Es geschah… November 2021
Good Morning, Istanbul! Hell erleuchtet spiegelt sich die große Stadt im verglasten Fenster unseres Hotels und strahlt, sonnengebadet, in mein übernächtigtes Gesicht. Und da, links, ganz weit hinten, da ist es. Das legendäre Moloch, schön und hässlich zugleich, eine Bestie mit hungrigem Bauch. Ein paar wenige Menschen auf den Straßen, doch es werden nach und nach mehr. Ebenso wie die gelben Taxis, die großen und kleinen Transporter, die ihre nächtlichen Runden drehen. Mir gegenüber sitzt eine Frau am Fenster ihrer Wohnung und raucht ihre (erste?) Zigarette. Die Fenster des Hotels sind verspiegelt, sie kann mich nicht sehen.
Fee erzählte gestern, dass die Mieten in der Stadt extrem billig seien – für deutsche Verhältnisse. Bereits für umgerechnet 40 Euro im Monat kannst du eine kleine, bescheidene Wohnung mieten. „Doch was bringt das einem, der für rund sechs Euro am Tag arbeiten geht?“ Selbst ein Polizist würde nicht mehr bekommen, sagt sie.
Doch gutaussehend sind sie. Die Polizisten. Darauf macht mich Fee schon am Flughafen aufmerksam. „Müssen die vorher ein Casting durchlaufen, ehe sie eingestellt werden?“ Frage ich.
Sonnengetauchte Minarette, eine Glocke aus Smog fern über der Stadt. Eine Möwe fliegt schwerfällig vorbei. Sprunghafte Gedanken in meinem Kopf, jede einzelne buhlt mehr oder weniger um Aufmerksamkeit. Heute morgen weckt mich ein lautes Klopfen. Bis ich feststelle, dass es nicht an unsere Türe war. Meine Freundin schläft den Schlaf der Seligen…
Rückblende…
Am Vortag nach der Arbeit holt mich meine Freundin ab. Wir fahren nach Pfungstadt, um von dort aus von ihrem Bruder zum Flughafen gebracht zu werden. Und dabei stimmt sie mich unwissentlich auf die Istanbuler Fahrweise ein; so chaotisch und zugleich tiefenentspannt ist sie mit hundert auf der linken Spur unterwegs, dass ich auf dem Sitz neben ihr ein ums andere Mal fast kollabiere.
Fees Bruder und seine Frau erwarten uns schon. Und obwohl wir es eigentlich eilig haben – für einen gemeinsamen Kaffee muss die Zeit noch reichen. Das geht gar nicht anders, das ist so Sitte – das verstehe ich schon nach kurzer Zeit. Stolz zeigt mir Fees Schwägerin die Wohnung, während der kleine, zottelige Hund endlich aufgehört hat zu kläffen.
„Wir werden im Zentrum von Istanbul wohnen.“ Erklärt Fee am Kaffeetisch. Sie hat den Ablauf der Reise mehr oder weniger alleine im Geheimen geplant. Details kenne ich keine; was alles auf mich zukommt, soll eine Überraschung sein. Ihr Bruder seufzt. „Istanbul hat doch nicht nur ein Zentrum…“ Und die Schwägerin gibt mir noch den gutgemeinten Rat, meinen Rucksack am Bauch zu tragen und gut auf die Wertsachen aufzupassen.
Am Frankfurter Flughafen geht alles entspannt vonstatten. Weder ist die Schlange am Check in übermäßig lang noch sieht es insgesamt voll aus – die COVID-Zahlen steigen in noch nie dagewesene Höhen, die Menschen haben Angst.
Gegenwart
Von irgendwoher dringt das Meckern der Schafe an meine Ohren. Aber wo, um alles in der Welt, soll es hier mitten im Stadtzentrum Schafe geben? Und doch. Das Geräusch ist laut und lässt sich nicht verdrängen.
Rückblende, Flughafen FRA
Zufrieden hüpfe ich an der Personalkontrolle vorbei, nur um dann ungeduldig, mit einem Bein wippend, im Wartebereich zu sitzen. Meine Freundin steht noch ganz am Anfang der Schlange, packt ihre Flüssigkeiten aus und redet dabei in einer Tour auf den Beamten ein.
Der Flug dauert etwa drei Stunden. Während des Landeanflugs zerquetscht mir Fee die Hand, dreht sich unruhig in ihrem Sessel und schiebt einen Snack nach dem anderen in sich hinein. Ich dachte eigentlich, der bestellte Wein würde sie beruhigen, doch das Gegenteil scheint einzutreten. „Warum steht denn das Flugzeug in der Luft und bewegt sich nicht?“ Fragt sie und schaut aus dem Fenster. Und tatsächlich wirkt die nachterleuchtete Welt da unten wie festgenagelt, als hätte sich ein Film aufgehängt. „Doch, eigentlich fliegen wir gerade mit siebenhundert Kilometern in der Stunde.“ Sage ich. Das war nicht gut. Sie schaut nochmal aus dem Fenster, dann sinkt sie in den Sessel. „Oh nein.“
Mich treiben indessen andere Sorgen um. Während wir am Frankfurter Flughafen herumhüpften wie zwei Mädels auf dem Weg zur Party, spuckt mir nun unsere Einreise in die Türkei durch den Kopf. Viel hat sich inzwischen verändert, seit ich zuletzt vor acht Jahren mit meiner Freundin Nina im Land war. Immer wieder liest man von Verhaftungen aufgrund von Spionageverdacht oder von unbegründeten Abweisungen bei der Passkontrolle. Das Auswärtige Amt hat eine lange Liste parat von Dingen, die geschehen könnten oder bereits geschehen sind. „Lies dir sowas nicht durch.“ Sagt Fee Vogel Strauß. Also las ich mir sowas nicht mehr durch.
Gegenwart
Aus der Nähe betrachtet ist der Moloch hässlich und grau, wenn nicht gerade die Morgensonne ihren Zauber entfaltet. Geschäfte, die gestern noch geschlossen hatten, haben nun geöffnet. Ich bin gespannt, was mich erwartet.
Rückblende, Flughafen Istanbul
Mit einem Nachdruck drückt die Istanbuler Beamtin den Einreisestempel in meinen Pass. Dann hüpfe ich durch die Kontrolle.
„Nein, noch sind wir nicht in Istanbul“, hatte ich meiner Freundin vorher gesagt. „Das ist nur der Transitbereich. Erst wenn ich den Einreisestempel in meinem Pass habe, erst dann.“ Nun nimmt sie mich an der Hand und fragt: „Und? Sind wir jetzt in Istanbul?“
Als wir noch im Flieger sitzen, kommt eine Durchsage von einem Covid-Test für ankommende Passagiere. Allen Anschein nach sollen die Neuankömmlinge am Flughafen noch schnellgetestet werden, Temperaturmessung inklusive. Doch jetzt, da wir hier sind, wartet niemand mit einem Stäbchen auf uns. Als meine Freundin ihr Handgelenk zur Temperaturmessung ausstreckt, winkt der Beamte ab.
Wir sind da.
Wir sind da
„Vergiss mal das Hotel, das ich ursprünglich buchen wollte.“ Erklärt mir Fee noch am Flughafen und tut ganz geheimnisvoll. „Wir werden ganz woanders sein.“ Da ich maximal flexibel bin (sein will…), lasse ich mich nun überraschen. Ein Transfer holt uns nachts ab und bringt uns zum Hotel im Bauch der hungrigen 16-Mio-Bestie. Wir werden mit türkischem Kaffee empfangen und Fee bestellt uns einen Obstteller. Bei Wein und Zigarre verqualmen wir den ersten Abend bis in die frühen Morgenstunden. Das ist der Grund, weshalb ich so übernächtigt bin und meine Freundin noch schläft…
Die Spannung steigt! Die Anreise verlief doch schon mal ganz ok 😎.
..und wir sind nicht unter der Mole gelandet! Allerdings ganz viele Abenteuer erlebt während unserer Zeit dort.
Genau wegen der Abenteuer unternimmt man im Idealfall ja auch solche Reisen 🥳.
Hi Kasia,
bei dem Beitragsfoto oben habe ich mich erst gefragt ob das eine Autobahnbrücke ist, unter der Du irgendwie hängst um ein cooles Foto zu machen. Musste ein paarmal hinschauen, bis ich drauf kam, dass Du an der spiegelnden Glasfassade entlang geknipst hast..
Aber diese Art zu Reisen mag ich – Chaos ist ja voll mein Ding – NICHT. Wahrscheinlich würde ich nach 5 Minuten mit euch Beiden darum betteln dass ich wieder nach Hause hinter meinen warmen Ofen kann – da lese ich dann in Ruhe deine tollen Beschreibungen und abenteuerlichen Reiseberichte – und bin froh, dass ich hier in Sicherheit bin.. :-))
Ach komm schon, ein bisschen Abenteuerlust gehört doch dazu! Wie unter Autobahnbrücken zu hängen zum Beispiel… 😉 Aber nein, ist ganz richtig: ich habe am verglasten Fenster unseres Hotels entlang fotografiert. Diese Art von Spontanität war mir auch recht viel, da ich mich voll und ganz auf die Planung meiner Freundin verlassen habe. Aber sie hat ja auch sehr gut geplant. Hm, Abenteuer haben eines an sich, man fühlt sich dabei – und danach – so richtig lebendig. Und was das Betteln betrifft, ob meine Freundin dich nach Hause lassen würde, hm, ich weiß nicht… 😉
Eine Wohnung für 40 Euro?
Da könnte ich ja glatt mal wieder sesshaft werden. Zumindest für ein halbes Jahr oder so…
Ich weiß nicht, in wieweit das stimmt oder wie aktuell die Informationen sind, die meine Freundin da hatte. Klingt ehrlich gesagt zu schön, um wahr zu sein 🙂
Ja, das erinnert mich ein bisschen an mich, wenn ich von der günstigen Miete in Vilnius schwärme, ohne nachgesehen zu haben, ob sich diese seit 2011 nicht vielleicht erhöht hat.
Das mit dem Polizisten-Casting habe ich mich bei den Polizistinnen in Peru und in Ecuador auch gefragt.
Bis ich germekt habe, dass die nicht nur alle gut, sondern auch ziemlich ähnlich aussehen. Es muss also kein Casting geben, sondern die werden irgendwo geklont.
Die geheimnisvollen Labore von Südamerika… 😉
Ich muss ehrlich sein, ich war genau so aufgeregt wie du, aber nur innerlich 🤪
Nur im Flugzeug äußerlich 😉
Eine nicht so enfache Einreise….
Einfach kann jeder… 😉