Ich zähle die Zeit inzwischen nicht mehr in Tagen, ich zähle sie in Lodges. Und jede einzelne Lodge ist noch schöner als die vorhergehende. Bis eben saß ich auf der Terrasse auf einer der zwei Liegen und schaute hinaus auf das Land vor mir und den röter werdenden Himmel über dem trockenen Flussbett des Huab Flusses. Die Mitarbeiterinnen der Lodge, alles runde, lächelnde Namibierinnen, kommen fröhlich miteinander schnatternd gleich zu viert vorbei und bringen eine Thermoskanne voller heißen Wassers für den Kaffee mit.
Ein Angestellter reitet auf seinem Esel das trockene, sandige Flussbett entlang, wohl, um auf der Farm nach dem Rechten zu sehen. Immer mal wieder verschwindet er zwischen Bäumen und Sträuchern, um dann wieder aufzutauchen.
Hier steht die Zeit. Ich bleibe draußen sitzen, bis mich eine einzelne Mücke – eine sehr hartnäckige wohlgemerkt – wieder hinein in die Lodge treibt. Draußen ist es inzwischen dunkel geworden. Nun sitze ich im Zimmer im Schein der Lampe. Alle Fenster und Türen sind weit offen, nur von Moskitonetzen geschützt; sie lassen einen angenehm kühlen Luftzug durchs Zimmer streifen. Vernehmlich laut zirpen die Zikaden im hohen Gras. Durch leise Schritte draußen kündigt sich Stefan an, der sich den frühen Abend über in das Lodge-eigene Becken mit der heißen Quelle geworfen hatte. Ein großer, dunkler Vogel flattert lauter als nötig irgendwo vom Dach herunter und lässt sich auf dem Geländer nieder, nutzt die Gelegenheit, da ich nicht mehr draußen bin.
Während der heutigen Fahrt hat sich die Landschaft schon wieder verändert. Wir befinden uns jetzt im nördlichen Teil des Landes, südwestlich des Etosha Nationalparks. Fuhren wir bislang durch Wüsten und karge Ebenen, so sehen wir heute eine dichte Vegetation: Halbhohe Sträucher, hohes Gras, Bäume, ja teilweise sogar regelrechte kleine Wälder.
Kühe und Ziegen stehen am Straßenrand und ein Mann auf einem Ochsenkarren kommt uns auf einer Schotterpiste entgegen. Manchmal überqueren unerwartet Ziegen die Straße, einfach so. Dann heißt es: Achtung! Ziege hat Vorrang!
Oft passieren wir Warnschilder mit dem Hinweis: „Achtung, Antilope kreuzt!“ oder auch: „Pumba (=Warzenschwein) kreuzt“, doch gesehen haben wir heute noch keines von beiden.
Dafür wieder Wellblechhütten am Rande kleinerer Orte. Obwohl… was heißt bei einem namibischen Ort denn schon „klein“, wenn selbst die Hauptstadt Windhoek mit knapp 325.000 Einwohnern in etwa die Größe von Bielefeld hat…
Wie Stefan mal sagte: Was in Namibia ein kleiner Ort ist, wäre in Deutschland nur ein halbes Haus…
Menschen in Wellblechhütten am Rande eines Ortes also. Spielende Kinder. Menschen, die die Straße entlang gehen. Ein stylisch schickes, namibisches Girl, das selbstbewusst an uns vorbei läuft. Männer, die auf der Ladefläche eines Pick-up stehen (ein häufiges Bild in namibischen Städten). Männer, die uns an Tankstellen für ein kleines (für uns) Trinkgeld bereitwillig mit vollem Körpereinsatz die Scheiben und Scheinwerfer säubern. Eine Frau betritt das Tankstellenhäuschen mit Lockenwicklern auf dem Kopf. Der Open-air-Friseurladen nebenan liefert die Erklärung dafür. Zwei weitere Frauen im Schatten eines Baumes, die am Tisch sitzen und reden und ab und zu zu uns herüber äugen. Kleine Obst- und Gemüsemärkte, wieder aus selbst gezimmerten Ständen, provisorisch mit Planen aus rissiger Folie überdacht. Zwischen zwei Wellbelchhütten quetscht sich ein Shop, auf dem „Barber“ steht und in dem sich Einheimische für wenig Geld die Haare schneiden lassen.
Es soll an dieser Stelle kein falscher Eindruck entstehen, denn nicht die gesamten namibischen Ortschaften bestehen aus Wellblechbehausungen. Was ich beschreibe, sind eher so etwas wie Vororte; es sind die Downtowns der Stadt, angebaut oder zwischen reguläre Häuser geklebt. Sie sind bei Weitem nicht die ganze Realität. Und doch sind sie ein Stück davon.
Abends essen wir alle zusammen bei Kerzenlicht im Haupthaus der Huab Lodge. Die Lodge beherbergt nicht wenige Gäste heute Abend, denn an der langen, sorgfältig gedeckten Tafel sind fast alle Plätze besetzt. Ein deutsches Paar ist dabei, das unterwegs nach Swakopmund ist, in die Richtung also, aus der wir gerade kommen. Sie erzählen uns von einer Reifenpanne, die ihnen unterwegs passiert ist. Bei Europcar ging alles unbürokratisch und sie bekamen ruck zuck den Reifen getauscht. Beruhigend, da wir unseren Toyota auch bei Europcar gemietet haben.
Die Köchinnen wie die anderen Angestellten sind die wichtigsten Menschen bei einem Abendessen, sagen uns Monika und Herbert. Die beiden Köchinnen sagen das Buffet an. Die erste beginnt in der Damara-Sprache. Gespannt lausche ich ihrer melodischen Stimme. Die vielen Click-Laute, die uns bereits Lorenzo und Doreen in der Anib Lodge gezeigt hatten, sind Teil der Sprache des Damara-Landes und werden ganz selbstverständlich zwischen den einzelnen Worten eingesetzt oder sind Teil dieser Worte. Jedes dieser Clicks klingt anders, passend zu dem, was gerade gesprochen wird.
Die zweite Köchin übersetzt ins Deutsche und Englische, wobei ihr mit Englisch, der Amtssprache Namibias, wesentlich wohler ist.
Nach dem Abendessen, als wir alle noch beisamen sitzen, sehen wir, wie die angestellten Damen, vier oder fünf an der Zahl, die Küche verlassen. Mit einem Gruß verabschieden sie sich in den Feierabend und ziehen davon; der Blick jeder einzelnen nach unten auf ihr Smartphone gerichtet. Auf unsere Fragenden Blicke hin sagt Monika:
„Es ist den Angestellten nicht erlaubt, ihre Smartphones bei der Arbeit zu benutzen.“ Dann fügt sie hinzu: „Sonst würden sie nichts anderes mehr tun…“ Und als ich die Namibierinnen in Traditionskleidung mit gesenkten Köpfen auf die kleinen, leuchtenden Bildschirme starren sehe, denke ich mir: Ja… es ist alles doch gar nicht so anders als bei uns…
Start: Etusis Lodge, Karibib
Ziel: Huab Lodge, Kamanjab
(S 19°58’19.995″E 14°45’40.510″)
Distanz: 358,83 km
Reisezeit: 4,52 Stunden