Asien, Nepal

Nach mir die Sintflut – Monsunregen in Nepal

September 2019, Pokhara, Nepal

Als wollte sich meine Vorahnung bewahrheiten, beginnt es gegen Abend zu regnen. Doch es ist kein Regen, wie wir ihn kennen. Am Ende werden sich Straßen in reißende Ströme verwandeln, Gehwege in Flüsse und alles wird ein bisschen an Little Venedig erinnern. Pokhara ertrinkt im Regen.

Doch soweit sind wir noch nicht.

Noch sitze ich gemütlich in einem Cafe am Phewa See und rauche eine leckere Shisha, die nach nichts weiter außer Blütenblättern schmeckt. Nix da mit Apfel und Minze. Blütenshisha. Das ist es.

Ein Taxi bringt mich am späten Nachmittag zurück zum Hostel. Hier stehe ich oben auf der Terrasse und schaue hinunter. Die Aussicht erstreckt sich über den Phewa-See, auf dem ich heute mittag mit dem Boot unterwegs war, und reicht bis zu den Bergen. Inzwischen zeigt sich die Sonne wieder und das Grün der Reisfelder leuchtet im Abendlicht. Eine üppige Landschaft, frisch und reich und saftig. Wie ein dankbarer Spiegel reflektiert der See das Licht.

 

Stunden später

Nass bis auf die Unterhose… trifft es nicht mal annähernd. 

Heute Abend bin ich mit Kristina, der tschechischen Reisenden, in Pokhara zum Abendessen verabredet. Kristina traf ich vorgestern oben bei der World Peace Pagoda, einem buddhistischen Tempel, der rund 1113 m auf einem Bergrücken über dem Phewa-Tal thront. Wir verstanden uns auf Anhieb und beschlossen, tags darauf gemeinsam essen zu gehen. 

Tags darauf, das wäre heute gewesen. 

Nach Sonnenuntergang…

Nach Sonnenuntergang verschwinden die Reste des freundlichen Lichtes, welches die Landschaft so ansehnlich hat wirken lassen, und es beginnt zu nieseln. Zunächst nur ein wenig – kein Nepalese, der etwas auf sich hält, würde sich davon wirklich beeindrucken lassen. Und auch ich marschiere unbeirrt los zu unserem verabredeten Treffpunkt.

Gerade als ich losgehe, beginnt es, richtig zu schütten.

So einen Regen habe ich noch nie gesehen. Als wollte der Himmel alles hinunter auf die Erde kippen, was er an Wasservorräten übrig hat. Kein lokaler Bus weit und breit; gerade jetzt hätte ich ihn so dringend gebraucht. Natürlich habe ich mein kleines, schwarzes Schirmchen dabei, welches ich tapfer über meinem Köpfchen halte, doch dessen Schutz ist eher witzlos.

Ah, da kommt ein Bus! In der Dunkelheit tauchen helle Lichter hinter mir auf und ich höre das charakteristische Brummen Hoffnungsvoll drehe ich mich um. Die Scheinwerfer beleuchten Ströme aus Wasser, die auf die Erde fallen, beleuchten mich – doch trotz meiner Bemühungen, den Bus anzuhalten, fährt dieser einfach weiter. Ich überlege kurz, mich einfach vor die Räder zu werfen.

Dafür sind außergewöhnlich viele Taxifahrer aktiv. Gefühlt alle hundert Meter hält eines neben mir an. „Taxi, Ma’am? Taxi?“ Ich will nicht wissen, was für horrende Preise sie heute bei dem Unwetter haben wollen. Also verneine ich schön höflich und gehe weiter, in der Hoffnung, dass sich das Wetter bessert.

Es wird aber nicht besser. Es wird schlimmer.

Beim Monsunregen ist es vergeblich, darauf zu hoffen, dass sich die Situation bessert. Sie bessert sich irgendwann, aber vorher…

Beim heutigen Abenteuer lief ich mir Blasen in die Füße. Und es schüttet noch immer, jetzt, da ich wieder in der Sicherheit meines Hostels bin. Nix da mit „besser“. 

 

Wie mich Nepals Straßen schwimmen lehrten…

Die Straßen verwandeln sich in Rinnsäle, dann in reißende Bäche. Die „reißenden Bäche“ sind keineswegs eine Übertreibung, denn die Straßen in Nepal sind, ähnlich denen in Deutschland, zu beiden Seiten hin abschüssig. Und die Fußgängerwege verlaufen nicht durchgehend. Was bedeutet, wenn du auf die Straße ausweichen musst, watest du gerade dort, wo sich das Wasser sammelt und die Strömung am stärksten ist. Zeitweise stehe ich bis über die Knöchel drin und versuche, mich auf den Beinen zu halten. Gerade an tieferen Stellen wird das zur Herausforderung und ich bin bemüht, meine Flip-Flops nicht in den Fluten zu verlieren. Um ein Haar hätte ich unfreiwillig barfuß weitergehen müssen.

Noch so ein Tipp von Kasia: seid ihr in Südostasien unterwegs und es ist Regen angesagt, macht es wie die Einheimischen, gibt euch den Stress mit nassen Socken und Sneaker nicht. Zieht Flipflops an. Und nicht die schicken mit Steinchen, Blümchen und sonstigem Gedöns. Sondern die robusten aus Plastik. Alles andere wird den Regen, den Dreck und den Matsch nicht überstehen. Wenn den Monsun erst richtig loslegt, dann kommt ihr nicht trockenen Fußes davon. Dann werden nicht nur eure Schuhe nass. 

Es reißt mich beinahe von den Beinen, als ich versuche, die matschbraune Strömung zu überqueren. Muss ich einmal vom Bürgersteig auf die Straße gehen, stehe ich plötzlich knöcheltief im Wasser. Unter seiner Oberfläche sehe ich nichts mehr. Ich sehe weder, wie tief es ist, noch was da ist, und alle möglichen urbanen Legenden werden in meinem Kopf zur unumstößlichen Realität. Kaninchengroße Ratten? Weiße Krokodile, die in den Abflüssen hausen? Schlangen? Warum nicht? Da berührt etwas meinen Fuß. Was war das? Nur ein Ast. Sicher, dass das nur ein Ast war?

Das Zentrum von Pokhara Lakeside ist wie ausgestorben, kaum jemand ist noch auf den Straßen unterwegs. Nur die Verkäufer sitzen unter Planen geschützt an den Eingängen ihrer Geschäfte und schauen in den Regen hinaus, und hin und wieder streift ein einsames Taxi durch die Stadt. Keine Touristen. Ach ja, bis auf solch Irre wie mich, die sich Meter um Meter vorwärts kämpfen. Nein – eigentlich nur solch Irre wie mich. Also nur mich.

Die Locals nehmen den Regen mit Humor und auch ich versuche, meinen nicht zu verlieren. Ich grüße die Verkäufer. „Es nieselt ein wenig.“ Rufe ich durch das Plätschern des Wassers hindurch und lache. Sie lachen auch. Das bisschen Wasser.

Vorbeifahrende Autos und Motorräder bilden große Wasserfontänen aus matschigem Braun. Die Leute schauen mich verwundert an. Ich schaue zurück, grinse und mache eine schwimmende Handbewegung. „I’m going to swimm a little bit.“ Wieder Gelächter.

Die schmalen Nebenstraßen verwandeln sich in reißende Zuflüsse, die es zu überqueren gilt. Ein solcher Nebenzufluss versperrt mir den Weg. Ich bin ratlos und fast bereit, aufzugeben. Drei Verkäufer mustern mich neugierig. Ich stelle mich zu ihnen unter. „Hat einer von euch zufällig ein Boot?“ Einer der Jungs zeigt mir, wie man auf die andere Seite kommt: einfach Schuhe in die Hand und herüber staksen. Es geht immer irgendwie weiter.

Doch schließlich, rund dreihundert Meter vom Cafe entfernt, in dem ich mit Kristina verabredet bin, muss ich kapitulieren.

Ich bleibe auf einer kleinen Anhöhe wie auf einer Insel stehen, zu der ich mich mühsam durchgekämpft habe, und es geht weder vor noch zurück. Ich bin vom Wasser umschlossen wie die Arche Noah und die Strömung ist reißend und stark. Nur barfuß könnte ich mich weiter vorwärts bewegen, doch das will ich nicht, denn wer weiß, was da unten ist? Glasscherben, spitze Steine, Fäkalien… von all den Monstern, die unter der schwarzen Wasseroberfläche lauern, ganz zu schweigen. Ich bin ratlos. Dabei bin ich schon fast da…

Schließlich gebe ich auf und winke mir ein Taxi heran. Ich kann und will nicht mehr weiter.

Die dreihundert Meter zum Cafe kosten mich dreihundert Rupien. Für nepalesische Verhältnisse ist es happig, doch für die aktuelle Lage und meinen jetzigen Gemütszustand spielt das keine Rolle mehr. In meiner Welt sind dreihundert Rupien keine drei Euro. In meiner Welt ist es nichts.

Ein wenig ärgere ich mich dennoch – konsequenter wäre es gewesen, gleich zu Beginn ein Taxi zu rufen. Oder die Zähne zusammen zu beißen und das Ganze bis zum Schluss durchzuexerzieren, inklusive in einer Wasserpfütze zu ertrinken oder von Wasserschlangen entführt zu werden. Wenn schon, dann bitte richtig.

Fünf Minuten später sitze ich im Cafe, trinke meinen wohlverdienten Irish Coffee zum Aufwärmen und trockne langsam vor mich hin. Und warte auf Kristina, die noch nicht da ist. Durch den ganzen Guerilla-Überlebenskampf in den Fluten da draußen habe ich mich verspätet, doch es wäre nicht verwunderlich, wenn auch Kristina aufgehalten worden wäre. Ich schaue auf mein Handy und sehe eine blinkende Nachricht.

„Wo bist du?“ Schreibt sie. „Ich sitze im Restaurant und warte auf dich. Bist du schon da?“

Verwundert schaue ich mich um.

Langer Rede kurzer Sinn: in Pokhara an der Lakeside gibt es zwei Lokale, die fast den gleichen Namen tragen und da der Teufel im Detail steckt, sitzen und warten wir im jeweils anderen Lokal aufeinander. „Ihr“ Restaurant befindet sich irgendwo in der Mitte der Lakeside, wo ich auf meinem Weg hierher sogar vorbeigegangen bin.

An diesem Abend treffen wir uns nicht mehr; erschöpft wie ich bin, bestelle ich mir ein Abendessen, welches by the way so la la schmeckt… Es stimmt tatsächlich, je touristischer die Gegend, umso schlechter die lokale Küche. Wie ich mal gelesen habe: dort, wo es am billigsten ist, dort schmeckt es oft am besten. Wie wahr.

Hier im Lokal lasse ich mir ein wenig Zeit, um auszuruhen und zu trocknen.

Mit Kristina verabrede ich mich für den nächsten Tag zu einer Wanderung. Zusammen wollen wir den 1600 m hohen Sarangkot bezwingen, von wo tagtäglich Gleitschirmflieger starten, um bei schönen Wetter wie bunte Vögel über dem Phewa Tal zu schweben. „Doch lass uns nicht zu früh losgehen.“ Schreibt sie mir noch. Und fügt hinzu: „I’m not a morning person.“

Zu diesem Zeitpunkt kann ich noch über diese Bemerkung lachen.

Der Regen hat nachgelassen, und auch die Straßen sind nicht mehr so überflutet wie vorher. Ein Großteil des schlammigen Wassers hat sich zurückgezogen und ich trete den Rückweg zu meinem Hostel an. Es regnet noch immer; zwar nicht mehr so stark wie vorher, doch konstant und ohne Unterbrechung. Es ist dieses stetige Nieseln, welches dich immerzu umgibt. Die Nässe ist allgegenwärtig, meine Klamotten sind noch nass von vorhin und ich spüre, wie neue Wassertropfen unangenehm unter meine Kleidung wandern und über meine Haut kriechen. Und zum ersten Mal, seit ich hier in Nepal bin, beginne ich zu frieren.

 

 

 

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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1 Kommentar

  1. […] unser geplantes gemeinsames Abendessen am nächsten Tag buchstäblich ins Wasser fiel (der Platzregen machte es unmöglich, irgendwie vorwärts zu kommen, zudem, wie es das Schicksal so […]

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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