Sossusvlei, 14 September 2017
Mit Bedacht setze ich einen Fuß vor den anderen. Immer einen Fuß vor den anderen, in die Fußstapfen der mir vorausgegangenen Menschen. Die Düne ist gut besucht, liegt sie doch direkt an der Straße innerhalb des Sossusvlei Reservates.
Mein Körper rebelliert. Dann bleibe ich stehen und „bewundere die Aussicht.“ Weiter oben sehe ich Menschen, die den Gipfel dieses 80 Meter Kolosses bereits erreicht haben. Hinter mir ein Pärchen, das immer näher kommt; sich gegenseitig anstachelnd mich schließlich überholt. „Bist du fit?“ „Ja, wenn du es auch bist?“
Immer diese verdammten Pärchen!
Die Spatzen geben am Morgen ein wahres Konzert, welches ich hier im Bett so klar hören kann als sei ich draußen. Angefangen hat es mit einem, der gegen sechs begann, Radau zu machen; nun zwitschert eine ganze, aufgeregte Schar. Doch ich bin schon lange vor ihnen wach, denn die freudige Erwartung zog mich schon um halb fünf und damit lange vor den Vögeln aus dem Bett.
Im Speisesaal und an der Rezeption schwirren die Spatzen umher. Keinen hier scheinen sie zu stören und ich finde die Verbindung zur Natur ganz erfrischend. Solange sie nicht ins Essen kacken, sagt Stefan, ist alles gut.
Der ganze Saal ist luftig und offen, die Häuser hier sind mit Gras bedeckt, die Bauart der Dächer erinnert an die Reetdächer der Nordseeinseln. Und irgendwo oben unter dem Dach haben sich die Spatzen, die hier so munter umherspringen, ein Häuschen eingerichtet.
Um Punkt acht fahren wir los, denn wir wollen zeitig bei den Dünen sein; um die Mittagszeit durch die Wüstenhitze zu wackeln ist sicher kein Vergnügen.
Ziemlich genau an der Zufahrt zum Park Sossusvlei stehen gleich zwei Tankstellen für den Besucher bereit. Wieso gleich zwei, ist mir ein Rätsel, doch wir beherzigen Linns und Thorstens Rat, der da heißt: Tankt, wenn irgend möglich und tankt, so viel ihr könnt, auch wenn es nur fünf Liter sind. Denn Sprit wird hier gerne mal klapp und Mobilität ist alles in Namibia.
Für den Einlass ins Naturschutzgebiet zahlen wir 80 N$. Anschließend geht es über eine geteerte (!) Straße 60 km weit quer durch karges Land auf die Dünenlandschaft zu. Rötlich tauchen die ersten Dünenkämme vor uns auf. Unglaublich, ihre Farbe, dieses ganz intensive, erdige Rot. Einige der roten Dünen sind stellenweise mit hellem Sand bedeckt, als hätte jemand ein weißes Tuch über sie gelegt. Die Teerstraße schlängelt sich wie ein schwarzes Band durch die fahle Landschaft. Und irgendwann geht es nicht mehr weiter – wir kommen an einem Stoppschild an.
Wir sind die ersten, die heranfahren. Die Frau winkt mit der roten Fahne noch ein paar Mal fröhlich vor sich hin, wie um die Anweisung zu bekräftigen, und beginnt, zu telefonieren. Sie grinst zufrieden und scheint sichtlich Spaß an ihrer Tätigkeit zu haben, ein paar Touristen zum Stehen zu bringen. Sie trägt bei 18 Grad eine Jacke und eine Wollmütze auf dem Kopf und wieder muss ich daran denken, wie schnell die Menschen hier zu frieren beginnen. Vermutlich sind es für sie Novembertemperaturen heute morgen.
Sie telefoniert. Die Befehle werden per Handy entgegen genommen. Die gesamte Anlage wirkt etwas improvisiert und ist rein mechanischer Natur, denn obwohl so etwas wie eine elektrische Ampel zu sehen ist, so ist diese nirgends angeschlossen. Das Stoppschild lässt sich per Hand wenden und als wir endlich wieder fahren dürfen, dreht sie es einfach um. Auf der Rückseite steht geschrieben: GO!
Gute, alte Handarbeit.
An der Düne 45 bleiben wir stehen. Es ist erst zehn Uhr am Morgen, doch es haben sich bereits einige Menschen eingefunden, die die steile Sandfläche hochsteigen. Zunächst erscheint es mir reizlos, denn all die Besucher zerstören den Zauber und die Illusion von verlassener, roter Wüste. Die Düne 45 ist übersät mit Fußspuren; ein regelrechter Wanderweg hat sich auf ihrem Kamm gebildet. Ein unberührtes Stück Sandwüste wäre mir lieber gewesen, doch obwohl wir hier von Dünen umgeben sind und sie nahe erscheinen, sind alle anderen doch zu weit entfernt und mitten im Gelände.
Und dann, als ich all die Pappenheimer da hoch laufen sehe, ist mein Ehrgeiz geweckt. Ich will auch!
Stefan will nicht. Trotz all meiner Überredungskünste lässt er sich nicht zu dem Vergnügen bewegen. Und so steige ich alleine die 45 hoch. Auf seine Nachfrage hin, ob ich Wasser mitnehmen möchte, winke ich ab. Ich bin kein Freund davon, alle paar Schritte Wasser in mich hinein zu pumpen.
Ich laufe zügig los und die Düne hoch und schnell wird der Parkplatz und die Menschen unter mir kleiner. Doch schon bald beginnt mein Körper zu rebellieren und ich werde langsamer – der Aufstieg ist nicht ohne. Plötzlich spüre ich meine Waden brennen, meine Lungen glühen, das volle Programm – dabei habe ich mich bis jetzt für ganz sportlich gehalten – ganz so, als hätte ich mein Lebtag noch keine Bewegung genossen… Dabei ist diese noch nicht einmal besonders hoch, denn mit seinen rund 350 Metern ist der Big Daddy die höchste Düne hier im Umkreis (und nebenbei eine der höchsten Dünen der Welt…)
Jetzt gilt es, ein eigenes Tempo zu finden. Ich beginne, regelmäßig zu atmen und meine Füße in die bereits ausgetretenen Fußspuren zu setzen, denn ich stelle fest, dass diese Taktik das Abrutschen minimiert.
Glücklicherweise herrschen noch kühle Temperaturen, der feine, rote Sand glänzt vor meinen Augen im Sonnenlicht wie feiner Glitter. Es herrscht Stille hier oben, nur mein keuchender Atem ist zu hören. Ich sehe Tierspuren: Vögel, Katzen, Kojoten (?) und dann eine Spur, die ich absolut nicht zuordnen kann.
Ob ich die Düne später hinunter rutschen werde? Ob es hier Schlangen gibt? Auf dreiviertel Höhe, als der Kamm zum ersten Mal eben wird, bleibe ich stehen und sehe mich um. Weit, weit in die Landschaft hinein kann ich von hier oben blicken, die Dünenlandschaft liegt ausgebreitet vor mir. Die Ebene sieht neben dem rötlich braunen Wüstensand wie eine blasse Wasserfläche aus. Der kleine Rastplatz, auf dem unser Auto steht, ist von hier oben nicht mehr zu sehen. Unter mir rücken andere Besucher nach.
Doch es geht noch weiter, es geht bis ganz nach oben. Bis ganz an die Spitze der Düne haben es einige der Menschen geschafft, und da will ich auch hin. Also nehme ich die letzte, steile Etappe auf mich. Ein Pärchen hat mich bereits überholt, hinter mir kommt noch ein Pärchen näher. Immer diese Pärchen, die sich gegenseitig motivieren. Mein potenzieller Motivationspartner ist lieber außen vor geblieben und vor meinem geistigen Auge sehe ich ihn bereits genüsslich im Auto dösen.
Die Landschaft wird immer fantastischer, je höher ich komme. Der Kamm der Düne wird flacher, bis es schließlich ganz ebenmäßig vorangeht. Ich bin oben angekommen.
Mit mir zusammen kommt eine Besucherin aus Österreich oben an und ich bin froh, dass sie mich freundlicherweise nicht auch noch überholt hatte. Vor uns erstreckt sich die Dünenlandschaft des Sossusvlei wie ein unbewegliches Meer aus rotem Sand. Fasziniert schaue ich rundum, blicke auf die ältesten Dünen der Welt.
„Ob ich die Düne hinunter rutsche?“ Frage ich mich laut und betrachte die Kante, die steil nach unten führt. Doch sofort bereue ich mein vorlautes Mundwerk, denn die Österreicherin fängt sofort Feuer für die Idee. „Oh ja, das würde ich gerne sehen!“ Ganz beiläufig erwähnt sie, dass es eigentlich verboten sei, die Dünen hinunter zu rutschen; sie hätte unten ein Hinweisschild gesehen. „Doch das betrifft bestimmt nur das Rutschen auf Brettern.“ Sagt sie. „Dich hinunter rollen lassen könntest du schon.“ Und während sie mir den verlockenden Vorschlag unterbreitet, mich bei der Aktion zu filmen, höre ich im Kopf bereits die Handschellen klicken.
Zuerst setze ich mich also am Rand der Düne und versuche, auf dem Hosenboden vorwärts zu kommen – so wie ich mir Rutschen nun mal vorstelle. Doch es geht keinen Millimeter weit vorwärts. Hm, hier braucht man wohl ein bisschen Fantasie – wie wäre es, wen ich mein Hemd als Unterlage verwende? Nein, so geht das auch nicht.
Etwas ratlos sitze ich also da, inzwischen haben sich ein paar Besucher um uns versammelt und beobachten neugierig mein Treiben, während meine Anstifterin bereits mein Smartphone in die Höhe hält.
„Wenn man das gewusst hätte, hätte man Einkaufstüten mitnehmen können.“ Sagt einer.
Ich muss mir schnellstens etwas einfallen lassen, denn ich will meine wartenden Fans ja nicht enttäuschen. Also lasse ich mich seitlich den Dünenkamm hinunter rollen.
Das macht Spaß!
Schon bald nehme ich Geschwindigkeit auf, doch ich stelle auch fest, dass ich mich mit einer Hand sehr gut abbremsen kann. Und eines stelle ich noch fest: Mir wird schwindelig, alles dreht sich, die Wüste dreht sich um mich herum. Ich halte an und bleibe liegen, doch die Wüste dreht sich immer noch.
Als das abklingt, richte ich mich auf und winke kurz den Menschen oben, damit sie nicht denken, dass mich eine Schlange oder ein Skorpion beim hinunter rollen abgemurkst hat. Dann ziehe ich meine Schuhe aus und laufe die letzten Meter barfuß durch den Sand, die Schuhe in der Hand. Der Sand ist weich und schmeichelnd und noch nicht allzu sehr von der Sonne erwärmt. Ich bin aufgedreht und das Grinsen geht mir nicht mehr aus dem Gesicht. Unten angekommen ziehe ich meine Schuhe wieder an, denn hier liegen kleine schwarze Steine im Sand verteilt – die gar keine Steine sind…
Als ich am Auto ankomme, döst Stefan in der Sonne genüsslich vor sich hin.
Leseempfehlung:
Du willst noch mehr Namibia? Im Blog Travellers Delight kannst du lesen, wie Holger und Gunnar ihren Silvester in Sossusvlei verbrachten…