Während der Jeepfahrt zurück zum Sammelparkplatz rennen uns Affen über den Weg oder hocken im Gebüsch unter ausladenden Bäumen. Ziegen werden über die Piste getrieben und im Dickicht verbergen sich Rinder. Der Geländewagen schaukelt durch den Sand, wir Passagiere halten uns alle schön fest. Mit Sonnenbrille auf der Nase und Wind im Haar blicke ich in die aufgehende Sonne und fühle mich fabelhaft.
Senegalesen sind solidarisch untereinander. Man hilft einander, nimmt auch mal jemanden per Anhalter mit. Ein alter Mann mit langem Messer steigt auf die Ladefläche auf; erst weiter bei einem der ersten Dörfer wird er wieder hinunter gelassen. Doch wir bleiben nicht lange alleine, der nächste Anhalter wartet bereits um die Ecke; ein junger Mann, der schüchtern lächelt und uns auf französisch grüßt. Das ist insofern anders, als dass hier die Menschen für gewöhnlich mit „Salam Aleikum“ grüßen.
Wir steigen wieder beim Sammelparkplatz um; Ibrahim wartet schon am Auto auf uns. Die hartnäckigen Verkäuferinnen haben uns nicht vergessen, auch jetzt versuchen sie vergeblich ihr Glück. Ich möchte ihnen zu gern sagen, dass ihre Strategie nicht funktioniert, dass ein Kaufanreiz eher dann geweckt wird, wenn man den potentiellen Käufer in Ruhe lässt. Aber das Bedrängen hatte sich wohl in Senegal bezahlt gemacht, wozu sonst die Taktik ändern.
Das Auto rauscht mit 80 bis 100 km/h über Fünfzigerzonen. Ibrahim ist gut drauf. Es kontrolliert so oder so keiner, die selten und eher in den Städten anwesende Polizei scheint nur Beiwerk zu sein. Die Menschen auf dem Land wissen sowieso, wie sie sich in Sicherheit bringen. In alle Richtungen verbogene Akazienbäume ziehen an uns vorbei, wie auch Frauen in flammend bunten Kleidern und leeren Wasserbehältern auf dem Kopf. In diesen Kleidern gehen sie nicht, sie schreiten. Gruppen kleiner Mädchen und Jungen gehen ebenfalls Wasser holen an diesem frühen Morgen, sie tragen allesamt große, schwarze Plastikschüsseln in ihren Händen. Noch sind diese leer, später werden sie sie auf dem Kopf zurück zu ihren Häusern transportieren. Ich sehe Frauen mit großen Bündeln Feuerholz auf ihren Rücken. Eselskarren, das Transportmittel schlechthin, um von A nach B zu kommen. Ländliches Leben.
Landwirtschaft in Senegal
Sie sieht schön aus, die Gegend, sobald man raus aus der Stadt ist. Verbogene, verdrehte Bäume, Akazien, Vogelnester. Es gibt hier Landwirtschaft, so wie Mamadou es uns gestern erzählt hatte. Wir halten an einem der Felder, wo ein junger Arbeiter gerade die Setzlinge mit Wasser aus einem Brunnen bewässert. Nachdem ein paar senegalesische Franc den Besitzer gewechselt haben, erzählt uns der Mann, wie seine Arbeit auf den Feldern aussieht. Satzlinge stecken und die Bewässerung wird per Hand erledigt. Ein Brunnen in der Mitte der Felder sorgt für Wasser. Die Pflanzen werde jeden Tag am Morgen per Hand bewässert. Wir sehen Zwiebel (die nur in der Trockenzeit wachsen, in der Regenzeit ist es ihnen zu nass), Cherry-Tomaten, Auberginen, Hibiskus.
Die Felder werden von Dorfgemeinschaften/Verbänden bewirtschaftet, die ihre Erträge weiter an Großhändler verkaufen. Der Großhändler vertreibt die Waren dann in alle Welt. Aus der Sicht der Dorfgemeinschaften lässt sich damit nur so viel erwirtschaften, dass die Lebenshaltungskosten der Menschen gedeckt sind. Verdienen lässt sich nicht viel, denn obwohl die Pflanzen tägliche Fürsorge brauchen, bleibt der Gewinn nicht bei der Dorfgemeinschaft hängen. Ein Kreislauf, aus dem sie nicht raus können.
Irgendwo im Schatten der Bäume und Büsche sehe ich Fellflecken und höre Ziegen, die Schutz vor der Hitze suchen. Vorsichtig stakse ich durch die säuberlichen Feldreihen. Wir spekulieren, Stefan und ich, über potentielle Marketing-Strategien, um den Großhändler vor Ort unter Druck zu setzen und höhere Preise für die Waren auszuhandeln. Dafür müssten die Dorfgemeinschaften besser organisiert sein und zusammen arbeiten, gibt Mamadou zu bedenken. Es ist nicht nur der Preisdruck der Weltkonzerne, es ist auch die Uneinigkeit der Menschen und der Drang, sich selbst der nächste zu sein. Der Konkurrenzkampf verhindert eine Zusammenarbeit mehrerer Dorfverbände, und so sitzt der Großhandel immer am längerem Hebel.
Langue de Barbarie
Das Auto rauscht durch die Szenerie, soweit die Straßen und die allgegenwärtigen Tiere und Menschen das erlauben. Wir sind auf dem Weg in die postkoloniale Hafenstadt St. Louis, die am Atlantik an der Grenze zu Mauretanien liegt. Doch davor halten wir an einem wunderschönen Ort.
Achtzehn Kilometer südlich von St. Louis liegt der Nationalpark Langue de Barbarie. Eine sandige Landzunge schiebt sich in den Atlantik; auf rund 20 km² erstreckt sich das Schutzgebiet. Normalerweise muss man vom nahe gelegenem Dorf mit einer Piroge übersetzen, doch das tun wir nicht. Wir halten am Straßenrand, wo reich gekleidete Frauen in rauschend eleganten, bunten Satinkleidern auf eine Mitnahmegelegenheit warten, und überqueren die Straße. Tauchen ein in einen Waldabschnitt, bis wir vor dem Schild stehen, der den Nationalpark ausweist. Ein längerer Ausflug durch den Park ist nicht geplant, doch wir schlendern am Strand entlang und genießen den Anblick. Dort, auf der anderen Seite, lassen sich besonders jetzt im Winter diverse Zugvögel beobachten. Pelikane, Kormorane und Flamingos leben hier. Ich entdecke Strandläufer, und in flachem Wasser tummeln sich kleine Fische.
In seichtem Wasser treibt ein Fischernetz neben einer verlassenen Piroge, von der die Farbe abblättert. Der Strand ist flach abfallend, geziert von diversen Menschenspuren. Doch außer uns ist momentan niemand hier. Nadelbäume mit blank gespülten Wurzeln haften mit letzter Kraft im Sand, während sich ihre Stämme in Windrichtung neigen. Sie spenden uns sonnengefleckten, beweglichen Schatten, während wir flanieren. Weiter hinten, in der Dichte der Vegetation, wachsen Kakteen.
Der festgespülte Sandboden ist übersät von kleinen, braungrauen Steinen, die sofort zum Leben erwachen, sobald man sich ihnen nähert. Es sind kleine Krabben, die in der Sonne harren. In Scharen flüchten sie in ihre unterirdischen Löcher, wenn ich vorsichtig in ihre Richtung gehe. Der Boden unter meinen Füßen sieht aus wie Schweizer Käse. Dafür finde ich, wie fast an jedem Strand dieser Welt, irgendwo eine tote Krabbe, die ich ausgiebig für meine Fauna-Studien betrachten kann. Die rennt nicht weg.
Der sanfte Wind erzeugt nicht mehr als leichte Wellen auf der Wasseroberfläche. Es ist ein einsamer Ort, entstanden aus den zarten, gedeckten Farben eines Künstlers. Blasses Blau, erdiger Sand, ein langgezogener Schwung des Pinsels. Hier ein paar Baumstämme in der Sonne, dort etwas dunkles Grün. Gib Wind dazu, lass die Sonne scheinen, setze einen nachdenklichen Stefan und einen fröhlich winkenden Mamadou hinein.
Als wir zum Auto gehen, ist die farbenfroh gekleidete Senegalesin noch immer da. Ihr Satinkleid leuchtet in der Sonne. Sie wartet darauf, mitgenommen zu werden. Die vielerorts fehlende Infrastruktur macht es für die Menschen notwendig, auf Mitfahrgelegenheiten zu setzen, und dieses System hat sich etabliert. Die Menschen sind solidarisch und unterstützen einander im Alltag – sonst ließe sich dieser vermutlich schwerer bewältigen.
Während der Weiterfahrt versuche ich, so viel vom Leben entlang der Straßen festzuhalten wie möglich. So wenig ich Fan davon bin, Menschen meine Kamera ins Gesicht zu halten, so bin ich doch der Meinung, dass das, was den Charme, die Identität eines Landes ausmacht, eben seine Bewohner sind. Die auf ihre Weise charmanten Pferdekarren, mit denen große Bündel Holz gekarrt werden (als auswärtiger Besucher fällt es mir leicht, derartiges charmant zu finden). Die eleganten Frauen, die wie leuchtende Blumen daherkommen und in großem Kontrast zum allgegenwärtigen Müll stehen, der am Rande von Städten und Dörfern vor sich hin vertrocknet. Wir kommen vorbei an weitflächigen, salzhaltigen Seen, die so schön sein könnten, wäre da nicht der ganze Müll an seinen Ufern. Doch in Wahrheit sind es vermutlich keine Seen, sondern die Überreste der zahlreichen Regenfälle von der letzten Saison. Den Flamingos machen all die leeren Kanister, Lumpen und sonstige Überbleibsel freilich nichts aus; ungerührt wie immer stolzieren sie über die flachen Wasserflächen und suchen nach Essbarem.
Eine Brücke umspannt das Wasser des mächtigen Senegal Flusses. Auf nackten, aus dem Wasser ragenden toten Ästen lauern Kormorane auf unaufmerksame Beute. Wir nähern uns der quirligen Hafenstadt St. Louis.
Da habt Ihr ja eine ordentliche Portion Lokalkolorit am Wegesrand beobachtet können und interessante Einsichten erhalten. Da werden wirklich starke Kontraste sichtbar. Bin schon gespannt, wie ihr die Stadt erlebt habt.
Liebe Elke, Senegal ist so ziemlich das Gegenteil vom geordneten Deutschland. Eigentlich hatte ich keine Erwartungen an dieses Land. So kann man sich am besten überraschen lassen… 😉
Ein schönes Pärchen hast du dem Beitrag vorangestellt. 😉 Ich denke du machst jeden Tag neue Erfahrungen und berichtest über das Leben der Einheimischen. Es ist kaum zu glauben, dass es so eine Lebensweise heutzutage immer noch gibt. Die Schere zwischen den reichen und den Entwicklungsländern ist weit offen.
Liebe Grüße
Harald
Vielen Dank! 😉 Ich denke, dass der Lebensstandard, den wir hier praktizieren, in nur wenigen Teilen der Welt alltäglich ist. In weiten Teilen geht es ähnlich zu wie in Senegal, oder es ist etwas dazwischen. Schwierig, etwas dazu zu sagen, denn einerseits wünsche ich jedem einen Aufstieg nach seinen Vorstellungen, andererseits denke ich, hierzulande haben wir zu viel. So etwas wie Armut ist spürbarer durch soziale Ungleichheit; diese finde ich fast schon schlimmer. Wäre unser Lebensstandard ein klein wenig gesenkt, dafür aber die Kluft zwischen Wohlhabend und nicht so wohlhabend angeglichen, vermutlich gäbe es weniger sozialen Neid und Unzufriedenheit.
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
Kasia
Wir kaufen auch nur dann, wenn man uns in Ruhe stöbern lässt. Das ist so lästig! Manchmal opfere ich mich und verwickle den Verkäufer in Verhandlungen, während die SinnlosReisende ungestört die Auslagen anschaut.
So ähnlich läuft es bei uns auch, nur dass sich Stefan nicht freiwillig opfert. Ich schiebe ihn zu den fraglichen Verkäufern hin und murmele so etwas wie: „Der Mann kauft.“ Natürlich muss man die hasserfüllten Blicke des Gatten dabei geflissentlich ignorieren… 😉
Endlich gibst du es mal zu, dass ich eigentlich nur ein Opfer für dich bin. 🙁
Ein dankbares, Schatzi, das musst du schon zugeben 😉
Und niemals gebe ich etwas zu 😉