Zelten in der Schweiz, Juli 2009
Die Wanderung hat uns angestrengt. So gönnen wir uns einige Zeit am See ohne Ziele und Ausflüge. Morgens aufstehen, die Füße auf dem kühlen Gras, die Nase aus dem Zelt stecken und direkt die Berge vors Gesicht – so sieht Entspannung aus. Inzwischen haben sich einige Zelte neben uns niedergelassen – doch stört uns dies nicht. Wir beschweren einige Flaschen Bier im kühlen, flachen Wasser und holen sie nach und nach raus.
Mit dem Fleisch haben wir uns verschätzt; kurz vor der Reise verschenken wir die gut gekühlten Steak-Packungen an das deutsche Ehepaar, welches sich im Zelt ein Stückweit von uns weg niedergelassen hat. „Sie waren vor Jahren schon mal hier am Vierwaldstättersee.“ Erzählt mir Jimmy*, der solche Dinge in der Regel ziemlich schnell in Erfahrung bringt. „Genau an demselben Zeltplatz. Jetzt sind sie nach zwanzig Jahren wieder hier.“ Welch romantische Geschichte, denke ich mir; doch seinen Vorschlag, im nächsten Jahr eventuell noch einmal hierher zu kommen lehne ich dankend ab – um zweimal am selben Ort Urlaub zu verbringen, dafür ist mir die Welt viel zu klein, es gibt noch so viel zu sehen…
Ich bin fasziniert von der Ordnung und Sauberkeit der Schweizer; alles wird sauber aufgeräumt, egal ob auf den Straßen oder selbst auf den Bahnhöfen, kein Krümmelchen ist zu sehen. Die Kühe lassen abends abermals ihre Glocken schwingen (oh, das klingt jetzt zweideutig… 🙂 ) und die Familien stehen mit ihren Kids vor den draußen platzierten Waschbecken an, um ihren Abwasch zu erledigen. Und ich erwische mich dabei, wie ich früh morgens gerne aufstehe und mir selbst so etwas wie Abwasch leichter von der Hand geht.
Ab und an machen wir uns auf zu einem kleinen Einkauf; fasziniert bestaune ich die vielen Milchprodukte und Süßigkeiten in dem kleinen Dorf-Supermarkt, die es so bei uns nicht gibt. Es gibt nichts Spannenderes als in Lebensmittelgeschäften außerhalb unserer Landesgrenzen stöbern zu gehen – die Produkte sind anders, die Düfte sind anders, ja, die Menschen und ihr Einkaufverhalten ist ein anderes. Es gibt keinen größeren Kulturschock als beim Essen.
Und bei so einer Begebenheit trete ich bei unserem allerersten Einkauf schön geradewegs ins Fettnäpfchen, denn nachdem ich meine Runden durch die Regalreihen gedreht habe und immer noch nicht finde, was ich suche, denke ich kurzerhand: Wer fraget, suchet nicht… Und als wir an der Kasse stehen, lächle ich breit und frage die junge Kassiererin:
„Guten Tag! Haben Sie hier Schweizer Käse?“
Wortlos schaut sie mich an und zeigt auf die genau vor meiner Nase befindliche Kühltheke, die ich bis dato übersehen hatte – voller „Schweizer Käse“ in allen Farben und Formen…
Einmal noch wollen wir jedoch die Stadt Luzern besuchen; und das tun wir auch. An jenem Morgen geht es wieder mit dem Schiff quer über den Vierwaldstättersee, vorbei an dunstig blauen Bergen, kleinen, schmucken Ortschaften und Kühen, die wie kleine, weißbraune Flecken auf der Alm grasen.
Luzern ist nicht gerade klein und ein Besuch reicht bei weitem nicht, um alles zu sehen – so nehmen wir uns diesmal die alte Stadtmauer vor, die wie ein Schutzwall die Altstadt umrundet. Wir erklettern einen Turm nach dem anderen, bewundern die Aussicht, die die Türme jeweils auf die Altstadt und den sich schlängelnden Fluss Reuss bieten und ich betrachte belustigt all die Einträge derer, die sich mit Stiften auf den Holzbalken im Inneren der Türme für immer verewigt haben.
Am letzten Turm bleiben wir etwas länger; die Aussicht ist zu schön. Der Blick kann hier weit über die Stadt hinaus schweifen. Die Sonne hatte sich verzogen und, im Gegensatz zu den letzten Tagen, liegt heute ein dunstiger Schleier über der Welt.
Allerlei Lustiges fällt mir in dem kleinen Schweizer Städtchen auf; so gibt es hier beispielsweise keinen Schuhgeschäft Deichmann, jedoch sehe ich – mit demselben grünen Logo garniert – den Schriftzug „Dosenbach“ im Schaufenster.
In der Altstadt laufen wir an zwei Puppenspielern vorbei – gekonnt lassen sie von oben an Schnüren befestigt buchstäblich die Puppen tanzen. In einem Lokal gönnen wir uns ein Gläschen Sekt.
Den Abend verbringen wir am See; abwechselnd begeben wir uns in das nicht mehr ganz intakte Schlauchboot und damit aufs Wasser, dabei inständig hoffend, dass der einzig heil gebliebene, mit Luft gefüllte Rand des Bootes das Gewicht unseres Körpers hält – und rechnen jederzeit damit, trotzdem ins Wasser zu plumsen. Immer wieder kommen die zwei lustigen Enten zu Besuch und wollen gefüttert werden.
Gegen Abend mache ich zum völligen Unverständnis von Jimmy* meine mitgebrachte Shisha-Pfeife an, sitze entspannt am Ufer und rauche. Bis…
Ja, bis es passiert.
Zu Anfang hatte ich erwähnt, dass wir größtenteils großes Glück mit dem Wetter hatten; wir haben die einzig sonnige Woche in diesem regnerischen Sommer erwischt. Doch an diesem Abend ist unser Glück ausgeschöpft, denn über uns entlädt sich ein Gewitter, das seinesgleichen sucht – die Spannung in der Luft, die sich tagsüber bereits mit der ermüdenden Schwüle und den Wolkenschleiern über Luzern angekündigt hatte. Schnell sammeln wir unsere gewaschenen Sachen, die wir zum Trocknen draußen an die Baumäste gehängt hatten, zusammen, räumen den Grill weg und schaffen alles ins Auto oder ins Zelt. Und dann verkrümmeln wir uns selbst hinein und lauschen dem immer stärker werdenden Donner. Schnell bildet sich eine Pfütze genau vor dem Eingang zum Zelt und auch die Wasserfestigkeit des Materials lässt zu wünschen übrig – so sind nach dem intensiven Regenguss all unsere Sachen klammnass und der Regen dringt als ein feuchter Nebel durch das Zelt ins Innere.
Als es nach circa zwei Stunden vorbei ist und wir vorsichtig die Köpfe rausstrecken, sehen wir den Rasen übersieht mit taubeneiergroßen Hagelkörnern – die Welt ist nass und die Wolkendecke hängt immer noch schwer über uns. Am Eingang zum Zelt hat sich auf der Plane ein Schwimmingpool gebildet, den ich beherzt mit einem Ruck weggieße.
Der See bietet ein ungewohntes Bild; ein Bild, welches ein wenig an Weltuntergangs-Szenarien erinnert: Von der klaren, ruhigen Oberfläche ist nichts geblieben, trüb, braun und aufgewühlt sieht er aus und abgeknickte Äste treiben im Wasser. Zwei Schwäne, ungestört von alledem, tauchen mit ihren langen Hälsen immer wieder unter, um in dem trüben Nass nach Nahrung zu suchen, und über dem Bergkamm rollt ein weißes Wolkengebilde, welches, sehr lebendig wirkend, sich wie ein hungriger Drache mit offenem Maul die Berge entlang rollt, bereit, sie zu verschlingen. Und um die märchenhafte Szenerie perfekt zu machen, hängt über dem Ganzen irgendwo am Horizont ein strahlender Regenbogen herum. Es fehlt wahrhaftig nur noch ein Einhorn und ein Topf voll Gold, doch meine Fantasie zaubert auch diese Details problemlos dazu.
Doch es hat sich noch nicht ganz ausgeregnet, denn die Nacht über hören wir es noch vereinzelt grollen und die Regenschauer, wie sie mal schwächer, mal stärker, gegen die Zeltwand prasseln.
Der Tag danach ist der Tag der Abfahrt – und wir haben keine einzige trockene Klamotte mehr in unserem Gepäck.
* Namen geändert
Ja Gewitter können in den Bergen schon gewaltig sein und vor allem ziemlich lang, weil die Wolken keine Chance haben abzuziehen ! Je tiefer sie hängen um so problematischer !
Aber was hat mein Auge da entdeckt ? Ein Kritzelei im Holz Namens „Polska“ !!!!! Zufall oder warst du das ?
Oh ja, das stimmt! Das Gewitter hat uns glücklicherweise erst am vorletzten Tag erwischt und am nächsten Morgen war alles wieder gut, klatschnass eben…
Lach, nein, das war ich nicht 😉 ich mache sowas nicht. Ich hatte es entdeckt und dachte, das musst du jetzt fotografieren…