Die Festung Adschlun
Wir verlassen die Militäry Road. Erleichtert, beeindruckt. Kurze Zeit später halten wir am Jordan Fluss an, der einen wichtigen Pilgerort für Christen darstellt, hat sich doch laut dem, was in der Bibel steht, Jesus vom Johannes dem Täufer taufen lassen. Doch aussteigen und Bilder machen ist nicht drin, da sich gleich daneben ein weiterer militärischer Checkpoint befindet; so fotografieren wir verstohlen vom Auto aus.
In vielen christlichen Kirchen wird Johannes der Täufer als Heiliger verehrt. Er predigte die Ankunft eines Messias, dessen Reich bald auf der Erde folgen sollte. Aus diesem Grund sieht ihn die Kirche als den Wegbereiter der christlichen Religion an.

Die grenznahen Ortschaften, die wir überqueren, erscheinen mir bei weitem nicht mehr so befremdlich wie zu Anfang; ist wohl alles eine Frage der jeweiligen Perspektive. Nach dem kleinen Exkurs in die absolute Sperrzone, in der wir einen Steinwurf von den Golanhöhen und am grünen Wasser des Jarmuk Flusses standen, erscheint uns alles andere hingegen freundlich und zugänglich zu sein. Und ich weiß just in diesem Moment, dass nichts mehr dieses Erlebnis – welches durchaus auch ins Auge hätte gehen könnte – wird toppen können.
Auch hier, in den kleinen, verlorenen Ortschaften, winken uns die Mädchen freudig lachend zu. Freut man sich hier so über Ausländer? So viel Offenheit. Nimm das, Chemnitz.
Und obwohl ich müde bin, müde von zu viel Adrenalin, dessen Pegel nun in meinen Adern sinkt und der Wirkungsabfall mich schläfrig macht, raste ich völlig aus, als ich mitten auf der Straße, direkt vor meiner Nase etwas sehe, womit ich hier, am Ende der Welt, nie und nimmer gerechnet hätte: ein jordanisches Fahrzeug mit einem Polska – Warszawa-Schild im Rückfenster. Wie kommt ein Jordanier hier an ein Polska-Schild? Kurz glaube ich, es seien Landsleute, die da in dem Auto sitzen, doch als wir überholen und ich einen Blick riskiere, zeigen mir die dunklen Gesichter mit den langen Bärten, dass dies mitnichten Polen sein können. Ich will winken, lasse es jedoch lieber.
Wieder stelle ich mir hier draußen die Frage nach der richtige Bekleidung, denn wie ich bereits erwähnte, wirkt alles sehr traditionell. Sowohl Männer als auch Frauen, jeder trägt lange, luftige Kleidung und jeder weiblicher Kopf ist bedeckt, soweit ich das sehen kann. Meist wird Hijab getragen, die Art Kopfbedeckung, die den Kopf und die Haare vollständig verschwinden lässt, manchmal auch ein Tuch, der mehr oder weniger locker aufliegt. Und auch keiner der Männer trägt westliche Kleidung – daran erkennt man wohl nur Touristen. Nur ein einziges Mal sehe ich eine einheimische Frau, die offen ihre Haare zeigt.
Die Festung Adschlun liegt nordwestlich von Amman, nahe der syrisch-israelischen Grenze. Die Landschaft erscheint plötzlich erstaunlich grün und fruchtbar, Bäume und ganze Heine lassen die Hügel wie inmitten der Toscana wirken. Das Gebiet nahe der Grenze ist definitiv anders als der Rest des Landes; ganz in der Nähe befindet sich das Ajloun Forest-Reservat.
Doch Djamal* wirkt unter Zeitdruck – wir hatten an der syrischen Grenze mehr Zeit verloren als geplant. Noch ist mir zwar nicht klar, warum genau wir es so eilig haben, doch als er uns fragt, was uns denn wichtiger ist, Jerasch oder die Festung, entscheiden wir uns für Jerasch.
Doch Djamal* weicht von diesem Plan ab, denn er will beides schaffen. Als wir an der Ampel stehen, biegt er nach rechts, dann beginnt die Fahrt den grün bewachsenen Berg hinauf zur Festung Adschlun, einer im 12 Jahrhundert von einem Sultan errichteten Burg. In jener Zeit ist entlang der Grenze eine ganze Reihe von Burgen, Festungen und Verteidigungsanlagen errichtet worden, um sich vor Jerusalem und den Kreuzfahrern zu schützen, die eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellten. Die Burgen, in relativ geringem Abstand zueinander, erleichterten die Verteidigung, aber auch die Kommunikation und die Versorgung.
Die Burg erhebt sich über der gleichnamigen Ortschaft und hier sehe ich zum ersten Mal seit langem andere touristischen Besucher, Menschen in westlicher Kleidung. Wir durchqueren den Ort und parken unterhalb der Burg, vor deren Mauern sich die wenigen Händler niedergelassen hatten. Ein Tee- und Kaffeestand fesselt meinen Blick und ich sehne mich einfach nur nach einer Pause von all den Eindrücken, danach, mich auf einem dieser bunten, handgeflochtenen Teppiche niederzulassen und die Burg Burg sein lassen. Der hochgewachsene, alte Beduine ruft uns einladend hinterher. Doch Djamal* läuft weiter.
Das kann manchmal zum Problem werden, denke ich, während ich bedauernd dem Kaffee mit Kardamom hinterher schaue und den steilen Weg hinauf klettere; der Tagesplan und der Zeitdruck, der damit einhergeht. Ein Guide möchte seinen Schützlingen alles zeigen, er möchte ihnen eine Attraktion nach der anderen liefern und möglichst viel in einen Tagesablauf mit einbringen.
Ich hingegen möchte Kaffee mit Kardamom.
Der Eintritt in die Burg kostet an die drei J.Dinar. Während Djamal* die Tickets holt, schaue ich mir die Anlage an. Vom Erhaltungszustand her ist die Festung eine Ruine, denn im 19 Jahrhundert hatte es hier in der Gegend ein Erdbeben gegeben. Zwei Einheimische sitzen entspannt an der Treppe. Eine Katze reckt sich auf den warmen Steinen und schließt ihre Augen. Nur wenige Touristen huschen an uns vorbei, vereinzelt sind auch die obligatorischen chinesischen Besucher zu sehen.
Als wir die Burgruine betreten, schiebt sich gerade eine Reisegruppe vor uns her.
Die steinernen Innenräume der Burg sind in fahles, gelbes Licht getaucht. Bögengänge und steinerne Gewölbe versetzen uns sofort ins Mittelalter, wäre da nur nicht das Klicken der Kameras um uns herum. Fran lässt es sich nicht nehmen, für schöne Aufnahmen im Innern der Burg zu sorgen, ich hingegen möchte die Räume möglichst so aufs Bild bekommen wie sie sind. Und auch ein bisschen von dem spüren, was hier früher mal war.
„Kommt, kommt!“ Djamal* winkt uns heran, als er sieht, dass wir zurück bleiben. Diese ständige Eile geht mir auf den Keks. Aber gut, vielleicht ist es so, wenn man nicht alleine verreist; schließlich hat das Unterwegs sein mit ihm auch viele unschätzbare Vorteile. „Andere Guides schaffen nicht einmal die Hälfte von dem, was ich den Leuten am Tag zeige.“ Erzählt er uns stolz, als wir noch im Auto sitzen. „Ich kenne die Gegend hier am besten.“ Und tatsächlich, auf dem Weg hierher fuhren wir durch enge, verlassen wirkende Straßen, kleine Ortschaften abseits von allem, Wege, die in keinster Weise auf meiner Karte oder auf der Google Maps App verzeichnet waren. Die App zeigte mir, einmal wieder, ein weißes Feld an. „Andere Guides fahren über Umwege.“ Sagte Djamal*. „Ich kenne die Abkürzungen.“ Sagt er. Ich hätte mich hier vermutlich, hätte ich meinen ursprünglichen Plan verfolgt, ein ums andere Mal hoffnungslos verfahren. Doch wozu die Eile, kann ich nicht wirklich nachvollziehen.
In den Räumen der Burg befindet sich ein kleines Museum. Oben hingegen, über Wendeltreppen erreichbar, finden wir uns unter blauem Himmel wieder, auf dem Burghof, wo eine jordanische Fahne im Wind weht (oder je nach Witterung schlapp herunter hängt…) und von wo wir weit über das umliegende Land blicken können. Ein wunderbarer Ausblick schlägt uns entgegen. Eine sonnenbeschienene, grüne Landschaft, in der Ferne blau und rauchig die Bergketten.
„Djamal*.“ Sage ich. „Lass uns später unten eine Pause machen, lass uns hinsetzen und einen Kardamom-Kaffee trinken.“ Ich weiß, dass er es eilig hat, doch nun bekomme ich auch eine Erklärung für den Aktionismus; denn die Stadt Jerasch, die wir heute noch besuchen wollen, hat nur noch bis 18 Uhr geöffnet. „Ich will, dass du glücklich bist.“ Sagt Djamal*. „Und ich will alles machen, was du möchtest. Aber wir wollen es auch rechtzeitig dorthin schaffen.“
Das verstehe ich natürlich. Doch auf dem Weg nach unten halten wir dennoch für entspannte zehn Minuten auf einen Tee beim Beduinen kurz an. Die beiden großen, metallischen Kannen werden für uns angeschmissen: einer enthält Minztee, der andere den Kardamom-Kaffee. Spontan entscheide ich mich für den Tee.
Wir werden eingeladen, uns unter die provisorische Plane zu begeben und machen es uns im hinteren Bereich bequem. Und hier stellt sich heraus, dass Djamal* und der Mann sich kennen. Der herzliche Umgang der beiden miteinander verrät, dass sie mindestens gute Freunde sind und Djamal* erzählt uns, die beiden seien Freunde seit über fünfzig Jahren.
„Er will immer meinen Ring haben.“ Sagt Djamal*, als wir wieder den Berg hinunter fahren. Der große Männerring von Djamal* ist mir schon zu Beginn aufgefallen. „Jedes Mal sagt er: Hey, was verlangst du für den Ring, ich muss ihn unbedingt haben. Er scherzt natürlich mit mir, denn er weiß genau; ich kann ihm den Ring nicht geben. Das Auge meines Großvaters ist darin.“
Das Auge des Großvaters, wie? Djamal* erklärt uns, die Netzhaut des Verstorbenen wurde entnommen und in den Stein imprägniert. Für uns sicher befremdlich. Ich weiß nicht, wie so etwas möglich sein soll.
Wir machen gut Strecke und schon kurze Zeit später ist die Burg nur als verschwommener Umriss auf einem Berg zu sehen. Als wir an einer Ampel stehen, sehe ich an einer Kreuzung eine für diese Gegend echte Rarität: zwei Motorradfahrer auf Nackedbike (Suzuki) und Sporttourer. Was mich natürlich einmal wieder von meinem Motorrad daheim zu erzählen.
Wir erreichen Jerasch so gegen halb fünf.
Die antike Stadt Jerasch
Die Stadt Jerasch wird im Deutschen auch Gerasa genannt. Sie hat etwa 40 000 Einwohner und ist, wie die restlichen jordanischen Städte auch, per se keine Schönheit; Haus um Haus reihen sich die unförmigen, quadratischen Bauten aneinander. Doch uns interessiert natürlich weniger die moderne Stadt; was uns interessiert, sind die über 2000 Jahre alten Ruinen, die hier ausgegraben wurden.
Die Anfänge von Jerasch reichen in graue Vorzeit, denn die ersten Siedlungsspuren lassen sich bis ins 6 Jahrtausend v. Chr. nachvollziehen.
Wir passieren den Triumphbogen und gehen einen langen, Säulen gesäumten Weg entlang, der im sog. Ovalen Forum mündet. Diese zum Himmel ragenden Säulen und auch diese Art kreisrunde Plätze sind typische Bauweisen der Römerzeit und passen im Grunde nicht wirklich hierher in diese Welt. Denn tatsächlich hatte die Siedlung, die es schon tausende von Jahren hier gegeben hatte, erst mit der Ankunft der Alten Römer in ihrer neuen Funktion als Handelsstadt an Bedeutung gewonnen.
In der Spätantike kam das Christentum und es wurden Kirchen und eine Kathedrale gebaut. Im 7 Jahrhundert fällt die Stadt an muslimische Araber und seit dem 13 Jahrhundert ist sie völlig verlassen. Das Gerasa der Neuzeit, welches wir vor den Toren der antiken Stadt sehen, hatte erst im 19 Jahrhundert begonnen, sich zu bilden.
Der Baukomplex ist riesig und zum ersten Mal auf dieser Reise sehe ich mit Jerasch einen Ort, den man als touristisch bezeichnen könnte. Nach dem Erwerb der Tickets überquert man zwangsläufig eine Halle mit vielen Händlershops, Bekleidungsständen und Souvenirs. Teilweise sind hier schöne Sachen zu sehen, doch wir bleiben nicht stehen, denn die Händler hier sind vom gänzlich anderen Kaliber und geben eine Vorstellung davon, wie der Massentourismus vielerorts der natürlichen Freundlichkeit und Zurückhaltung der Einheimischen entgegen wirken kann. Die Händler rufen uns zu, rufen uns hinterher, manche laufen ein Stück mit uns mit und halten uns ihre Waren entgegen. Aufmerksamkeit bekommen, hier und jetzt, scheint ihre Strategie zu sein, welch ein Unterschied zu den Souks in Amman, wo es ruhig und kultiviert zugeht!
Als wir an dem riesigen Forum mit seinen Kolonnaden rundherum ankommen, bleibt uns knapp eine Stunde Zeit, um den riesigen Komplex zu erkunden. Das Ovale Forum ist tatsächlich nicht rund, wie der erste Eindruck vermuten ließe, sondern oval und diente seinerzeit als eine Art Marktplatz, wobei sich die Historiker hier nicht ganz einig sind. Mir ist klar, dass wir es nicht schaffen werden, uns alles anzusehen, doch Djamal* bleibt sitzen und überlässt es uns, das Gelände nach belieben zu erkunden. Also laufen wir zum naheliegendsten vor; wir besteigen den anliegenden Jupiter-Tempel.
Der heilige Teil des Tempels war ehemals von Säulen umgeben, von denen noch drei stehen. Die restlichen Säulen wurden nachträglich wieder aufgerichtet. Von hier aus haben wir einen perfekten Ausblick über die antike Stadt, die – noch – in der Sonne liegt und die Schatten der Säulen, die immer länger werden. Und wir haben etwas Zeit für uns, auch wenn es nicht viel ist: in einer behüteten Welt, in der man sich auf Schritt und Tritt um dich kümmert, ist dies eine Rarität.
Als die Sonne immer tiefer sinkt, beginnen Sicherheitskräfte, den großen Platz zu patrouillieren. „Stell dir vor.“ Sage ich zu Fran. „Wir bleiben hier oben, verstecken uns und gehen erst am nächsten Morgen hier wieder weg.“ Wir lachen. Djamal* würde panisch werden.
Langsam kehren die kleinen Ameisen, die Touristen, zum Ausgang zurück. Djamal* sitzt unten auf Steinen und spielt mit seinem Handy, Fran ist noch oben geblieben und lässt von einem zufällig ausgewählten „Opfer“ weitere Instagram-taugliche Fotos von sich machen. Amüsiert beobachte ich, wie sie fotogen zwischen den Säulen des Jupitertempels posiert. Die Schatten werden länger und länger, irgendwann verschwindet die Sonne ganz hinter den Hügeln. Auch Fran ist wieder da; wir verlassen langsam das Gelände.
Es ist bereits dunkel, als wir wieder in Amman ankommen und im Hostel erwartet uns eine Überraschung: Djamal* Frau ist da und sie hat für uns gekocht. Die jüngeren Brüder decken den Tisch und das Hausmädchen brüht den Kaffee auf. Es gibt eine grüne Suppe, die nach Kräutern schmeckt und mit noch warmen Fladenbrot gegessen wird, dazu eingelegtes Gemüse und frische Zwiebel.
Ich begrüße Amira*, Djamals* Frau, mit Küsschen und einer Umarmung. Ich mag sie sofort, denn sie lächelt viel und obwohl sie zu Anfang scheu wirkt, beteiligt sie sich am Gespräch. Ihr Haar ist verhüllt und sie hat blaue Augen, die fröhlich in ihrem Gesicht blitzen. Auch mag ich ihre warme, herzliche Ausstrahlung, die einen sofort dazu bringt, sich willkommen zu fühlen.
Hier beim Essen bekomme ich leibhaftig die orientalische Gastfreundschaft vorgelebt, von der mir meine persische Freundin schon so viel erzählt hatte. Wenn ein Araber dir etwas anbietet, solltest du zunächst aus höflicher Zurückhaltung ablehnen. Meint er sein Angebot ernst, wiederholt er es mindestens noch drei Mal. Wiederholt er sein Angebot jedoch nicht, war auch dieses eine Floskel, um sein Gesicht zu wahren.
So auch beobachtet am Beispiel der russischen Hostelbewohnerin, die unweit von uns still auf der Couch sitzt mit ihrem Laptop auf dem Schoss. „Sie schreibt für eine bekannte, russische Kolumne.“ Erzählt mir Fran gleich am zweiten Tag. Die Dame wirkt zurückhaltend und spröde, lächelt nicht und unterhält sich mit niemanden. Und jetzt, als wir den Tisch decken und zu Essen beginnen, frage ich mich, wie das wohl für sie sein mag? Djamal* schubst einen seiner Söhne an und sagt etwas zu diesem.
„Möchtest du auch etwas?“ Fragt dieser daraufhin die junge Frau, sie verneint. Der Sohn wiederholt sein Angebot nicht.
Nach dem Essen unterhalten wir uns über die Erlebnisse des heutigen Tages. Natürlich ist es der Ausflug an die syrische Grenze, der den stärksten Eindruck bei Fran und mir hinterlassen hatte und unter großen Augen der Anwesenden erzählen wir die Geschichte wieder und wieder. Entgegen meinen anfänglichen Erwartungen spricht Djamal* Frau sehr gutes englisch und versteht auch alles; überhaupt hatte ich bislang noch keinen Menschen in Jordanien getroffen, der der englischen Sprache nicht mächtig wäre. Auch hier wäre es an der Zeit, die Klischees im eigenen Kopf zu überdenken.
Djamal* erzählt uns, dass seine Schwester ein hohes Tier beim jordanischem Geheimdienst ist; er bezeichnet es als „jordanian CIA“, und anscheinend bekleidet sie dort eine ziemlich einflussreiche Position. Ich beobachte die Gesichter um mich herum, doch die Geschichte scheint so zu stimmen, außerdem bin ich nach der Schwester Falids*, die Pilotin geworden ist und nachdem wir sauber aus der Sache mit der militärischen Sperrzone herauskamen, sowieso bereit, so ziemlich alles zu glauben.
„Uns wäre so oder so nichts passiert.“ Djamal* lacht. Er kenne viele Leute vom Geheimdienst, alles gute und nützliche Verbindungen. „Früher war der jordanische Geheimdienst fast jeden Tag bei uns zu Gast, sie saßen hier in diesem Wohnzimmer.“ Ja, sagt er, seine Familie sei ziemlich einflussreich. Er habe sich zu keinem Zeitpunkt Sorgen gemacht.
Später, als wir alle gegessen und den Tisch wieder abgeräumt haben, ruft mich Djamal* noch zu sich, um den Plan für den morgigen Tag festzulegen. „Ich will, dass du weißt, dass dies hier dein Trip ist.“ Sagt er. „Wenn es für dich in Ordnung ist, würde ich das Mädchen fragen, ob sie die nächsten Tage mit uns verbringen möchte.“ Damit meint er Fran, denn diese hatte sich noch nicht entschieden, ob sie mit uns weiter reisen möchte oder nicht. Obwohl ich mir fast sicher war, dass Djamal* es schaffen würde, sie zu überzeugen, denn die Tour an die Grenze hatte sie ziemlich beeindruckt. „Wenn du jetzt schlafen gehst, habe ich Zeit, mit ihr alleine zu reden.“
Doch ehe ich mich nach oben aufs Zimmer verziehen konnte, hielt mich Falid*, Djamal* Ältester fest; er bat mich gegebenenfalls um eine Beurteilung auf Bookin com für sein Hostel. Wir sitzen da und reden, irgendwann verabschiede ich mich und gehe nach oben. Djamal* Frau hatte sich bereits nach Hause begeben.
Als ich oben bin, schaffe ich es gerade so, die Schuhe auszuziehen und in meine Schlafkleidung zu schlüpfen, dann klopft es an der Tür. Schnell werfe ich mir etwas über und spähe hinaus: Falid* steht draußen vor der Tür. „Mein Vater hat mir aufgetragen, dir zu sagen, dass wir dich in ein noch besseres Zimmer verlegen können, wenn du möchtest.“ Sagt er und erklärt mir, dass der gesamte Flügel, in dem ich mich gerade befinde, renoviert ist. Ich verneine, es lohne sich nicht, für eine Nacht umzuziehen, sage ich, denn eigentlich möchte ich nur noch in das kuschelige, warme Bett schlüpfen; doch Falid* lässt sich so leicht nicht abwimmeln und bittet mich, mir zumindest die Zimmer zeigen zu dürfen.
So gehen wir von Zimmer zu Zimmer und ich bin erstaunt, wie modern und komfortabel die Räume aussehen, vor allem im krassen Gegensatz zu dem Eindruck, den ich am ersten Tag hier hatte, mit bröckeligen Putz und einem nicht funktionierenden Bad. Selbst die Dorms, die Schlafsäle, sind mit Abstand schöner als alles, was ich bislang in Hostels gesehen habe. Bei der Gelegenheit erfahre ich, dass Falid* der eigentliche Eigentümer des Hostels ist und Djamal* sozusagen der inoffizielle Berater; die graue Eminenz, ohne deren Zustimmung nichts unternommen wird. An alles hat der 27-jährige gedacht; an Lichtschalter neben dem Bett, an einem Dimmer, um mit dem hellen Licht seine Mitbewohner nicht beim Schlafen zu stören, an internationale Steckdosen, je eine neben dem Bett und an Ladegeräte für USB-Anschlüsse; alles praktisch, was ein gutes Konferenzhotel auszeichnet.
Und während mir Falid* die Zimmer zeigt, entschuldigt er sich wortreich dafür, dass ich am ersten Abend in einer solchen Absteige untergebracht worden bin, aber… „Wir waren hoffnungslos ausgebucht.“ Sagt er. Ich winke ab; ich war froh gewesen, um sieben Uhr morgens gleich mein Zimmer beziehen zu dürfen. Auch erscheint es mir unwahrscheinlich, dass das Hostel überbucht gewesen sein sollte, denn bei meiner Ankunft hatte ich kaum eine Meschenseele über die Gänge wackeln sehen; vermutlich wussten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass ich eine Einwochentour bei Djamal* buchen würde. Ja, die Tour hat ihren Preis, doch jegliche Upgrates bekam ich inclusive.
Als ich wieder zurück auf meinem Zimmer bin (ich konnte Falid* davon überzeugen, noch für diese Nacht das Zimmer zu behalten), schlüpfe ich in mein Bett und hole mein Notizblock raus, um die Eindrücke der letzten Stunden in Stichworten festhalten zu können – für lange Romane wäre jetzt eh keine Zeit, das muss wohl warten, bis ich wieder zu Hause bin. Da klopft es wieder an der Tür.
Fast schon amüsiert schlüpfe ich wieder aus dem Bett. Diesmal steht Fran vor der Tür.
Die Süße hat sich auf dem Weg zu mir gemacht, um mir nochmals zum Geburtstag zu gratulieren. „Ich wollte mich bedanken.“ Sagt sie mit feuchten Augen. „Für alles, was ich heute mit dir erleben durfte. Weißt du, ich bin schon so lange von meiner Schwester getrennt und dank dir habe ich mich auch wieder an ihren Geburtstag erinnert. Es ist, als ob nichts ohne Grund geschieht und als wenn mir das Universum dich geschickt hätte, weil meine Schwester nicht bei mir sein kann.“
Ich weiß bei solchen Gelegenheiten selten die richtigen Worte, also drücke ich sie.
*Die Namen wurden geändert