Europa, Island

Notizen aus Island – Was der Guide so erzählte

25.12.2019

Entlang der Westküste verläuft unsere Reise. Heute setzen wir die Tour durch Island fort. Das Land hat etwas mehr als zweihundert Tausend Einwohner und die meisten von ihnen gruppieren sich um die Städte, speziell um Reykjavik. Alleine in der isländischen Hauptstadt leben an die hunderttausend Menschen. Früher lebten die Leute von der Fischerei und Export, waren abhängig von Preisschwankungen auf dem Weltmarkt. Der Tourismus entwickelte sich langsam ab dem Jahr 2009 – vorher wusste kaum jemand, was Reykjavik ist und wo es liegt – und wächst seitdem stetig an. Island generiert eigenes Einkommen, die wirtschaftliche Situation hat sich stabilisiert. Die Anwohnerdichte konzentriert sich an der Küstenlinie entlang. Als 2016 Herr der Ringe rauskam, kamen zum ersten Mal an die zwei Millionen Touristen ins Land.

Interessant ist, dass es auf Island kaum Bäume gibt. Erst in den letzten hundert Jahren begann man langsam, Bäume zu pflanzen. Die meisten davon sind ebenfalls in der Gegend um Reykjavik zu finden. Es kursiert dazu eine passende Weisheit: „Wie findet man sich in einem isländischen Wald zurecht? Man richtet sich auf.“ Ich weiß nicht, ob ein Isländer darüber lachen kann, doch ich finde es witzig. „Für euch werden die Bäume wie Gebüsch aussehen.“ Sagt der Guide. Fragend schauen wir aus dem Busfenster. Bäume? Welche Bäume?

Auch auf Reykjavik kommt er zu sprechen. „Für mich,“ sagt der Guide, „ist die Stadt laut, hektisch und schnell. Für euch wird sie vermutlich still und ruhig sein.“ Ich denke darüber nach. Das Reykjavik, das ich gesehen habe… also, eine Stadt ist es für mich nicht. Eher ein schönes, mit Weihnachtskram behangenes Dorf am Wasser. Hektisch? Eher ein wenig verschlafen. Das ist wohl alles eine Frage der Perspektive.

Schon praktisch, dass ich mir den großen Reisekoffer gespart habe. Für die Zweitagestour in den Westen habe ich lediglich meinen Rucksack dabei, und der liegt auf meinem Schoß oder unter meinem Sitz. Was ich mir hätte sparen können, wäre die große Kamera mit Stativ. Bei den Wind- und Wetterverhältnissen ist ein Smartphone zum Fotografieren am besten. Ein Stativ kann man vergessen. Doch zum Ausgleich habe ich den besten Platz im Bus, nämlich ganz vorne. Einmal mehr kommen wir an einem beleuchteten Friedhof vorbei, viele leuchtende Kreuze huschen an uns vorbei wie Geister.

Die vulkanische Aktivität der Insel ist Fluch und Segen zugleich. Hier wird saubere, grüne Energie produziert, so viel, dass sie sogar exportiert werden kann. Was die Isländer dafür in Kauf nehmen müssen, sind die hin und wieder auftretenden Eruptionen, Erdbeben und Vulkanausbrüche wie auch die Tatsache, auf einem Explosiven Untergrund zu leben. Doch Menschen haben sich schon immer um Vulkane gruppiert, sei es des fruchtbaren Bodens wegen oder, wie hier, aufgrund der Energie. Oder weil man schon immer hier lebte. Wie dem auch sei, das Land ist ausgezeichnet auf solche Vorkommnisse eingestellt. Zu den vielen Schutzmechanismen gehören vorzeitig angelegte Gräben, die flüssige Lava von bewohnten Orten weg leiten sollen. Wohnorte können evakuiert und die verlassenen Häuser den Anwohnern von der Regierung abgekauft werden. Ein Verlustgeschäft für die Regierung, wenn ihr mich fragt – aber darum geht es hier nicht. Aufgrund der seit kurzem erhöhten seismischen Aktivität, erzählt der Guide, rechnet man jederzeit mit einem Ausbruch (Stand Dez. 2019. Wir wissen, dass es in der Folgezeit gleich zu mehreren Ausbrüchen gekommen war.).

Heute erzählte uns unser Guide eine Geschichte von einem Wikinger namens Reykholt (?), wie der Ort (in Wahrheit wurde der Ort nach ihm benannt), der auszog und Leute für Geld umbrachte (ja, es waren kriegerische Zeiten und Mordlust eine durchaus willkommene Eigenschaft des starken Anführers. Heute natürlich vollkommen undenkbar…). Mit einer Truhe Silber kehrte er zurück. Zu seinem Pech gab es damals auf Island keinen richtigen Markt für Silber – das Metall wurde höchstens dazu verwendet, um Kleider damit zu schmücken. So kam es, dass niemand seine metallisch glänzenden Taler nicht haben wollte. Reykholt war ein Wikinger, war also ein aufbrausender, gefährlicher Mann. Brachte jeden um, der ihm dumm kam. Bereute es öfters mal – aber da war es schon zu spät. Heutzutage würde man einen solchen Menschen wohl als manisch-depressiv bezeichnen, doch damals kannte man den Ausdruck nicht.

Jedoch hatte niemand Interesse daran, mit ihm Zeit zu verbringen, also war er auch ein einsamer Mann. Irgendwann wurde er alt. Die Truhe Silber blieb über die Jahre unangetastet bei ihm stehen. Mit dem Alter wurde Reykholt paranoid und wusste nicht, was er mit all dem Silber machen sollte – inzwischen hatte man wohl auch auf Island den Wert des Schatzes erkannt. Zwischendurch kam ihm der Gedanke, es an seine Mitmenschen zu verschenken. Seine Schwester warf ein, dass es ein seltsamer Gedanke sei, seinen hart verdienten Schatz an andere Leute zu verteilen, und er antwortete ihr sinngemäß: „Ja. Aber mir gefällt der Gedanke, wie sie sich dafür umbringen.“ Schließlich versteckte er das Silber irgendwo in den Bergen mit Hilfe seiner Sklaven, die er in Irland gestohlen hatte. Anschließend tötete er die Sklaven, damit sie nicht verraten konnten, wo das Silber versteckt ist. Doch mit dem Alter machte auch die Senilität nicht vor ihm halt und so vergaß er schließlich selbst, wo das Versteck lag. Er starb, ohne sich zu erinnern. Die Leute glauben noch immer, dass die Silbertruhe hier irgendwo in den Bergen verborgen ist. Immer mal wieder soll es laut unserem Guide Exkursionen geben, um sie zu finden.

Damals war es üblich, dass Wikinger keltische Sklaven aus Irland stahlen. Eine dieser Sklaven, eine Frau, hatte das Glück (oder das Unglück, je nachdem, wie man es betrachten mochte), ihm zu gefallen und er nahm sie zur Frau. Und da man nur schwer von festgefahrenen Mustern ablassen kann, versuchte er beim ersten Ehekrach naturgemäß, sie zu töten. Um sich zu retten, war die Arme drauf und dran, sich von einer Brücke ins eiskalte Gewässer zu stürzen, doch da erwischte der Wikinger sie und schlug ihr den Kopf ab. Die Brücke wurde anschließend zerstört, nicht dass sich noch jemand weh tut. So, und wem das jetzt zu viel Brutalität war: bitte ganz schnell Fotos von süßen Katzenbabys anschauen. Besser? Jaaa…

Langsam lernen die Isländer, mit dem Weihnachtstourismus umzugehen. Früher war um die Weihnachtszeit alles zu und alles dicht, Tankstellen, Läden… doch so langsam lernt man, alles zu koordinieren. Sogar die Tankstelle hat zu dieser frühen Uhrzeit am ersten Weihnachtstag geöffnet; bunte Lichter spiegeln sich an den wenigen Zapfsäulen entlang im mit Eis überzogenem Asphalt. Den Erzählungen unseres Guides lauschend fahren wir weiter, dem Tag entgegen, der sich mit bläulichem, kaltem Licht ankündigt. Ich habe mich längst auf das Land und seine Rauheit eingestellt. Ich bin nicht müde, auch wenn es halbdunkel ist. Ich will sehen, will alles sehen. Vor uns tauchen verschneite Berge auf. Langsam wird es hell.

Kleine Orte, aus nicht mehr als drei- bis fünf Häusern und einer Kirche bestehend, ziehen vorbei. Gefrorene Gewässer. Die Welt ist in Eis erstarrt. Der Zustand der Fahrbahn… davon wollen wir besser nicht sprechen. Doch wir sind praktisch alleine auf den Straßen, nur selten kommt uns ein Fahrzeug entgegen. Kein Wunder, dass Menschen von hier draußen Städte wie Reykjavik als überfüllt betrachten.

Einmal dürfen wir raus, um diese wunderschöne, vereiste Weite nicht nur hinter der Glasscheibe betrachten zu können. Die niedrigen, mit silbrigem Glanz überzogenen Gebirgszüge haben etwas von einer Mondlandschaft. Es gibt hier keine Farben – außer Schwarzweiß und blau. Es gibt Strukturen. Schlicht, und doch voller Details. Schnee und Eis knirschen unter den Schuhen und die Gestalten der anderen verlieren sich inmitten von Gestein. Über den Bergspitzen hängen tiefe Wolken, doch auch sie fügen sich auf natürliche Weise Ton in Ton in das Farbschema der Umgebung ein.

Die Fahrt geht weiter, und es ist wie verhext. Wohin ich meinen Blick auf wende, alles scheint wie gemalt. Es gibt nichts, das hier nicht einem Gemälde gleicht. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Vielleicht ist gerade der Winter eine gute Zeit, um dieses Land zu besuchen.

Wir erreichen eine runde Bucht, und dann einen Berg, der mir irgendwie bekannt vorkommt.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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4 Kommentare

  1. Na das war ja eine richtig informationsgeladene Tour an dem Tag. Und ich habe das untrügliche Gefühl, dass ich die Silbertruhe finden werde, wenn ich es eines Tages nach Island schaffe.

    1. Elke, die Wikingerflüsterin 🙂

  2. Danke liebe Kasia für einen weiteren Beitrag aus Island!!!
    Dir noch einen schönen Sonntag und liebe Grüße, Roland

    1. Gerne 🙂 Dir auch einen schönen Sonntag.

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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