Der kleine Ostermarkt, den ich gesehen habe, war nur einer von vielen: Ganz Prag ist die Osterzeit über voll davon. Der größte befindet sich am Altstädter Ring. Die grün geschmückten Häuschen verkaufen alles Mögliche, ein großer Maibaum voller bemalter Eier steht in der Mitte des Platzes und auch hier lassen mir die Düfte nach Prager Schinken das Wasser im Mund zusammen kommen.
Auf einer aufgebauten Bühne fangen traditionell gekleidete Folklore Musikanten zu singen an. Auch hier bemerke ich eine erhöhte Polizeipräsenz. Prag ist eine Stadt, in der du auch abends in verwinkelten Gassen unterwegs sein kannst – ich fühle mich hier sicher.
Ich lasse den Ostermarkt hinter mir und kehre in einer Absintherie ein. Meinen vorhergehenden Recherchen nach haben zwei Absintherien in Prag Bestbewertungen bekommen: die Absintherie in der Jilska-Straße und die in der Franz Kafka Straße, für die Atmosphäre, die Beratung und auch dafür, dass sie keinen billigen Fusel verkaufen (hier mehr Tipps zu Absinth in Prag), wobei erstere ein bisschen besser abgeschnitten hatte. Die nehme ich mir nun vor.
Ganze zweimal laufe ich an der Bar vorbei. Etwas versteckt liegt sie in einer Seitenstraße. Schon der Blick von außen wirkt auf mich verrucht, verdorben, verboten. Ich fühle mich wie damals in Amsterdam, als ich zum ersten Mal vor einem Coffeeshop stand. Da drinnen wartet die Grüne Fee auf mich! Diesmal bin ich mutiger und stoße die Tür sofort auf. Innen – die cool und stylisch eingerichtete Bar. Man kann auch über eine Treppe nach oben gehen oder sich unten in einer Nische an kleine Tischchen setzen. Doch ich laufe direkt zur Bar.
Hier kann ich genau beobachten, wie die Absinth-Drinks zubereitet werden. Doch mit der riesigen Auswahl auf der Karte bin ich völlig überfordert. Und die Beratung fällt eher dürftig aus, denn als ich nach einer Empfehlung frage, fragt mich die Barkeeperin etwas lustlos zurück: „What do you want?“ Ja geil… Doch nach einer Weile haben wir uns geeinigt und ich bestelle etwas, das sie als „smooth“ bezeichnet und das mit einem Absinth-Tropfer zubereitet wird. Der dampfende Stickstoff sorgt für einen spektakulären Effekt und das Wasser aus dem kleinen Hahn tropft sachte auf mein sich langsam auflösendes Stück Zucker auf dem angebrachten Löffel. Das eiskalte Getränk schmeckt mir am Schluss wie ein ziemlich guter Ouzo. Währenddessen bereitet die zweite Barkeeperin, die wesentlich enthusiastischer bei der Sache ist, Absinth-Cocktails vor. Die kurzen, blonden Haare fallen ihr ins Gesicht, und während sie die Cocktailbecher schüttelt, lächelt sie mir zu und lässt sich gleichzeitig von ein paar begeisterten, polnischen Jungs anflirten.
Manche der Drinks werden flambiert und begeistert beobachte ich, wie ein Pärchen neben mir so einen Drink zubereitet bekommt. Der hochprozentiger Absinth lässt sich ohne weiteres anzünden. Und während die blaue Flamme fröhlich vor sich hin flackert, schmilzt das Stück Zucker und karamellisiert schließlich. Die Zuckerreste werden in der Flüssigkeit aufgelöst, die Flamme gelöscht und das Ganze in ein Glas gefüllt. Und nun bin ich doppelt froh, hier direkt vor der Bar zu sitzen, denn so verpasse ich nichts vom Prozess der Zubereitung, im Gegensatz zu Gästen an hinteren Tischen, die ihre bereits fertigen Drinks gebracht bekommen. Belustigt beobachte ich, wie der Mann neben mir sich kaum traut, die Lippen in die Flüssigkeit zu tunken; seine Freundin, die neben ihm sitzt, kommt aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Denn das Zeug hat, obwohl der Alkohol eben noch so schön vor sich hin glomm, immer noch geschätzte 60-70 Umdrehungen, das weiß ich, weil ich mir kurz danach selbst den brennenden Drink bestelle. Bei den sich stark nach oben ausbreitenden Dämpfen stockt mir zuerst der Atem und ich verstehe nun allzu gut den armen Mann rechts von mir. Dann, als der Dampf verflogen ist, tunke ich vorsichtig die Lippen in die warme Flüssigkeit. Der Geschmack nach dem Flambieren ist sehr angenehm, ein karamellartiger Zug nach braunem Zucker, Kräutern und Blütenessenzen breitet sich wohlig auf meiner Zunge aus. Doch das Zeug ist so stark, dass größere Schlucke einfach nicht drin sind. Und auch so spüre ich, wie sich meine Lippen bei jedem Kontakt zusammen- und nach innen ziehen wie die einer Mumie. Wodka ist ein Scheißdreck dagegen.
Der Drink steigt ganz schnell zu Kopf, wird vermutlich direkt aufgenommen über die Schleimhäute in meinem Mund, denn bei diesen Mini-Schlucken hege ich starke Zweifel daran, dass überhaupt etwas davon in meinem Magen landet. Freundlicherweise steht eine volle Flasche klaren Wassers neben meinem Glas, die hier zu jedem Drink kostenlos serviert wird.
Fröhlich und angeheitert, aber noch fähig, geradeaus zu laufen, verlasse ich die Bar und begebe mich zur Karlsbrücke. Hier wird die Touristendichte immer höher, anscheinend habe ich mir mit dem beginnenden Abend die ungünstigste Zeit für einen Spaziergang ausgesucht. Ich sehe ein bisschen Brücke und ganz, ganz viele Menschen. Die Sonne ist am Untergehen und erleuchtet ein letztes Mal die Brücke und die Heiligenstatuen links und rechts. Alle paar Schritte treffe ich auf Künstler, die sich hier niedergelassen haben. Sie spielen Musik, zeichnen oder vollführen Kunststücke. Dann – diverse Stände mit den obligatorischen Aquarellen, die es in jeder touristisch frequentierten Stadt zu sehen gibt. Schmuck, Ketten, Anhänger.
All die Menschen und Bauten scheinen in der Sonne zu leuchten. Als die Sonne weg ist, breitet sich langsam Kälte aus. Ich kehre um und laufe zurück. Heute würde ich nicht mehr zur Prager Burg kommen. Auch das Sex Machines Museum ist inzwischen so überfüllt, dass ich dankend verzichte. Breit grinsende Jugendliche lassen sich neben einem riesigen, hölzernen Penis fotografieren. Nach einem kurzen Blick hinein gehe ich weiter.
Aber nun komme ich an diversen Trdelnik Ständen vorbei, die mit ihrem Duft meine Nase kitzeln. Und vielleicht spricht da gerade der Absinth aus mir, doch ich gehe rein und bestelle mir so ein Teil. Während ich warte, kann ich zusehen, wie der Teig vor meinen Augen geknetet und zubereitet wird. Ein paar Schritte weiter backen die mit Zucker bestäubten Rohlinge auf offener Flamme vor sich hin, bis sie goldbraun werden. Die gerollten Teigkuchen können innen wahlweise mit Nutella, Pistaziencreme oder anderen Cremesorten ausgepinselt oder als die Classic-Version ohne Aufstrich gegessen werden. Ich lasse mir meinen Trdelnik ganz dick mit Karamell bestreichen. Und wie ich draußen stehen und hinein beiße, denke ich mir: oh mein Gott! Wenn es denn überhaupt so etwas wie Sünde gibt, dann ist sie hier in Prag in Form einer gebackenen, in Karamell getunkten Köstlichkeit erfunden worden, deren Soße mir die Finger verklebt und hinunter auf das Pflaster tropft, ohne dass ich es verhindern kann.
Während ich essend durch die Altstadt laufe, lasse ich mich mehr oder weniger von der Menschenmasse mitziehen. Ich ernte einige seltsame Blicke und denke mir nichts dabei, bis ich merke, dass ich mich mit der Soße vollends eingesaut habe. Doch glücklicherweise sind in Prag an jeder Ecke öffentliche Toiletten vorhanden, und eine solche suche ich jetzt auf. Kostenpunkt zehn Kronen, und während ich die Sauerei mit einem Stück Zewa und klarem Wasser zu entfernen versuche, halte ich mit der Toilettenfrau ein kleines Schwätzchen. Gut, dass es noch zu früh ist für diverse Fliegen und Wespen, die sich sonst, der Karamellspur folgend, an meine Fersen geheftet hätten.
Es ist schon dunkel, als ich im Hostel ankomme. Draußen auf der beleuchteten und überdachten Terrasse brummt das Leben, es wird getrunken, gelacht und Tischfußball gespielt. Ich setze mich dazu. Zwei Jungs teilen ihre Biervorräte mit mir und ich verteile Zigarrillos in die Runde und schon habe ich für diesen Abend neue Freunde gefunden. Die beiden kommen aus Kolumbien und Mexiko und das Mädchen, das sich einen Moment später zu uns setzt, kommt ursprünglich aus Peru, lebt eigentlich in Tel Aviv, ist aber momentan auf einer ausgedehnten Europareise, die auch das zeitweise Leben und Arbeiten in den jeweiligen Ländern beinhaltet. Wir sitzen bis späten Abend da, vertieft in ein Gespräch über das Reisen, die Heimat, Politik und Religionen, Kriege und die Natur des Menschen allgemein.
Schöne, multikulturelle Welt!
[…] Und ehe ich mich versehe, habe ich mich bereits mit selbigen vollgekleckert. Das ist mir in Prag doch schon mal passiert – Kasia, musst du denn immer die Welt um dich herum vergessen, wenn […]
Hey Kasia,
toll geschriebener Beitrag! Als Absinth-Fan musste ich den natürlich sofort lesen. Klingt genial! Ich bin in Erfurt mal in eine Cocktailbar gestolpert, die eine riesige Auswahl an Absinth-Cocktails hatte – ein Traum! Blöd nur, dass man eben nicht so viele davon trinken kann 😉
Liebe Grüße
Magdalena
Hallo Magdalena,
ja, stimmt, mehr als einer- bis zwei sind nicht drin. Leider… Und auch so ist es ratsam, vorher gut gegessen zu haben 😉 Glücklicherweise gab es in jeder der beiden Absintherien eine ganze Flasche stilles Wasser dazu…
Liebe Grüße
Kasia