ihrer Hallgrímskirkja Kirche, die sich im stillen, dunklen Wasser des nachtschwarzen Sees spiegelt. Ein wunderschöner Ort. Wie man dem Titelbild entnehmen kann, habe ich mich für Option Nummer zwei entschieden.
Vom Hostel bis zum See Tjörnin ist es nicht weit. Doch die rund zwei Kilometer werden durch immer neue Detonationen unterbrochen, bei denen ich sofort wieder den Kopf hebe und die wunderschönen Feuerwerke am Himmel betrachte, die meist gleich neben mir am Himmel erscheinen. Nach dem Motto „alles muss weg“ kommt noch vor der Zeit alles an Raketen zum Einsatz, was die Stadtbewohner so aufzubieten haben.
Alle meinen Neujahresglückwünsche an Freunde und Familie habe ich bereits vor einer Stunde abgesendet, da Island, bedingt durch die Zeitverschiebung, erst eine Stunde später ins Neue Jahr kommt. Doch meine Mutter ist noch wach und da ich nicht ganz alleine sein will, schicken wir
uns Sprachnachrichten hin und her.
Der Tjörniner See stellt sich als eine gute Wahl heraus. Es haben sich mehr Menschen hier versammelt als zuerst gedacht, doch bei weitem nicht so viele, dass man sich auf die Füße treten müsste. Die Feuerwerke werden in einem angenehmen Abstand abgefeuert und trotzdem bin ich mitten drin, ohne Angst zu haben, dass mir ein Böller auf die Füße fällt. Doch das passiert hier eher nicht, denn die begeisterten Isländer sind Profis, dank jahrelanger Übung. Viele tragen auch jetzt noch, in dieser Silvesternacht, Partyhüte und lustige oder glanzvolle Kostüme, mit denen nach Mitternacht der nächste Club gestürmt wird. Ja, einige sind verkleidet und irgendwie gehört es scheinbar zur Neujahresfeier dazu.
Um zwölf Ortszeit leuchtet die gesamte Stadt auf. Die Enten im Schilf beginnen, laut und aufgeregt zu schnattern. Wo man hinschaut, brennt der Himmel, ob genau neben – oder über mir oder rundum über der bunt beleuchteten Skyline, die sich bis dato still und malerisch im See spiegelte. Vorbei ist es nun mit Stille und Beschaulichkeit, jetzt wird gefeiert. Schwarzgraue Rauchschwaden ziehen durch die Nacht, es riecht nach Pulver und Rauch. Die Luft wird trüb und die Rauchwolken, die immer wieder aufleuchten in rot, weiß und grün, sehen wie eine fantastische Welt aus.
Etwa fünfzehn Minuten lang brennt rund um mich der Himmel. Mein Freund ist wach geblieben und schickt mir Glückwünsche von der Nordsee. Dann wird es langsam wieder ruhig um mich herum und ich muss zugeben, ich bin leicht enttäuscht. Nur noch vereinzelt fliegen die Raketen und ich muss daran denken, wie schade es doch ist, so viel an Munition noch vor der Zeit verschossen zu haben.
Langsam zerstreuen sich auch die Menschen um mich rum, ziehen weiter, werden vermutlich nun durch die Bars und Kneipen ziehen, die am Silvester die ganze Nacht über geöffnet haben. Ich sehe einige, die ihren Müll und die Überreste der verbrannten Feuerwerkskörper wieder aufsammeln. Ich laufe zurück durch die Nacht. Mitten auf einer Straßenkreuzung werden von Jugendlichen Böllerreste verbrannt; es lodert ein kleines Feuerchen vor sich hin.
Warum nicht, heute hat ja schon genug gebrannt.
Ich gehe nicht feiern. Als ich im Hostel ankomme, bereite ich mich auf die Rückreise vor. Heute Morgen um vier wird mich der Flughafentransfer abholen…