Bulgarien, Europa

Die große Balkantour – Bulgarien

Pristina Приштина nach Târgu Jiu, Rumänien – Google Maps

An der Grenze zu Bulgarien ist allerhand los. Schwere Trucks reihen sich aneinander, Menschen laufen hin und her. Mobile Shops bieten an, was so zum Leben notwendig ist: eingelegte Oliven, Wallnüsse und diverse Früchte im Glas, Reinigungsmittel, Kinderspielzeug. Vermutlich nicht in derselben Reihenfolge. Daneben sehe ich etwas wie einen Gartenmarkt, vor dem mir Scharen von Gartenzwergen erwartungsvoll entgegenschauen. Der Grenzübergang Kulata gleicht eher einer mittelgroßen Kirmes als den nüchternen Passierstraßen mit Grenzhäuschen, die wir gewohnt sind. Mein Onkel und Tomek verschwinden an einer der Tankstellen, um Vignetten zu kaufen.

Für Bulgarien wird eine elektronische Vignette benötigt. Diese kann online oder vor Ort erworben werden und gilt für alle Nationalstraßen. Apropos Nationalstraßen. Jedes der bisher von uns bereisten Länder hat ihre Eigenheiten, was den Verkehr und die Gegebenheiten vor Ort anbelangt. In Montenegro ist es eine erhöhte Polizeipräsenz und Straßenkontrollen, die uns jedoch weitestgehend nicht behelligen. In Rumänien werden es Verkehrsunfälle sein, einer nach dem anderem. Und hier in Bulgarien treffen wir hinter der Grenze auf Checkpoints mit Geschwindigkeitsmessung. Gleich mehrere Uniformierte stehen bereit, um die potentiellen Delinquenten buchstäblich aus dem Verkehr zu ziehen. Mein Onkel, der auch so schon eine recht defensive Fahrweise an den Tag legt, späht auf den Tacho.

Wir durchqueren das Balkangebirge, das sich rund 600 km im Norden der Balkanhalbinsel erstreckt, und fahren durch eine bergige, grüne Landschaft. Es ist durchaus schön, ein schönes Land, denke ich mir. Hohe, raue Felsen tauchen hell zwischen den Bäumen auf und auf der gut ausgebauten Straße kommt uns ab und an ein Truck entgegen. Bis hierher reichen die landschaftlichen Ausläufer des Nationalparks Pirin.

Wir halten an einem der vielen Straßenständen, die sich mit kleinen und mittleren Läden abwechseln. Während Tomek Trauben kaufen geht, schaue ich mich neugierig um. Bulgarien. Ein aufweckendes Gefühl, irgendwo zum allerersten Mal zu sein, ohne im Vorfeld eine Ahnung gehabt zu haben, wie es wohl sein mag. Die Hauptstraße ist hoch frequentiert, entsprechend lebhaft geht es hier zu, was den Verkehr anbelangt. Die Route – die wir auch nehmen – verläuft von der griechisch-bulgarischen Grenze vorbei an Sofia, und verlässt dann das Land in Richtung Rumänien. Folgerichtig haben sich die Verkaufenden voll und ganz auf den Durchgangsverkehr eingestellt. Es gibt Souvenirs, Imbisse, Obst. Ich betrete einen der Souvenirläden. Kleine Holzfigürchen und geschnitzte Folklore-Gegenstände wie Holzbretter, Töpfe, Geschirr stapeln sich in den Regalen. Große und kleine, bunte Figuren aus Ton. Töpfe. Die unvermeidlichen Gartenzwerge – das deutsche Gärtnerherz würde höherschlagen.

Und überall gibt es Rosenöl und Rosenprodukte zu erstehen. Ganz nebenbei erfahre ich, dass Bulgarien der Vorreiter und der (noch) größte Produzent von Rosenöl ist. Das beste Rosenöl der Welt stammt von hier; es wird unter anderem im Chanel No.5 verwendet. Riesige Flächen Rosenfelder werden dafür Jahr für Jahr geerntet, hier im bulgarischen Rosental am Fuße des Balkangebirges. Doch inzwischen holen andere Länder auf und sind dabei, Bulgarien den Rang abzulaufen. Masse auf Kosten von Qualität, aber das kennt man ja. Das Problem sind fehlende Saisonarbeiter, denn für das Pflücken der Rosenblütenblätter werden nur für drei Wochen im Jahr Arbeitskräfte benötigt. Die Arbeit ist schwer und schlecht bezahlt und immer weniger Menschen wollen sie machen. Gestiegene Gaspreise kommen erschwerend hinzu (Quelle: mdr.de).

Tomek kommt zurück mit fünf Kilo Trauben. „Probiert mal, so gute Trauben habt ihr noch nie gegessen.“ Stimmt. Haben wir nicht. Sie sind groß, reif und saftig, zart und süß wie Honig. Waschen wird überbewertet, gierig machen wir uns über das Obst her. Dabei erhasche ich einen Blick auf die eine oder andere Straßenszene, wie zum Beispiel die Frischfleischlieferung an einen der Imbisse. Und wie ich die Fleischstücke, groß und vermutlich unzureichend gekühlt, im Innern des Transporters verteilt sehe, beschließe ich, hier kein Fleisch zu essen.

Kein Fleisch mehr

Wir fahren weiter. Die Straße führt uns aus den bewaldeten Bergen hinaus auf die Ebene. Sozialistische Hochhäuser wachsen uns entgegen, werden mehr und mehr. Werden zu einer Hauptstadt, zu den Randgebieten von Sofia. Ein Aufenthalt hier ist nicht geplant; die Blocks werden kleiner und verschwinden hinter uns wieder. Wir vertiefen uns erneut im Gebirge. Schroffe Felsen, hohe Bäume, eine kurvige Straße. Hin und wieder Gegenverkehr. Doch der Hunger macht sich langsam bemerkbar. Was tun?

Rettung bringt ein Fischladen am Straßenrand. Es handelt sich um ein großes, geräumiges Restaurant mit einer Außenterrasse und vielen freien Plätzen. In Wahrheit sind wir die einzigen Gäste hier. Für Bulgarien scheint Nebensaison zu sein; die Badezeit ist längst zu Ende und auch die Rosen bereits verblüht. Ein junger, netter Bulgare freut sich sichtbar über die unerwarteten Gäste. Und der Fisch schmeckt ausgezeichnet – obgleich die Silberrücken der Familie zunächst spekulieren, ob wir wohl hier essen sollen oder nicht. Wo sonst wollen wir etwas suchen, argumentiere ich – das Lokal liegt auf dem Weg. Und der Eigentümer ist wirklich nett; am Ende scherzt mein Onkel herum, man könne mich ja als Pfand für ein wenig Proviant hier bei ihm lassen. Bulgare lächelt verlegen – von dem rege praktizierten Menschenhandel in Polen hat er wohl noch nichts gehört. „Hey!“ Sage ich. „Mach langsam, Onkel; du hast mich doch schon den Georgiern versprochen.“

Aber, argumentiert mein Onkel weiter, die hat ein kaputtes Auge. So viel kriegen wir für sie nicht. Am besten nehmen wir sie jetzt nochmal mit, päppeln sie auf und kommen dann wieder. Da habe ich nochmal Glück gehabt.

„Fahrt vorsichtig“, sagt der Bulgare. Er empfiehlt uns, langsam zu machen, denn die Uniformierten stünden hier mit ihren Blitzern just in der Kurve und warteten auf Delinquenten, die mit ihrem Fuß zu schwer auf dem Gaspedal stehen. Und tatsächlich. Gerade losgefahren, schon sehen wir sie in der nächsten Serpentine. Die Cops schauen zu, wie unser Auto gemütlich mit zwei Stundenkilometern unter der erlaubten Marke an ihnen vorbei tuckert.

Frau zu vergeben

Sobald wir die bergige Gegend verlassen, tauchen kleine und größere Dörfer vor uns auf. Löcherige Straßen, kaputte Mauern. Kaputte Häuser und Zäune. Marode Siedlungen. Hier fehlt Geld, vorne und hinten. Ziemlich erschrocken klebt meine Nase an der Fensterscheibe des Wagens. Ich wusste ja, dass Bulgarien nicht eben zu den wohlhabenden Ländern der EU gehört, aber nun sehe ich es mit eigenen Augen. Wie kann das sein? Wundern wir uns. Sechszehn Jahre in der Union. Wo ist das Geld hingeflossen?

Nur so als Vergleich. Ich weiß noch, wie es in Polen damals war. Das Land der Neunziger Jahre steht mir lebhaft vor Augen. Und Bulgarien erinnert mich stark daran. Doch das Polen von damals und das Polen von heute haben kaum noch etwas miteinander gemein. Es gibt neue Straßen, neue Autobahnen, und auch in meiner Heimatstadt Blonie hat sich viel getan. Der Denkmalschutz wird groß geschrieben und auch, wenn noch immer alte Herrenhäuser stellenweise verfallen, so ist die Tendenz eindeutig: es geht vorwärts. Zudem ich jetzt, Stand heute 01.24, auf die neue, proeuropäische Regierung gespannt bin.

In Bulgarien merkt man nichts von alledem. Davon, Mitglied der Union zu sein, ist kaum etwas sichtbar. Die Welt, die uns umgibt, die Dörfer, die Autos, die Menschen… es wirkt auf mich, wie aus der Zeit genommen. Wie vor dreißig Jahren. Ein Pferdewagen kommt uns entgegen, von der Sorte, die es bei uns früher, als ich ein kleines Kind war, auf dem Land für die Feldarbeit gegeben hatte.

Und es ist nicht nur die Armut. Hinzu kommt die allgemeine Verwahrlosung. Viele der Häuser und Höfe wirken unaufgeräumt, ganz so, als sei nun alles egal, als wolle man sich nicht mehr darum kümmern. Ist eine Mauer eingestürzt, bleiben die Steine einfach liegen. In einem größeren Ort halten wir kurz an. „Lasst uns weiter fahren!“ Drängt Gosia. Graffiti besprühte Wände, ab und an blinde oder zersprungene Fensterscheiben. Und überall blättert der Putz. „Bevor die uns mit Steinen bewerfen.“

Vermutlich hätte uns niemand mit Steinen beworfen. Dennoch ist es nicht die feine Art, sich wie die Geier mit der Kamera auf die Lebensverhältnisse anderer Leute zu stürzen, also fahren wir weiter. Es sollte daran erinnert werden, dass die hiesigen Lebensumstände – wenn man schon Verantwortliche suchen will – nicht die Schuld der hier lebenden Menschen sind. „Moldawien ist noch schlimmer als das.“ Sagt Tomek. Damit macht er mich neugierig. Ich will Moldawien sehen. Und ich will noch mehr von Bulgarien sehen. Ich meine – das hier kann nicht alles gewesen sein.

Ein bewölkter Himmel, glänzende Tropfen an der Scheibe. Der einsetzende Regen verstärkt den Eindruck der Trostlosigkeit. Die Dämmerung hat ein Nachsehen und legt sich über das Land, verdeckt all das unter ihrem weichem, schwarzen Mantel. Im Regen erreichen wir die bulgarisch-rumänische Grenze.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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15 Kommentare

  1. Wieder ein toller Bericht. Ich bin froh, dass der Deal gescheitert ist. Deine Beiträge würden mir fehlen.

    1. Vielleicht hätte ich von Bulgarien aus schreiben dürfen. Wenn der Haushalt gemacht, das Vieh bewirtet und die Kinder versorgt sind, versteht sich 😉

      1. Ich befürchte Du könntest thematisch leicht eingeschränkt sein…

        1. Ja, da ist was dran 🙂

  2. Schön, dass du das mal schreibst. Man sieht immer nur die Auswandervideos, da wird immer bisschen verschleiert, wie es denn um deren Häuser, die sie kaufen und restaurieren so aussieht.

    1. Danke dir 🙂 Natürlich habe ich keinen Einblick, wie die Häuser aussehen, die als Kaufimmobilien infrage kommen oder in welchem Zustand sie sind. Was ich wiedergeben kann, ist ein allgemeiner, grober Eindruck entlang unserer Reiseroute. Aber ich denke, es wird sein, wie überall: Häuser in gutem Zustand gibt es auch in Bulgarien nicht „umsonst“ 😉

      1. Bei vielen wird nur noch das Grundstück verkauft. Aber so das allgemeine Bild war schon mal interessant zu lesen. 😁

        1. Trägst du dich mit dem Gedanken, auszuwandern? 😉

          1. sagt:

            Ja – wenn es hier noch schlimmer wird, haben wir das im Kopf.

          2. sagt:

            Portugal soll schön sein. Ich war zwar selbst noch nie dort, hole das aber noch nach. Ein Bekannter liebäugelte mit Montenegro. Am Ende wissen wir nicht, wohin es uns verschlägt 😉

          3. sagt:

            Das hab ich auch schön gehört. Eine Kollegin von mir ist mit einem Portugiesen verheiratet und kann es kaum noch abwarten dort ihren Lebensabend zu verbringen.

            Ja – wahrscheinlich bleibt man wo mal ist

  3. Wie gut, dass du dem Menschenhandel gerade noch mal so von der Schippe gesprungen bist 😂. So ein lädiertes Auge kann auch Vorteile haben.

    Tja, Bulgarien. Ich war noch nicht dort. Aber was du zeigst und beschreibst, passt zu dem, was ich von Leuten, die bereits da waren, gehört habe. Ich hätte dort sicherlich auch nicht länger angehalten. Aber dein Interesse ist ja entfacht für ein intensiveres Eintauchen in das Land! Bin nun gespannt, was ihr in Rumänien erleben werdet.

    1. Ich weigere mich einfach, zu glauben, dass es da nicht noch mehr geben sollte als das Offensichtliche. Ob ich nochmal speziell für Bulgarien losfahre, ist dahingestellt. Aber eventuell, wenn mal wieder eine Balkanreise ansteht, kann man Bulgarien mehr in Fokus nehmen.
      Rumänien: ist immer eine Reise wert 😉

      1. Ich denke, man findet in fast jedem Land was Schönes und Liebenswertes 😎.

        1. Ja. Wenn echtes Interesse da ist, auf jeden Fall 🙂

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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