Asien, Jemen

Sokotra – Im Homhil-Schutzgebiet

Der Mond hängt blass am Himmel über mir, doch es ist bereits hell. Die ersten Köpfe meiner Mitreisenden schälen sich vorsichtig und verschlafen aus ihren Zelten. Ziegen schleichen leise umher auf der Suche nach Essbarem und eine Krähe führt ein aufgeregtes Selbstgespräch. Vom gestrigen Gelächter ist zu dieser Uhrzeit nichts zu hören. Leuchtete der Sand am gestrigen Abend rosa, so ist er nun pastell.

Kaum losgefahren (so driftet man also auf Sand…), legen wir eine Pause ein. Unfreiwillig, den wir warten auf das hintere Fahrzeug. Der Zufall will, dass wir nahe einer Salzabbaustelle stehen bleiben. Salinen in rosaroten Tönen. Das bietet sich als Fotomotiv praktisch an. Sobald wir unsere Objektive in Stellung bringen, erheben sich Frauen aus dem tiefer gelegenen Boden. Mit abwehrenden Gesten und Gezeter machen sie deutlich, das wir weiter fahren sollen und hier nichts zu suchen haben. Die Frauen arbeiten beim Salzabbau und sie wollen nicht fotografiert werden. Kann ich verstehen, auch wenn ich sie bis zu diesem Moment, inmitten der Landschaft neben gefüllten Säcken Salz kauernd und gegen die aufgehende Sonne nicht einmal wahrgenommen habe.

Salinen am Aomak Beach

Wir halten ein Stück weiter, dort, wo sie ihre Hütten aus Palmblättern haben, wo ihre Wäsche an Blätterzäunen trocknet. Große Flächen der Palmenhaine sind mit Zäunen umgeben. Hier leben Menschen, hier halten sie ihre Tiere.

 

Kamelreiten auf Düne Farho

Unser zweiter Halt ist die große Düne Farho, die zum Dünengebiet von Hayf gehört. Sofort springen wir aus dem Wagen und erklettern die schön geformte Düne mit dem schneeweißen Sand. Sie beginnt wie aus dem Nichts, der Dünenkamm erhebt sich buchstäblich aus nacktem Fels. Ist man erstmal oben, beginnt dahinter einen Dünenlandschaft. Ein, zugegeben, nicht allzu großes Stück Wüste, wie er im Märchenbuch steht. Da kommt auch schon ein Mann mit seinem Kamel des Weges entlang. Malerisch fügen sich er und sein Tier in die Landschaft. Eine Mitreisende packt die Gelegenheit beim Schopfe für eine mittelkleine Wüstentour auf dem Schaukelschiff. Kein Wunder, dass man die Tiere auch Wüstenschiffe nennt.

„Ich habe noch nie auf einem Kamel gesessen.“ Überlege ich laut. „Jetzt kannst du noch.“ Sagt Gerti. Aber was soll ich sagen: ich weiß ja, wir müssen gleich weiter. Das ist mir zu… ach, ich schaue lieber zu, wie die liebe Eve vor sich hin schaukelt, während sie von allen Seiten fleißig fotografiert wird.

Leider kommen nur fünfzig Prozent unserer Truppe an den Dünen an. Die anderen fünfzig Prozent – das ist der andere Wagen – fahren weiter. Die Truppe hat kein Glück mit ihrem neuen Fahrer. Er ist verpeilt, verschwendet Zeit mit Telefonaten am Straßenrand, fährt an Zielen und Treffpunkten vorbei, versäumt es, anzuhalten. Die Jungs und Mädels verpassen die Dünen. Der Fahrer ist kein Glücksgriff. Die Insassen sind untröstlich, von anderen Guides bekommt der Fahrer kräftig Anpfiff.

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Wadi Hag’k

Der grüne Wadi führt Wasser. Und ist ein beliebter Aufenthaltsort für Einheimische und Touristen gleichermaßen. Nicht dass es von der zweiten Sorte allzu viele gäbe. Immer wieder begrüßen sich die Guides mit Fahrern anderer Fahrzeuge. Immer wieder kommen uns Menschen entgegen, Erwachsene und Kinder. Wie der alte Mann mit dem orangenfarbenem Bart und seiner Ziege unter dem Arm. Oder die Gruppe Jungs, die Weihrauch der nahe wachsenden Weihrauchbäume verkaufen. Lange fahren wir entlang der Palmen- und Wasserlinie. Ein grünes Band säumt das grüne Wasser, der ganze Wadi gleicht einem Smaragd.

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Frauen in bunten Kleidern verdecken ihre Gesichter. Überall dort, wo der Einfluss der Saudis besonders stark vorhanden ist, was sich an gemauerten, neuen Häusern und Schulen bemerkbar macht, sind Frauen komplett verhüllt und tragen ausschließlich Schwarz. Die Frauen der Hirtenvölker kleiden sich farbenfroh. Wie diese Frau beim Holz sammeln in den Bergen, eine Flamme aus buntem Stoff im Wind.

Immer wieder umkreisen Kinder unser Auto; dunkle Augen blitzen neugierig ins Innere des Fahrzeugs.

Das Vorhandensein von Wasser begünstigt den Anbau diverser Gemüse- und Obstsorten. Wie es der Glücksfall will, begegnet uns unterwegs ein Mann, der uns spontan seinen Garten zeigen will. Nach ein paar gewechselten Worten mit dem Fahrer ergreifen wir die Gelegenheit und folgen dem Sokotri. An Mäuerchen und Häusern vorbei steigen wir durch ein Tor in seinen gut versteckten Garten. Vorsichtig sehen wir uns um und achten darauf, nichts zu zertrampeln. Der Garten ist nicht sehr groß, doch jeder Zentimeter Fläche ist gut genutzt. Hier wächst so ziemlich alles. Da wachsen Chili, Paprika, Zwiebeln. In Ästen kleiner Bäume hängen grüne Limonen. Stolz zeigt uns der Mann die Früchte seiner Arbeit. Der Garten ist mit einem Zaun aus getrockneten Zweigen vor dem Zugriff der stets hungriger Ziegen geschützt. Am Ende des unerwarteten Besuches bekommen wir Papayas überreicht. Sie sind noch etwas grün und bitter.

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Momi Plateau

Weihrauchbäume, Flaschenbäume. Wir erreichen das Momi Plateau. Bei einem Zwischenstopp legt sich Gerti II fast unter den Baum, um die verzweigte Krone zu fotografieren. Ganz viel Körpereinsatz. Der Weihrauchbaumwald ist auch faszinierend. Noch nie habe ich so viele davon in solch einer Konzentration gesehen.

Zwei Mal in kurzer Zeit haben wir einen platten Reifen. Erst ist unser Kochauto betroffen; das Fahrzeug, in dem unsere Guides und unser Koch unterwegs sind. Dann ein Auto vor uns. Beide Male wird der Reifen schnell und fachkundig gewechselt, während wir uns die Gegend angucken auf der Suche nach Chamäleonen und anderen seltenen Tieren. Kein Wunder, dass wir so oft einen Platten fangen; die Fahrer brettern mit abgelassener Luft über steinige Pisten, knallen über trockene Löcher im Boden. Mit Zittern denken wir daran, dass auch unser Vorrat an Ersatzreifen nicht unerschöpflich ist.

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Bei einer unserer Pausen stehen wir auf einer Anhöhe und schauen auf ein Gewässer. Ein Fluss schlängelt sich unter uns hindurch, und in Wurfweite eines oder zwei Steinen liegt ein Dorf. Eine Schar Kinder kommt den staubigen Weg zu uns hinausgerannt, als sie unsere Fahrzeuge erblickt. Einige unserer Mitreisenden stehen noch lange da, umringt von einer neugierigen, kleinen Traube, und haben in den Kleinen die Fotomotive ihres Lebens. Ein paar andere, darunter ich und Guide Gerti, ziehen sich zurück. Wir wandern hinauf zu einer Brücke, und hier stehen wir nun, und beobachten die Szenen aus zweihundert Metern Abstand. „Jetzt müsste man Bonbons oder Traubenzucker haben.“ Sage ich.
„Bloß nicht!“ Entgegnet Guide Gerti ungewohnt scharf. „Das würde sie nur noch mehr anlocken.“

Kinder aus dem Dorf besuchen uns

 

Einmal ein Fluss, der Wasser führt

In einem der grünen Wadis, die wir zuerst durchquerten, machen wir nun Halt. In einer dieser grünen Oasen werden wir zu Mittag essen. Schlichte Matten werden auf dem Boden ausgelegt, und wir strecken uns im Schatten der Länge nach aus. So warten wir ab, während der Koch einmal mehr unsere Leibgerichte zaubert. Die unvermeidlichen Schmutzgeier schleichen leise um uns herum. Sie kommen uns so nahe, wie es selbst für dieses nicht eben scheues Vogelvieh ungewöhnlich ist. Doch sie sind Menschen gewöhnt, und vielleicht hat man sie auch gefüttert. Denn wir sind nicht die einzigen Ausflügler, die hier im Schatten etwas Ruhe gefunden haben. Etwas weiter sitzen weitere Menschen beim Essen unter Dattelpalmen, Kinder baden im Fluss. Das Wadi gehört zum Naturschutzgebiet. Daran muss ich flüchtig denken, als wir Männer beobachten, wie sie im Wasser stehen und ihr Auto waschen. Andere Länder, andere… öhm… Sitten, denke ich und wende mich dem Essen zu. Was, jetzt schaut nicht so. Ich bin nicht dazu berufen, die Welt zu retten.

Was ich retten muss, sind unsere Fressalien, und zwar vor den ebenso allgegenwärtigen Ziegen, die uns das Essen buchstäblich aus der Tasche zu stehlen versuchen. Einmal nicht aufgepasst, schon wird an Rucksäcken gezogen, schon verschwindet eine Plastiktüte in einem der gierigen Mäuler. Ich rette meinen Rucksack gerade so davor, nicht angepinkelt zu werden. Dann kommt das Essen. Der Koch hat sich einmal mehr selbst übertroffen.

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Der Infinity Pool

Berge in allen Schattierungen: blau, rot, gesprenkelt, weiß. Gestreift. So viel Vielfalt in einer scheinbar sandgrauen Landschaft. Am Parkplatz umkreisen uns wieder Jungs aus umliegenden Dörfern, die Weihrauch verkaufen – die ersten Symptome eines langsam aufkommenden Tourismus. Ich denke daran, dass es in ein paar Jahren noch viel mehr werden wird. Ein jeder wird etwas von der lukrativen Scheibe Tourist abhaben wollen, Sokotra wird zu einem zweiten Marokko.

Die Jungs verkaufen Weihrauch

Langsam wandern wir hoch, bewegen uns zwischen großen Steinen und Felsen über einen löchrigen Boden. Wir befinden uns inmitten einer wunderbaren Landschaft, völlig anders als bisher. Ich verschlinge alles mit den Augen, bin ganz euphorisch. Flaschenbäume schmiegen sich an Felsen. Große, von Wasser ausgespülten Löcher klaffen im Untergrund. Der Boden ist strukturiert, voller Höhlen und Felsnischen. Meine Mitreisenden sind nur Statisten, kleine Strichzeichnungen in der Landschaft, einzig dazu da, um die Perspektiven richtig zuordnen zu können. So schnell verliert man sich in diesem gewaltigen Etwas, das keine Rücksicht nimmt. Eine Schönheit, die nur für sich selbst existiert.

Jede mögliche und unmögliche Stelle an diesem porösem Gestein wird von Sukkulenten besetzt. Der ausgespülte Fels unter uns offenbart fantastische Muster und Farbschattierungen. Als hätte ein Künstler mit dem Pinsel über das Gestein gezogen. Unter meinen Füßen klaffen tiefe Löcher. In einigen der Löcher steht türkisenes Wasser. Die Landschaft wird fließend. Die Steinstrukturen zergehen, verlieren sich, werden zu wellenförmigen Gebilden. Ein modernes Gemälde in 3D.

Ich bin euphorisch, etwas so schönes zu sehen. Schemenhafte Felsen, Umrisse großer Bäume, wie Soldaten wachend über diesen Ort. Mir völlig unbekannte, bunte Blumen, die sich an das Leben hier anpassten. Der Grund für unser langsames Fortkommen ist nicht etwaige Müdigkeit, es ist Begeisterung. Immer wieder bleibe ich stehen und knipse die Landschaft. Immer wieder bleibt Michael stehen, unsere verkannte Botanikerseele, und knippst Pflänzchen ab.

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Ein oben gelegener Infinity Pool ist unser Ziel. Hoch auf dem Berghang, bewundert man von seinem Rand aus einen weitläufigen Blick auf die Ebene. So ist es zumindest, wenn der Pool genügend Wasser führt. Momentan ist dies nicht der Fall, doch in der Senke hat sich ein kleiner Bassin erhalten. Nur einer von uns entschließt sich fürs Baden, wir anderen verzichten, aus Gründen. Da wäre das kühle Wetter; die Wolken bedecken die Sonne und es geht ein frischer Wind, was für das Wandern optimal ist, für das Eintauchen ins Wasser jedoch nicht.

Infinity-Pool

Da wäre dann die suboptimale Planung des Reiseveranstalters, was diesen Teil der Reise betrifft, denn die Aktivitätendichte für den heutigen Tag ist so komprimiert, dass uns für einen Verbleib hier samt einer kleinen Schwimmrunde knapp zwanzig Minuten bleiben. Vielleicht winken deshalb die meisten, mich eingeschlossen, dankend ab. Stattdessen machen wir ein paar Gruppenbilder, die tiefe Ebene im Hintergrund. Dann geht es über vom Wasser schräg und glatt gespülten, abgesenkten Wände des Pools wieder zurück zu unserer Route.

Ein einheimischer Junge sitzt in einer Felsnische am Pool und beobachtet uns aus scheinbar teilnahmslosen Augen. Er will nichts verkaufen, er schaut nur unserem Treiben zu.

Der Abstieg erfolgt über die Frontseite des Gebirges. Auf einem extrem schmalen und steilen Bergziegenpfad fühle ich mich wie der Affe auf dem Schleifstein. Unter großem Fluchen setze ich mit Vorsicht einen Fuß vor den anderen. Du wolltest Abenteuer? Hier hast du. Ich schwitze Blut und Wasser. Eine gestreifte Echse beobachtet von ihrem warmen Stein aus unsere Bemühungen. Ob es den anderen genauso ergeht?

Als wir unten am Parkplatz ankommen, sind die Kinder, die Weihrauch verkaufen, noch immer da. Gerti verteilt Süßes.

Eines der drei Fahrzeuge fehlt – warum auch immer. Vermutlich sind die Ersatzreifen ausgegangen und ein weiterer Platter verhindert die Weiterfahrt. Wir verteilen uns in die verbliebenen beiden Autos. Für die uns bevorstehende, nicht allzu lange Fahrt wird es schon gehen. Ali, einer der lokalen Guides, hängt sich von außen an eines der verbliebenen Fahrzeuge dran und lässt sich so zum nächsten Ort bringen. Es ist kühl und wolkig und es sind ungewohnt viele Menschen auf der Straße. Mädchen, Frauen, kleine und größere Jungen, die Fußball spielen. Als wir unser Camp für die Nacht erreichen, ist es bereits dunkel.

Einmal mehr

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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5 Kommentare

  1. Die Dünen, das Wadi und dann vor allem die Landschaft auf dem Weg zum Infinity Pool: da wir dran ja schon beim Betrachten der Fotos fast verrückt. Wie muss es erst sein, so etwas live zu erleben! Diese Reise wirst du sicher so schnell nicht vergessen. Schade, dass dieser Tag zu voll gepackt war mit Highlights. Das hätte man gut und gerne auf zwei Tage verteilen können, um alles in Ruhe zu genießen. Aber gut, dass du wenigstens nicht in dem Auto mit dem verpeilten Fahrer gesessen hast! Das wäre wirklich ärgerlich gewesen, so viel zu verpassen.

    1. Oh, ich hätte mich grün und blau geärgert, wäre ich in dem Auto gewesen. Auf Reisen verfalle ich oft in einen gewissen „will-alles-sehen-und-nix-verpassen“ Rausch. Im Nachhinein denke ich mir, das passt schon. Ich meine, auch wenn dieser Tag nicht optimal geplant war, welches Glück, überhaupt dort gewesen zu sein.

  2. Ein weiterer, toller Beitrag, den ich mit größtem Vergnügen gelesen habe!

    1. Lieber Tom, da freue ich mich. Bald ist diese Reise auserzählt, aber weitere werden folgen 😉

      1. Das hoffe ich doch!

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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