Mai 2013
Kennt Ihr das Märchen der Gebrüder Grimm vom Igel und Hasen? In dem der Hase der schnellere, doch der Igel schneller am Ziel ist? Das gleiche Spiel gibt es nun auch für Motorradfahrer… Nur dass dabei natürlich keiner am Ende tot im Acker liegt. Zumindest ist das nicht vorgesehen 😉
Als wir uns an diesem Morgen allesamt an der Heppenheimer Aral treffen, scheint die Sonne aus vollen Rohren. Der Himmel ist strahlend blau und es verspricht, ein wunderschöner Tag zu werden. Doch wie es so oft im Leben ist, so gibt es auch diesmal Versprechen, die nicht eingehalten werden sollen…
Doch noch ist alles wunderbar, mein Motorrad glänzt golden in der Sonne. Je näher der Zeitpunkt der Abfahrt rückt, umso mehr Biker versammeln sich auf dem freien Platz vor den Tanksäulen. Doch mehr als acht Maschinen werden wir heute nicht werden und irgend jemand erwähnt etwas vom Regen am Nachmittag. Doch der heile Sonnenschein scheint seine Worte lügen zu strafen…
Wir brechen auf nach Weilerbach, einen kleinen Ort nahe Kaiserslautern in Rheinland-Pfalz, um an einer der neuartigen Bauer-Schmidt: „Igel und Hase“-Touren teil zu nehmen.
Das Prinzip hinter einer Igel und Hase-Tour ist denkbar einfach und doch genial, so dass am Ende alle Biker, sowohl die Heizer wie auch die Chopper-Fahrer voll auf ihre Kosten kommen.
Eine Tour besteht mehr oder weniger aus einer kurzen und einer längeren Strecke, die sich überschneiden.
Alle Teilnehmer fahren zusammen los. Jeder fährt sein eigenes Wohlfühl-Tempo; überholen ist ausdrücklich erlaubt. So kommt es, dass sich schon früh „die Igel von den Hasen“ trennen und die schnellen Fahrer irgendwo am nebelumwobenem Horizont verschwinden.
An strategisch wichtigen Punkten der Strecke stehen Guides, die die schnelleren Fahrer anschließend zu einem längeren Abschnitt der Strecke lotsen. So kommt es, dass die „Hasen“ einen kleinen Umweg fahren, während die nachziehenden „Igel“ geradeaus die kürzere Strecke nehmen. Der Vorteil einer solchen Tour liegt auf der Hand:
Alle kommen gemeinsam wieder am Ausgangspunkt an. So ist jeder zufrieden und keiner hält den anderen auf, jeder fährt sein eigenes Tempo und es entsteht kein Druck der Stärkeren außer dem, den man sich eventuell selbst aufbaut.
Doch bereits als wir bei Kaiserslautern ankommen, bin ich geneigt, an die Wettervorhersagen des Kollegen zu glauben, denn der Himmel hatte sich inzwischen vollständig zugezogen und es kühlte merklich ab. In Weilerbach bekommen wir auch schon bei der Ankunft Regenklamotten ausgehändigt. Doch zunächst wird deftig gefrühstückt.
Die Teilnahme an der Tour kostet zehn Euro Anmeldegebühr, doch funktioniert dies als eine Art Bonuskarte: Bei jeder weiteren, vollständig befahrenen Tour wird dem Teilnehmer eine gewisse Summe wieder gutgeschrieben. „Schmitt mag es überhaupt nicht, wenn man eine Tour abbricht.“ flüstert mir jemand zu. „Da kann er biestig werden. Egal ob es schneit oder regnet, die Touren werden generell zu Ende gefahren.“ O weh…
Wir ziehen draußen unsere schicke Regenbekleidung an und wir tun auch gut daran, denn inzwischen hatte es angefangen zu nieseln. Ich bin mit den schnellen Fahrern ganz vorne. Zunächst versuche ich, Schritt zu halten, doch ziemlich früh gebe ich es auf. Unmöglich. Gemütlich fahre ich weiter, überhole einen Chopper. Kurve um Kurve dünnt die Truppe aus, weit auseinander zieht sich die Schlage derer, die allen weit voraus sind und endet mit denjenigen, die gemütlich irgendwo am Schluss herumtuckern. Und ich? Ich bin irgendwo in der Mitte. Ich bin zu dem Zeitpunkt noch keine schnelle Fahrerin, doch gehört meine Maschine auch nicht zu den langsamsten, und so, da es für den Hasen nicht gereicht hat, würde ich mich als einen ziemlich schnellen Igel einschätzen.
Inzwischen hat es angefangen, heftiger zu regnen. Ich bin in großer Versuchung, muss jedoch daran denken, was über das Abbrechen der Touren gesagt wurde. Noch hält der Regenschutz das meiste Nass von mir ab…
Immer mal wieder begegne ich unterwegs einen der Guides. Nun ist es so, dass man von ihnen zum „Richtungsweiser“ ernannt werden kann. Wenn der Guide einem Teilnehmer ein Zeichen gibt, bleibt derjenige so lange an seinem ihm zugewiesenem Platz stehen, bis ein anderer Guide kommt und ihn „erlöst“. Währenddessen zeigt er den nachfolgenden Fahrern die Richtung an, wenn die Strecken beispielsweise über Kreisel und Kreuzungen führt, wo in eine andere Richtung als „geradeaus“ abgebogen wird.
Ich werde zweimal zum „Platzhalter“ ernannt. Lust habe ich keine darauf, doch problematischer Weise bin ich nicht schnell genug, um einem Guide zu entkommen, der sich jedes Mal an meine Fersen geheftet hatte. Also stehe ich brav im Kreisel und mache meine Handzeichen. Autofahrer, die vorbeikommen, schauen verwundert durch die Autoscheibe. Irgendwann hält eine Autofahrerin neben mir an, zetert. Irgendwas von: Das ist nicht in Ordnung, was ihr da macht. Ich winke sie weiter, wende mich meinen Biker-Kollegen zu. Sie blockieren den Verkehr, meine Dame. Wütend braust sie davon.
Es regnet immer heftiger. Meine Regenkleidung hält nun das Wasser nicht mehr ab und so fühle ich die unangenehme, kalte Nässe durch alle Schichten meiner Kleidung kriechen. In meinen Stiefeln fühlt es sich nach fröhlichem Plantschen an. Der Regenschutz taugt gar nichts.
In strömenden Regen kommen wir bei Bauer Schmitt wieder an. Lob und Schulterklopfen dafür, dass wir durchgehalten haben. Was hatte ich denn auch für eine Wahl…?
Als wir über die Autobahn wieder Richtung Mannheim und ich nach Hause fahre, bin ich an einem Punkt angelangt, wo mir noch mehr Wasser wirklich keinen Unterschied mehr machen würde. Es schüttet kübelweise und jede Faser meine Kleidung ist durchnässt und klebt an meinem Körper. Ja, auch der BH und der Slip… Meine Hände sind vor Kälte erstarrt und einfache Bewegungen wie das Bremsen oder der Griff nach der Kupplung verlangen eine ungeheure Willensanstrengung ab. Und ich muss an die Diskussion bei Bauer Schmitt denken, darüber, ob mit einem Motorrad Aquaplaning überhaupt möglich ist…
Als ich zu Hause meine ausgezogenen Stiefel umdrehe, fließen ganze Wasserfontänen aus ihnen heraus. Ich halte den Stiefel ein paar Minuten lang umgedreht in meiner Hand, bis aus dem Wasserschwall nur noch ein leichtes Tröpfeln wird. So, das würde dann auch das nasse, plätschernde Geräusch vorhin beim Laufen erklären…