Sternenhimmel und eine Flasche Bier
Bonaire, September 2016
„Das hier.“ Sagt Stefan und zeigt nach oben. „Hast du so etwas Schönes jemals schon betrachtet? Das hier wollte ich sehen.“
Es ist tiefschwarze Nacht. Wir steigen aus dem Pick-up. Über uns erstreckt sich der schönste Sternenhimmel, den ich jemals in meinem Leben gesehen hatte. Nichts, aber auch wirklich nichts trübt den klaren Blick. Sterne, groß, strahlend und schön, Sternbilder, die uns beiden völlig fremd erscheinen.
Wir setzen uns auf die Ladefläche des Pick-up. Ich lehne mich zurück, so dass ich im Liegen den Verlauf der Milchstraße betrachten kann. „Wir befinden uns am Rande der Galaxie und jetzt gerade schauen wir mitten in die Milchstraße hinein.“ Sagt Stefan. „Bei uns auf der Nordhalbkugel schaut man eher aus der Galaxie heraus, in die andere Richtung.“
Die Milchstraße ist wirklich fantastisch klar zu sehen. Ich hatte dieses weiß-neblige zunächst für Wolken gehalten. „Nein, das sind keine Wolken. Du kannst auch sehen, dass um die Mitte herum die Anhäufung der Sterne eine viel größere ist.“
„Schau, und bei uns kann man die Sterne gen Horizont nicht mehr so klar erkennen, weil der Himmel am Rande immer etwas heller ist. Aber hier ist er überall genauso dunkel und du kannst Sterne sehen sowohl da…“ Ich zeige mit dem Fuß nach oben: „…wie auch hier.“
Die Ladefläche ist unbequem und der Wind peitscht mir die Haare ständig ins Gesicht, die durch die Feuchtigkeit des Meeres und die salzige Luft immer wieder kleben bleiben – aber das ist mir jetzt egal; ich mag meinen Blick nicht abwenden. In der Ferne ist am Horizont Wetterleuchten zu sehen; immer wieder blitzt der schwarze Himmel gelb-orange auf und enthüllt die Umrisse der bis dahin verborgenen Wolken. Die Blitze erscheinen völlig lautlos am Himmel, Grollen ist keines zu hören.
„Das muss von Südamerika kommen.“ Sagt Stefan. „Ich glaube, Venezuela. Ich hatte mal einen Bericht darüber gesehen; da gibt es einen See, an dem sich Wolken sammeln und es dann jede Nacht diese Blitzgewitter gibt, die ganze Nacht hindurch – aber ohne Regen.“
Das Wetterleuchten hatten wir bereits auf dem Weg hierher gesehen. Als wir nach unserem Strandtag zu Hause ankamen, das Geräusch des Motors erlosch und wir in der Dunkelheit noch im Pick-up saßen, da sagte Stefan zu mir: „Weißt du was? Ich hab da eine Idee. Wir legen kurz unsere Sachen ab, essen eine Kleinigkeit, steigen dann wieder ins Auto und fahren einfach den Weg entlang, der die Insel umrundet – hättest du Lust dazu?“
Und so sind wir hierher gekommen, an den momentan wohl wildesten und faszinierendsten Ort der Welt; mit diesem sagenhaften Himmel und den Wellen des Meeres, die sich meterhoch hinter uns auftürmen, ehe sie mit Getöse an den schroffen Felsen brechen.
Ich verlasse die Ladefläche des Pick-up und gehe in diese Richtung. Ich weiß nicht, wie steil es hier nach unten geht, doch in etwa kann ich den Weg vor mir sehen. Über den Sand komme ich schnell voran, doch als der felsige Abschnitt beginnt, ist der Boden unter mir so löchrig und uneben, dass ich sehr aufpassen muss, wo ich hintrete. Immer wieder bleibe ich stehen und schaue nach oben, mir die salzigen Haarsträhnen aus dem Gesicht streichend. Der Sternenhimmel ist gigantisch und ich hoffe auf eine Sternschnuppe.
Der „Abgrund“ erweist sich als gar nicht mal so tief; vielleicht zwei oder drei Meter. Das Auto ist nun weit hinter mir geblieben Vorsichtig gehe ich in die Hocke und taste mich noch ein Stück weiter vor. Dann bleibe ich stehen. Neben mir sehe ich am dunklen Hintergrund etwas großes, regungsloses, helles, das ich nicht zuordnen kann. Ein Tier? Es sieht aus wie ein Fabelwesen, das schläft; rund, mit vielen weißen Beinen. Ich tippe auf einen Baumstamm. Komme ich nah genug heran, um es zu berühren? Nein? Auch gut.
Ich schaue zurück. Stefan ist in den Pick-up gestiegen; das sehe ich an dem kleinen Licht, das kurz im Inneren des Autos angeht. Gleich wird er mich suchen. Ich richte mich auf und in dem Moment blendet er auf; einen Augenblick lang stehe ich wie ein Reh mitten im gleißenden Licht der Scheinwerfer. Ich hebe meinen linken Arm hoch und halte ihn mir vor die Augen. Die Lichter gehen wieder aus.
„Ich dachte, dir wäre etwas passiert, ich habe dich plötzlich nicht mehr gesehen.“ Sagt Stefan, als ich zu ihm ins Auto steige. Wir sitzen im Pick-up und rauchen, betrachten die Wellen.
„Da hinten, das orangene Leuchten; das müsste Caracas sein. Das Leuchten sieht man bis hierher.“
Schweigend erleben wir den Augenblick. Das orangene Leuchten wird immer mehr und der Schein steigt immer höher. Dann: „Oh, ich glaube, das ist nicht Caracas; das ist der Mond!“
„Ich hatte mir auch schon gedacht; na schau, Caracas wird ja immer heller, was ist denn da los?“ Lachte ich.
Der Mond stieg sehr schnell, fast schon senkrecht auf. Nun wurden die Wellentürme deutlich sichtbar, wie sie kämpfend immer wieder in die Höhe schossen. Diese ganze unwirkliche Szenerie wurde zudem noch vom blutorangenen Mond erhellt, dessen Licht sich auf dem unruhigen Wasser wiederspiegelte. Fantastisch, was für eine Nacht. Mir fehlten die Worte dafür. „Danke, dass du mich hergebracht hast.“ Sagte ich zu ihm auf der Heimfahrt. Er lächelte.