Am Freitag war ich wandern.
Am Samstag dachte ich, ich verende.
Gestern war ich wieder wandern.
Heute wünschte ich, dass ich am Samstag verendet wäre…
Wandern hat es in sich. Das merke ich, seit ich dieser Freizeitbeschäftigung coronabedingt häufiger nachgehe. Irgend jemand sagte mal schlauerweise, dass man beim Wandern erst die Gegend so richtig wahrnehmen kann. Gut, darüber kann man sich streiten. Ich muss nicht grundsätzlich jeden Stein gesehen haben (dafür verbringe ich aber erstaunlich viel Zeit damit, gefühlt jeden Stein von allen Seiten zu fotografieren, hüstel…). Wandern hat für mich einen eher sportlichen Aspekt. Wenn ich nach der Laufpartie nicht mindestens am absterben bin, fühle ich mich unzufrieden. Dann bin ich für meine Begriffe nicht gewandert. Nicht richtig zumindest.
Erst wenn der Rucksack richtig schwer wird, wenn die Beine zwicken (erstaunlicherweise sind es bei mir nie die Füße…) und die Hüfte streikt (warum eigentlich, wie alt bin ich bitte, hundert??), dann weiß ich, dass ich was geschafft habe für den heutigen Tag. An alle Wanderer: ist euch übrigens auch das Kuriosum aufgefallen, dass ein Wanderrucksack am Ende einer Wanderung, nachdem mindestens die Hälfte vom Wasser und noch mehr von Proviant weg ist, grundsätzlich schwerer ist als zu Anfang? Tatsache! Achtet mal drauf…
In diesem Zusammenhang fällt mir ein: es gibt ja diese T-Shirts. Darauf steht geschrieben: ich werde es schaffen. Aber ich werde dabei die ganze Zeit fluchen… Gut, gut, ich fluche, wenn ich alleine bin. Der Wald hört mich nicht. Der Wald verzeiht mir so vieles. Auch die vielen, fröhlichen Selbstgespräche. Die schlimmsten Kilometer sind die ersten – und die letzten. Die ersten, weil ich dann sofort den Wunsch habe, auf der Stelle umzukehren und wieder zum Auto zu laufen. Der Körper ist eine Maschinerie, wenn man sie im Kaltstart bewegt, streikt sie zunächst eine Weile und möchte gerne in den angenehmen Ruhezustand zurück versetzt werden. Irgendwann ist die Maschinerie warm, die Muskeln laufen und die Beine machen, was sie sollen und was Beine so machen. Sie tragen mich auf den Berg/ins Tal/wo immer ich hin will. Die letzten zwei- bis drei Kilometer sind nochmal hart. Weil die Motivation sinkt. Das Ziel (Berg, Schloss, Burg, Hütte…) wurde erreicht, die nächsten Schritte führen einen nun wieder ans Auto. Die Spannung fällt ab, man „hat es geschafft“ und wird müde.
Am Abend, zu Hause angekommen, vollführen mein Kreislauf und mein Stoffwechsel unglaubliche Tänze. Während mir kalt ist und ich vor Müdigkeit fröstele, ist mein Gesicht glühend heiß. Und Hunger habe ich. Ich könnte ein ganzes Rind mit Hufen verputzen (gibt es diesen Spruch bei euch auch? Wir sagen das in Polen, wenn jemand ganz viel Hunger hat… einen „Stier mit Hufen aufessen“) Klingt unromantisch, der Vergleich, ich weiß; dafür zeigt er eindrücklich, was ich meine. Der Körper will Kalorien zurück.
Tags darauf liege ich wie ein halbtotes Vieh kurz vorm Schlachten und hauche stöhnend meinen Geist aus. Um zwei Tage später erneut meinen Rucksack zu zurren und mir einen weiteren, natürlich noch höheren, Berg zum besteigen auszusuchen. Wobei sich hier bitte keiner vom Begriff „Berge“ täuschen möge. Die sogenannten Berge, die ich „besteige“, haben selten mehr als siebenhundert Meter. Eher weniger.
Umso bemerkenswerter ist mein späterer Zustand am Abend nach der Heimkehr. Irgendwas zwischen Schein und sein, zwischen wach und ins Nirvana abdriftend. Auf jeden Fall erledigt. Am nächsten Morgen fühlen sich meine Knochen an wie die meiner Großmutter (Gott habe sie selig). Stefan wurde heute zweiundfünfzig Jahre alt. Und dabei fühle ich mich, als wäre ich zweiundfünfzig Jahre alt geworden. Die Beine, die Sehnen, die Muskeln, die Hüfte. Alles zum Wegwerfen. Ich verstehe nun die alten Leutchen, die so oft und ausgiebig, so leidenschaftlich und theatralisch über ihre Wehwehchen klagen. Ojojoj…
Nach einer Sechshunderter-Ibu kann ich wieder meinen Aufenthaltsort verändern (vom Bett auf die Couch).
Nach einer weiteren Sechshunderter-Ibu kann ich wieder gehen. Hinkend, aber was soll’s.
Später am Abend geht es mir schon wieder besser. Ich beginne, mich zu fragen, wie viele Kilometer ein menschlicher Körper am Stück zu schaffen bereit ist.
Am nächsten Morgen träume ich bereits von einer Hundert-Kilometer-Tour…
Liebe Kasia,
ok, ok, ich sehe es ein! Ich gehe immer nur spazieren, ich wandere nicht. Dafür bin ich viel zu langsam und zu faul. Berghoch gehe ich nur, wenn ich dafür eine Belohnung erhalte. Das muss mindestens eine schöne Aussicht oder ein leckeres Stück Kuchen oder was Ähnliches sein. War immer schon so.
Zu meiner Verteidigung muss ich erwähnen, dass ich ziemlich eingerostet bin, weil mein Mann gar nicht wandern mag. Er läuft nur in Städten gerne. Mir fehlt seit Jahrzehnten einfach das Training.
Liebe Grüße
Renate
Liebe Renate, aber du warst doch wandern, auf deiner schönen Kirschwanderung. Und bist sogar hochgelaufen bis zum Kreuz. Die tollen Aussichtsbilder von Boppard und dem Rhein haben sich ja nicht selbst gemacht 😉 Mit Kuchen wird es schwieriger, aber normalerweise ist überall, wo „oben“ draufsteht, auch eine anschließende, schöne Aussicht drin…
Mein Stefan ist genauso laufmotiviert. Wenn wir unterwegs sind, sieht der Ablauf immer ähnlich aus: mit dem Auto vorfahren, ein paar Meter gehen, ein Foto schießen und sich irgendwo zu einem Cappuccino niederlassen.
Und es muss sich ja nicht jeder so ins Koma wandern wie ich… 🙂
Liebe Grüße
Kasia
Ich wandere wahnsinnig gerne, auch schon vor Corona.
Und einmal in der Woche nehme ich mir einen Tag fürs Wandern frei. Da will ich dann auch richtig weit kommen oder eine neue Gegend erkunden, das werden manchmal so 30-40 km am Tag. (Einmal waren es 55 km, aber das war krass.)
Ich wandere entweder von zuhause los und einen großen Kreis, oder ich nehme Bus/Zug in irgendeine Richtung und wandere nach Hause.
Und ganz wichtig ist mir, an diesem Tag kein Telefon, kein Internet, nichts zu nutzen. Es ist ein absoluter Abschalttag. (Ausnahme: ein MP3-Spieler, um endlich lange Podcasts zu hören)
Ich finde das wahnsinnig befreiend, auch weil ich am Morgen vor der Wanderung und am Abend noch immer auf Internet und Telefon verzichte. Ich nenne es meinen säkularen Sabbat: https://andreas-moser.blog/2019/07/02/sabbat/
Wegen des Rucksacks: Je weniger, umso besser. Wenn ich weiß, dass auf der Strecke Bäckereien oder Läden sind, nehme ich manchmal gar nichts mit. Nur ein paar Zigarren für die Pausen.
Einmal im Jahr mache ich bei einer 24-Stunden-Wanderung mit, die – allerdings mit Pausen – immer so zwischen 60 und 70 km liegt. Das ist machbar, aber es macht schon keinen richtigen Spaß mehr. Am Ende geht es nur mehr ums Durchhalten, nicht ums Genießen.
Aber die Schmerzen nach dem Wandern finde ich geil. So richtig tiefe Erschöpfung, selbst erarbeitet, das gibt doch den besten Schlaf.
Ich wandere noch nicht so lange und bin noch dabei, mich zu steigern. Entweder Strecken- oder Höhenmäßig. Die Schmerzen am nächsten Tag machen mir leichte Sorgen, sind jedoch ziemlich schnell wieder weg. Wenn es hügelig bis bergig wird, sind bei mir nicht mehr als fünfzehn- bis achtzehn Kilometer drin. Vielleicht wäre es anders, wenn ich alleine wandern würde, so versuche ich mich oft noch, den anderen anzupassen…
Zum Thema abschalten: auf das Wandern muss man sich einlassen. Das fiel mir anfangs schwer, weil das „ankommen“ im Vordergrund stand. Das ändert sich langsam…
Eine leicht masochistische Ader hast du aber, oder?? 😉 Jedenfalls sehr unterhaltsam für Lesende 🙂
Das stimmt wohl 🙂 wenn ich mir manchmal anschaue, was Leute alles tun und auf sich nehmen, nur weil sie es können, schüttle ich auch mit dem Kopf. Aber selbst… ich weiß nicht, was es ist; es macht Spaß – zugegeben, auf eine sehr masochistische Art – seine Grenzen auszureizen. Einfach weil man es kann…
Hallo Kasia,
über deine Art lebhaft und lustig zu berichten freue ich mich jedes mal. Keine Angst, du bist mit Nachwehen nach dem Wandern nicht allein. Man merkt, dass du nicht aus Mannheim bist, sonst würden dir die „Fieß“ weh tun. Bei uns in der Gegend heißt alles von der Sohle bis zur Hufte „Fuß“.
In deinem Artikel habe ich gesucht, wo ihr jetzt gewandert seid habe aber keinen Hinweis gefunden.
Liebe Grüße
Harald
Nimm dieses Lied als Motto: https://www.youtube.com/watch?v=zJga9dIXxaY
Lieber Harald,
der eigentliche Wanderartikel (na gut, der Wanderungen waren es zwei…) sind noch nicht veröffentlicht. Am Freitag war ich am Kalmit in der Pfalz (gut: auf dem Kalmit…), und vorgestern lief ich mit meiner Freundin den Burgenweg von Jugendheim über Alsbach bis zum Auerbacher Schloss. Da wir uns aber verlaufen haben, waren es statt zehn- bis zwölf Kilometer gleich mal achtzehn. Berg rauf, Berg runter. Am Kalmit bin ich dreizehn Kilometer gelaufen. Berg rauf, Berg runter… 😉
Ich freue mich, dass dir mein Schreibstil gefällt. Man kann nicht immer nur ernst bleiben, das Leben ist ernst genug 😉
die Klamit 🙂
Oh stimmt, danke 🙂
Nein, Kalmit, nicht Klamit 🙂
Du wieder. 😩
😉
Wenn Du am Samstag verendet wärest, dann hättest Du diesen unterhaltsamen Beitrag nicht geschrieben – und uns wäre etwas entgangen. Vielleicht hilft Dir ja die Wärmedecke…
Dankeschön, dankeschön! Je hochdramatischer so ein Beitrag, umso größer die Schadenfreude, vor allem bei meiner lieben Family…
Du preist mir die Decke ja an wie sauer Bier 😉 Du solltest mal nach Corona wirklich auf Kaffeefahrten umsteigen…
Oje, das klingt ja dramatisch. Aber ich kann das voll nachvollziehen. Und mit jedem Lebensjahr wird es schlimmer. Nur gut, dass in der Erinnerung alle Beschwerden verblassen…
Na gut, eher ich die Pflegestufe beantragen konnte, war ich schon wieder fit 😉 nächste Wanderung ist in Planung…
Und schon die nächste Wanderung geplant? 😉
Liebe Grüße
Roland
Ich bin schon auf der Suche nach etwas höheren Hügeln, so über 900 m…
Liebe Grüße
Kasia
Nach einem langen Spaziergang mag es so aussehen, als wären Sie wirklich erschöpft, aber nach einer guten Nachtruhe stehe ich normalerweise gut gelaunt aus dem Bett, um eine neue Reise zu beginnen. Eher körperliche Müdigkeit als geistige Erschöpfung.
Das ist bei mir eher am übernächsten Tag der Fall. Am Tag nach dem Wandern fühle ich mich normalerweise um Jahre gealtert.
Aber vielleicht liegt es daran, dass wir hier so viele Hügel haben (und ich unbedingt rauf muss…) 😉
Ich genieße die Erschöpfung auch, um dann körperlich einen Ruhetag einzulegen und stattdessen den ganzen Tag zu lesen. Und Kuchen zu essen.
Der Ruhetag ist hinterher dringend notwendig. Heute geht’s übrigens weiter mit „Berge“ besteigen…
Kann ich nachvollziehen, dass du dich nach dem Wandern irgendwie ein wenig „kaputt“ fühlen musst, um „richtig“ gewandert zu sein. Sonst war es dann doch „nur“ ein Spaziergang, gell 😃? Und ja: selbstverständlich ist ein Rucksack am Ende einer Wanderung IMMER schwerer als zu Beginn, obwohl die ganzen Fressalien und Flüssigkeiten zwischenzeitlich vernichtet wurden. Das ist ein ehernes Rucksack-Gesetz! Das polnische Rind ist übrigens im Saarländischen das Schwein.
Wenn du am Tag nach einer Wandertour aber körperlich so lädiert bist, dass du dich um Jahrzehnte gealtert fühlst, Schmerztabletten futterst und vermutlich schon planst, einen Antrag auf Pflegestufe zu stellen, frage ich mich: mit was für einem mörderischen Tempo du da immer unterwegs bist 😅?!? Willst du einen Eintrag ins Guiness Buch? Warum auch nicht? Wäre doch mal ein schönes Ziel!
Ach liebe Elke, so mörderisch ist das Tempo gar nicht mal… ich kann Hügel und steile Abschnitte nun mal nicht rauf schleichen, da hätte ich das Gefühl, ich kullere gleich rückwärts… Nö, ich bin ja fit beim Laufen, wir machen viele Päuschen… futtern die Fressalien… ich fotografiere (während meine Freundin mit den Hufen scharrt, aber zu höflich ist, was zu sagen… lach…) Nur wenn ich danach zu Hause bin, fühle ich mich, als hätte ich den Everest bestiegen. Ohne Sherpa. Und ohne Sauerstoff.
Das mit der Pflegestufe gefällt mir 😉