Nach einem sagenhaften Sommer folgt ein sagenhafter Herbst. Und ja, eigentlich wollte ich gar nicht raus an diesem Wochenende, eigentlich hätte mich im Garten sitzen und das Schnäutzchen in die Sonne halten auch glücklich gemacht.
Doch der Gedanke an eine letzte (vorletzte) Ausfahrt, bevor die Tore schließen und die Maschinen wieder eingemottet werden, hat auch etwas Reizvolles.
Und überhaupt, ja, meine Maschine. Das arme Baby muss doch schon Entzugserscheinungen haben, ich hatte mich fast den ganzen Sommer über nicht mehr auf sie gesetzt (zu kalt, zu heiß, Kasia zu müde, Kasia zu faul), so dass mir nun der Motor beim Anlassen droht, sofort wieder unter den Händen abzusterben.
Irgendwann schaffe ich es, durch ständiges Gas geben im Stand, die Drehzahlen auf einem bestimmten Level zu halten und handle mir dafür böse Blicke von Stefan ein („Hör auf damit, hier sind Leute!“). Dann läuft sie und ich sitze oben drauf.
Ja, wenn man zu lange nicht gefahren ist, hat man manchmal so die Befürchtung, etwas aus der Übung geraten zu sein, doch ich stelle schon nach kurzer Zeit fest, dass das dieses Mal nicht zutrifft. Ich bin nicht unsicher, ich bin nicht zögerlich. Hat vielleicht auch mit den Grund, dass Stefan diesmal brav hinter mir her fährt. Denn es sind meine Ziele und es ist meine Tour. Und da hat sich Kasia auch selbst ihre Route zusammen gestellt. Und mein Liebster tut das, was ich normalerweise sonst mache: er fährt hinter mir und fügt sich seinem Schicksal 😉
Die Sonne bringt die Bäume zum Leuchten. Blätter in gelb, rot, braun, orange… Wie schön! Ich quieke auf meinem Motorrad zufrieden vor mich hin. Das schöne am Motorrad ist ja dieser ständige Bezug zur Außenwelt. Du fühlst die Sonne, spürst den Wind, riechst die herbstliche Luft, die aromatisch nach trockenen Blättern duftet. Ein ähnliches Gefühl erreichst du – vielleicht – in einem Cabrio. Aber nur vielleicht.
Die Route führt und zunächst durch bekannte Gefilde, quasi über Heidelberg und am malerischen Ufer des Neckar entlang, der Klassiker. Von dort aus fährst du stetig entlang des Neckar über Neckarsteinach, dann weiter über Lanzenbach, an rötlichen Felsformationen des Odenwaldes vorbei.
Hinter Lanzenbach spähe ich kurz zum Edelstahl-Eddy rüber – normalerweise würden wir jetzt hier anhalten und einen lecker Kuchen essen, aber seit Stefans veröffentlichten Artikel „Ein ungewöhnlicher Bikertreff mit einem skurril-herzlichen Besitzer„ haben wir Hausverbot… 🙂
So fahren wir vorbei und lassen Eddy Eddy und Kuchen Kuchen sein.
In Eberbach biegen wir ab Richtung Waldbrunn. In Stümpfelbrunn befindet sich das Lokal „Zum Kurbrunnen“, vielen Bikern vermutlich eher als das „Biker-Camp“ bekannt. Hier machen wir eine kurze Pause, bevor es weiter nach Mudau geht.
Zu keiner Zeit des Jahres sehen die Wälder so schön aus wie in diesen goldenen, nach Blättern und Wärme duftenden Monaten des Herbstes aus. Zu keiner Zeit erstrahlt der Wald in so vielen verschiedenen Farben, leuchtet die Sonne so mild und sanft, macht Farben und Strukturen sichtbar. So intensiv, ob die Bäume oder der Boden, dessen Farnpflanzen sich in einem knusprigen Braun präsentieren. Zu keiner Zeit sonst wirken die Wälder durch das Licht so verwunschen wie jetzt.
Mudau – Buchen – Külsheim – und dort, kurz vor Wertheim, ist das Kloster Bronnbach ausgeschildert.
Kloster Bronnbach
Das Kloster ist eine 1151 gegründete Abtei an der Tauber, die neben einem Restaurant und einem schönen Kräutergarten auch Übernachtungsmöglichkeiten anbietet. So eine Klosterübernachtung wäre eine spannende, neue Erfahrung und etwas, womit wir ursprünglich geliebäugelt hatten, doch auf Nachfrage stellte sich heraus, dass die Zimmer schon ziemlich weit in Voraus ausgebucht sind. Also nur ein Tagesbesuch; wir stellen die Maschinen auf der anderen Straßenseite ab und laufen hin zum Restaurant.
Es findet gerade eine geschlossene Gesellschaft in den Innenräumen statt, doch wir werden draußen auf der sonnigen Terrasse bedient. Der Flammkuchen schmeckt richtig geil und es gibt eine große Auswahl fruchtig-kräutiger Limonaden gegen den Durst. Einige wenige Lavendelblüten, die vom Sommer übrig geblieben sind, leuchten blau in der Sonne und sehen dabei ziemlich verloren aus. Hier und da – kräftig rote Rosen, doch für die wahre Farbpracht sorgt der bordeaux rote Weinlaub, der sich an den alten Mauern der ehrwürdigen Abtei schlängelt. Im Klostergarten direkt vor uns plätschert ein Springbrunnen in der Sonne und um ihn herum verteilt sind kleine Amor-Figuren.
Das Kloster scheint ein beliebtes Biker-Ziel zu sein, zumindest brummt und knattert es überall und es sieht aus, als hätten nicht nur wir die Idee gehabt, unseren Feuerstuhl hierher zu bewegen.
Dann steigen wir wieder auf, wenden die Maschinen und fahren weiter über Wertheim nach Miltenberg, immer am Main entlang. Die Sonne ist nun kurzzeitig hinter einem grünen Berg verschwunden und das Licht ergießt sich milchig am Berghang hinab. Vielleicht ist dies ja die perfekte Bezeichnung für dieses unbestimmte, dichte, fast greifbare Licht des Herbstes: vergossene Milch.
Miltenberg
Miltenberg wird – von der Website der Stadt selbst – als die Perle des Main bezeichnet. Und ja, die „Perle des Main“ ist auch touristisch, das zeigen uns die internationalen Besucher, die mit ihren Kameras die Winkel der Stadt fotografieren. Doch es hält sich im Rahmen, Touristen sind es nur wenige und sie nehmen dem Ort nichts von seiner Gemütlichkeit.
Ursprünglich von den Römern im 3 Jahrhundert als Teil der Limes Verteidigungsanlage gegründet hatte es nach dessen Fall seine Bedeutung verloren und die Ruinen des römischen Kastells blieben zurück. Teilweise wurden sie noch bewohnt und ab dem 7 Jahrhundert begannen die Anwohner ihrerseits, Mauern hochzuziehen, wobei die schon vorhandenen römischen Mauerreste als Grundlage genutzt wurden. Die Mildenburg, die wie ein Wächter auf die Stadt schaut, baute man um 1200.
Die Altstadt mit ihrer charakteristischen Fußgängerzone, die zwischen den engen, in die Höhe gebauten Häusern verläuft und in einer sanften Kurve auf den Kirchenplatz und auf die Burg zuläuft, hatte sich sehr gut erhalten. Im Grunde erstreckt sich die überschaubare Altstadt zwischen zwei Punkten: zum einem das historische Rathaus auf der Nord- und die Kirche mitsamt dem Kirchenplatz auf der Südseite der Stadt. Hier finden sich noch viele schöne, gepflegte Details wie diese alten, handgemachten Schilder, die auf einen Spielzeugladen oder einen Schuhmacher hinweisen.
Wir essen unser obligatorisches Eis und an der St Anna-Kirche parke ich Stefan an einer Bank. Das mache ich öfter so, wenn ich ein wenig durch die Gegend laufen will – jetzt zieht es mich zum Schnatterloch-Tor, denn ich will sehen, was sich dahinter verbirgt.
Passiert man das Tor und wendet sich nach links, führt ein kleiner Weg zu einer Mauer über der Stadt, von hier aus hat man einen perfekten Blick auf Miltenberg, das friedlich in der Sonne liegt. Doch der Kirchplatz ist von hier aus leider nicht zu sehen.
Möchte man hingegen eine Runde wandern gehen, so passiere man das Tor und geht geradeaus weiter. Hier kann man die Reste der Wehranlage sehen, die Mauerreste erstrecken sich weit in den Wald hinein, die gesamte Anlage muss ja ziemlich groß gewesen sein. Die Luft riecht knusprig nach Blättern und Herbst, ein wenig morsch an den Stellen, an denen die Feuchtigkeit des Waldes eine Mauer oder Felswand entlang kriecht.
So weit gehe ich nicht; mit Gedanken an den an der Kirche geparkten Stefan laufe ich wieder zurück. Auch sind Motorradklamotten nicht gerade das beste Outfit zum Wandern – man kann halt nicht alles haben. Wir verlassen Miltenberg und von nun an überlasse ich Stefan auch die Führung.
Als wir auf die Straße zwischen Amorbach und Michelstadt biegen, kommt es mir vor, als hätten wir versehentlich die Rennstrecke erwischt. Und wüsste ich es nicht besser, würde ich es tatsächlich glauben, denn ungeachtet der Warnhinweise, die vor den engen Kurven angebracht sind (Achtung, Mittelstreifen nicht befahrbar!) und den kleinen, metallenen Hügeln werden wir andauernd von jemanden überholt. Na gut, so schnell sind wir jetzt auch nicht, doch einer der „Rennfahrer“, der die Hügel trotzdem überfährt, kommt einen Augenblick lang gefährlich aus dem Gleichgewicht.
Marbach Stausee
Nun steht die Sonne schräg und wir fahren mehr oder weniger zurück in Richtung Westen, so scheinen uns die gleißenden Strahlen direkt ins Gesicht. Das macht sich natürlich gut, wenn man um die Kurven eiert.
Der Parkplatz vor dem Stausee ist für diese Jahreszeit relativ voll; die Motorradfahrer nutzen, wie wir, die letzten Augenblicke.
In den letzten Jahren hatte sich der Marbach Stausee, weiß der Himmel, warum, in der warmen Jahreszeit zu einem inoffiziellen Biker-Treff entwickelt. Zu Hochzeiten ist der Parkplatz rappelvoll, und das nicht mit Autos… die Autofahrer haben schon längst gelernt, dass sie gut daran tun, auf der anderen Straßenseite zu parken. Der Andrang wundert, denn es gibt hier nichts – nicht einmal eine kleine Imbissbude steht da und verkauft Würstchen; schon oft hatte ich mir überlegt, dass derjenige hier im Sommer das Geschäft seines Lebens machen würde.
Nach Hause fahren wir über Fürth. Hier staut sich der Verkehr, denn nach Hause wollen nun alle. Lange Zeit schleichen wir im Schritttempo von Ampel zu Ampel, von Ort zu Ort; zum Überholen sieht es mir zu eng aus. Hinter den Ortschaften ereilt uns der Rausch der Geschwindigkeit: Wir dürfen 50 km/H fahren!
Und schließlich, in Mannheim angekommen, hat uns auch diesmal das Route 66, unser absolutes Lieblings-Bikerlokal wieder, wo man noch weiß, was Gastfreundlichkeit bedeutet, wo der Wirt keine Macken hat und die Mitarbeiter immer nur nett sind. Und wo der Betreiber sofort weiß, wenn er einen sieht, was man bestellen möchte. Und ohne zusätzliche Anweisung mit einem Cappuccino an deinem Tisch kommt.