Deutschland, Europa

Mettlach, der dritte Blick

Der zweite Blick klingt erstmal positiv, hah… aber der dritte Blick?

Wie komme ich denn nur auf Mettlach, diesen kleinen Ort an der Saar, der sich so gar nicht von anderen kleinen Orten an der Saar unterscheidet? Ganz einfach, ich hatte ein Hotel dort. Gebucht. Nicht gekauft, versteht sich. Da in Trier, wo ich beruflich hin wollte, alles (schöne) bereits ausgebucht war, schaute ich mich nach Alternativen in der Gegend um. Und so kam ich auf Mettlach.

Klein, unscheinbar, doch trotz allem wunderschön gelegen mitten in den Weinbergen, vom Wasser der Saar wie eine glänzende Schleife durchzogen; eine eiserne Brücke hält die Stadt zusammen und von der Anlegestelle fahren täglich Ausflugsboote die Saarschleife entlang. Unweit von hier, da in Saarburg, befindet sich der Greifvogelpark und in Mettlach-Orscholz der Baumwipfelpfad, wo man von oben einen wunderschönen Blick auf die Saarschleife hat. Im Herbst, wenn die Blätter golden leuchten, alles still ist und man sich in dem Wasser spiegeln kann, wenn ein feiner Nebel über dem Fluss steht, ist das hier verwunschenes Land.

Hat denn Mettlach, das kleine Örtchen, ebenso viel Schönes zu bieten? Wird es sich als ein touristisches Juwel entpuppen?

Golden sind die Bäume jetzt schon, doch das hat jetzt, zum Ende August, gänzlich andere Ursachen. Die Erde ist trocken, sie verdurstet. Bäume und Sträucher sterben ab, die Hügel überzieht verbranntes, gelbes Gras. Die Savanne ist mir aus Namibia bis hierher gefolgt und nun erwarte ich beinahe, einen Löwen herausspazieren zu sehen. Der vielbesungene Klimawandel ist da, unumkehrbar, für alle sichtbar. Die Natur verbrennt, deutschlandweit. Baustellen haben noch nie so viel Staub verbreitet.

Abends, als die Sonne schräg steht, traue ich mich wieder aus dem Hotel. Es ist halb sieben, doch nicht wesentlich kühler als die Mittagszeit über. Ich beginne meinen Rundgang durch die Fußgängerzone, bin überrascht, wie leer sie ist. Ein Wanderpfad führt hinauf zur Burg. Nur wenige Menschen sind hier zu sehen, kaum jemand sitzt draußen, viele Lokale und Geschäfte haben geschlossen, ebenso wie die Eisdiele. Eines dieser deutschen Geisterstädte ohne Perspektiven, ohne junge Menschen, Städte, in denen kaum noch jemand lebt. Hier werden sehr früh die Bürgersteige hochgeklappt.

Am Marktplatz sitzen zwei einsame, tätowierte Proleten mit einem Radio auf der Schulter (sind wir hier in der Bronx der 80er Jahre?), laute Musik hallt mir entgegen und ich nehme die andere Richtung. „Hey Bruder!“ Schallt mir hinterher. „Weißt du denn nicht, dass vom Salat der Bizeps schrumpft?“ Ganz toll.

An der Brücke angekommen höre ich den Scheiß fast gar nicht mehr. Die Brücke ist schön und fotogen, ich mache ein paar Bilder.

Die Ausflugsboote an der Anlegestelle sind verlassen, morgen geht es weiter, da werden Ausflügler über die Saar geschippert. Teilweise belächle ich solche Fahrten, aber… hm, vielleicht wäre das auch was für mich? (Siehe auch: ab wann man alt wird…)

Die Sonne scheint gelb auf ein verlassenes Fabrikgelände. Die Fenster sind blind oder zerbrochen, roter Ziegelstein zeigt viele Bruchstellen. Mettlach war lange Zeit Sitz der Keramikproduktion; die Firma Villeroy & Boch AG hat hier immer noch ihren Sitz. Doch seit den achtziger Jahren ist der Fremdenverkehr eine wichtige Einnahmequelle; ein Hotel reiht sich ans nächste und schließlich bin ich ja auch hier.

Ein (verlassenes?) Fabrikgelände; der bröckelnde Putz verbreitet Endzeitstimmung

Ein großer Turm ragt in die Höhe, ein Teil des Gebäudes ist abgerissen. Wie gern würde ich Mäuschen spielen, doch hinein zu gelangen ist definitiv nicht drin, auch dank der Kameraüberwachung. Und so gerne ich Berichte über Lost Places verfolge und die tollen Aufnahmen dazu anschaue, so unwohl fühle ich mich beim Gedanken an solche Aktionen.

Leere Straßen.

An einem Bahnübergang bleibe ich stehen. Auf der anderen Seite gibt der Fahrer eines silbernen BMW ununterbrochen Gas im Stand. Aus den Boxen dröhnt mir wieder Proletenmusik entgegen – warum kann ich mich denn nirgends davor verstecken. Als die Schranke hochgeht und noch ein paar Mal übertrieben laut das Gas röhrt, wische ich mir bedeutungsvoll mit der Hand über die Stirn.

Zu gut gelaunt bin ich nicht, zugegeben. Ich weiß nicht, wieso, doch heute habe ich so gar keine Lust auf so ein Scheiß. Und der ganze Ort ist mir unheimlich.

Ich weiß nicht bis zum Schluss genau, wovon es abhängt, dass manche Orte solche Gefühle in mir auslösen. Ich drehe um. Was für ein Loch. Hier gibt es nichts, hier gibt es rein gar nichts.

An der Schranke kommen mir die zwei Typen mit dem Radio entgegen.

Unheilvoll scheint die Sonne auf mich herab, unheilvoll quietschen die Fahnenmasten im Wind. Selbst die Gesichter aus rotem Sandstein mit ihrem verzerrten Ausdruck lassen mich erschaudern.

Hinter der ehemaligen Benediktinerabtei St Peter zieht der Alte Turm meinen Blick an. Versteckt zwischen den Bäumen hinter einem schmiedeeiserndem Tor – das Tor ist geöffnet. Ich laufe hinein. Hier habe ich meine Ruhe, keine Proleten werden mir hierhin folgen – ist ja Kultur und so. Das Innere der Kapelle ist von Lichtstrahlen durchzogen. In der Mitte hängt ein Jesus an einem Kreuz.

Der 989 errichtete Alte Turm in Mettlach ist das älteste Bauwerk im Saarland überhaupt.

Wer die Industriekultur Mettlachs recherchiert, kommt an dem Namen Villeroy & Boch AG nicht vorbei. Im Zuge der Französischen Revolution wurden die Mönche der Abtei vertrieben, 1809 erwarb die Familie Boch den Komplex und richtete eine Keramikfabrik in den Räumlichkeiten ein. Das Unternehmen ist auch Besitzer des anliegenden Parks mit dem Alten Turms.

Ein Stück weiter – der Erdgeist. Er war das Wahrzeichen der Expo in Hannover. Die Weltkarte rundherum ist in der Keramikfabrik V&B. entstanden und besteht aus 137 Tausend Teile zusammengesetzt. Es ist ein Aufruf und ein Projekt des WWF, um 238 Lebensräume weltweit zu schützen. Gelingt dies, so können 90 Prozent der von Aussterben bedrohten Tiere und Pflanzen erhalten werden.

Die ehemalige Benediktinerabtei, in deren Räumen sich jetzt die Keramikfabrik Villeroy & Boch AG befindet
Der Alte Turm, das älteste Gebäude in Saarland

Der Erdgeist, ein Aufruf für den Schutz der Lebensräume bedrohter Tier- und Pflanzenarten

Dahinter findet sich ein kleiner, ziemlich verlassener See. Die überladen wirkenden Äste werden von massiven Holzpfählen gestützt – trotzdem hängen sie wie das Gewölbe eines grünen Tunnels bis ans Wasser hinunter. Eine zierliche, hölzerne Brücke umspannt… gar nichts, denn die dazugehörende Wasserfläche ist längst vertrocknet, wie so vieles in diesem Sommer.

Ich setze mich ans Wasser. Auch so ist also Mettlach: ein bisschen Ruhe, ein bisschen Kultur. Auf den dritten Blick. Denn eigentlich will ich mit diese Beitrag eine Anti-Empfehlung aussprechen. Ihr müsst nicht hin, hier gibt es nichts.

Am späten Abend hole ich mir doch noch ein Eis beim Italiener, dem einzigen Lokal, das noch geöffnet hat.

Was soll ich sagen – nicht mal das Eis schmeckt. Und dabei mag ich Eis.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
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