Es dampft und brodelt – Geothermie auf Island
Auf den Weg zu den heißen Quellen unterhält uns unser Guide mit Legenden von Kobolden und Feen, erzählt alte Wikingersagen. Irgendwann vor langer Zeit, zwischen dem 13 und 14 Jahrhundert, tobten auf Island Kriege zwischen den einzelnen Klans. Die mächtigsten Wikingerfamilien bekämpften sich gegenseitig und die Insel kam nicht zur Ruhe. Infolge dieser Kriege wurde die damalige Bevölkerung um ganze zwanzig Prozent dezimiert, davon die Männer alleine um die vierzig Prozent. Es hörte einfach nicht auf. Schließlich beschlossen die Mächtigen der Klans, nach Norwegen zu segeln und sich dem norwegischen König zu unterwerfen. Sie baten den König, auf die Insel zu kommen, um sie zu befrieden. Der König erklärte sich für einverstanden und die Kriege hörten auf.
Bei den heißen Quellen, die wir besuchen werden, handelt es sich um die ältesten heißen Quellen der Insel. Schon die alten Völker der Wikinger badeten darin. Das Badebecken von Snorri Sturluson aus dem 12 Jahrhundert wird schon in den alten Sagas beschrieben. Die Überreste sind bis heute erhalten (und sehen für mein ungeübtes Auge sehr neu und rege genutzt aus). Snorri Sturluson war ein berühmter isländischer Sagaschreiber und Politiker, später auch ein gewählter Gesetzessprecher des þingsitzungen, des ersten, isländischen Parlaments. Er ließ der Legende nach in Reykholt das kreisrunde Badebecken bauen.
Die Quellen versorgen aktuell um die vierzig Tausend Haushalte mit Energie; über neunzig Prozent, wie ich später nachlese. Das heiße Wasser ist sehr billig, im Grunde zahlt man nur die Instandhaltung der Anlagen, deren Kosten von der Regierung übernommen werden. Seit 1930 wird die Erdwärme auf moderne Weise genutzt, da begann nämlich der Ausbau der Fernwärmesysteme. 45 Prozent der Energie wird für das Heizen von Haushalten verwendet, der Rest anteilig für Strom, Fischzucht, Gewächshäuser, Schwimmbäder, Industrie usw.
Dann steigen wir aus dem Bus und stehen davor. Es brodelt und zischt unter uns, und heiße Dampfwolken steigen in die kalte Winterluft. Das Wasser hat über zweihundert Grad in der Tiefe und schießt mit einem Riesendruck an die Oberfläche. Wenn es an die Oberfläche kommt, hat es nur noch eine Wohlfühltemperatur von neunzig Grad, genau richtig also, um zu baden. Oder um sein Frühstücksei zu garen. Wenn es in die Häuser weiter geleitet wird, hat es noch immer ausreichend warme sechzig Grad. Damit begründet sich die kostenlose Versorgung. Es brodelt, blubbert und dampft und stellt man sich in den warmen Dampf, fühlt es sich mollig angenehm und schwefelig riechend an. Der Geruch nach faulen Eiern ist allgegenwärtig.
Wie einer nach sich selbst suchte
Island ist aus einem Tunnelsystem aus Lavatunneln und Grotten durchzogen. Dieses Tunnelsystem war früher ein gutes Versteck für Outlaws. Zu einem Outlaw konnte man in Island leicht werden. Es war nicht wie in den frühen Staaten des Wilden Westens, wo man zu einem Outlaw wurde, indem man kriminell war, nein. Bei all den gegenseitigen Kämpfen und Kriegen reichte es manchmal, auf der falschen Seite zu stehen und im Rahmen der Kämpfe die falsche Person zu töten. Da es auf Island keine Gefängnisse gab, wurde man aller Rechte beraubt zu einem Vogelfreien erklärt und konnte von der Gemeinschaft gejagt und getötet werden, von irgendwem, egal von wem. Diejenigen, die gute Beziehungen ins Ausland und Geld hatten, konnten für drei Jahre von der Insel fliehen und sich ins Ausland absetzen; wenn sie nach drei Jahren aus dem Exil kamen, wurde ihnen vergeben. Leisten konnten sich das nur die wenigsten. Jene ohne Geld und ohne Connections blieben auf der Insel und versteckten sich in den unterirdischen Höhlensystemen. Für sie galt die Dreijahresfrist nicht, weil man davon ausging, dass es unmöglich war, die harten, isländischen Winter zu überleben, ohne Schafe und Nahrung von den Dorfbewohnern zu stehlen. Deshalb wurden regelmäßig Jagden auf diese Aussätzigen gemacht.
Doch die Outlows versteckten sich in den Höhlen und waren damit sehr erfolgreich, und die Landleute verfolgten sie, damit sie keine weiteren Schafe stahlen. Ein Kreislauf also. Einem von ihnen, der Lieblingsfigur unseres Guides, ist es gelungen, 27 Jahre in den dunklen Höhlen zu überleben. Dieser Outlaw, Arnes war sein Name, war der erste, den sie schließlich ins Gefängnis geworfen haben, als es dann endlich ein Gefängnis auf Island gab. Doch davor suchte man Jahr für Jahr erfolglos nach ihm. Jeden Winter zogen die Bauern los, um zu verhindern, dass weitere Schafe gestohlen wurden. Viele unterschiedliche Klans machten sich auf den Weg, und da sich die einzelnen Mitglieder der Klans untereinander nicht gut kannten – das wusste Arnes – wusste man auch nicht genau, wie der Gesuchte aussah. Was Arnes auch wusste: die Gruppen hatten Verpflegung und Vorräte bei sich. Also schloss er sich ihnen an. So verbrachte er ganze lange Winter damit, nach sich selbst zu suchen. So überlebte er und wurde zu einem der Helden hiesiger Legenden.
Ein Friedhof
Das Licht ist noch blau, als wir uns nebst einer kleinen Kirche wiederfinden. Eigenartig und geisterhaft wirken die illuminierten Kruzifixe, die ich bereits beim Vorbeifahren aus dem Busfenster sah. Ob die aufrechten Grabsteine Geschichten erzählen, kann ich nur vermuten. Weiße Kreuze leuchten im tiefen Schnee, während hinter den Kirchenfenstern warmes Licht brennt. Knirschen unter den Füßen und kalte Luft an den Wangen. Eine Stille, wie sie nur recht abgelegenen Orten zu einer so frühen Uhrzeit zu eigen ist. Der Himmel ist heute komplett bedeckt und es sind minus zwei Grad.
Die beleuchteten Friedhöfe auf Island sind ein Brauch, der speziell um die Weihnachtszeit zu sehen ist. Da die Witterungsbedingungen es nicht immer erlauben, Grabkerzen anzuzünden, sorgen in dieser Jahreszeit leuchtende Kreuze für Licht. Sie sind besonders zur Blauen Stunde ein stimmungsvoller, besonderer Anblick.
Ein Dschungel

Dass Isländer mit viel Humor einige Eigenheiten ihres Landes zu betrachten imstande sind, zeigt sich immer wieder am trockenen Humor. Wie zum Beispiel jetzt, da wir aus dem Bus steigen und unser Guide plötzlich ruft: „Da! Ein Dschungel!“. Verständnislos schauen wir uns um, entdecken dabei nichts weiter als ein Bisschen Gestrüpp. Es stellt sich heraus, dies ist der Dschungel. „Alles ab vier Bäumen ist bei uns ein Hain. Sieben Bäume stellen bereits einen Wald und mehr als zehn Bäume sind auf Island ein Dschungel.“ Gut, denke ich mir – über die Definition von „Baum“ müssen wir uns nochmal unterhalten…
Barnafoss
Unweit der ältesten Quellen der Insel kommen wir an einen Wasserfall von erstaunlich hell- bis dunkelblauer Färbung, der sich durch eine enge Felsspalte zwängt. Bereits von oben betrachtet ist er beeindruckend, wenn auch nicht besonders hoch. Vielmehr ist es seine wilde, gefährliche Kraft. 80 Kubikmeter pro Sekunde finden ihren Weg, doch in niederschlagsreichen Zeiten oder im Frühjahr nach Schmelze können es bis zu fünfhundert werden. Dann ergießt sich der Fluss auf das umliegende Land. Der Bereich steht unter Naturschutz.
Das zarte, tiefe Amethystenblau schäumt und tobt, es bietet, umkränzt von Schnee, einen faszinierenden Anblick. Keineswegs möchte man hineinstürzen in die wunderschönen Fluten, so wie es vor langer, langer Zeit zwei Kindern eins passierte, wenn man Legenden glauben schenkt. Barnafoss bedeutet übersetzt „Wasserfall der Kinder“, und die Geschichte um ihren Tod steht an einer Infotafel etwas unpassend unter dem Punkt „historische Daten“ geschrieben. Einst umspannte ein Steinbogen den Fluss. Die Landleute vom nahe gelegenem Hof Hraunsas fuhren zur Weihnachtsmesse, ließen ihre Kinder jedoch daheim. Als sie zurückkamen, waren die Kinder fort. Ihre Spuren führten zur steinernen Brücke und später stellte sich heraus, dass sie von der Brücke in den Fluss fielen und ertranken. Die Mutter der Kinder ließ die Brücke zerstören, damit niemandem sonst ein solches Schicksal ereilte.
So viel zu den „geschichtlichen Daten“. Weder eine zeitliche Angabe, ein Datum oder Einzelheiten. Und es stellen sich so viele Fragen. Zum Beispiel die, warum die Kinder zu Hause gelassen wurden, was sie draußen taten und weshalb man die Brücke zerstörte, anstatt ein Geländer anzubringen.
Hraunfossar
Der Name bezeichnet viele, kleine Wasserfälle, die sich wie ein Kleid in unzähligen, niedrigen Kaskaden in den reißenden Strom des Flusses Hvita ergießt. Diese Quellen werden durch Regen und Gletscher gespeist. Durch das Lavagestein gefiltert sprudeln sie zwischen Bäumen und Sträuchern aus den porösen Felsvorsprüngen. Sie sehen aus wie die Säulen einer Kathedrale. Man geht davon aus, dass das Lavafeld um 800 v.Chr. entstand. Auf ca. einen Kilometer Breite verteilen sich die Kaskaden.
Der Schneemann
Mächtige Berge verschieben sich vor unseren Augen. Dazwischen sehe ich immer wieder einen erstarrten Eisvorhang aus Wasser, das es nicht geschafft hat, sich der Kälte des Winters zu entziehen. Ganz Island ist durchzogen von Vorhängen aus Eiszapfen; blaue, eingefrorene Wasserfälle wie blaues Kristall. Sie sind von weitem sichtbar dank ihrer Färbung wie zerbrochenes Glas. Verschneite Lavafelder, soweit das Auge reicht. Hier und dort knabbern einsame Islandpferde an vertrocknetem Gras. Alles steht still, eine stille Landschaft, wie ein 3D Gemälde, denn nichts hier bewegt sich, nichts fließt. Zugefrorene Flüsse und Seen, mit einer Schneeschicht bedeckt. Es ist ein Zustand des Wartens. Die Wege sind komplett zugeschneit. Stellenweise wurde gestreut, doch vielerorts eben nicht. Der Schnee hat sich zu einer Eisschicht verdichtet, auf der noch mehr Schnee liegt. Kurve folgt auf Kurve, es ist eng. Unser Fahrer hat sichtlich viel Spaß.
Und ich bin verschnupft.
Die Mittagspause verbringen wir in einem Restaurant. Wir sind viele, entsprechend dauert es eine Weile, bis jeder einen Platz gefunden, sich etwas zu Essen geholt und sich niedergelassen hat. Es ist warm, laut und hektisch. Selbst nachdem wir alle sitzen, empfinde ich so etwas wie Platzangst. Ein solches Gefühl der Beklommenheit überkam mich auch an den Geysiren, weshalb ich den Raum verließ und mich nach draußen begab. Und das tue ich jetzt auch. Sobald mein Teller leer ist, verabschiede ich mich. Kaum vor der Tür, bin ich wieder von wohltuender kalter Luft umgeben. Nach der unendlichen, verschneiten Weite der isländischen Landschaft ist es schwierig, geschlossene Räume zu ertragen.

In der Nähe befindet sich ein Baumhain. Pardon: ein Dschungel, denn das Bisschen Gestrüpp nennt mehr als zehn Bäume sein Eigen. Ich stelle mich davor und stelle fest, dass mich die dünnen Satzlinge aufrecht stehend überragen. Ein echter Wald also. Das ist doch mal ein Foto wert. Danach vertreibe ich mir die Zeit mit dem Schnee ringsum. Da ich alleine und unbeobachtet bin, kann ich ein Bisschen spielen. Wann hatte ich zuletzt einen Schneemann gebastelt? Dieser Schneemann wird alles andere als perfekt. Eigentlich sieht er aus, als würde ihn der nächste Windstoß zur Seite fegen. Doch ich habe ihm Augen gegeben und einen Mund und sogar Ärmchen aus trockenen Zweigen. Die aus dem Restaurant strömenden Chinesen sind begeistert. Sie fotografieren den Schneemann. Sie machen Selfies mit dem Schneemann. Die nächsten Minuten bin ich damit beschäftigt, sie der Reihe nach mit dem Schneemann abzulichten. Der Schneemann freut sich über seine fünf Minuten Ruhm vor der nächsten Schneeschmelze.

All diese Sagen und Legenden – da bin ich ja fast geneigt, zu vermuten, dass da so mancher einfach zu heiß gebadet hatte 😁. Aber dass die Warmwasserversorgung dank der heißen Quellen praktisch gratis ist, ist natürlich schon klasse. @Kasia, der Schneemann und Chinesen: da solltest du ein Business draus machen. Denk mal drüber nach 😁.
Stimmt. Selfie mit Schneemann 1 Euro; 2,50, wenn ich das Foto mache. 5 Euro, wenn ich auf dem Foto mit drauf bin. Ab 13,95 mit Echtheitszertifikat 😉
Klingt nach einem ausgefeilten Businessplan 👍.
Du bringst einen ja auch auf böse Gedanken 🙂
also wenn Snorri Sturluson kein echter Wikinger-Name ist, dann weiss ich auch nicht! Da sieht man ja förmlich einen Typ mit Rauschebart in Bärenfell (dabei gibt es doch da keine Bären..;-)) mit einer Axt vor sich stehen. Ich muss da an den Namen Arne Saknussemm denken – aus dem Buch von Jules Verne „Reise zum Mittelpunkt der Erde“. Vielleicht hat Jules die Geschichte um diese Gänge als Idee für den Roman genutzt. Und die Tatsache, dass jemand jahrelang spurlos verschwinden konnte?
Interessant, aber, dass man sich aus Langeweile auf der Insel gegenseitig auf die Omme haute und sich lieber unter Fremdkontrolle stellte damit das morden aufhörte, weil man selber dazu entweder nicht Willens oder nicht in der Lage war.
Die Fotos von dem Beitrag, die immer so blau in Grau wirken machen mich jedenfalls Montag Morgen nicht wirklich wach.. im Gegenteil – am liebsten würde ich mich gleich wieder hinlegen. Ist vielleicht zielführender als mit einer Axt und wildem Geschrei draußen rumzurennen um den Nachbarn abzumurksen.. Gute Nacht… 🙂
Da weißt du bereits, warum die Leute so gern die Axt schwangen, die waren einfach frustriert und depressiv, weil ihnen die Sonne fehlte 😉 Ins Bett legen wäre vielleicht eine Option gewesen, macht aber erst richtig Sinn, wenn man nach einem schönen Gemetzel richtig erschöpft ist.
Die Geschichten finde ich spannend, allerdings sind sie wohl eher als Volkslegenden zu verstehen und wer weiß, wieviel davon wirklich stimmt. Die Lavagänge jedenfalls sind endlos und man kann sich sicher gut darin verstecken bzw. verlieren. Ich will nicht wissen, wie viele Skelette da unten schlummern 😉
Danke für’s Mitnehmen und Berichten. Interessant auch dein Rückblick auf die Geschichte der Isländer.
Vielen Dank und danke fürs Begleiten 😉