Sommer 2019, irgendwo in Nepal…
Der umgefallene Truck auf der bergigen Straße. Langsam suchen wir nach einer Möglichkeit zum Überholen. Unterwegs sehe ich noch ein paar solcher Ereignisse. Schwer zu sagen, was da passiert sein könnte und ich hoffe, es ist niemand verletzt. Menschen wuseln um die Unfallstelle herum. So eine Fahrt in den Bergen von Nepal, ja, die ist nicht ohne. Da kann alles passieren…
Eine Busfahrt, die ist schön…
Seit Stunden ist unser Bus bereits nach Chitwan unterwegs. Es hat alleine über anderthalb Stunden gedauert, bis wir die wuselige, laute Stadt Kathmandu hinter uns gelassen haben. Nun tauchen wir in die Berge ein. Es führt nur eine einzige Passstraße nach Pokhara, die irgendwann nach Süden Richtung Chitwan abzweigt. Sagenhaft schöne Landschaften eröffnen sich meinem Auge. Der Fluss mäandert vor sich hin, dann ist er wieder ein reißender Strom. Rechts von uns ist steile Bergwand zu sehen, links fällt der Blick hinab in eine tiefe Schlucht.
Ich weiß nicht, ob es die Fahrbahn ist oder die wohl abgenutzte Federung des Busses, doch es ist jedes Schlagloch zu spüren. Dann springt der Bus kurz auf und wir hüpfen alle in unseren Sesseln nach oben. Lautes Gelächter macht sich breit, eher um der Erleichterung freien Lauf zu lassen denn aus Belustigung.
Ohne Hupe ist so ein Fahrzeug hierzulande unvollständig. Die Fahrer hupen durchgehend, als sie auf der engen Landstraße Busse und Trucks überholen. Motorradfahrer, Tuk-Tuk-Fahrer, sie alle machen auf sich aufmerksam, um ja nicht übersehen zu werden. Und auch, damit der Gegenverkehr Bescheid weiß.
An Schlaf ist nicht zu denken, alleine dem Geruckel des Busses wegen. Kurzzeitig versuche ich es an einem Parkplatz, als wir eine halbe Stunde pausieren dürfen. Die Straße ist gesäumt von kleinen Buden und Hütten, die Verkaufsstände bieten Snacks zu unverschämten Preisen an. Der mitreisende Nepalese auf dem Sitz vor mir, der mit seiner Schwester unterwegs ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, mich während der Fahrt mit Süßigkeiten zu versorgen.
Meine Hoffnungen, die Orte außerhalb Kathmandus seien irgendwie ansehnlicher, sind indessen vergebens. Wir passieren ein Dorf nach dem anderen, zusammen gezimmerte Orte, die entlang der Passstraße liegen. Schön anzusehen ist lediglich die saftig grüne, wechselnde Landschaft. Reisterrassen und Wälder wechseln sich ab. Der Fluss führt braunes Wasser mit sich; manche Orte bieten Rafting und Kanutouren an. Ich muss daran denken, wie noch wenige Kilometer weiter oben im Pashupatinah Tempel an eben diesem Fluss Tote verbrannt werden.
Der Fluss verwandelt sich. Aus sich langsam dahin windenden Schleifen werden schnelle Stromschellen, links und rechts erwachsen hohe Felsen. Das Wasser bohrt sich durch einen Canyon hindurch.
Im Übrigen braucht man sich keine Sorgen um Toilettenpausen zu machen, denn der Fahrer hält regelmäßig an diversen Rastplätzen. Zeit genug, um auszusteigen und sich die Beine zu vertreten. Und auch Verpflegung ist für ein bisschen Geld vorhanden.
Man findet immer mal wieder Freunde auf Reisen, zumindest Freunde auf Zeit; spannende Begegnungen, die man in seinem Kopf als Teil des Abenteuers mit nach Hause nimmt. So auch dieses Mal. Der junge Nepalese, der vor mir sitzt, verwickelt mich in ein Gespräch. Er erzählt mir von seinen Reisen und bietet mir sein KitKat an, welches er draußen an einer der Raststätten für horrendes Geld gekauft hat. Auch er verreise gerne, diverse Plätze dieser Erde habe er schon besucht, wie er mir erzählt. Es sei schon in China und in Afrika gewesen, in Thailand und in Indien. Er habe bereits viel von der Welt gesehen.
Er sei Student, erzählt er. Er studiere hier in einem Vorort von Chitwan, doch er sei in Kathmandu zu Hause. Immer in den Semesterferien fährt er in seine Heimat, um bei seinen Eltern zu sein. Schließlich stellt er mir seine Schwester vor, die mit im Bus sitzt, und zeigt mir Fotos von seiner Frau und seinen Kindern. Und die ganze Zeit teilt er sein Essen mit mir und ist sehr darum bemüht, dass ich mich willkommen fühle. „Möchtest du etwas trinken? Möchtest du Wasser? Soll ich dir von draußen etwas holen?“
Ich habe so viel Gastfreundschaft wohl noch nicht erlebt. Es fühlt sich völlig ungewohnt an, dass Fremde für dich sorgen, doch wahrscheinlich deshalb, weil ich so viel Fürsorglichkeit einfach nicht kenne. Der Fremde hatte gesehen, dass ich alleine unterwegs bin und zusätzlich zum KitKat versorgte er mich mit Informationen zu den Busverbindungen und wie ich am besten an welches Ziel komme.
Ich habe bereits häufiger erlebt, dass Menschen aus südostasiatischen Ländern ihr Essen mit mir geteilt haben, sei es die junge philipinische Frau in Helsinki, als wir auf das Feuerwerk warteten oder die singhalesischen Jungs im Flieger von Sri Lanka nach Katar. Diese Menschen fangen nicht zu essen an, wenn nebenan noch jemand sitzt, ohne dieser Person etwas anzubieten. Es gehört bei ihnen dazu, es ist Teil ihrer Kultur. Und ich bin jedes Mal überrascht.
Es sind nette, liebe Gewohnheiten, die ich in meinem eigenen Kulturkreis manchmal vermisse, einfach dieses mehr an freundlichem Verhalten. So viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Aber hier im Bus habe ich auch Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen. Die Pausen nutze ich, um kurz die Augen zu schließen. Und sobald das Gefährt wieder lostuckert, bin ich schlagartig wieder wach.
Dann kommt der Bus in Sauraha an.
Sauraha und die Tuk Tuk Fahrer
Sauraha, dieser kleine Ort, der eigentlich mehr aus einem Busstop besteht, ist auf meiner HereWeGo-Karte nicht verzeichnet. Es handelt sich um ein Tharu-Dorf mit ein paar Häusern, diversen touristischen Angeboten und vielen Tuk-Tuk Fahrern, die bereits auf die Neuankömmlinge warten.
Die Locals steigen nach und nach in den größeren Vororten Chitwan aus. Nur noch wenige Touristen sind noch im Bus, die, kaum draußen, sogleich von den Tuk Tuk Fahrern sowie Vermittlern von Hotels und Herbergen umringt werden. Und während sich die anderen Reisenden schnell mit den Fahrern über einen Preis einigen, gehe ich erst einmal zur Seite. Der Rummel ist mir etwas zu viel. Ich will die Lage sondieren, ehe ich mich vom ersten besten Anbieter breit reden lasse.
Ich konsultiere mein Smartphone, genauer gesagt die HereWeGo-App, die ich mir vor der Reise heruntergeladen habe. Die App ist praktisch, wenn es darum geht, sich ohne W-Lan Verbindung oder lokaler Internetkarte zurecht zu finden. Die Karten für die zu bereisenden Länder können einzeln herunter geladen werden, so dass sie auch offline funktionieren. Doch so zufrieden bin ich mit der Offlinefunktion nicht, da sich diese am Ende als zu ungenau entpuppt.
Nun sehe ich, dass sich das Tharu Community Homestay, in dem ich übernachten werde, rund drei Kilometer von der Bushaltestelle befindet. Es liegt abseits der Vororte und etwas näher am Chitwan Nationalpark. Das Gasthaus ist idyllisch direkt am Fluss gelegen, wo seltene Krokodilarten lauern und Besitzer ihre Elefanten baden. Da will ich hin.
Also gehe ich wieder zurück zur Mitte und lasse mich vom ersten Tuk Tuk Fahrer ansprechen. Für zweihundert Rupien ist er zunächst bereit, mich zum Homestay zu bringen, das sind etwas weniger als zwei Euro. Doch als ich schon im Tuk Tuk sitze, als der Fahrer ein feuchtes Tuch herausholt um den Sitz vom Staub der Straße frei zu wischen, da wird die Fahrt auf einmal teurer. Das Homestay sei „sehr weit weg“, viel weiter als er ursprünglich gedacht hätte. Es koste jetzt dreihundert Rupien.
Da ich solche Maschen nicht mag, steige ich wieder aus. „Kein anderer Fahrer wird dich für weniger bringen.“ Sagt er. Und er behält Recht, denn anscheinend wollen sich die Fahrer nicht gegenseitig unterbieten. Löblich. Ich gehe zur Fuß los.
Nun, es ist einmal mehr die gleiche Geschichte. Heute morgen in Kathmandu hätte mich das Busticket hundert Rupien zu viel gekostet, wenn ich nicht aufgepasst hätte und gestern in der Apotheke hat mir die Dame rund zwei Drittel zu viel berechnet (die Preise standen auf der Packung, doch vertrauensselig wie ich war, hatte ich nicht nachgeschaut…). Und eben bin ich an einem Punkt angelangt, wo ich es leid bin, auf Schritt und Tritt übervorteilt zu werden. Ich mag blond und weiß und fremd sein in diesem Land, doch ein wandelnder Geldautomat bin ich nicht.
Aus deutscher Sicht gesehen macht ein Euro hin oder her keinen großen Unterschied, aber es widerstrebt mir, für eine Entfernung von drei Kilometern den halben Preis meines Bustickets von Kathmandu nach Chitwan zu bezahlen. Es widerstrebt mir auch, die Preise der lokalen Anbieter in die Höhe zu treiben. Und es widerstrebt mir, mehr oder weniger übervorteilt zu werden, weil der Fahrer meint, ich hätte sonst keine anderen Optionen. Doch, die habe ich, und zwar meine Füße. Und meine Karte. Und gute Laune. Also marschiere ich los.
Mit Regenschirm und guter Laune
Eigentlich ist der Weg nicht kompliziert. Und auch nicht weit. Zwei Kilometer laufe ich normalerweise spielend.
Ich passiere die ersten Orte, die recht menschenverlassen daherkommen. Alle Anwohner halten sich um die Mittagszeit im Schatten auf. Anders als diese verrückte Weiße, die es schwitzend und schnaufend riskiert, sich einen Sonnenbrand zu fangen, nur weil sie zu stolz ist, zuzugeben, dass sie die Entfernung in Verbindung mit der Hitze komplett überschätzt hat.
Zwei Kilometer um die Mittagszeit bei sengender Hitze und einer extrem hohen Luftfeuchtigkeit sind schon eine sportliche Herausforderung, das wussten die Geier, denke ich mir gehässig. Gleichzeitig überlege ich, ob es nicht besser gewesen wäre, einmal den verdammten Stolz herunter zu schlucken und den höheren Preis zu bezahlen, zudem mir der eine Euro eh nicht weh getan hätte.
Aber nein, das ist gar nicht das Thema, hier geht es darum etwas zu beweisen! Denke ich und stelle müde einen Fuß vor den anderen. Ja, das werde ich machen: ich werde diese zwei Kilometer laufen, um etwas zu beweisen.
Nur, was hier eigentlich bewiesen werden sollte, ist mir später selbst nicht mehr so klar. Je länger die Sonne auf meinen Kopf knallt, umso diffuser werden meine Gedanken. Wieso mache ich das hier eigentlich, obwohl ich ein Tuk Tuk für drei Euro hätte haben können? Eine Stunde verrinnt. Wieso mache ich das hier, obwohl ich schon längst meine müden, verschwitzten Glieder in einem kühlen Zimmer im Homestay unter eine Dusche hätte hieven können?
Die Versuche des logischen Denkens sind bei der Hitze nicht besonders erfolgreich. Immer mal wieder kommt vereinzelt ein Tuk Tuk oder ein anderes Fahrzeug an mir vorbei und fragt mich, ob er mich mitnehmen soll, doch auch da winke ich noch ab. Diesmal ist es der Stolz; die sollen mich nicht einknicken sehen. Ich glaube, ich habe an diesem Tage im Dorf für einiges Kopfschütteln gesorgt.
Der Ort Sauraha ist ein beschauliches Dorf, komplett auf Touristen ausgerichtet. Auf großen Plakaten werden an jeder Ecke Tagestouren angeboten, Jeeptouren in den Chitwan Nationalpark, Kanu-Touren, Stay over night im Dschungel und weitere Aktivitäten. Auch eine Touristenpolizei ist vorhanden; das Häuschen steht verlassen mitten auf einer größeren Kreuzung. Ich passiere das Dorf, grüße hier und da einen Einheimischen, der mich aus dem Schatten heraus neugierig betrachtet und nutze die Gelegenheit, um mich in den Preisen für die angebotenen Ausflüge zu orientieren. Die Route meiner App führt mich zuverlässig vorwärts und noch bin ich frohen Mutes.
Das ändert sich allerdings, sobald ich das Dorf wieder verlasse. Mitten zwischen grüßen Feldern, zirpenden Grillen im hohen Gras und vorbei an Wasserbüffeln, deren Besitzer im Schatten der Bäume pausieren, schwinden mein Mut und meine Kräfte. Es ist kurz nach der Regenzeit und eigentlich nicht die beste Reisezeit für die Tiefebenen von Chitwan. Die Luftfeuchtigkeit ist noch extrem hoch und es sind Mücken unterwegs. Entsprechend wenig Touristen sind zu dieser Zeit anzutreffen. Das wird sich nur wenige Wochen später ändern.
Reisfelder, soweit das Auge reicht. Die bergige Landschaft Nepals ist einer flachen, sumpfigen Ebene gewichen. Die leuchtend roten Schwertlilien, die die saftig grünen Reisfelder zieren, sehen aus wie gemalte Flammen. Ich sehe kaum jemanden auf der Straße, und wenn, dann nicht zu Fuß. Frauen tragen Sonnenschirme über ihren Köpfen. Ich grüße die Büffelmänner, versuche, so zu wirken, als wüsste ich genau, wohin es geht. Die Illusion verfliegt, als ich wieder an ihnen vorbei gelaufen komme, um in die andere Richtung zu gehen. Was ist passiert?
Meine App beginnt zu spinnen. Plötzlich kann die Route nicht genau lokalisiert werden. Ich kann die zu laufende Richtung nur vermuten und dieses hin und her kostet natürlich Zeit. Es soll sich herausstellen, dass ich auf dem richtigen Weg war, doch noch renne ich herum wie ein orientierungsloses Huhn. Ich werde viel später feststellen, dass ich fast schon am Homestay angekommen war, und dann doch noch umgekehrt bin.
An einer abzweigenden Straße steht abseits ein bescheidener Verkaufsstand. Dort rette ich mich in den kühlenden Schatten. Der Mann verkauft diverse Säfte, Snacks und frisch aufgebrühten Kaffee. Der Kaffee schmeckt sagenhaft lecker und sehr speziell, er wird mit einem aromatischen Kraut versehen. Ungerührt lässt der alte Verkäufer den kleinen Topf auf dem Herd wieder heiß werden und gießt mir eine große Tasse ein.
Er verwaltet den Stand zusammen mit seinem Sohn. Das hier ist eine Einkaufsmöglichkeit für Locals und die Preise sind auf einem normalen Niveau, so wie ich sie in Kathmandu auch schon gesehen habe: ich zahle für den Saft dreißig, für den Kaffee zwanzig Rupien. Diverse Gemüsesorten liegen in Kisten zum Verkauf bereit.
Der Mann ist auch Tharu, wie er mir erzählt. „Wir sind hier alle Tharu.“ Er spricht ein paar Brocken englisch, das er wahrscheinlich von den Touristen gelernt hat. Er will wissen, wer ich bin und woher ich komme. Ich schlürfe den heißen, leckeren Kaffee, dankbar, für ein paar Augenblicke Unterschlupf im Schatten gefunden zu haben. Dann tanke ich neue Kräfte und will weiter.
„Es ist sehr sonnig“, sagt der alte Mann und deutet mir an, dass ein Schirm für mich besser wäre. Ob ich denn keinen dabei hätte? Fast hätte ich mir gegen die Stirn geschlagen: aber ja doch! Ich habe tatsächlich einen kleinen, schwarzen Schirm mitgenommen zum Schutz vor dem Monsumregen, der an Nachmittagen über das Land hereinbricht. Den hole ich jetzt raus und bedanke mich für den Tipp. Und es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Wie viele einheimische Frauen habe ich denn bereits gesehen, mit ihren bunten Saris und ihren ebenso bunten Schirmen, die sie vor der Sonne schützten.
Die nächsten Meter schwebe ich also leichtfüßig mit meinem Schirmchen wie eine Fee über den Reisfeldern, zwischen den Gräsern und den Bäumen… Hah, schön wäre das. Ich stampfe vor mich hin und schwitzte wie ein Schwein. Ich bin die einzige Touristin weit und breit, entsprechend werde ich auch angeschaut. Vermutlich auch, weil ich zu Fuß unterwegs bin.
Menschen grüßen mich mit „Namaste“ und ich habe die Möglichkeit, sie bei ihren alltäglichen Arbeiten zu beobachten. Nichts geht über das langsame Erkunden zu Fuß. Der Verkäufer ist hilfsbereit, als ich ihn nach dem Weg frage, doch das Tharu Homestay scheint er nicht zu kennen, denn er schickt mich in die verkehrte Richtung, zu den Tharu Dörfern entlang der Felder. Dort im Dorf befindet sich das Tharu Museum, wie er mir erzählt. Also folge ich der falschen Anweisung.
Das hat sein Gutes, denn ich treffe im Dorf auf einen Tharu-Jungen, der mich wiederum in ein Gespräch verwickelt. Ich frage den Jungen nach dem Weg. Er kennt das Tharu Community Homestay. Er schickt mich wieder ein ganzes Stück zurück, wieder an den BüffelMännern vorbei, die noch immer im Schatten sitzen und auf ihre Tiere Acht geben. Doch als ich ein- bis zweihundert Meter gelaufen bin, sehe ich ihn wieder – er kommt auf einem Motorrad neben mir zum Stehen. Er könne mich nicht zu Fuß gehen lassen, sagt er; es sei viel zu heiß und die Strecke zu weit. Ich bin gerührt.
So steige ich auf und der Tharu-Junge bringt mich unversehen zum Homestay. Es wäre noch ein ganzes Stück gewesen, das ich zu Fuß hätte zurücklegen müssen und nun, da ich den langen Weg vor mir sehe, fange ich an, zu zweifeln. Wird der geforderte Preis des Tuk Tuk Fahrers doch gerechtfertigt?
Wie dem auch sei; die dreihundert Rupien bekommt der verdutzte Junge als Trinkgeld in die Hand gedrückt. Weil er es auch umsonst gemacht hätte, einfach aus reiner Freundlichkeit heraus. Das Motorrad tuckert davon und ich betrete den schattigen Garten meiner Unterkunft für die nächsten vier Tage: das Tharu Community Homestay.
Solltet ihr mal in der Gegend sein und im Tharu Community Homestay übernachten, notiert euch folgendes: es gibt die Möglichkeit, sich kostenlos vom Homestay abholen und wieder zur Station bringen zu lassen. Das wurde mir gesagt, als ich endlich vor Ort angekommen bin. „Ich hatte dich noch angeschrieben“, sagte der Verwalter. Tja, die E-Mails hatte ich dann nicht mehr gecheckt…
Haha…
Da bin ich mal auf einem alten Beitrag von Dir gelandet – war ja klar, dass Du stur wie ein Esel sein kannst.. 🙂
Aber das mit dem unterschätzen der Entfernung – das habe ich vor 2 Wochen am eigenen Leibe erfahren. Wäre ich Reiseblogger wie Du – ich hätte eine tolle Geschichte dazu geschrieben. Aber da ich niemals so lebendig schreiben könnte wie Du hier nur ganz kurz: einer meiner Freunde trifft sich einmal wöchentlich mit mir damit wir zusammen eine Runde spazieren gehen. Vor anderthalb Jahren fingehn wir gemächlich mit einer Stunde Dauer an. Die Kondition wurde besser – die Strecken länger – die Dauer des Spaziergangs auch. Aktuell sind wir bei 3 Stunden und so knapp 13 bis 15 Kilometer Strecke.
Das ist hier im Ruhrpott nicht so problematisch – Berge gibt’s hier ja nicht. Wenn man einen Hügel erblickt handelt es sich eher um eine künstlich aufgeschaufelte Kohlehalde, als um eine echte Erdverwerfung.
Doch vor 2 Wochenhatte mein Kumpel die Idee in den Westerwald zu fahren um eine Strecke von 20 Kilometern zu wandern (Wandern – das weiß ich jetzt – ist der fiese, böse große Bruder des Spazierengehens. Außerdem hat man dabei einen scheuernden Rucksack auf dem Rücken). Nun sind 20 Kilometer eine Strecke, die mir keine Angst macht – wer 15 Kilometer „stratzt“, der latscht auch 20…
Jaaaaa… wenn man im Flachland unterwegs ist…
Aber dieser „Spaziergang“ war der Endgegner. Kaum aus dem Auto, was unten bei den Extersteinen geparkt wurde, ging es auch schon den ersten Berg hoch – zwar noch gemütlich im Schatten bei angenehmen kühleren Vormittagstemperaturen – doch dabei blieb es nicht.Die Wege wurden steiniger, weshalb man fortwährend auf den Weg schauen musste um nicht mit dem Fuß umzuknicken – was aber nach einigen Stundenfür Halsschmerzen sorgte. Doch die Wege wurden nicht nur steiniger – sie wurden auch steiler!
Und – Worst Case – es ging zwar auch wieder hinab, aber nur um am Ende in einen noch steileren Aufstieg zu münden.
So ging es knapp 3 Stunden..
Wir eierten bis zum Hermannsdenkmal hoch (Wanderweg X6 – falls Du vorhast Dir diese Strapaze auch anzutun.. ;-)), was auf 588 Meter Höhe liegt.
Gefühlt bin ich aber einmal die Eiger-Nordwand hochgeklettert – in Badelatschen – mit einem Schrank auf dem Rücken..
Ich war schon platt als wir nach nun doch etwas über 3 Stunden auf halbem Weg oben angekommen waren. Das waren grade mal 10 Kilometer. Trotzdem: meine Beine brannten wie Feuer, die Muskeln waren diese steilen Aufstiege nicht gewohnt und beschwerten sich mit Vehemenz beim restlichen Körper. Aber dem ging es auch nicht besser.
Der Rückweg war natürlich nicht leichter – auch wenn es vom Denkmal aus erst mal ein paar Meter bergab ging.
Mein Freund hatte mich schon gewarnt, dass am Ende des Rückwegs ein ziemlich steiler Anstieg wäre – das war nicht gelogen. Ungefähr 700 Meter ging es ständig bergauf – mit übersäuerten Muskeln, ausgelaugt, trockendem Mund (denn Wasser zum trinken war nun auch alle – obwohl ich 2 Liter Wasser getrunken hatte, habe ich Abends auf der Waage 1,8 Kilo Gewicht weniger gehabt)) und eher durchschnittlicher Laune, die ins suizidale abdriftete. Ehrlich, wäre ein Wolf aus dem Dickicht gesprungen und hätte gesagt: „Ich werde dich jetzt fressen“ – ich hätte ihm gedankt dafür..
Ja, so ist das wenn man sich überschätzt..
Bleib gesund.
CU
P.
P.S. die 1,8 Kilo Gewichtsverlust hatte ich einen Tag später wieder drauf.. Verf..
Na, und da sagst du mir, du könntest nicht lebendig schreiben! Ich habe die Wölfe praktisch schon aus dem Wald kriechen sehen… 🙂
Ja, wandern im Gebirge kann eine ganz schöne Herausforderung sein. Es geht auf die Waden, auf die Muskulatur… und gleich zwanzig Kilometer? Mein lieber Mann… so viel wandere ich eher selten. Rund zehn- bis fünfzehn Kilometer rauf und runter reichen mir, das ist schon okay. Da habt ihr euch was vorgenommen. Und durchgezogen, bravo! Wenn du mich fragst, es gibt nichts, was mehr reinzieht als das Wandern. Ja, man ist erledigt. Die ersten paar Mal. Aber irgendwie, ich weiß nicht… Es reizt, zu sehen, wieviel da noch geht. Ich bin schon gespannt auf deine nächste Wanderung. Und in einem Jahr jubele ich dir beim Iron Man zu 😉
Übrigens: Gewicht schwankt erheblich von Tag zu Tag, je nach Tageszeit und Form. Am besten einmal in der Woche wiegen oder noch besser: statt wiegen Umfang messen 😉
Liebe Kasia,
wow, was für ein Weg! In der sommerlichen Hitze hätte ich das nie gepackt. Ich kenne das Gefühl, vom Übervorteilt werden von arabischen Ländern. Da ist das Handeln immer sehr, sehr mühselig. Immerhin hast du die Gegend so richtig gut gesehen.
Viele Grüße
Renate
Ja, lach… das war eine ziemlich blöde Aktion, aber mir reichte es einfach. Die ersten Tage kommt man naiv und ständig lächelnd in einem Land an, doch nach und nach gibt sich das… und ich denke, da hat sich bei mir ein bisschen was angestaut. Im Nachtrag gesehen hätte ich das verlangte einfach gezahlt und gut ist, aber manchmal, da verrennt man sich in etwas und ist dann zu stolz, um wieder umzudrehen 🙂