Verglichen mit der Rückfahrt war die Autofahrt nach Polen ein Kinderspiel. Über Nürnberg und Dresden kam ich sehr schnell voran; es war Nacht und die Autobahnen frei. Irgendwann schlich sich eine bleierne Müdigkeit bei mir ein…ich hielt an der nächsten Raststätte, wickelte mich in eine kuschelige, warme Decke, die ich aus Stefans Wohnzimmer entwendet habe, zog sie über meinen Kopf und schlief ein. Es war nachts um halb vier.
Am nächsten Morgen gegen halb sieben streckte ich mich einmal und fuhr dann weiter.
Bis zur Grenze und auch danach ging es ganz schnell, ab Łódź fuhr ich Landstraße (es gibt private und staatliche Autobahnen, die privaten sind in der Regel mautpflichtig). Doch die Landstraßen sind in Polen größtenteils sehr gut ausgebaut.
Łódź zu umfahren hat einige Zeit in Anspruch genommen, da die Umgehungsstraßen gerade erst im Entstehen begriffen sind, also habe ich diverse Schleichwege benutzen müssen, und war fast im Begriff, mich zu verfahren. Trotz alledem muss man sagen; ich fuhr durch eine sehr schöne und sehr ländliche Gegend. Hier und da stand ein alter Traktor auf der Straße, mit einem „zu verkaufen“ -Schild versehen (mit zunehmender Globalisierung und Produktionsverlagerung ins Ausland geht die Landwirtschaft bei uns langsam vor die Hunde), da standen wieder alte, aus Holz erbaute Kirchen und Häuser, eingebettet in malerische Ortschaften. Auf den Strommasten nisteten Storche.
Meine Mama erwartete mich erst ein paar Tage später, insofern war die Freude groß. Alles in allem hatte mir die Hinfahrt mehr Zeit in Anspruch genommen als ich eingerechnet hatte; nachts um halb eins bin ich los, und kam dann, mit Unterbrechung (ca. 4 Std. Schlafenspause) abends um 19 Uhr in Błonie an.
Da ich bereits in etwa wusste, wie lange die Fahrt ungefähr dauert, hatte ich vorsorglich mehr Zeit für die Rückfahrt eingeplant. Am Sonntag, mittags um 12:30 Uhr startete ich über die Bundesstraße in Richtung Łódź. Ich kam gut voran, und unterwegs machte ich bei Łowicz an einem idyllischen Badesee Rast. Am Straßenrand boten Obstbauern Äpfel und Erdbeeren kiloweise zu einem sagenhaft günstigen Preis.
Hier ein paar Impressionen von unterwegs:
Als ich weiterfuhr, fiel mir bei Łódź in einem der Vororte ein Markt ins Auge. Diverse Verkaufsstände, aneinander gereiht, viele Menschen, Obwarzanki, die an Schnüren aufgehängt in der Sonne baumeln…
Obwarzanki! Auf der Stelle wendete ich das Auto und setzte den Blinker. Ich parkte schnell (und wieder halblegal, auf einem Parkplatz, der für Mitglieder einer gebuchten Band reserviert waren; der Parkwächter drückte beide Augen zu), sprang heraus und kaufte am nächstgelegenen Stand eine Schnur des leckeren Gebäcks für Anna. Wieder hops ins Auto und weiter geht’s.
Die Schleichwege um Łódź herum waren wieder zeitraubend, wie schon auf der Hinfahrt, und als ich dann endlich auf der Autobahn kam, freute ich mich schon auf einen schnellen Weg nach Hause, denn inzwischen war es ca. 18:30 Uhr.
Hah…
Doch bereits vor Breslau wurde ich zum ersten Mal ausgebremst – Stau. Ein Unfall; immer wieder bildeten wir eine Rettungsgasse für Polizeifahrzeuge und den Krankenwagen. Nach etwa einer Stunde passierten wir die Unfallstelle und der Stau löste sich auf. Doch die Freude währte nicht lange.
So um 22:30 Uhr – Baustelle. Das war irgendwo hinter Breslau. Eine Stunde Wartezeit. Stellenweise stand alles komplett still, die Fahrzeuge wurden abgestellt. Die Fahrer nahmen alles mit unbewegter Miene und einer stoischen Ruhe hin. Und ich übte mich darin, die Kupplung schleifen zu lassen.
Irgendwann stiegen die Menschen aus ihren Autos und gingen an der Leitplanke entlang spazieren. Es wurde langsam dunkel. Eine Maus huschte an mir vorbei und verschwand im hohen Gras. Ich aß das letzte Stück Brot, das meine Mama mir morgens geschmiert hat, und trank die letzten Schlucke kalten Kaffee.
Dann, gegen 21:30 Uhr ging es nach und nach weiter.
Die dritte Baustelle erwartete mich bei Bautzen. Da habe ich mich, wie auch viele andere, bereits meinem Schicksal ergeben – es waren diesmal über zwei Stunden Wartezeit.
Baustelle vor Heilbronn – die vierte. Es war bereits tiefste Nacht und ich habe, wohlgemerkt, noch keine einzige Minute geschlafen. Auf der rechten Spur stapelten sich die LKW’s, und die linke Spur für PKW war durch Leitplanken links und rechts vom Rest der Fahrbahn abgetrennt (man hatte an der Baustelle die Gegenfahrbahn ein stück weit zum Fahren mitbenutzt). Diesmal stand der Verkehr sofort komplett still. Es war nachts um halb drei.
Die meisten stellten den Motor ab. Nur noch der Regen prasselte an die Autoscheibe in einem monotonen, gleichmäßigen Rhythmus. Es war nicht vorherzusehen, ob es noch Minuten, Stunden oder die ganze Nacht dauern würde. Nach und nach fielen mir die Augen zu. Immer wieder schreckte ich hoch und schaute nach vorne, doch an der wartenden Autoschlange hatte sich nichts verändert. Dann nickte ich wieder ein.
Irgendwann schreckte mich ein lautes Hupen auf. Aufgescheucht sprang ich hoch und sah mich um. Auf der abgesperrten Gegenspur stand ein Auto und hupte. Ich kurbelte das Fenster runter, da der Fahrer ganz offensichtlich etwas wollte.
Es war eine Polizeistreife. Ein junger Polizist in Warnweste rief mir durch den strömenden Regen hindurch zu:
„Warum fahren Sie nicht? Es geht schon seit einer Viertelstunde weiter! Warum stehen Sie denn noch hier?“
Erschrocken schaute ich nach vorne: die Autobahn war leer. Kein einziges Auto befand sich mehr vor mir, nur noch die Dunkelheit gähnte mir entgegen. Auch auf der rechten Spur war kein einziger LKW mehr zu sehen.
„Oh“ war das einzige, was ich dazu sagte; ich schaltete zügig mein Auto an und machte mich schnellstmöglich davon.
Die letzten zweihundert Kilometer fuhr ich im strömenden Regen nach Hause. Das Wasser ergoss sich sintflutartig vom Himmel; der Scheibenwischer kam gar nicht so schnell hinterher. Doch ich fuhr recht zügig, denn ich wollte nach Hause.
Das Rauschen des Regens noch im Kopf, betrat ich selbiges dann am Montagmorgen um viertel vor sieben. Der Tag draußen wurde immer heller, und ich zog die Rollläden runter und die Decke tief über den Kopf.