Europa, Moldawien

Republik Gagausien – „Откуда ты?“ (Otkuda ty?)

Komrat

Auf dem Bürgersteig haben sie sich positioniert, die Obst- und Gemüsehändler, direkt vor den Fronten der Läden. Die Babuschkas sitzen zwischen ihren Kisten, die Herrschaften warten auf Klienten. Mein Bedarf an Wegzehrung wurde von einem Eclair notdürftig gedeckt, so ziehe ich weiter und entdecke Komrat, die Hauptstadt der Gagausen.

 

Gagausen

Die Gagausen gehören zu den Turkvölkern. Sie leben im Süden Moldawiens und haben ihre eigene Sprache (gagausisch) und Kultur. Gagausen gibt es nicht nur in Moldau, sondern auch in der Ukraine, in Russland, Bulgarien, Griechenland und der Türkei. Weltweit sollen es laut Wikipedia 20 000-23 000 sein.

Während der Sowjetzeit wurde in Gagausien die russische Sprache und die russischen Bräuche eingeführt. Heute wird Gagausisch kaum noch gesprochen. Die gagausische Sprache wird von der UNESCO als gefährdet eingestuft, doch die Regierung der Republik Gagausien widerspricht dieser Einschätzung. Wie dem auch sei, ich höre russisch um mich herum. Eine gagausische Turksprache, die dem anatolischen Türkisch ähnlich sein soll, höre ich nicht. Da das Russische dominiert, spielen naturgemäß russische Medien eine große Rolle, wie auch russische Informationsquellen. Wer mehr wissen will, dem empfehle ich einen Artikel der DW: „Moldau – wie russisch ist Gagausien?“

Doch es gibt Initiativen, den daran gelegen ist, die Kultur Gagausien zu erhalten. Interessierte können geführte Mehrtagesausflüge von Kischinau in den Süden Moldawiens buchen. Während dieser Kurzreisen wird dem Besucher die gagausische Lebensart nahegebracht. Leider sind solche Touren im Voraus buchbar und da ich spontan unterwegs bin… ihr wisst schon.

(Hinweis: die oben genannten Informationen stammen größtenteils aus Wikipedia. Wie ich kürzlich feststellen musste, sind die Angaben bei Wikipedia jedoch mit einer entsprechenden Distanz zu betrachten; in Einzelfällen stimmen sie nicht immer mit den Fakten vor Ort überein.)

 

„Woher kommst du?“

Nachdem ich mich etwas gestärkt hatte, schlendere ich los, um das mir unbekannte Komrat näher in Augenschein zu nehmen. Mit meinem Gesicht kann ich  mich unauffällig unters Volk mischen. Das einzige, was mich manchmal als Touristin verrät, sind die wenigen, kurzen Augenblicke, wenn ich die Kamera zücke und etwas Skurriles festhalten will. Wie ein altes, geschwungenes, doch inzwischen heruntergekommenes Tor. Wie die Leninstatue, die zentral vor dem Parlamentsgebäude steht. Wie die Großmutter, die Kwas verkauft, ein säuerliches, aus Brotgärung gewonnenes Getränk, das vor allem in den Ostländern verkauft wird, das aber im Westen nie wirklich an Popularität gewinnen konnte.

Das Parlamentsgebäude

Ich bin entlang der schattigen Allee unterwegs, der Strada Lenin, die parallel zum Großparkplatz der Hauptstraße, hinter der golddachigen Kathedrale des Heiligen Johannes, verläuft. Das Muster, die Straßenzüge mit vielen alten Bäumen so schattenspendend wie möglich zu gestalten, setzt sich auch in Gagausien fort. Ich lichte unter dem schläfrigen Blick eines auf einer Parkbank lungernden Jugendlichen die Lenin-Statue ab. Lenin trägt eine schlichte Arbeitermütze, ein Mann des Volkes. Eigentlich wollte ich das Museum für Lokalgeschichte besuchen, doch dort, wo es sich der Anschrift nach befinden sollte, verläuft sich die Spur zwischen privaten Einfahrten und Wohnhäusern. Vielleicht hätte ich es einfach mal an der Hauptstraße hinter dem „I love Komrat“ Schriftzug probieren sollen, doch hinterher ist man immer schlauer.

Stattdessen beschließe ich, mir auf den Weg einen Becher Kwas zu gönnen. Tatsächlich habe ich das Getränk noch nie probiert, doch als gebürtige Polin bin ich allerlei Seltsames gewohnt. Die ältere Frau hört auf, Geld zu zählen und mit der Nachbarin zu palavern und schenkt mir ein. Sie fragt etwas in russisch, worauf ich ihr erkläre, so gut ich kann, dass ich kein Russisch beherrsche. Sie lacht.

„Ich habe dich schon verstanden, dass du kein Russisch sprichst.“ Sagt sie dann, und da sie langsamer spricht, verstehe ich sie doch. „Ich wollte wissen, woher du kommst.“ So wenige Touristen kommen nach Gagausien, da ist die Frage berechtigt. Wie immer bei solchen Gelegenheiten deklariere ich mich als Polin. Der Kwas schmeckt überraschend gut und erfrischend in der juniheißen Luft. Die alte Dame zählt weiter ihr Geld. Smalltalk ist mit mir nicht möglich.

Kwas-Verkäuferin in Komrat

Komrat ist keine große Stadt. Irgendwann wechseln die zu Sowjetzeiten sicher anmutigen Villen normalen Wohnhäusern und ich kehre um. Auf dem Rückweg nehme ich eine Abkürzung durch den Park, der auf der rückwärtigen Seite der Kathedrale verläuft. Wie überall im Land, so wurde auch hier für einen fußgänger- und kinderfreundlichen Aufenthaltsbereich im öffentlichen Raum gesorgt. Ein plätschernder Springbrunnen, der Park strotzt vor Blumen. Ein Kinderspielplatz. Zwei bekopftuchte Babuschkas sitzen im Schatten der Bäume, ihre Kehrbesen zur Seite gestellt. Alles wurde saubergefegt, so dass es sauberer gar nicht geht. Beete roter Rosen leuchten im Sommerlicht und über meinem Kopf ziehen sich Weinranken. Väter spielen mit ihren Kindern, und entlang der Strada Lenin transportieren klapprige, blassgrüne Linienbusse ihre menschliche Fracht.

Wieder im Wagen kurble ich schnell die Scheiben runter. Dank dem Wind, der mir nun das Haar verstrubelt, fühlt sich die Sauna erträglicher an. Unter den Blicken des Polizisten, der noch immer zugegen ist, scheinbar dazu abgestellt, den Verkehr auf dem großen Parkplatz zu koordinieren. Zugegeben, viel erfuhr ich nicht von der geheimnisvollen Republik. Aber ich bin ja noch nicht fertig. Einen Ort will ich noch besuchen: es ist das 4400 Anwohner-Dorf Besalma, welches als das kulturelle Zentrum Gagausiens beschrieben wird.

 

Besalma

Was Besalma angeht, wurde nicht zu viel versprochen. Es ist wirklich ein Dorf, wie es im Buche steht. Biegt man von der Hauptroute ab, die nach Süden verläuft, so wird die Straße umgehend schlechter. Das erste, große und strahlende Bauwerk ist die orthodoxe Kirche, welche in einem zarten Taubenblau leuchtet.

Im Vergleich zu Komrat scheint Besalma geradezu ausgestorben. Die Mitte des Dorfes säumt ein großer Parkplatz, auf dem kein Auto steht. Niemand sitzt auf den Bänken im Schatten des angelegten Parks, nur am Alkoholikahandel sind vereinzelt Menschen zu sehen. Ein Betrunkener schreit durchs Dorf laufend herum und schimpft mit jemandem, den nur er sehen kann. Ich stelle den Kia ab und mache einen großen Bogen um den Schreihals.

Besalma ist, zumindest wurde es so beschrieben, ein kulturell bedeutendes Dorf der Gagausier. Hier befindet sich das Nationale Museum für Geschichte und Ethnographie, welches ich besuchen möchte. Doch zu meiner Überraschung hat das Museum geschlossen.

Lasst mich rein!

Ich schaue mir die ausgehängten Öffnungszeiten an, laut denen ich jetzt, um die Mittagszeit, eigentlich mit einem Ticket durch die Ausstellung spazieren müsste. Es ist keiner da, den ich ansprechen kann. Nur zwei Damen, die offensichtlich den Boden gereinigt haben, sitzen auf einer Bank im Park, doch auch sie nehmen schon bald ihre Eimer in die Hand und gehen weiter. Es ist niemand um mich herum zu sehen, und sogar der Trunkenbold ist verschwunden. Nur die Sonne scheint warm auf meinen Kopf, der Brunnen plätschert vor sich hin, Rosen blühen unermüdlich. Ein Denkmal für Kriegsgefallene in kyrillischer Schrift. Doch ich bin die Einzige, die sich das anschaut. Wo sind denn alle?

Der große Platz in der Mitte des Dorfes ist so weitläufig, dass sich einzelne Fußgänger vollkommen verlieren. Ich versuche, mir vorzustellen, wie es wohl ist morgens, voller Marktstände, wenn Händler ihre Waren feilbieten. Sicher ist der Ort nicht immer so menschenleer wie heute. Da, da sind Leute – zweihundert Meter weiter laufen zwei Frauen mit Einkaufstaschen. Na bitte.

Die Abwesenheit der Anwohner erlaubt es mir, ein wenig zu stöbern. Ich gehe einen zum Teil bewachsenen Weg am hinteren Teil der Häuser entlang, hin zu der Stelle, von wo aus ich die umliegende Landschaft überblicken kann. Dann wende ich mich in Richtung Kirche. Doch die Kirche will ich heute nicht besuchen. Einen großen Bogen schlagend finde ich mich am Auto wieder. Es ist schon Nachmittag.

Langsam fahre ich die Hauptstraße entlang. Kleine, nicht mehr ganz so neue Häuser, Gärten, alte, geschmiedete Tore, von denen Farbe abblättert. Menschen kommen mit einer Schar Gänse vom Feld. Die beiden jungen Gänsehirten sehen aus wie einem alten Volksmärchen entnommen, und ich staune, dass es so etwas noch gibt. Der Gänsemarsch in Besalma, deren Zeuge ich geworden bin, hat es sogar in die Werbetexte mancher Reiseagenturen geschafft.

Ich verlasse das Dorf über eine staubige Zufahrtstraße und fahre weiter in Richtung Süden. Die Gegend wird, wenn überhaupt möglich, noch einsamer. Im warmen Sonnenschein tauchen in der pastellfarbenen Landschaft große, grüne Flächen, mit Schilf überwucherte Fischteiche. Sie bilden blassblaue Flecken inmitten goldener Felder. Auf meiner Karte sehe ich große Bereiche, die dem Wasser vorbehalten sind. So ganz bin ich mit Gagausien noch nicht fertig, deshalb fahre ich weiter. Auch wenn mein Aufenthalt hier bislang nicht allzu aufschlussreich gewesen ist. Allen Vorurteilen zum Trotz erweist sich eine geführte Reise manchmal als die bessere Wahl, wenn man in einer völlig unbekannten Umgebung Zugang zum Land und Leuten finden will.

Denn das soll nicht alles gewesen sein. Auf den letzten Metern entdecke ich einen Ort, an dem die gagausische Kultur weiterhin gelebt wird – zumindest für den Touristen. Doch davon in der nächsten Folge.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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4 Kommentare

  1. Sinnlosreisen sagt:

    Erst dachte ich, du willst uns veräppeln. Gagausien, haha. Aber das scheint ja wirklich zu existieren. Was es nicht alles gibt…
    Kwass haben wir neulich in Riga auch getrunken, war richtig lecker.

    1. Natürlich will ich niemanden veräppeln, ist ja nicht April 😉

  2. Hallo Kasia,
    wie bist du darauf gekommen Gaugasien zu besuchen? Dein Bericht hört sich ein bisschen enttäuscht an. Wahrscheinlich hast die mehr erwartet.
    Liebe Grüße Harald

    1. Hallo Harald,
      ich war nicht enttäuscht von der Reise selbst, denn Moldawien ist sehr schön. Nur haben Solo-Reisen auch so ihre Grenzen, was die Verständigung und die Informationen betrifft, das ist nun mal so. Das Land und mein Besuch dort haben mich auf ein weiteres Mal neugierig gemacht. Wie kam ich darauf? Moldawien, dessen autonomer Teil Gagausien ist, war für mich ein weißer Fleck auf der Landkarte, über den man nicht viel weiß. Ich mag solche weißen Flecken. Und da das Land nahe an der Ukraine liegt, wollte ich hin, bevor sich unter Umständen die Sicherheitslage dort ändert – man weiß nie…

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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