Europa, Polen

Die Breslauer Zwerge

In der Altstadt von Breslau kommt man eigentlich nicht an ihnen vorbei: sie stehen an der Ecke, spähen hinter Schaufenstern hervor, hangeln sich von einer Laterne hinab, lesen ein Buch, ja, sitzen sogar am Laptop… ganz Breslau ist voller Zwerge! Und immer sind sie umringt von lachenden Kindern, die laut rufen: „Krasnal! Krasnal!“ Zur Deutsch: Zwerg! Zwerg!

Jeder will dem Zwerg wenigstens einmal über die Mütze streicheln, die, glatt poliert von den vielen Kinderhänden, in der Sonne leuchtet, und jedes Kind will sich mit dem „Krasnal“ einmal von den Eltern ablichten lassen. Die Breslauer Zwerge sind eine tolle Bereicherung der Stadt und jeder Zwerg erfüllt eine Funktion oder weist auf etwas hin. So gibt es den „Eitlen“ vor einem Beauty-Salon, der mit einem Spiegel in der Zwergenhand dasteht; einen lesenden Zwerg vor der Bücherei, einen geistlichen Zwerg auf der Klosterinsel. 352 insgesamt sollen es jetzt sein (Stand: August 2018), in der ganzen Stadt verborgen, und es werden immer mehr. Spezielle Zwergen-Karten helfen bei der Suche.

„Wie viele hast du schon?“ – Ist somit eine häufig gestellte Frage. Und auch ich erliege dem Zwergenfieber und hechte von Ecke zur Ecke, überall da, wo ich ein spitzes Mützchen sehen.

Doch was hat es mit den Breslauer Zwergen auf sich? Ich recherchiere.

 

Zur Mythologie:

Der Glaube an Zwerge, die kleinen, unsichtbaren Helfer, reichen noch viel weiter in die Vergangenheit als der Beginn des christlichen Glaubens in Polen 966 und ist so tief verwurzelt, dass es sogar noch bis ins zwanzigste Jahrhundert Überlieferungen gab, die zur Papier gebracht worden sind. Hierbei handelt es sich kaum um Märchen und Mythen im eigentlichen Sinne, denen immer eine Moral inne wohnt; es sind vielmehr Beobachtungen, die sich Menschen nicht erklären konnten, Gerüchte, die in den ländlichen Gegenden die Runde machten.

Man zählt die Zwerge (oder Wichtel) zu den Schutzgeistern. Im Volksglauben war es ihre Aufgabe, dem Menschen im Hause zu helfen und seinen Reichtum zu vermehren. Dort, wo Zwerge leben, herrscht Ordnung und Wohlstand. Doch diese Hilfe unterliegt ihren eigenen Gesetzen. Je nachdem, um welche Art Zwerge es sich handelt, möchten sie entweder ganz im Stillen ihren Aufgaben nachgehen, ohne vom Menschen bemerkt zu werden und arbeiten vorwiegend nachts. Manche von ihnen jedoch buhlen regelrecht um Aufmerksamkeit und suchen die menschliche Gesellschaft.

Meistens wurden die Zwerge als gute Geister gesehen und ihre Hilfe dankbar angenommen, doch manchmal waren sie den Menschen auch unheimlich und wurden mit dem Bösen in Verbindung gebracht. So sagte man sich, dass ihre Hilfe, speziell was die Vermehrung des Reichtums betraf, auf schlichtem Diebstahl beruhte. So erzählte man sich von einem Zwerg, der immerzu nachts zu den Nachbarn ging und ihr Getreide, die Milch ihrer Kühe und ihre Lebensmittel stahl, um sie seinem eigenen Wirt zu bringen. Nur ein geweihtes Kreuz konnte sie aufhalten.

Für ihre Dienste erwarteten die Zwerge keine Bezahlung, im Gegenteil empfanden sie eine solche als demütigend und verließen in solchen Fällen ihren Gutsherrn. Sie wollten behütet werden und dass man sich um sie kümmert. Ein Wirt war gut beraten, ihnen ein gutes, gemütliches Heim zu schaffen.

 

„Die Zwergen-Siedlung in Jastkowice

Es geschah in Zeiten der Nazibesatzung in Schlesien. Eines Nachts, als der Mond sehr hell am Himmel stand, sah ein vorbeigehender Mensch in der Nähe des Ortes Jastkowice ungefähr sechszig Zwerge. Alle waren sie in rote Mützen, rote Hosen und rote Umhänge gekleidet. Nachdem sie die Straße überquerten, gingen sie in die Berge, wo sie sicher ihre Wohnsitze hatten.“

Quelle: A. Moskal (w): W. Gaj-Piotrowski

Bei Jastkowice gibt es eine Schlucht, wo früher Wasser stand, die Menschen hatten Angst vor diesem Ort. Vorbeikommende hörten oft Geräusche, als würde jemand seine Wäsche in dem Wasser waschen, sahen jedoch niemanden. Die Anwohner von Jastkowice erklärten sich das Phänomen so, dass „die Zwerge ihre Wäsche waschen, sich jedoch verstecken, sobald sich Menschen nähern.“

Quelle: H. Bajdo, Jastkowice 1978

 

„Er stellte immerzu einen Topf Grütze hinter den Kamin…

In Erinnerung an die Zeiten seiner Jugend Herr Fr. Kaczor (verst. 1970) erzählte er von einem Gutsherrn, wohnhaft in Jastkowice, der ‚eine Verbindung mit dem Bösen‘ hatte. Er kochte ihm immer Grütze und stellte sie in einem Topf auf dem Speicher hinter dem Kamin. Eines Tages befahl er seinem Diener, den Topf Grütze auf den Speicher zu tragen und hinter dem Kamin zu platzieren, jedoch solle sich der Diener auf dem Rückweg nicht wieder umdrehen und nicht zum Kamin schauen. 

Dieser tat, wie ihm geheißen, doch auf dem Weg nach unten hielt er es vor Neugier nicht aus, drehte sich um und blickte zum Kamin. Da warf etwas mit jenem Topf Grütze nach ihm, traf ihn zum Glück jedoch nicht. 

Jener Gutsherr wusste immer, obwohl er selig zu Hause schlief, welche Hirten nachts ihre Pferde unerlaubterweise auf seine Felder und Weiden trieben.“

Diese Geschichte, von ihrem Vater gehört, erzählte S. Kuziorowa. Ruda Jastkowska (1975)

 

Die Zwerge haben sogar eine eigene Website. Dort werden ihre Geschichten erzählt und alle Infos rund um die kleinen Kerlchen kann man hier nachlesen. Events und Festivals und für Kinder Ausmalbilder und Spiele sorgen für Beschäftigung. Zudem gibt es eine Aufzählung der Zwerge und die schon oben erwähnte Karte, mit der Familien mit Kindern mittags losziehen und die Altstadt durchstöbern. Und außer der Zwerge gibt es noch so viel anderes zu entdecken, denn die Figuren weisen hier und da auf Besonderheiten oder Interessantes hin wie eine alte Bücherei, einen Weinladen oder eine Sehenswürdigkeit.

Inzwischen sind die Zwerge zu einer cleveren Marketingstrategie geworden. Sowohl Firmen als auch Privatpersonen können „ihren“ eigenen Zwerg in der Stadt aufstellen, vor ihrem Restaurant oder ihrem Hotel zum Beispiel. Die Website der Stadt informiert über Bedingungen und Kosten.

Und wenn Du kein polnisch sprichst – kein Problem, denn die Website gibt es zudem noch auf tschechisch, spanisch, russisch, deutsch und englisch. Viel Spaß!

Hier zeige ich Euch meine kleine Auswahl, doch ich habe bei weitem nicht alle gefunden…

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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2 Kommentare

  1. Breslau ist soeben auf meine Bucket List gerutscht.
    Die sind ja so niedlich, die Zwerge.

    Es grüßt

    DieReiseEule Liane

    1. Liebe Liane,
      Super, das freut mich 🙂 Breslau ist praktisch noch unentdeckt und ein richtiger Geheimtipp 😉 Ich kann auf jeden Fall eine Kanufahrt an der Oder empfehlen und einen Besuch im Breslauer „Afrykarium“, das Ozeanarium dort zählt zu den schönsten überhaupt! 😉

      Lg Kasia

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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