„Komm!“ Roshani zieht mich entschlossen in die Wohnung hinein. Eine Schale mit frischen Rosenblättern schmückt den Eingangsbereich, daneben aufgehäuftes, rotes Farbpulver. Die Mama des Hauses, klein und rund, übt sich in strahlendem Lächeln, während ich von der Schwester umarmt und instruiert werde: „Du bildest mit uns das Empfangskomitee!“
Leise indische Musik rieselt aus der Anlage. Längst sind die beiden wieder geschäftig in die halboffene Küche verschwunden, während ich mich umsehe. Die Wohnräume sind mit Rosen drapiert, kleine, abgeschnittene Rosenköpfchen schwimmen in Wasserschalen. Ein großer, langer Tisch trägt Besteck und Teller; hier werden später die Speisen aufgetragen.
Kurz nach meiner Ankunft klingelt es an der Tür.
„Momeeent!“ Ruft Roshani vernehmlich, während sie hektisch durch die Wohnung läuft. Hier und da werden noch die letzten Handgriffe getätigt.
„Wenn sie reinkommen“ – sagt sie zu mir – „bewerfen wir sie mit Rosenblüten.“
Die Tür wird geöffnet und ich sehe Nina in Begleitung zweier indischer Männer und einer blonden, indisch gekleideten Frau in den Flur treten. Nina strahlt mich an, und ich frage mich, wo denn ihr künftiger Mann bleibt…?
„Hallo, herzlich Willkommen!“ Die Neuankömmlinge werden mit Rosenblüten traktiert und bekommen mit Farbpulver und Öl je einen roten Tupfer auf der Stirn verpasst. Die beiden „Inder“ stellen sich als Ninas Schwiegervater und der künftige Ehemann heraus. Robert, der Verlobte, hat die Sache mit der kulturellen Integration sehr ernst genommen: Mit seinem dunklen Schnäuzer, den er sich eigens zu diesem Ereignis hat wachsen lassen, und der hellen Tunika, gleicht er bis aufs Haar einer Hauptfigur aus romantisch-bunten Bollywood-Filmen. Auch sein Vater, ein Inder wie er im Buche steht, entpuppt sich als deutsch – nur die blonden Haare seiner Mutter lassen ihre Tarnung auffliegen.
Ninas Kleid wirft mich um. Wobei es sich streng genommen nicht um ein Kleid, sondern um ein kunstvoll drapiertes Sari handelt, das sich im dunklen Türkis um ihren Körper schmiegt und den Rücken frei lässt. Immer wieder ist sie am Zupfen und rückt den glänzenden Stoff zurecht. Auf ihrer Stirn glänzt ein Mendhi.
Wir nehmen am Wohnzimmertisch Platz.
Die anfangs schwerfällig tröpfelnde Unterhaltung kommt erst richtig in Gang, als sich herausstellt, dass Roberts Eltern Weltenbummler sind wie ich. Vielleicht bekam er dadurch seine Offenheit von ihnen mit. Sie lebten fünf Jahre lang in Mosambik und sind auch jetzt, Jahre nach ihrer Rückkehr nach Deutschland, so oft es geht, in fernen Ländern unterwegs. An diesem Abend weiche ich kaum noch von ihrer Seite.
Nach und nach tauchen immer mehr Gäste auf. Ihre Kleidung trägt aufgenähte Verzierungen aller Art und leuchtet in kräftigen Farben. Auch ich bekomme eine rosa handgenähte, indische Tunika verpasst; dafür folge ich der Dame des Hauses auf Zehenspitzen ins Allerheiligste (hier: Das elterliche Schlafzimmer), um mich umzuziehen. Fünf Minuten später sitze ich wieder, vollständig integriert, bei den anderen Gästen auf der Couch.
Die im Anschluss aufgetischten Gerichte sind wie eine unbekannte, exotische Explosion an Geschmack. Es gibt gegrilltes Fleisch und Reis, doch das wirklich Interessante sind die verschiedenen Soßen und Beilagen, die, mal scharf, mal würzig, alles auf den Kopf stellen, was ich bis dahin kannte. Es gibt indische Küche, doch als die türkischen Nachbarn gegrillte Lammspieße und ein nach Pfefferminze schmeckendes Chutney bringen, erweitert sich noch einmal die multikulturelle Geschmackspalette.
Nach dem Essen wird getanzt. Wie es der Brauch so will, werden Braut und Bräutigam auf je einen Stuhl nebeneinander in die Mitte des Raumes gesetzt. Um ihre Schultern wird ein golden gelber Schal drapiert, unter dem sie zunächst einmal völlig ganz verschwinden. Ihrer beider geöffneten Handflächen werden mit Henna verziert – jede der verheirateten Frauen malt etwas in die Hand hinein. Ich halte mich geziemt zurück; hier gilt jede Art von Ehe mehr als eine stabile, glückliche Beziehung.
Die Braut bekommt allerlei Gegenstände, in erster Linie Süßigkeiten, Obst und einen Geldschein, in den Schoss gelegt. Die Musik geht an, wir tanzen im Kreis vor den beiden und schlagen zwei bunt bemalte Holzstöcke im Takt. Vermutlich sollte sich der Kreis der Tanzenden um das Brautpaar bilden, doch ob des Platzmangels hatte man sich für diese Alternative entschieden. Die Mädchen und Frauen wirbeln herum und immer wieder findet sich jemand in der Mitte des Kreises ein.
Nach dem Tanz sitzen die Gäste zusammen und schauen Roshani zu, die atemlos, mit wehenden Haaren und einem Lächeln im Gesicht, wie ein Wirbelwind durch die Mitte des Wohnzimmers fegt. Immer wieder zieht sie einen der Gäste zu sich auf die Tanzfläche hinaus, und auch die bis dato ruhig sitzende Braut Nina zeigt schließlich, was in ihr steck. Bollywood wird wahr und ich staune beim Zuschauen nicht schlecht, dass die indischen Mädchen tatsächlich so tanzen können. Auch Robert, der Bräutigam, muss sich seinem Schicksal fügen und stolpert, mehr unbeholfen denn aus Überzeugung, neben Ninas Wirbelwind-Schwester her.
Als wir alle am Tisch sitzen, wird eine Flasche alkoholfreien Sekt geköpft. Offiziell für jene, die noch fahren müssen, doch man munkelt, es sei nicht recht, Frauen in diesem Kontext Alkohol trinken zu lassen. Mein Blick fällt auf die draußen im Garten stehenden Bierflaschen der Männer. Als sich Ninas Vater einen Augenblick später neben mir einfindet, bitte ich um ein Bier und bekomme es auch. Vielleicht bin ich einfach zu widerspenstig für solche Dinge, denke ich mir und nippe an dem schaumigen Gebräu.
Nach dem Tanzt folgt der Teil, auf den schon alle gewartet haben: Die Hände der anwesenden, weiblichen Gäste werden mit Hennamustern verziert.
„Welche Bedeutung hat denn das Henna?“ Fragt Roberts Mutter, während Roshani hochkonzentriert die Hände ihrer Schwester bemalt.
„Je dunkler die Farbe des Henna ausfällt“, sagt Ninas Mutter, „umso größer wird die Zuneigung ihrer Schwiegereltern für sie sein.“
Ninas Augen werden kugelrund. „Mal nur weiter!“ Sagt sie zu Roshani.
Ninas Mutter malt mir eine Sonne auf die Handfläche. Die Farbe muss so lange wirken, bis sie von alleine abbröckelt. Immer wieder betrachte ich versonnen das Kunstwerk.
Nachdem der Abend spät wurde und wir uns herzlich verabschiedet hatten, rubble ich zu Hause die nun trockene Farbe von meiner Handfläche. Ninas Mutter muss mich sehr gern gehabt haben, die Farbe leuchtet in einem kräftigen, dunklen Rotbraun.