Rzeszów, Polen nach Picturesque viewpoint – Google Maps
In Montenegro sind wir auf der Sonnenseite des Lebens. Und zwar buchstäblich. Denn obwohl das Wetter zu dieser späten Jahreszeit schlechter und schlechter wird und immer mehr Regen vom Himmel auf unsere Köpfe fällt – hier, im Land der schönen Berge ist es, als wollte das Land alle bisher erlebten Unannehmlichkeiten wieder wett machen.
Als wir losfahren in Republika Srpska, kleben noch die nassen Reifen am Asphalt. Typisch für Bosnien scheinen diese weißen Wolkenfelder zu sein, dicht wie Zuckerwatte kleben sie an den weichen, grünen Bergen. Ganze Bergspitzen verschwinden in einer grauen Wolkenwand und der Fluss zu unserer Rechten windet sich gräulich zwischen steil abfallenden Hängen. Die ersten Kühe tauchen herrenlos mitten auf der Fahrbahn auf, ein Bild, welches wir aus Georgien zur Genüge kennen. Der Grenzübergang. Die ersten Stempel in unseren Pässen. Dann tauchen die ersten, wirklich hohen Berge auf und sie sind wunderschön. Der Rest – die menschlichen Siedlungen, die Häuser – unterscheidet sich nicht allzu sehr vom restlichen Balkan.
Auffällig sind die vielen Polizeistreifen auf den Straßen. Immer wieder stehen welche am Straßenrand oder kommen uns entgegen. Doch uns, Touristen, lassen sie in Ruhe. Die hohe Polizeipräsenz scheint hier normal zu sein. Diese vielen Streifen und Kontrollen – die niemals uns betreffen werden – werden uns während unserer Zeit hier begleiten.
Durmitor Nationalpark
Die Sonne kommt raus kurz, bevor wir die Grenze passieren. Und von da an bleibt der warme Sonnenschein unser ständiger Begleiter. Das Wasser im Piva Fluss wechselt von schmutzigen Braun zu türkis. Die Berge sind höher, schroffer, die Landschaften fantastischer. Montenegro will uns verzaubern. Wir inhalieren die wundervolle Aussicht. Bereits kurz hinter der Grenze gab es den ersten Fotostopp. Die bergige Landschaft erinnert an die Georgiens und die Sonne tut ihr übriges. Die Hänge wirken wie gefaltet, symmetrisch fallen sie talwärts ab. Kleine, langgezogene Wölkchen schieben sich zwischen den Bäumen entlang, doch sie verkünden kein Regen, sie sind nur Zierde. Einzelne Kiefern krallen sich im kalkweißen Gestein fest. Klein wirken sie neben den riesigen Ausmaßen der Landschaft, die sich majestätisch vor unseren Augen verschiebt, uns immer neue Täler, neue Ansichten eröffnend. Alles ist grün, alles strahlt, und unser Gemüt hellt sich auf.
Das ist kein Wunder, denn wir befahren den Durmitor Nationalpark, der 1952 auf rund vierhundert Quadratkilometern Fläche um das Durmitor Gebirgsmassiv gegründet wurde. Hier gibt es den höchsten Berg des Landes, den Bobotov Kuk mit seinen 2522 Metern Höhe. Es gibt die tiefste Schlucht Europas, die Taraschlucht, in die sich der Tara auf über 140 Kilometern Länge zieht. Die Schlucht selbst misst 82 Kilometer Länge und ist an ihrer tiefsten Stelle 1300 Meter ins Gestein gegraben. Aufgrund seiner atemberaubenden Landschaften zählt der Nationalpark zum Welterbe der UNESCO.
Wir erreichen den Piva Stausee (Pivsko Jezero), den größten Wasserspeicher des Landes. Er wurde 1976 durch die Mratinje-Talsperre aufgestaut und hat 12,5 km² Fläche. Sein Wasser ist von einem fantastischem Blau, das seinesgleichen sucht. Wir fahren durch ins Fels gehauene Galerien, die Licht und Schatten in einem Tanz wechseln lassen. An der Talsperre, unweit des Ortes Mratinje, halten wir an. Außer uns sind nur wenige Reisende da, unter anderem eine kleine Gruppe Motorradfahrer. Montenegro sei nicht überlaufen, meint Tomek.
An der Talsperre hält es uns etwas länger. Es ist schwierig, sich zu lösen. Und als wir dann schließlich weiter fahren, lockt schon kurze Zeit später ein neuer Ausblick. Immer wieder gibt es Spots entlang des Weges, immer wieder eine neue Perspektive des langgezogenen, blauen Sees. Das Wasser glitzert in der Sonne und die Farbe ist irre. Als hätte ein unartiges Kind Lebensmittelfarbe ins Wasser gekippt, einen ganzen Eimer voll. Ein solches Blau ist quasi unmöglich. Wir staunen Baumklötze.
Natürlich wird posiert. Ganz oft und ganz viel. Schließlich will jeder ein Erinnerungsfoto von sich in dieser fantastischen Kulisse. Mir ist nicht nach Posieren zumute, doch so ganz entgehe ich nicht dem Fotografierwillen der Belegschaft. „Kasia, Gruppenbild!“ „Kasia, stell dich im Profil hin!“ Das zweite ist Tomek und die Bemerkung auf mein Problemauge bezogen, welches inzwischen sogar auf Ganzkörperbildern und von weitem unschwer zu erkennen ist. Eine Apotheke haben wir unterwegs nicht gefunden, doch ich muss zugeben, wir haben auch nicht danach gesucht. Selbst mir ist die atemberaubende Aussicht aktuell wichtiger als jede Gesundheitsvorsorge und was wir sehen, ist wirklich einmalig. So erschallt immer mal wieder die Aufforderung: „Achtung, Gruppenfoto! Kasia, Profil!“ Kasia weiß, was zu tun ist und stellt sich schön seitlich hin. Geht doch.
Die Weiterfahrt ist von einem kurzzeitigen, unerwarteten Hindernis gezeichnet. Irgendwann lösen wir uns vom blauen See und der Weg zweigt ab in Richtung Wald. Die Fahrbahn wird ein wenig zerbeulter, ein wenig abenteuerlicher. Niemals so, dass es unsicher wäre. Niemals wieder werden wir den Reiz der Emotionen erleben wie auf der Fahrt nach Omalo, wo sich auf dem Abano Pass ganze Wasserfälle auf die Fahrbahn ergossen und nur Schritttempo die einzige Möglichkeit war. Für uns Greenhorns natürlich; die Einheimischen überholten uns zackig.
Jetzt überholt freilich keiner mehr: abgesägte Baumstämme wollen von der Fahrbahn geräumt werden. Also tun wir, was man in solchen Fällen so tut und was alle Einheimischen tun, die sich nach und nach hinter uns versammeln: warten, bis es weiter geht. Der Abtransport braucht gleich vier oder fünf kräftige Montenegriner, die jedoch vor allem mit ihren Händen zu tun haben. Es wird wild gestikuliert und mit großen, ausladenden Gesten diskutiert, und jeder weiß besser als der andere, was zu tun ist. Den Abtransport der Baumstämme übernimmt der Kran. Und sie sind zügig; schon bald setzen wir die Fahrt fort.
Der Pass führt uns höher. Die Wälder bleiben hinter uns zurück, vor uns erstreckt sich eine hügelige, grüne Fläche. Kleine Schäferwolken ziehen am Himmel lang und die Dächer der Häuser leuchten verstreut in der großzügigen Landschaft wie weiße Würfelsteine. Im Hintergrund zu der sanft geschwungenen Hügelfläche mit ihrem grünbraunem, trockenem Grasland ragt das kahle Durmitor Gebirgsmassiv auf. Die Häuser sind willkürlich auf den Hügeln verteilt, wie hingeworfen und dort vergessen. Vermutlich baute man, wo gerade Land war, nichts hat das zu tun mit dem „in Reih und Glied“ deutscher Dörfer. Auch hier halten wir kurz an. Die frische Bergluft umgibt uns. Das Gras biegt sich im Wind. Es ist etwas frischer geworden und endlich, endlich wieder betrachten wir die Welt nicht nur durch eine verstaubte Glasscheibe unseres Wagens. Ich kann inzwischen verstehen, weshalb manche Menschen sagen, dass man nur beim Wandern die Welt wirklich erfassen kann. Hier gehe ich nun durch die trockenen Gräser, übrig gebliebene Blumen streifen an meinen Hosenbeinen. Später werde ich mir jede Menge trockenes Zeugs aus der Kleidung picken müssen, aber das ist okay.
Unsere Gruppe verstreut sich in alle Richtungen. Ein bleiches, steinernes Kreuz markiert einen der Hügel. Unweit davon eine verlassene, teilweise eingestürzte Hütte aus Stein. Es ist Spätsommer und Hagebutten leuchten feuerrot an den Sträuchern. Alles ist noch grün, nur ganz sachte, hier und da, wechseln einige Pflanzen ihre Farbe. Einen Hügel weiter sind zwei übergroße, spitz zulaufende Heuhaufen zu sehen, so groß, dass eine Leiter bereit lehnt, um sie zu besteigen. Spitz zulaufende Dächer der Häuser. Eine Bergwelt, eine Landwelt, eine Welt, in der man eigentlich nur loslaufen möchte. In es eine reine Freude ist, seine Beine zu benutzen, um von Hügel zu Hügel zu gehen. Nein, halt, nicht wieder zurück zum Auto! Doch eben dies ist das Schicksal des Besuchers: er ist da, und dann ist er wieder weg, von einer Eile getrieben, weiter zu gehen, mehr zu sehen, mehr zu erfahren. Und dass, obwohl alles um ihn herum schreit: bleib. Mach langsam. Hier ist dein Ort, um zu verweilen.
Wir verweilen auf dem Autositz.
Ich bin erstaunt, wie eben und gut ausgebaut das Wegnetz hier ist. Die Fahrbahn ist glatt wie ein Babypopo. Klar kennt man das aus der Schweiz. Aber hier? Kalkweiß ziehen sich die Wege durch die Landschaft, zwischen Weiden und vereinzelten Bäumen. Sanft geschwungene Hügel ziehen an uns vorbei. Wir lassen die Fenster offen, die Luft ist aber auch zu gut.
Zu gut sind auch die hausgemachten Brände und Schnäpse, die unterwegs vor den kleinen Hütten und Häusern und in provisorischen Ständen verkauft werden. Es gibt alles. Honig- und Mirabellenschnaps, Wein, selbst geernteten Honig, selbstgemachten Ziegenkäse. Der erste Stand ist verweist, der Besitzer ist für vermutlich kurze Zeit ins Haus gegangen in völligem Gottvertrauen darauf, dass ihm niemand seine Waren klaut. Am zweiten Stand haben wir mehr Glück, der Inhaber ist da und handelswillig. Käse, Schnaps und ein Honigwodka – von dem mein Onkel behauptet, er sei nicht so gut wie bei ihm zu Hause – wandert in unsere Taschen. Mit erstaunen nehme ich zur Kenntnis, dass Montenegro den Euro als Landeswährung eingeführt hat, ohne Mitglied der EU zu sein. Eine Besonderheit; Kroatien beispielswiese wird erst ab dem Folgejahr 2023 den Euro haben, was zu einem sprunghaften Anstieg der Preise führen wird.
Als wir weiter fahren, wird die Gegend, wenn es überhaupt möglich ist, noch schöner. Noch bergiger. Und vor allem: noch einsamer. Abermals halten wir das Auto. Bis auf Vorbeireisende entlang des Weges gibt es hier nichts und niemanden. Hin und wieder nur tuckert ein staubiges Auto oder ein Motorrad vorbei.
Ein großer Bilderrahmen, auf dem geschrieben steht: Montenegro wild beauty, umfasst die Berge. Wie passend und wie wahr. Meine Leute verlieren sich in der großzügigen Fläche. Verschwinden hinter dem nächsten Hügel, tauchen ein Stück weiter wieder auf als kleine, langgezogene, bewegliche Punkte. Bergformationen aus Granit, die wie zusammengefaltete Schichtkuchen aussehen, ragen aufrecht aus dem Boden. Diese Bergform zeigt die enormen Kräfte, die auf das Erdreich einwirkten und noch immer wirken. Die Bewegung der Erde hat diese einst horizontalen Gebilde in die Senkrechte geschoben, die Zeit hat einen flachen Hügel aus ihnen gemacht. Was wir hier durch den Bilderrahmen sehen, ist der Blick auf Prutaš, den schönsten Gipfel des Durmitor-Massivs. Seinen senkrechten Klippen, die Prutovi – was so viel wie „Zweige eines Baumes“ bedeutet, verdankt er seinen Namen.
„Unter dem Gipfel liegt das Tal von Todor. Es wird angenommen, dass es seinen Namen von dem guten jungen Mann Todor hat, der einer der beliebtesten Männer in der Gegend war. Er war in Ruzica verliebt, ein Mädchen aus einem nahe gelegenen Dorf. Die Feen, die früher an den Berghängen lebten, bewunderten Todor, waren aber auch eifersüchtig auf seine Zuneigung zu Ruzica. Eines Tages luden die Feen Todor auf den Berg ein, um an ihrer Tanzzeremonie teilzunehmen, aber er musste alle seine Waffen im Dorf lassen. Todor vergaß sein Messer, das er als Hirte immer bei sich trug. Er gesellte sich zu den Feen und genoss ihren Tanz eine ganze Nacht lang. Irgendwann entdeckten die Feen sein Messer. Im Zorn über seinen Ungehorsam hoben sie ihn in die Wolken und warfen ihn die Klippen hinab. Es wird angenommen, dass Todor auf seine Brust fiel und einen Teil des Berges abbrach, der den Namen Gruda (Grudi-Brust) trägt und sich in der Nähe von Prutaš befindet.
Todor wurde lange betrauert. In ihrer Trauer ging Ruzica auf den Berg und kam nie zurück. Der Legende nach heulten sogar die Felsen vor Schmerzen, weshalb eine Quelle im Todor-Tal danach benannt wurde (Pistet). Die Hirten aus dem Dorf wollten sich rächen, also machten sie lange, harte Zweige und benutzten sie, um den Berg zu erklimmen. Schweigend banden die Hirten die Haare der Feen zusammen, während sie schliefen, und sobald die Feen aufwachten, rissen sie ihnen die Haare aus. Seitdem hat niemand diese Feen je gesehen. Es wird angenommen, dass die goldenen Strohhalme an den Berghängen die Haare der Feen sind. Im Laufe der Zeit verschmolzen die Zweige mit einem Felsen und der Berg bekam seinen Namen nach ihnen.“
(Quelle: Itinari.com)
Wow, diese Berglandschaft ist wirklich fantastisch! Da zu wandern würde mir wohl auch gefallen. Richtig klasse! Und deine Profilaufnahmen sind professionell gelungen 👍😎.
Die Landschaft ist atemberaubend schön. Montenegro ist eine Reise wert, auch wenn man kein „Postsowjet-Fan“ ist, liebe Elke (Achtung, der Zaunpfahl kommt…) 😉
Wohl eher der Flutlichtmast 🤣!
😜
Ich sehe da eher den Flutlichtmast 😁.
Flutlichtet sich die Elke dann also nach Montenegro? 😉
Eines Tages ganz bestimmt! Ich muss nicht immer so richtig weit weg reisen.
Montenegro ist toll. Husch husch, fahr hin 😉
Bin schon fast da 😁.
Braav 😉
Bin ich ja praktisch immer 😇.
Offenbar sollte ich Montenegro meiner Länder-Wunschliste hinzufügen. Danke für einen Beitrag, der neugierig macht.
Montenegro ist schön. Wunderschön. Mehr davon gibt es im nächsten Beitrag 🙂
Gut, wenn man ein markantes Profil hat 😬.
Montenegro hat eine beeindruckend schöne Landschaft. Deine Bilder und Beschreibung erinnern mich an schöne Tage dort.
Ja, diese Reise lief unter dem Motto „Auge“. Die nachfolgende Balkanreise wird wieder ein anderes Motto haben 😉
Montenegro ist traumhaft schön. Zum anhalten und staunen.