Unser Fahrer Ismail holt uns um neun ab. „Wir besichtigen jetzt die Moschee.“ Verkündet er, nachdem das Gepäck auf dem Rücksitz verstaut ist.
“Ähm, die Moschee? Die haben wir gestern schon besichtigt.“ Antwortet René, und wir fragen uns, ob wir hier richtig sind und unser Vehikelbeförderer auch weiß, was sein Auftrag ist. Das weiß er, wie sich später herausstellen wird. Aktuell verlassen wir Casablanca und machen uns auf den Weg nach Rabat.
Die Überfahrt ist wie so viele in so vielen Ländern: vorerst nicht spektakulär. Die Landschaft – monoton, steppenartig, erinnert stark an die Mongolei. Die richtig guten Dinger kommen erst noch. Landschaftlich, meine ich.
Bis nach Rabat, Marokkos Hauptstadt, brauchen wir circa eine Stunde. Schon von Weitem winkt die schöne, historische Altstadt, umgeben von einer weitläufigen, imposanten Stadtmauer. Das ist Rabat, sagt Ismail unnötigerweise zu uns. Auffällig, wie sauber und gepflegt alles ist. Arbeiter in uniformen Schutzanzügen kehren die Straßen oder bewässern die Grünanlagen. Im Vergleich dazu wirkte Casablanca alt, schmuddelig, vernachlässigt.
Vor dem Hassan Tower lässt der Fahrer uns frei. Vorbei an zwei sehenswert uniformierten Wachen geht es ins Innere der Anlage. Der Tower ist zur Zeit nicht zugänglich, doch das Mausoleum können wir uns ansehen.
Der Hassan Tower ist das unfertige Minarett der ebenfalls nicht vollendeten Moschee, mit deren Bau im 12 Jahrhundert begonnen wurde. Mit dem Tod des damaligen Herrschers Yacub al-Mansur worden die Bauarbeiten für immer eingestellt. Die Moschee hätte damals die größte im Magreb werden können.
Das Mausoleum des Mohammed V. (1956-1961), den ersten König eines unabhängigen marokkanischen Staates, wurde in den 1960er Jahren erbaut. Auch sein Sohn Hassan II liegt hier bestattet.
Beim hinausgehen haben wir beide die bekloppte Idee, ein Selfie mit dem Wachen zu machen. Diese sitzen weiterhin ungerührt auf ihrem hohen Ross und lassen sich so ziemlich alles gefallen, was die um sie herum springenden Touris veranstalten. Natürlich wird ein beklopptes Foto gemacht. Und noch eines. Die spöttischen Worte einer früheren Mitreisenden kommen mir in den Sinn: „Wer‘s braucht…“ Ja, wir brauchen ihn dringend, diesen Scheiß. Weil Lachen gut fürs Herz ist. Und Stöcke in Ärschen tun weh.
Auch solche Bilder wie auf irgendwelchen Kanonen reiten oder in irgendwelchen Wägen sitzen gehören dazu. Ebenso wie Kamel- und Eselselfies. Davon wird es auch noch ein paar geben. Ihr sieht, es wird bunt und albern hier auf dem Blog. Die spinnt, die Kasia. Ja, tut sie.
Wir leiern dem Fahrer aus den Rippen, dass wir uns noch eine Weile hier in der Altstadt aufhalten wollen. Zu unserer Überraschung ist alles kein Problem und er fährt uns sogar bis nah an die Stadtmauern vor, von wo wir unseren Rundgang starten können. „Lasst euch Zeit.“ Sagt er und wir bekommen eine Ahnung, dass wir mit dem Jungen so ziemlich alles werden umsetzen können, wonach uns der Sinn steht.
Also ab in die Altstadt, die – wenig überraschend – malerisch und von Touristen frequentiert ist. Doch das stört uns nicht. Dieses viel besungene „abseits der ausgetretenen Pfade“ führt meist durch Wege, die eben nicht sehr sehenswert sind, und endet meist eh da, wo sich alle treffen. Weil Highlights nun mal Highlights sind.
Auf René wartet ein weiteres Highlight. Oder besser: einfach mal was neues. Als ich nämlich die schattigen Cafés sehe, die den allgegenwärtigen marokkanischen Minztee anbieten, will ich mich niederlassen, und das obwohl wir gerade erst los sind. Zwei Katzenbabys kuscheln in der Ecke.
„Hast du schon mal so einen Tee getrunken?“ Das hat er nicht. „Dann musst Du ihn probieren.“ Ich selbst habe den marokkanischen Minztee bereits in meiner Jugend kennengelernt, in meiner Zeit als die marokkanische Quasi-Schwiegertochter. Die Zubereitung ist tricky, denn frische Minze nur ein Bestandteil des Ganzen ist. Grundlage bildet grüner Tee, der mehrmals aufgekocht und abgesiebt wird. Erst am Schluss kommt frische Minze hinzu. Dann wird ein letztes Mal aufgekocht. Nicht zu kurz, sonst schmeckt der Tee nach nichts. Nicht zu lange, sonst schmeckt er fade. Ich habe diese Kunst des richtigen Teekochens auch nach drei Jahren noch nicht beherrschen können.
Hier in Marokko beherrscht sie jeder aus dem ff. Zum Tee bekommen wir köstliches Gebäck serviert. Die zarten Plätzchen schmecken jedes ein wenig anders. Eines nach Gewürzen, eines mürbe und weich, dann ein weiteres nach Rosenwasser. Eigentlich sollte ich sowas nicht essen. Ich spüre förmlich, wie die Polster auf meinen Hüften anschwellen.
Da hilft nur: weiter gehen. Was sehen wollen wir auch noch, doch die Pause hat gut getan. Entspannt und geerdet. Der Weg führt uns in eine grüne, schattige, andalusische Gartenanlage, in deren Mitte ein Wasserspiel für Frische sorgt. Allgegenwärtiges Miauen macht uns auf die Bataillonen kleiner Kätzchen aufmerksam, die sich hier überall tummeln. Hör mir auf, was soll ich mit Kätzchen? Sage ich. Bis so ein Teil auf mich zugerannt kommt. „Na, wer bist du denn? Süß bist du. Ich werde dich adoptieren und dich mit nach Deutschland nehmen, und dann wirst du mein Kätzchen sein.“ Oh-oh… ich sollte dringend hier weg. „Schnell!“ Sage ich zu René. „Bevor es uns noch folgt.“
Wir flüchten in die Medina, die schattige, überdachte Einkaufszone der Stadt. Wie gepflegt es hier ist. Eine hölzerne Überdachung schützt vor Hitze. Mosaiken aus buntem Fliesen zieren Wasserbrunnen. Die engen Gassen. Verkäufer. Es gibt alles, Kleidung, Waren des täglichen Bedarfs, Fleisch, Fisch. Eine Katze flüchtet mit ihrer silbern glänzenden Beute im Maul. Ich mag eine solche Umgebung. Die Klänge, die Gerüche. Die vielen Menschen. Das vertraute Fremde. Hier bewege ich mich am liebsten, wo das Leben pulsiert. Ein Blick nach rechts sagt mir, dass es nicht nur mir so geht.
Der obligatorische Rohrzuckersaftverkäufer ist auch zugegen. Rohrzuckersaft sei ein „sexuelles Stimulans“, lesen wir nach. Ola!
Bei uns stimuliert es die Dummheit, denn kurz entführen wir den Eis-Lieferanhänger für ein Foto. Der Besitzer lehnt lässig an der Saftbude und grinst in sich hinein.
Entspannten Schrittes erkunden wir nun die Stadtmauern, mit einem großartigen Blick auf die Küste. Hier oben sind wir beinahe alleine, nur ein alter Mann kommt uns entgegen. Hinter uns hören wir die trippelnden Schritte eines minderjährigen Rosenverkäufers, der uns zum Glück unbehelligt lässt. Was soll ich auch mit Rosen? Unsere Romantik äußert sich in Reiseplänen und für Herzklopfen sorgen ungewöhnliche Reiseziele, auf die wohl keiner außer uns kommt.
Am Ufer entdecken wir eine Kogge. Vor dem Symbol Hansas lassen wir uns natürlich mit der Fahne ablichten. Das macht den Hansi neben mir glücklich. Beinahe so glücklich wie Freibier.
Eine kurze Nachricht an den Fahrer, schon ist er da. Wir bewundern von unterwegs das Straßenleben, die fantasievoll überladenen Lastwagen, Mopeds, die auf dem Anhänger ganze Familien befördern. Obst, das sich tonnenweise auf den Gehwegen wälzt und zum Verkauf feilgeboten wird.
Unser Mittagessen steht aus. Dieses wird in einem Lokal an der Hauptstraße eingenommen. Es ist ein Tourispot, aber dennoch lecker. Ich probiere Tajine mit Ziegenfleisch (ja, ich weiß; Schwester sollte Schwester nicht essen…) und René tut sich am Lamm gütlich („Aber es ist doch schon tot!“ Rief eine Freundin mal aus, als ich ihr erzählte, dass manche Bedenken hätten, noch nicht ausgereifte Tiere zu essen). Das dünne Brot wird klassisch im Ofen gleich vor Ort gebacken. Der obligatorische Minztee, hier auch „Whisky der Berber“ genannt, darf nicht fehlen.
Gegen Abend kommen wir in Chefchaouen an. Von der Straße aus, die sich nach oben windet, können wir einen ersten Blick auf die Stadt werfen. Sie strahlt in verschiedenen Blautönen. Sogleich stürmen Frauen in bunten Hüten auf uns zu und versuchen, uns ein Foto mit einer solchen Kopfbedeckung zu verkaufen. Diese spitzen, mit Bommeln behangenen Hüte werden von den Menschen auf dem Land getragen, doch hier sind sie vor allem eine Touristenattraktion. Eine, auf die wir gut und gerne verzichten können. Ein bisschen schimpfen die Frauen vor sich hin, doch nicht allzu sehr, denn immer wieder finden sich Chinesen, die diesen Spaß mitmachen. Ismail, der Fahrer, macht inzwischen fleißig Bilder von uns und der Landschaft. *Landschaft ist auch da…*
Unser Hotel ist höher gelegen und besitzt eine Besonderheit, auf die wir im Laufe der Reise noch öfter stoßen werden, die uns aber zum jetzigen Zeitpunkt überaus reizvoll erscheint: eine Klebetür. Übersetzt heißt es, eine Tür mit Glasscheiben, die über und über mit Klebern aus aller Welt verschönert sind. Erstaunlich wenig dieser Kleber haben aber Fußball zum Thema; meist handelt es sich um irgendwelche Motorradreisenden. Das muss sich ändern. Zack, und schon ist da eine Kogge drauf. So gehört das.
Wir nutzen die verbleibende Zeit, um uns einen ersten Überblick über die blaue Stadt zu verschaffen. Sie ist ruhig am Abend. Die meisten der Tagestouristen sind weg und Katzen erobern die Straßen. Hier und dort gibt es ein schönes Fotomotiv. Doch eigentlich zieht es uns in die nächste Kneipe, wo wir für den Rest des Abends versacken. Es gibt Bier, dumme Witze, Gelächter. Wir sprengen das Niveau. Am Ende muss der stoische Barkeeper noch ein Bild mit Hansafahne von uns machen. Was uns die Blicke und wohlwollende Lacher der anderen Gäste einbringt.
Ein Nachspiel hat die Sache dennoch. Ganz nach Scooters „How much is the fish?“ Der Fisch ist umsonst, das betont der Kellner, der uns die gegrillten Fischhäppchen vor die Nase stellt. Geschenk des Hauses. Ich rieche dran und passe. Irgendwie ist mir heute gar nicht so nach Fisch. Dafür zieht sich René die Portion rein. Blöd nur, dass der Fisch später mitten in der Nacht oben wieder raus will. Da wird auch klar, warum er umsonst war…