Deutschland, Europa

Die Brückenhäuser von Bad Kreuznach

„Brückenhäuser Bad Kreuznach“, so steht es auf einem dieser vielen, braunen Schilder auf der A61, die im ganzen Land verteilt sind und die uns eine Sehenswürdigkeit versprechen. Die Abbildung sowie die Google-Recherche ergibt etwas, das an die berühmte Ponte Vecchio in Florenz erinnert. Die „Ponte Bad Kreuznach“.

Und doch fahre ich seit Jahren unzählige Male ergebnislos an diesem Schild vorbei, denn der einzige Anlass, der mich bisher nach Bad Kreuznach in der südwestlichen Pfalz führt, ist die Arbeit. Doch nun, dank vorgezogenem Urlaub und coronabedingtem Stayhoming soll sich das ändern.

Ich stelle das Auto an der Rüdesheimer Straße ab, irgendwo in einem der Ausläufer weit fern der Altstadt. Aussteigen, Rucksack schultern und los. Doch unterwegs werde ich abgelenkt. Ein anderes Projekt schwebt mir im Kopf herum: Mannis Fotoprojekt zum Thema Türen, Fenster und Balkone – und hier gibt es einige schöne Exemplare. Zum ersten Mal seit langem fuhr ich los, gezielt mit der Kamera in der Tasche statt dem kleinen Smartphone, nur mit dem Ziel, zu fotografieren.

Und zum ersten Mal seit langem habe ich auch ausgiebig Zeit dazu. Oder nehme mir ausgiebig Zeit, wie auch immer. Ich sehe all die Kleinigkeiten in meinem Umfeld plötzlich mit anderen Augen. Eigentlich will ich zur Brücke – doch im Moment ist nicht ganz klar, ob ich sie auch erreiche. Wenn nicht, dann wäre es ein weiteres Mal, wo die Häuserbrücke von Bad Kreuznach zu kurz kommt. Was solls, denke ich mir; die Brücke läuft mir nicht weg.

Als ich in der Altstadt bin und auf die vielen Türen achte, muss ich leider feststellen, dass viele der zugehörenden Fenster leer und ohne Leben sind. Es sind Verkaufsräume der früheren Geschäfte, die jetzt abgeschlossen sind, aufgegeben, verweist. Und dieses Bild zieht sich leider durch die Altstadt – ich sehe viele solche leeren Räume. Corona hinterlässt Opfer, nicht nur medizinisch betrachtet. Auch das sind zugrunde gegangenen Existenzen. Wenn unsere Innenstädte verweisen, was machen wir dann? Wo gehen wir dann hin, wenn wir wieder bedenkenlos rausgehen können? Denn dass diese Zeit kommt, dessen bin ich mir sicher.

 

Die Chaoten

Am Kornmarkt in der Neustadt findet eine Kundgebung statt. Die sich selbst als „Querdenker“ bezeichnenden Demonstranten haben einen kleinen Stand aufgebaut und „informieren“ interessierte Zuschauer darüber, wie „unsere Demokratie langsam abgeschafft wird.“ Ich will weiter gehen, ja, der erste Impuls ist es, dem Wahnsinn den Rücken zu kehren, doch ich zwinge mich, stehen zu bleiben und zu lauschen. Sei offen für Neues, denke ich mir und ermahne mich, meine Horizont zu erweitern. Ist ja nicht so, als dass die Seuche der Ignoranz von jetzt auf gleich auf mich rüber springt, nur weil ich mir das jetzt anhöre. Ganz am Rande des Ganzen bleibe ich stehen und schaue mir die Vorstellung an, weit genug, auf dass man mich nicht mit den Menschen da verwechseln möge. „Ah, die Aluhütte.“ Murmelt eine Frau unwillig, als sie an mir vorbei in Richtung Fußgängerzone geht. „Nein, ich kann mir das nicht anhören.“ Protestiert ein junges Mädchen, bleibt dann doch neben ihrem Freund stehen. Doch, mach ruhig, möchte ich ihr am liebsten zurufen. Es ist wirklich lustig.

Zunächst dringt nur Musik aus den Lautsprechern. Etwas emotional-sülziges, ich tippe auf Xavier Naidoo. Wir müssen aufwachen, uns nicht mehr alles einreden lassen, so in etwa das Kredo. Es ist unser Land, unsere Freiheit… Hm, sehr manipulativ. Nur der vegane Koch fehlt. Später erfahre ich, dass der zu diesem Zeitpunkt in Leipzig unterwegs ist.

Eine „Prozession“ aus schwarz gekleideten Gestalten in Pestarztmasken im Stil des 14 Jahrhunderts tragen die Demokratie symbolisch zu Grabe. Eine der schwarzen Todesgestalten trägt eine mit Alufolie umwickelte Sense. Hättest du dir aus der Alufolie lieber eine Mütze gebastelt, denke ich mir.

Währenddessen diskutiert die anwesende Polizei mit der uralten Risikogruppe über die Notwendigkeit des Tragens vom Nasenmundschutz. Die Risikogruppe, ein altes Ehepaar, lässt sich nicht überzeugen, obwohl sie kaum noch laufen kann.

Um vier am Nachmittag gibt es eine Ansprache. Eine futuristisch-düstere Vision unserer Zukunft, garniert mit emotionalen Elementen „eigentlich habe ich mich auf den St. Martins-Umzug mit meinen Jungs gefreut…“ über Ängste bis hin zu kompletten Schwachsinn. Jobverlust, die schwere Depression 2021, eine Sittenpolizei, die Deutschland kontrolliert, alles kommt darin vor. Ich amüsiere mich wirklich prächtig und lache unter meiner Maske vor mich hin. Als dann die Bürger „gechipt“ werden, um zu verhindern, dass sie sich frei bewegen dürfen, lache ich ganz laut und offen. Es ist herrlich; so viel Bullshit in so wenigen Sätzen habe ich schon lange nicht mehr gehört. Zuletzt, als Trump eine Rede hielt.

Also gestern…

Nicht falsch verstehen, ich mag Chaoten. Ich habe Humor, also kann ich über sie lachen. Aber, und es ist traurig genug, glauben diesen Schwachsinn wirklich. Und manchmal sind es Menschen aus der näheren Umgebung. Aus dem Freundeskreis, aus der Familie. Und eigentlich habe ich Lust, darüber zu weinen. Doch lachen ist gesünder.

„Glaubt nicht alles, was euch die Medien sagen.“ Ich glaube eher den Medien als euch. Die recherchieren wenigstens das, was sie da erzählen.

„Gehorcht (nicht) eurer Regierung.“ Lieber der als Youtube, wo jeder seinen Senf in die Schüssel geben kann.

Auch wieder – nicht falsch verstehen. Ich nehme nicht alles widerstandslos hin. Auch habe ich meine eigenen Ansichten zum Thema 2-ter Lockdown und der momentanen, nicht vorhandenen, Strategie. Doch die bloße Existenz der gesamten Pandemie ad absurdum zu führen und stattessen an die große Weltverschwörung zu glauben, das ist mir doch etwas zu weit hergeholt.

Nach der irren Zukunftsstory kommt Eine Ex-Lehrerin auf die sprichwörtliche Bühne und faselt etwas zusammenhangloses von „Achtsamkeit“, einer „rechten Einstellung“ und wie man doch aufpassen muss, nicht falsch verstanden zu werden. Ähm, deine Schäfchen verstehen dich schon richtig… Wie dem auch sei, die Ansprache ist schwach und da keine Pointe kommt, gehe ich nach einer Weile. Außerdem wird es Abend.

 

Die Brückenhäuser

Die Brückenhäuser schaue ich mir natürlich auch an. Es handelt sich um die berühmte, Alte Nahebrücke, die sich über einem Seitenarm des Flusses spannt. Vor lauter Chaoten ist die Brücke beinahe schon zweitrangig geworden. Ja, sie ist noch da und ja, die Häuser stehen noch drauf, sind auch nicht ins Wasser gefallen. Ich mache meine Aufnahmen und laufe einmal drüber.

Tatsächlich ist die Alte Nahebrücke mit ihren spitz aufragenden Bauten ungeheuer spannend. Das erste Mal ist sie im 15 Jahrhundert erwähnt worden, doch errichtet wurde sie vermutlich um 1300. Sie ist somit eine der ältesten Brücken Deutschlands.

Es gab früher einmal einen Turm auf dem fünften Pfeiler der Brücke, der als Gefängnis genutzt wurde. Daraus entstand das Sprichwort, jemanden „auf die Brück“ zu setzen. In den Brückenpfeilern eingebauten Schießkammern sollten die Stadt vor Angriffen und unerwünschten Eindringlingen schützen.

Die Häuser und Bauten wurden erst im 15 Jahrhundert auf der Brücke erbaut. Sie umspannen die Brücke nicht durchgehend, sowie das bei der italienischen Ponte Vecchio der Fall ist; nein, sie sind auf Höhe der Pfeiler angeordnet, vermutlich aus Gründen der Stabilität. In den Häusern lebten Kaufläute und Handwerker.

1945 wurde ein Teil der Brücke von den Nazis gesprengt, um US-Truppen aufzuhalten, die sich auf dem Vormarsch befanden. Die Kosten des Wiederaufbaus betrugen 1,14 Milliarden D-Mark, wobei der fehlende Teil der Brücke nicht mehr als Bogenbrücke, sondern als Spannbetonbrücke neu errichtet wurde. Heute sind die Brückenhäuser Wahrzeichen von Bad Kreuznach. Die Brücke verbindet die Altstadt mit den neueren Stadtbezirken.

Der Stadtteil am Ellerbach mit der Pauluskirche wird rauschend als „Klein-Venedig“ bezeichnet; es ist dieser schöne Stadtteil, in dem ich all die sehenswerten Türen und Fenster fotografiert habe.

Quellen: wikipedia, kuladig.de

Vor allem bei kuladig.de findet ihr nähere Informationen zu der Geschichte der einzelnen Brückenhäuser.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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5 Kommentare

  1. Vielen Dank für deinen Bericht. Ich bin ganz in der Nähe von Bad Kreuznach geboren und aufgewachsen.
    Die Leerstände in der Altstadt gab es auch schon vor der Pandemie. Auf dem Land ist die Kaufkraft nicht so hoch, wie in Großstädten. Geschäftsleute haben damit sehr zu kämpfen.
    Und ich finde es immer schwierig unterschiedliche Baustile miteinander zu vergleichen. Immerhin eine Besonderheit, dass im 15.Jhd. In der Provinz so etwas erbaut wurde. Und alles ist auch eine Frage von individuellem Geschmack.

    1. Hallo liebe Arthrotia,

      vielen Dank für deine Gedanken. Ich war zum ersten Mal in der Altstadt von Bad Kreuznach und die leeren Fassaden haben mich überrascht. Normalerweise bin ich beruflich in der „Neustadt“ unterwegs und da ist selbst unter der Woche viel los, auch noch während der Corona-Zeit kurz vor dem zweiten Lockdown. Schade, dass die Altstadt ausstirbt…
      Natürlich verstehe ich, dass man einen ganz besonderen Bezug zu seiner Heimat hat und die Bad Kreuznacher Brückenhäuser für Menschen, die in und um die Stadt herum leben, immer eine spezielle Bedeutung haben werden. Verschiedene Baustile miteinander zu vergleichen empfinde ich für mich nicht als schwierig, denn es spiegelt lediglich meinen individuellen Geschmack wieder. Und der ist nicht das Maß aller Dinge 😉 Man muss sich auch vor Augen halten, dass die Bad Kreuznacher Brückenhäuser eine Besonderheit sind, die es so in Deutschland kaum ein zweites Mal gibt. Da ist ein Bezug zu Florenz meckern auf hohem Niveau…

      Liebe Grüße
      Kasia

  2. zunächst mal vielen lieben Dank dass du in Bad Kreuznach sogar an mein Projekt gedacht hast ! Das freut einen natürlich !
    Ich bin aber auch ganz ehrlich, die Brückenhäuser in Italien finde ich schöner und 1,1 Millarden sind schon sehr heftig !!! VG Manni

    1. Hallo Manni,

      ja, das finde ich auch – Italien und die Florentiner Ponte Vecchio ist kaum zu schlagen. Aber wir haben halt Bad Kreuznach, was willst du machen… 😉 Ja, das Projekt mit den Fenstern bekommt eine Fortsetzung, die Bilder habe ich schon, ich muss nur noch den Text dazu schreiben…

      Liebe Grüße
      Kasia

      1. sehr schön und freue mich darauf !!! LG und schönes Wochenende

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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