Die Fähre ist da. Mit am obersten Deck sind bis auf uns ein türkisches Paar und eine Gruppe Iraner. Wir genießen den Fahrtwind, den Abend, den Glanz der sterbenden Sonne auf dem Wasser. Wir kommen an illuminierten Palästen vorbei, passieren rot bestrahlte Brückenpfeiler. Unter jeder Brücke, unter der wir am Wasser vorbei gleiten, sagt Fee zu mir: „Jetzt kannst du dir was wünschen.“ Ich wünsche mir Frieden. Und ich wünsche mir, die ganze Welt zu sehen. Das war’s. Denn wie viele Wünsche kann denn ein Mensch haben?
Es ist dunkel, die Nacht hat die Kontrolle übernommen. An Deck läuft Musik. Fee und ich beginnen zu tanzen. Dabei werden wir von der lebhaften iranischen Gruppe beobachtet, die ihrerseits auch mit Tanzeinlagen anfangen.
„Ich fühle mich so gut.“ Sagt Fee. „Hast du schon mal am Deck eines Schiffes getanzt?“ Nein, habe ich nicht. Nicht so wie jetzt, langsam und romantisch. Irgendwie hat das Ganze etwas aus Titanic, dem Film. Bevor das Schiff sank, versteht sich.
Die Iraner hingegen feiern völlig ausgelassen. Ein alter Mann (ich taufe ihn im Stillen den „Opa der Familie“) nimmt die Party mit seinem Handy auf. Einer der jungen Männer beginnt zu singen. Während wir lauschen, kommen wir mit den anderen ins Gespräch und werden wie selbstverständlich Teil ihrer Community. „Was singt er gerade?“ Will ich wissen. Einer der jungen Iraner übersetzt mir, soweit möglich, die Bedeutung. „Es ist nicht einfach zu erklären, denn der Text ist sehr poetisch.“ Sagt er. „Doch es ist so etwas wie: Ich bin in einem tiefen Dschungel auf der Suche nach Licht, nach dem Wahren.“ Alle hören versonnen zu. Doch die ernste Stimmung währt nicht lange; nach ein paar Liedern wird wieder getanzt.
„Kommt, tanzt mit!“ Fordert uns einer der Iraner auf. „Ich erkläre euch auch den Tanz. Es ist gar nicht schwer. Also: eine Hand nach oben, eine nach unten – und jetzt Glühbirnen reindrehen…“ Dabei macht er eine drehende Bewegung beider Hände. Wir machen es nach und es klappt auf Anhieb – und sieht sogar verdächtig gut aus. Als das Tanzen langweilig wurde, stellten sie spontan ein paar Stühle zusammen und wir spielen „Reise nach Jerusalem“. Fee sagt zu ihnen: „Ihr seid so voller Lebensfreude, so voller guter Energie.“ Ich übersetze das ins englische. Die Familie stammt zwar aus dem Iran, lebt jedoch dauerhaft in Norwegen, erklären sie uns, während einer von ihnen wieder lebhaft zu tanzen beginnt. „Er ist schon so nach einem Becher Tee; jetzt stellt euch vor, was er nach einem Bier anstellen würde.“ Sagt ein anderer. Alle lachen.
Es werden Erinnerungsbilder gemacht. Wir tauschen unsere Instagram-Accounts aus. Und der „Großvater der Familie“ sagt uns, dass wenn wir jemals vorhaben sollten, in den Iran zu reisen, seien wir vom Herzen eingeladen. Wir seien ihm so willkommen, als wenn wir seine Kinder wären.
„Ich wusste zwar schon, dass Iraner ganz tolle Menschen sein sollen.“ Sage ich zu Fee. „Aber diese Herzlichkeit selbst zu erleben…“ Allerdings sollte man Tarof nicht überbewerten, diese Höflichkeitsakrobatik der persischen Kultur. Einladungen, ob zum Essen oder zu sich nach Hause, werden schnell ausgesprochen, denn Gastfreundschaft ist in diesem Land alles. Doch erst, wenn eine Einladung mehrmals und mit Nachdruck wiederholt wird, ist sie auch so gemeint und kann ruhigen Gewissens angenommen werden.
Wir wechseln auf das geschlossene Unterdeck, denn es wird kalt. Einer der Männer bestellt Tee für alle und wir sind eingeladen. Wir unterhalten uns noch, bevor die Familie schließlich aussteigen muss. „Ihr seid ganz toll, es hat uns sehr gefreut, euch heute Abend mit dabei zu haben.“ Sagen sie uns noch, dann verlassen sie das Schiff und all die gute Energie mit ihnen. Es ist auf einmal leer und still. Meine Freundin und ich schauen uns an und unsere Herzen sind randvoll.
Der Meydan
Die Rundfahrt ist zu Ende, wir kommen wieder in Besiktas an. Es ist längst dunkel. Der Meydan ruft und lockt mit stylischen Bars und Cafés, Restaurants und Tanzlokalen. Überall sind feierwütige, junge Menschen zu sehen. Ein Fischmarkt hat noch geöffnet, er ist sehr klein. Es gibt alles am Essbaren zu kaufen, was das Herz begehrt, doch Hunger habe ich keinen. Wir verbringen gefühlte Stunden damit, eine Wechselstube zu finden, die noch geöffnet hätte, doch schließlich zieht Fee Geld vom Automaten. Zehn Euro Gebühr. Der Tag war schön, doch er war auch lang; ich bin müde und habe Kopfweh. Doch Fee möchte dieses lebhafte Viertel entdecken und ich möchte, was sie möchte, nachdem sie mich heute morgen so überrascht hat.
Wir laufen durch Ecken und Winkel, schleichen durch verschlungene Gassen, drängen uns oder bleiben vor Neugier mitten auf dem Weg einfach stehen, ein Hindernis für andere, die hier unterwegs sind. Außer Lokalen gibt es hier alle Arten von Geschäften sowie unzählige Piercing- und Tattoostudios. In einer der Gassen drängen sich Raki-Lokale aneinander und hier wird versucht, uns besonders hartnäckig hinein zu geleiten, etwas, das ich von Istanbul bislang noch nicht kenne. Ein sog. Raki-Abend ist für den Betreiber eine einträgliche Sache. Gäste bleiben lange sitzen, trinken Raki, den Anisschnaps der Türken, und bestellen immer mal wieder Essenseinlagen. Kein Wunder, dass man uns am liebsten dabei haben möchte. Es wird Livemusik gespielt, sogenannter „Fasil“, langsame Klänge, die das Beisammensein beim Raki unterstreichen.
Ich bin unentschlossen, was die Auswahl unseres „Verweil-Lokals“ betrifft und überlasse die Wahl meiner Freundin. Die auch prompt fündig wird.
Von überall her kommt Musik an meine Ohren, doch das hier lässt uns stutzen. Denn es sieht ganz nach einer geheimen Insider-Party statt. Eine Insiderparty, zu der wir nicht eingeladen wurden? Her damit.
Fees Ohren erlauschen Lieblingslieder von vor über zwanzig Jahren. Türkische Lieder, versteht sich (sie weiß, dass für mich alles gleich klingt…). „Da, dort oben feiern Leute.“ In einem der Häuser, welches ein wenig einsturzgefährdet aussieht, befindet sich eine Rooftop-Bar. Eine Weile bleiben wir davon stehen, denn der Eingang lässt eher auf eine Privatwohnbereich schließen denn auf ein öffentlich zugängliches Lokal. „Wenn das keine private Party ist, dann will ich mitfeiern.“ Sagt Fee. Ich glaube, sie will auch mitfeiern, wenn es doch eine ist. Entschlossen laufen wir die Treppe hoch.
Oben „über den Wolken“ erwartet uns eine verrauchte und volle, dafür jedoch gemütliche Bar mit Live-Musik. Man macht uns sofort einen Platz neben der Bühne frei. Nicht dass wir irgendwie VIP-Gäste wären; wir drängen uns einfach zwischen die abgelegten Sachen der Musiker. Die Bühne ist vielleicht einen auf einen Meter groß, doch die Sänger performen leidenschaftlich türkische Schlager. Die Menge tanzt, feiert und grölt die Texte mit. Dann, nach dem letzten Song, verabschiedet sich der Sänger und kündigt seinen Cousin an. Er selbst geht von der Bühne. Der Cousin hat eine grandiose Stimme – und das weiß er wohl auch. Charmant bringt er die Leute dazu, mitzusingen. Meine Freundin singt leidenschaftlich mit. „Ich fühle mich wie zwanzig.“ Sagt sie. „Ganz glücklich und ganz leicht.“
Ich bin hier ein Kuriosum. Und werde von einer Gruppe Mädels am Nachbartisch beobachtet. Als Fee kurz auf der Toilette verschwindet, kommt eine der Mädels auf mich zu und fragt mich etwas auf türkisch. Schnell wird klar, dass ich sie nicht verstehe; dann will sie auf englisch wissen, woher ich komme. Ob ich meinen Urlaub hier verbringe? Ja, das tue ich, antworte ich ihr. „Und was machst du hier?“ Will heißen: wie hast du, Tourist, dich hierher verirrt und wieso bleibst du? Nein, versteht es nicht falsch. Ich habe sie auf Anhieb richtig verstanden, denke ich. In ihren Augen stand das Staunen darüber, dass ich hier und nicht in einem der kommerziellen Touri-Clubs abhänge und dass es mir gefällt. Normalerweise können Westler mit türkischem Schlager nicht viel anfangen, während die Texte der Songs für die jungen Feiernden alles bedeuten. Das Viertel wird von jungen Türken frequentiert, die ausgehen wollen. Touristen sind hier ein seltener Anblick.
Als die Sänger weg sind und nur noch Musik von Band spielt, leert sich langsam der Club. Das Mädel von eben kommt nochmal an unseren Tisch, um sich von mir zu verabschieden. „Hab noch ganz viel Spaß.“ Sage ich. Sie antwortet: „It was very nice to meet you.“
Wir bleiben, bis der Club schließt, mit zwei sehr jungen Pärchen, mit denen wir so etwas wie eine Blutsverwandtschaft schließen. Wir versumpfen sozusagen an diesem Abend. Irgendwann am frühen Morgen bringt uns ein Taxi heim.
Die Nachtaufnahmen gefallen mir super gut. Und die Stimmung auf dem Boot mit euch beiden inmitten der iranischen Truppe ist förmlich zu greifen. Wie wunderbar 😎!
Die Menschen haben mir Lust darauf gemacht, ihr Land zu besuchen (ähm… Iran meine ich. Obwohl Norwegen auch sehr schön sein soll…).
Mein Schatz es war ein exklusiver Urlaub, danke dafür.
Und ich danke für den Tanz 😉
Das war wieder ein erlebnisreicher Tag. Für den Raki-Abend warst du nach deinen Erfahrungen in bestens gerüstet. 😉 Vielleicht kannst du später mal berichten inwieweit sich die Kontakte erhalten haben.
LG Harald
Die Kontakte sind noch da, in Form von Instagram usw. Auf den Raki Abend haben wir verzichtet 😉
Lg Kasia
Das war zweifellos ein sehr schöner und stimmungsvoller Abend auf dem Bosporus 🙂
Ja, das war es, vielen Dank! 🙂