Wir stehen inmitten der Lavafelder und überlegen, was wir nun machen sollen. Der Kakteengarten fällt weg, denn… „Es wird heiß sein zur Mittagszeit.“ Gibt Stefan zu bedenken. Auch der begehbare Lavatunnel ist für meinen Liebsten keine Option. „Der Tunnel ist einen Kilometer lang. Da bekomme ich Platzangst.“ Nun, der Tunnel ist länger, doch dieser eine Kilometer ist genau die Länge, die für Besucher begehbar gemacht wurde. Und es ist ein beeindruckendes Erlebnis, aber davon in einem anderen Beitrag.
Es ist Vormittag, ich will noch was erleben. Ein Ausblick muss her. Und über den Mirador del Rio haben wir bereits sagenhaftes gelesen. Er befindet sich im Norden der Insel, unweit des von uns kürzlich besuchten Mirador de Guinate. Der Spot erhebt sich rund fünfhundert Meter über dem Meeresspiegel und der Ausblick ist spektakulär.
Je höher wir kommen, umso kälter wird es. Von dem sonnigen Tag in der Ebene der Insel ist hier oben nichts mehr zu spüren. Der Parkplatz ist gehüllt in eine graue, sich schnell bewegende Wolkenschicht, die mal mehr, mal weniger Sicht ermöglicht. Ein dünner Schleier jagt im Wind über die Gräser, zart wie Rauch, so zart, dass man ihn kaum auf der Haut spürt. Er umhüllt den Aussichtspunkt, dann gibt er ihn wieder frei. Und kalt ist es, kalt und windig. Wir holen alles aus dem Auto, was irgendwie nach einer warmen Kleidungsschicht aussieht. So eingepackt machen wir uns über diejenigen lustig, die die Höhe und die dazugehörenden Temperaturen falsch eingeschätzt haben, so wie ich eines schönen Tages auf dem Ätna, ganz zur Beginn meiner Reisekarriere.
Der Ausblick von ganz oben vom Mirador kostet Eintritt. Beim ersten Mal sind wir dafür zu geizig, scheint es uns doch so, als wenn die Aussicht bereits von dem niedrigen Mäuerchen auf dem schmalen, unbefestigten Weg, den viele entlang gehen, grandios ist. Mit jedem Schritt und jeden Blick nach rechts schiebt sich die lange Zunge des Meeres und die dahinter liegende, langgezogene Insel in unser Sichtfeld. „Seriously, what is this place? …this is haven.“ Fällt mir zu dem ein, was meine Augen sehen. Fasziniert spähe ich auf die schöne Unbekannte unter mir. Später soll mir klar werden, dass dies La Graciosa ist, „die Anmutige“. Und dass sie mich nicht mehr loslassen wird.
Mit uns sind andere unterwegs, die hier entlang gehen, Fotos machen und meinen, Geld gespart zu haben. So wie wir. Dass wir ins im Irrtum befinden und dass der kostenpflichtige Spot noch einmal spektakulärer sein wird, das ist uns zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Sind unsere Augen doch bereits jetzt trunken vor Schönheit. Ein älterer Spanier möchte sich gerne mit mir über das Erlebte austauschen. Auf spanisch. Wo ich doch froh bin, endlich mal mein Englisch soweit aufpoliert zu haben, dass ich nicht verloren gehe in den Tiefen des Reisekosmos. Seine Frau ist bereits vorgelaufen und er hinkt irgendwo hinterher. Schon bald verabschiede ich mich und stoße wieder zu Stefan.
Die schmale Meereszunge unter uns, die La Graciosa von Lanzarote trennt, wird Rio genannt. Sie ist namensgebend für diesen Ausblickpunkt hier. Zudem ist der steile Hang von Risco de Famara zu sehen, eine von Lanzarotes Steilküsten, welche wir die Tage ebenfalls als schwindelerregenden Spot erleben werden. Und, riskieren wir einen genaueren Blick nach weiter unten, sind rosabraune Rechtecke einer abgelegenen Saline sichtbar. Es sind Salinas del Rio, die ältesten Salinen der Insel. Sie befinden sich am Fuße von de Famara. Sie sind nicht begehbar, da sie zur Zeit restauriert werden. Und das kann dauern.
Orzola
Schwindelig von der Aussicht kehren wir zurück zum Auto. Der erste Hunger meldet sich, das Frühstück ist schon eine Weile her. In Orzola, einem kleinen Fischerort nur wenige Kilometer entfernt, gibt es den besten Fisch weit und breit. Und die Parkplätze sind gratis, wie fast überall sonst auf der Insel. Doch das wissen wir zu den Zeitpunkt noch nicht, wir wollen einfach nur mal schauen, wie die Fähren nach La Graciosa verkehren. „La Graciosa?“ Fragt mich ein Mitarbeiter einer der beiden einzigen Beförderungsunternehmen. Die Wahl ist schwer, denn beide Gruppen haben ihre Tickethäuschen nebeneinander, die Preise sind identisch wie auch der Service, nur die Fahrzeiten sind um jeweils eine halbe bis eine Stunde versetzt.
Nachdem ich mich informiert habe, suchen wir uns das erste, kleine Fischrestaurant, das uns anlacht. Die Stimme des Kellners klingt zerbrechlich, als er uns nach unserem Getränkewunsch fragt, doch das, was dann an Essen kommt, übertrifft meine Vorstellungen. Die Calamari und der Fisch sind der Wahnsinn. Das ist kein Essen, das ist eine Offenbarung. Mithilfe von Google Translator tue ich meine Begeisterung kund. Und habe ab sofort ein neues Lieblingslokal.
Wir sitzen am Hafen, mit Blick aufs Meer. Überhaupt schmeckt alles mit Blick aufs Meer gleich wesentlich besser. Ob die frische Seeluft dazu beiträgt? Doch auch im Inneren des Restaurants lässt es sich leben, wie ich bei einem kurzen Erkundungsgang auf dem Weg zum stillen Örtchen bemerke. Ein offener Innenhof, schattig und gemütlich, lädt zum Bleiben ein. Beim nächsten Mal.
Ansonsten gibt es zu Orzola nicht viel zu sagen. Es ist ein verschlafener, kleiner Ort, in dem das Leben ruhig vor sich hin plätschert. Die einzigen Höhepunkte des Tages werden wohl die Abfahrten der beiden Fähren sein, und überhaupt spielt sich das Leben hier vorwiegend in Hafennähe ab.
Playa de Caleton Blanco
Zwischen schwarzem, schroffen Vulkangestein leuchtet es blau. Eine Meerwasserzunge schiebt sich ins Land, ein heller Streifen Sand schmiegt sich zwischen die Felsen. Aus dem Augenwinkel entdecke ich diesen Ort, im Vorbeifahren sozusagen, und schreie Zeter und Mordio. Wir halten an. Und wie es sich für vorausschauende Urlauber gehört, haben wir unsere Badesachen dabei.
Und die schlauen Insulaner haben sich etwas cleveres einfallen lassen, um an den Badespots trotz Menschenaufkommen etwas Privatsphäre zu haben. Sie nutzten das Lavagestein, welches zuhauf überall vorhanden ist, und bauten daraus eine Art Nester; niedrige, runde Mäuerchen mit Eingang, ähnlich jenen, die die Weinreben vor Wind und Wetter schützen. Hier an dieser Badebucht ist der ganze Abschnitt voller solcher Privaträume. Suchend laufen wir mitsamt unserer Taschen den Abschnitt ab, doch jedes einzelne scheint besetzt zu sein. Schließlich, etwas abseits, haben wir Glück.
Die Sonnenbrandgefahr noch im Hinterkopf creme ich mich brav ein. Überhaupt werde ich mich nicht lange in der Strahlung aufhalten. Ich stakse zwischen den pieksenden Steinen hindurch zu der offenen Badestelle und tauche in das türkisblaue, warme Wasser. Eigentlich wäre der Abschnitt der Küste zum Baden ungeeignet, doch die geschützte Bucht, in der sich Meerwasser sammelt, ermöglicht gefahrloses Baden selbst für Kleinkinder.
Nach etwa fünf Minuten des Plantschens treibt mich die Angst um meine Haut wieder aus dem Wasser. Der Sonnenbrand, den ich mir zur Beginn eingehandelt habe, ist noch noch nicht abgeklungen. Es hat sich trotzdem gelohnt.
Ich kehre zurück zum „Nest“ und ziehe mich an. Dann zieht es mich auf Erkundungstour, ich springe von Stein zu Stein, verschwinde zwischen den Felsen und betrachte fasziniert die verbliebenen Wasserstellen und das Leben, das sich in ihnen tummelt. Dort, wo sich die Wellen zurückziehen und größere und kleinere Meerwasserlachen hinterlassen, verbergen sich Krabben, winzige Einsiedlerkrebse. Hell schimmernde, fast transparente Fische, die pfeilschnell von Versteck zu Versteck schießen, fast zu schnell für das menschliche Auge, geschweige denn für die Kamera. Schnecken haften nass und glänzend an mit grünen Algen bewachsenen Steinen. Wasserbläschen steigen in die Höhe. Je näher der Meerlinie, umso mehr solcher Stellen gibt es. Ein eigenes Biotop.
Alte, ausgediente Boote und Bootsgerippe ruhen zwischen großen Lavabrocken und geben ein malerisches Fotomotiv. Ein Mann steht auf hohem Stein und angelt in den hoch spritzenden, aufschäumenden Wellen. Um mich herum erstrecken sich all die vulkanischen Hügel, dunstig erhebt sich die Steilküste de Famara in die Höhe.
Zurück zu Stefan. Ich habe ausreichend Sonne getankt, er auch. Mein Stefan möchte „nach Hause“; zurück zur Finca in diesem Falle. Doch ich habe da noch eine Idee.
Mirador del Rio, die 2-te
Eine Offenbarung ist ebenfalls der Ausblick von Mirador del Rio. Stefan hat keine Lust, lässt sich schließlich davon überzeugen, Geld in die Hand zu nehmen und das Gebäude, welches mehr an ein Raumschiff auf dem Mond erinnert, zu betreten. Und er ist begeistert, ebenso wie ich.
Und natürlich hatte César Manrique hier wieder seine Hände im Spiel, was an vielen Details ersichtlich ist. Zunächst das Bauwerk, welches sich nahtlos in die Landschaft fügt. Beim Bau wurde ein Fragment der Klippe ausgehoben und schließlich, nach der Fertigstellung des Gebäudes, wurde es mit schwarzem Lavagestein verkleidet. So sind von außen lediglich die beiden Panoramafenster sichtbar, der Rest fügt sich in die natürliche Umgebung. Dadurch wirkt der Ort wie eine Raumstation irgendwo auf einem kargen, unwirtlichen Planeten. Zwei Jahre hat es gebraucht, das Werk fertig zu stellen; in den 70er Jahren wurde es für Besucher eröffnet. Trotz dieser Zeitspanne wirkt es noch immer zeitlos und futuristisch zugleich, die Faszination lässt nicht nach.
Das erste, was wir sehen, als wir die Räume betreten, sind Skulpturen von Manrique. Vielleicht nehmen sich die Besucher – auch wir – zu wenig Zeit, um diese zur Genüge zu betrachten und somit zu würdigen, doch ein jeder ist aus einem anderen Grund gekommen. So eilen wir an dem an den Panoramafenstern platzierten Restauranttischen vorbei, um nach draußen zu gelangen – zu dem unglaublichen Ausblick.
Über eine Treppe gelangen wir eine weitere Ebene höher.
Dann sind wir da und riskieren einen Blick nach unten. Wolken ziehen vorbei wie Rauch, so schnell, dass man ihre Feuchte kaum spürt. Schnell wie Sand, den man in die Luft geworfen hat. Wolken wälzen sich über den Hang. Ihre dunklen, kompakten Schatten klettern den Abhang hinauf. Und oben sind wir. Ein unglaublicher Anblick. Zarte, weiße Schleier über uns, unter uns, vor uns. Die Insel La Graciosa liegt ausgebreitet zu unseren Füßen. Sie scheint zu schweben, wie aufgehängt in der Luft; die Grenze zwischen Himmel und Meer verschwindet. Dunkel erheben sich ihre Vulkankegel und in der Sonne leuchtet ihr heller Sand. Eine Fähre in Miniaturformat verlässt den Miniaturhafen und fährt in Schleifchenkurs zurück nach Lanzarote.
Wir bleiben lange dort oben sitzen, unsere Augen gefesselt von so viel überwältigender Schönheit. Als wir wieder runter kommen, ist es nach 17 Uhr. Das Restaurant hat schon zu, der Souvenirshop auch. Und sogar der Himmel verschließt den Blick hinter einer pudrig weißen Wolkendecke, pünktlich zum Feierabend.
Info: Mirador del Rio ist von 10 bis 17:45, im Sommer (15 Juli-15 September) für Besucher geöffnet. Die vorgegebene Aufenthaltsdauer beträgt 45 Minuten, doch wird niemand kontrolliert oder wieder nach unten geschickt. Bei schlechtem Wetter und bewölktem Himmel gibt es eine Ermäßigung auf den Eintrittspreis.
Es ist Abend
Es ist Abend. Der Wind umschlingt die Insel und knurrt durchs Gemäuer wie ein hungriges Tier. Schon lange hat sich keine der Katzen blicken lassen. Ich sitze auf der Terrasse im fahlen Licht und lese eines der Bücher, welche ich in unserem Wohnzimmer auf Zeit aufgestöbert habe. Eine wundersame Geschichte. Stefan schlürft vorbei.
Die Wellen bei los Hervederos würden jetzt vermutlich tosen.
Die Älteren kennen Mirador del Rio vielleicht noch aus dem Fernsehen. Damals in den 80zigern im Ferienprogramm vom ZDF kam eine fantastische Serie namens „Timm Thaler“ und in dem futuristischen Gemäuer residierte der Baron 🙂
Passe… 😉
Eine fantastische Landschaft. Der Lavatunnel hätte mich interessiert.
LG Harald
Die Welt unter der Erdoberfläche ist mindestens genauso spannend wie die obendrüber.
Lg Kasia
Absolut beeindruckend!
Vielen Dank. Es ist ein wundervoller Ort, solcher Orte gibt es viele auf Lanzarote.
Zu heiß für den Kaktusgarten: Ja, schon klar, bei durchschnittlich maximal 25 Grad im Mai😂! Ein Besuch dort lohnt übrigens absolut. Sagt eine, die nicht gerade als leidenschaftliche Botanikerin bekannt ist. Aber ihr habt ja mehr als genug andere schöne Dinge getan und erlebt an diesem Tag. So eine tolle Insel!
Was La Graciosa betrifft, so habe ich schlechte Nachrichten für dich: du wirst dir das Inselchen wohl mit mir teilen müssen! Es kommt meiner Vorstellung vom Paradies geradezu unglaublich nahe. Ich hatte gestern echt Schnappatmung, als ich dort landete. Und das lag nicht an der anfangs etwas wilden Überfahrt. Und wie du habe ich festgestellt, ein Tagesausflug wird diesem unfassbar schönen Fleckchen Erde nicht wirklich gerecht. Ich werde beim nächsten Mal ganz sicher ein paar Tage hier im Paradies verweilen.
Oh, du hast es also gesehen? Wie schön. Ich hatte schon Sorge, es käme was dazwischen, das wäre nämlich echt schade gewesen. Welche Ecken der Insel hast du besucht? Ich bin schon auf deinen Blogbericht gespannt 🤩
Den Kakteengarten haben wir in den Folgetagen angesehen, Bericht folgt😁
Ich war überall ein bisschen 😎: Teguise, Costa Teguise, Yaiza, Costa Blanca, El Golfo mit der grünen „Pfütze“, Timanfaya, La Geria, Caldera de los cuervos, Fundacion Manrique, Stratified City, Jameos del agua, Kakteengarten, Playa Honda, Haria, La Graciosa, Orzola, Arrieta und Punta Mujeres. Und natürlich in jedem Winkel von Arrecife, wo ich wohne und wo ich volles Rohr ins mehrtägige Karnevalspektakel geraten bin 🥳. Nur mit dem Mirador del Rio will es nicht so recht klappen. Doch das ist eine andere Geschichte, die entweder morgen oder eben beim nächsten Besuch auf der Insel geschrieben wird. Morgen an meinem letzten Tag will ich noch zur Playa de Famara.
Da hast du dir ganz schön viel angeschaut. Auf deinen Bericht vom Karneval bin ich sehr gespannt. So hat jede Jahreszeit ihre Reize😉 Playa de Famara ist ganz toll, wird dir gefallen. Genieße deinen letzten Tag😁
Danke! Das mache ich.