C14 von Sesriem nach Walvis Bay
15 September 2017
Staub, überall Wüstenstaub. Im Auto als graue Schicht auf dem Armaturenbrett, an meiner Kamera, wahrnehmbar durch das Knirschen des Objektivs. In meinen Haaren, die sich matt anfüllen; an meiner Kleidung, ab und zu in kleinen Wölkchen aufsteigend. In meinem Mund, auf meiner Zunge als trockene, pelzige Schicht. In meiner Lunge, die durch Husten ihren Protest verkündet. Sogar die Kugelschreiber versagen ihren Dienst.
Seit mehreren Tagen fahren wir schon quer durch die Wüste Namibias. Natürlich nicht am Stück. Dennoch – Tag für Tag kriecht der Staub immer tiefer überall hinein. Die Arbeiter an den Baustellen (wir passieren nicht viele auf unserem Weg…) schützen ihre Atemwege vernünftigerweise mit Tüchern vor ihrem Mund. Sollten wir uns vielleicht auch mal angewöhnen.
Um neun verlassen wir die Elegant Desert Lodge und fahren auf der C14 weiter in Richtung Walvis Bay. Ein guter Tipp ist hier übrigens die an der C14 gelegene McGregoris Bakery, die zum Solitaire Camp gehört. Die Bäckerei liegt an einem Knotenpunkt und ist rege besucht; hier kommen Reisende aus allen Richtungen vorbei.
Schon beim Betreten der Bäckerstube höre ich ein „uhm, lecker“ irgendwo um mich herum. Die Deutschen sind halt überall… Und lecker schmeckt es tatsächlich, sowohl die heiße Schokolade, die wir bestellen, als auch die Brötchen und die riesigen, selbstgemachten Cookies, die in der Schoko-Version ein wenig an große, platt getretene Kuhfladen erinnern und einfach köstlich sind. Die Mitarbeiter haben ein Lachen auf dem Gesicht und das gute Klima ist sofort spürbar. Der Junge an der Tankstelle nebenan flirtet mit dem Mädchen, sie lacht, winkt ab und läuft weg, er ruft ihr noch etwas hinterher, worauf sie noch mehr lachen muss.
An der Tankstelle neben der Bäckerei werden Räder gewechselt oder der Reifendruck angepasst, und einige der Geländewagen nutzen den Service, wie ich von unserem Tisch aus beobachten kann. Bei den Schotterpisten hier ist das manchmal angebracht, denn asphaltierte Straßen sucht man hier in diesem Teil des Landes weitestgehend vergebens. Weit und breit gibt es nichts als ebendiese Schotterpisten mit jenen quer verlaufenden, mal mehr, mal weniger ausgeprägten Rillen, die den Straßen den Beinamen „Wellblechpisten“ eingebracht hatten – frei nach dem Motto: Vor der Fahrt einfach die Zähne zusammen beißen – damit sie einem nicht rausfallen…
Wir passieren den Gaubpass, ein abenteuerlicher Streckenabschnitt, der vor nicht so langer Zeit erst asphaltiert wurde, da in der Vergangenheit der enge, kurvige Abschnitt zwischen zerklüfteten, hohen Felsen während der Regenzeit oft einfach weggespült wurde. Doch nicht nur die Straßenführung ist abenteuerlich. Hier sieht es aus, als wenn die monotone, wellige Landschaft plötzlich aufreist und einen direkt in den Bauch der Erde entführt. Die Straße schlägt halsbrecherische Kurven, zieht sich rauf und runter und bei dem Schotter, das auf der Fahrbahn liegt, sollte man hier nicht allzu schnell in die Kurven schlittern.
Wir verlassen den Gaubpass und fahren wieder durch ödes, welliges Land. Keine Bäume, keine Tiere, nicht einmal Sträucher gibt es hier zu sehen.
Und ein paar Kilometer weiter sieht es wieder aus, als hätte die Erde ihr Innerstes nach außen gekehrt. Der Kuiseb-Pass beginnt. Schichtweise liegt das Gestein ausgebreitet vor uns, manchmal als Hügel in der Landschaft, die sich zu Schluchten wandeln, manchmal aufgerissen wie mit einer Hacke. Die Gesteinsschichten liegen nicht waagrecht, sondern stehen nach oben ab wie die Schuppen eines Drachen. Stellenweise wurde das Gestein vor Millionen von Jahren durch ungeheure Kräfte der Kongo- und Kalahariplatte regelrecht gefaltet. Wie Schichtteig sieht es aus, sagt Stefan; wie in der Bäckerei eines Riesen.
An einer improvisierten Haltebucht direkt am Abgrund steigen wir aus. Schaut man hinunter, so eröffnet sich eine Kluft, die wie brutal auseinander gerissen erscheint. Die nach oben ragenden Platten – sog. Glimmerschiefer – sind leicht, brüchig und weisen Metalleinschlüsse auf, die in der Sonne glänzen.
Seitlich führt ein Pfad nach oben, und irgendwann bin ich allein am höchst erreichbaren Punkt angekommen, laufe an den riesigen, empor ragenden Platten vorbei. Unter mir sehe ich Stefan zum Auto zurück gehen.
Wie die Schuppen eines Drachen, hatte Stefan gesagt, so groß, dass ich mich aufrecht stehend dahinter verstecken kann. Schaue ich hinunter in die Kluft, so geht es ewig so weiter, Schicht um Schicht, Platte um Platte vereinen sie sich schließlich zu einer graubraunen Einheit, die in der Ferne aus ebenmäßigen Hügeln zu bestehen scheint. Ich bekomme große Lust, in den Bauch der Erde hinunter zu steigen, an dem abfallenden Hang entlang, an größeren und kleineren Platten vorbei und immer weiter nach unten, denn jegliche Größenverhältnisse scheinen hier keine Rolle zu spielen, stellen alles infrage, was ich bis dahin kannte. Fünf Minuten bräuchte ich, nicht länger – fünf Minuten, um hier – absichtlich oder nicht – für immer verloren zu gehen.
Schaue ich zurück, so steht unser Auto da unten wie ein Spielzeug, ganz, ganz klein und ein kleiner Stefan daneben in seinem roten T-shirt wie ein kleiner, roter Punkt.
Hier oben, fast am Rande des Abgrunds, stehen Türmchen aus ausbalancierten Steinen, von dagewesenen Reisenden hinterlassen, umso weiter an der Abbruchkante, je weiter sie sich vorgetraut haben. Ich baue mir und der Nachwelt auch so einen „Wackelturm“ und spekuliere darüber, wie lange der wohl hier stehen bleiben wird.
Während der Weiterfahrt schlafe ich sofort ein. Das Monotone der Landschaft und das Auf und Ab der ungeteerten Straße wirkt auf mich wie ein Wiegenlied.
Start: Elegant Desert Lodge, Sossusvlei
Ziel: Intermezzo Guest House, Swakopmund
(S 22°39’51.484″E 14°31’41.880″)
Distanz: 367 km
Reisezeit: 4:43 Stunden