Frühes Aufstehen ist heute angesagt, noch früher als sonst, denn die Krebshöhle befindet sich im Norden der Insel. Alle drei Katzen warten bereits auf der Terrasse auf uns, zwei haben auf unseren Liegen übernachtet. Erstaunlich, wie anhänglich sie sind – obwohl wir sie nicht füttern. Oder es sind ihre Stammplätze, schon immer gewesen. Wie dem auch sei, wir nennen nun drei Haustiere unser eigen. Auf Zeit.
Die Häuser leuchten. Die Sonne steht bereits oben, das Licht ist nicht mehr so weich wie am Abend zuvor. Und dennoch. Sie schafft einen völlig anderer Eindruck als am Mittag, als die so facettenreiche Landschaft flachgedrückt und zweidimensional wirkt. Dunstig sehen die Vulkankegel aus zu dieser Stunde, aus Schwarz wird rauchiges Grau.
Wir sehen Leute bei Feldarbeit. Arbeiter in warngreller Kleidung, Privatleute. Sie bearbeiten ihre Weinreben, zerlegen eine Lavasteinmauern und nutzen die Steine, um die Rebstöcke vor Wind zu schützen. Breitkrempige Hütte schützen Kopf und Schultern vor der inzwischen recht harten Strahlung. Weinreben, Mäuerchen, Anlagen. Vulkankegel über uns, jeder in einer anderen Farbe. Der eine blass, der andere rot, ein dritter mit strahlenförmigem Muster bedeckt. Wolken fliegen über den Himmel, ihre schwarzen Schatten kriechen lautlos über Berge und Hügel.
Dann fahren wir durch erkaltete Lavafelder. Mit grau-grünem Bewuchs bedeckt erinnern sie mich an jene in Island, vor langer, langer Zeit. Vor uns auf der Hauptroute hat sich eine Autokolonne gebildet. Haben die etwa alle das gleiche Ziel wie wir?
Ja, haben sie. Um viertel vor elf kommen wir an Jameos del Agua, auch als Krebshöhle bezeichnet, an. Der weitläufige Parkplatz ist recht leer, und doch steuert bereits ein Parklotse die ankommenden Autos zu den entsprechenden Plätzen. Was Sinn macht, denn das Aufkommen wird sich im Laufe des Tages stark erhöhen.
Die ersten Besucher sind bereits da. Doch das stört hier keinen. Anstatt eines aggressiven Gedränges gehen die Menschen rücksichtsvoll miteinander um, ermöglichen sich eine schöne Zeit. Über eine geschwungene, steile Treppe tauchen wir Stück für Stück in den Bauch der Insel ein. Die Höhle mit ihrem See ist wie ein Zauberspiegel, weiße Krebse bewegen sich in dem klarem Wasser. Wir gehen nahe an die Wasserfläche, schauen in diesen Spiegel, solange wie wir wollen. Leise Musiktöne erfüllen den Raum, verdeutlichen die Akustik. Dann gehen wir weiter. Keiner drängelt. Es ist ein besonderer, schöner Ort. Wir haben Zeit.
Das Höhlensystem unter dem Vulkan Monte de la Corona erstreckt sich über sieben Kilometer weit in Richtung Küste. Bis unter die Meeresoberfläche reichen die bei einem Vulkanausbruch vor 5000 Jahren entstandenen Höhlen. Während die Lava auf das Meer traf und dieser Teil schnell erkaltete, flossen die Lavamassen unterirdisch weiter. So bildeten sich die Höhlen.
Mitte der 60er Jahre wurde die Jameos del Agua zu einer begehbaren, touristischen Sehenswürdigkeit ausgebaut, unter der Leitung des Künstlers César Manrique. Die Grotte in der wir uns befinden, ist 100 Meter lang und 30 Meter breit. Der See, vor dem wir stehen, wurde nicht etwa künstlich angelegt, sondern ist einer der wenigen Abschnitte, die mit Meerwasser befüllt wurden. In ihnen leben die einzigartigen weißen Albino-Krebse. Das Einzigartige an ihnen ist die Tatsache, dass sie aufgerechnet diesen Ort zu ihrem Lebensraum wählten, denn diese Art lebt normalerweise in großen Tiefen ab zweitausend Metern abwärts.
Links des Sees erlaubt es ein schmaler Pfad, in den hinteren Bereich der Grotte zu gelangen. Das Innere der Höhle wurde großzügig mit tropischen Pflanzen besetzt, die hier prächtig gedeihen. Die Grenze verschwimmt zwischen Kunst, Menschenhand und Natur, in meinen Augen eine stimmige Symphonie. Licht, das herein fällt, erschafft die Illusion einer nicht realen Welt. Der Schein wirkt fast grell, wie er auf den kühlen Schatten hier unten trifft. Eine Ebene höher befindet sich ein Restaurant, doch wir nutzen nicht die Gelegenheit. Eine Weile noch bleiben wir stehen, dann treibt uns die Neugier weiter, denn noch haben wir nicht alles entdeckt.
Oben erwartet uns ein karibischer Traum. Strahlendes Weiß, türkisblaues Wasser. Palmen, die Schatten spenden. Dieser Anblick ist zu schön, um wahr zu sein, und das ist er auch nicht, denn die Lagune ist nicht echt. Es handelt sich hierbei um ein geschickt angelegtes Schwimmbecken, der angebliche „Sand“ ist fester Boden. Auf Fotoaufnahmen eine perfekte Illusion. Früher sei es möglich gewesen, in dem Pool zu baden, das wird seit einiger Zeit nicht mehr gestattet. Manrique selbst hatte diesen weißen Pool entworfen; er wurde in den Vulkankessel integriert.
Ich entdecke die Konzerthalle, derer Eingang sich direkt im Anschluss an das blaue Becken befindet. Sie ist weit über die Grenzen der Insel bekannt für ihre exzellente Akustik. In der Konzerthalle selbst ist momentan nichts los, jedoch habe ich Glück: eine Gruppe Musiker übt gerade (…für einen Auftritt?), leise Klänge erfüllen den Raum. Die Wände sind mit Spiegeln ausgelegt, ob das ebenfalls der Klangqualität dienen soll, vermag ich nicht zu sagen.
César Manrique
Jameos del Agua sowie die meisten Sehenswürdigkeiten auf der Insel wurden vom Künstler und Umweltschützer César Manrique entworfen. Zeit, ein paar Worte zu der Persönlichkeit zu verlieren, die wie keine andere das Bild der Insel geprägt hat und deren Tod von ganz Lanzarote betrauert wurde.
Geboren am 24 April 1919 in Arrecife verbrachte Manrique seine Kindheit auf der Insel. Mit 17 Jahren folgte er den Truppen von Diktator Franco in den Krieg. Desillusioniert kehrt er nach dem Krieg auf die Insel zurück, nur um kurze Zeit später in Madrid Kunst zu studieren. Seine ersten großen Erfolge feiert Manrique in New York, wo seine Werke in größten Galerien der Stadt ausgestellt wurden. 1968 kehrte er nach Lanzarote zurück.
Von da an änderte sich alles. César Manrique engagierte sich für den Umweltschutz und den Erhalt „seiner“ Insel. Unterstützung bekam er von höchster Ebene, denn ein alter Freund der Familie war in hohen Kreisen der Regierung tätig.
Nicht nur Kunst spielte eine große Rolle in seinem Leben; sein Ziel war es, das Schaffen des Menschen mit der Natur zu vereinen. Er entwarf künstlerische Werke und Bauten, die sich perfekt in die Landschaft Lanzarotes fügten, ohne als störendes Element wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig kämpfte er gegen Investoren und drohenden Massentourismus, förderte den Erhalt der traditionellen Bauweise auf der Insel, wonach Häuser nicht höher sein sollten als zwei Stockwerke. Auch das ist ein Grund, warum es heute keine Hotelburgen auf Lanzarote zu sehen gibt.
Das leuchtet mir ein. Das Gesamtbild Lanzarotes ist in sich stimmig. Obwohl touristisch bekannt und frequentiert, zeigt sich Lanzarote von der gediegenen Seite. Ruhig ist die Insel, ihre Orte haben beinahe einen ländlichen Charme. Das haben wir Manrique zu verdanken.
Der Künstler starb bei einem Autounfall auf einer Kreuzung, am 25 September 1992. Ganz Lanzarote hat den Tod seines „bevorzugten Sohnes“ betrauert. Am Ort seines Todes steht heute zur Erinnerung ein überlebensgroßes Windspiel. 1993, ein Jahr nach seinem Tod, wurde Lanzarote zum UNESCO Biosphärenreservat ernannt.
Ja, es ist ein wunderbarer Ort, obwohl er – ich war gerade heute dort – schon sehr stark frequentiert ist. Die Atmosphäre ist magisch, trotz alledem.
Es ist einer der meist besuchten Punkte auf Lanzarote, aber trotzdem wunderschön 🙂
Das ist ja ein ganz zauberhafter Ort. Vielleicht muss ich doch mal nach Lanzarote. Bisher hatte ich den Eindruck, da ist nichts als Lava, aber deine Berichte belehren mich eines Besseren. Danke!
Lanzarote ist Lava in ihrer schönsten Form 🙂 Im Ernst, die Insel hat noch mehr zu bieten. Sie ist so wunderbar touristisch und untouristisch zugleich; trotz der vielen Besucher hatte man sich dem Massentourismus frühzeitig entgegen gestellt. Heute hat sich Lanzarote seinen ländlichen Charme bewahrt.
Wow, was für eine tolle Aussicht auf dem Bild „Ein Spiel des Lichts“!!! Ist der weiße Pool nur für die Optik oder darf darin auch gebadet werden?
Liebe Grüße und dir noch einen wunderschönen sonnigen Tag,
Roland
Die Höhle ist wunderschön und hat eine einzigartige Atmosphäre, trotz der vielen Besucher. Die Lichtspiegelungen haben mich begeistert. Der weiße Pool war mal früher, soweit ich weiß, zum Baden freigegeben – heute ist es nur noch ein Anschauungsobjekt 😉
Vielen Dank, ich hoffe, du hattest auch einen schönen Tag; ich war wieder wandern 😉
Lg Kasia
Wow !! Was die Natur (und der Künstler) hier vollbracht hat, ist von unvergleichlicher Schönheit. Vielen Dank, dass wir Ihren Blog genießen durften.
Gerade dieses Zusammenspiel zwischen Natur und Kunst ist das, was hier so harmonisch wirkt. Die Kunst versucht nicht, herauszustechen oder die Natur zu dominieren. Es gibt noch mehr solche schönen Orte auf Lanzarote. Ich teile gerne meine Eindrücke mit Ihnen.
Was macht denn Ihre neue Webseite? Ist sie schon online?