Europa, Island

Islands Südküste – Vik i Myrdal, die „Bucht am sumpfigen Tal“

Reblog: der Artikel erschien bereits 2020

Der letzte Strand, den wir besuchen, liegt größtenteils verlassen vor uns. Vik i Myrdal, die „Bucht am sumpfigen Tal“. Hier ist wieder so ein Ort, an dem ich stehen bleibe und die Kamera aus der Hand lege, denn mir wird bewusst: Moment mal, ich bin in Island. Ich bin tatsächlich hier. Wer nicht einmal diesen Ort gesehen hat, der hat was in seinem Leben verpasst.

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht vor lauter Fotografieren, vor lauter Instagram Postings nicht vergessen, die Welt noch zu erspüren, sie mit unseren eigenen Augen zu sehen, statt durch die Kameralinse. Ich glaube, das ich heute aktueller denn je.

 

Der Black Beach, ganz verlassen…

Der Strand, der vor uns liegt, ist jungfräulich, doch schon bald zerteilen ihn Muster von Fußspuren. Ich begebe mich weit, weit weg von den anderen, an einen Felsen, von wo aus ich den ganzen Abschnitt überblicken kann. Vorbei am schlichten, hölzernen Schild, vor dem sich eine Schlange an Mädchen gebildet hat, denn jede möchte ein Bild von sich neben dem Schild, auf dem „Black Beach“ steht. Sie keifen, weil sie denken, ich wolle mich vordrängeln – auf die Idee käme ich gar nicht erst, mich neben ein solches Schild zu drapieren, während ein paar Meter weiter der echte Strand auf mich wartet!

Auch hier kann man die charakteristischen Felsen sehen, diesmal aus einer anderen Perspektive heraus. Island ist ein Mekka für Fotografen. Der Anblick wirkt irrsinnig unwirklich, wie ein negativ, wo doch normalerweise in unserem Empfinden der Strand heller sein sollte als das Wasser. Der Strand knirscht unter den Fußen. Eine Gruppe Reiter kommt auf ihren Islandpferden an mir vorbei. Unauffällig mache ich ein Bild – es ist irre schön, wie sich alles zu einer Einheit fügt. Einer Touristin reicht das nicht, sie läuft ein Stück neben den Pferden und hält mit ihrer GoPro drauf. Ich frage mich, wann der Moment kommt, an dem der Isländer sagt: Stop. Stop dem Tourismus. Wir haben genug.

Doch Vik i Myrdal scheint noch einer dieser Orte zu sein, wo man noch normal leben kann. Ich weiß nicht, wie das im Sommer aussieht, aber momentan stellt unsere kleine Gruppe die einzigen Besucher von Auswärts. Noch ist der Strand, wie er sein sollte – nicht überfüllt mit irgendwelchen Leuten, die vor irgendwelchen Kameras irgendwelche komischen Sachen machen. Hier geht noch der Einwohner mit seinem Hund spazieren oder verbringt einen Tag mit seinen Kindern, hier geht man joggen oder fährt Rad. Vermutlich gibt es noch mehr Orte wie diesen, Orte, die nicht gerade am Goldenen Ring oder in der Nähe der bekannten Destinationen liegen.

„Die meisten fahren die Ringstraße entlang.“ Erzählt Sculi. „Sie steigen aus dem Wagen, machen ein paar Bilder und fahren dann wieder weiter. Wenn du loswanderst, dich abseits von der asphaltierten Straße bewegst, dann kann es passieren, dass du tagelang niemanden antriffst.“ Island durchziehen unzählige Wanderwege und viele Plätze sind noch unentdeckt. So wie dieses sehr bekannte, abgestürzte Flugzeugwrack es lange Zeit war. „Wir haben uns gar nicht weiter darum gekümmert. Es lag da und verrottete vor sich hin. Seit ein Musikvideo dort gedreht wurde, musste das Gelände umzäunt werden. Doch auf lange Sicht ließen sich die Besucher nicht abhalten, wie man heute sehen kann.“ Wer braucht ein Flugzeugwrack, Island hat so viel. So viel. Und Bilder an Orten, an dem wirklich jeder schon Bilder hat – wozu?

 

Wenn der Katla explodiert

Vik hat nicht nur diesen Strand, auf den der Ozean mit ungezähmter, brachialer Gewalt einschlägt, sondern auch eine hübsche Kirche in norwegischen Stil, die oben auf einem Hügel zu sehen ist. Der Ort Vik i Myrdal, die „Bucht am sumpfigen Tal“, ist liegt an der südlichsten Spitze der Insel. Zwischen diesem Zipfel und der Antarktis ist nichts, gar nichts; keine Insel, kein Kontinent, kein Land. Ungebremster Ozean, der auf Vulkane trifft.

Und Vulkane finden sich auf Island an jeder Ecke, ist doch die Insel selbst ein großer, brodelnder Kessel. Auch der Ort Vik macht hier keine Ausnahme, er schmiegt sich an die sanft ansteigenden Hänge des Vulkans Katla, dessen letzter Ausbruch 1918 stattfand. Der nächste Ausbruch ist somit überfällig, orientiert man sich an der bisherigen Frequenz. Sculi erzählte uns, es könnte jeden Moment soweit sein.

„Wobei…“ ergänzt er; „Jeden Moment kann alles bedeuten. Es kann bedeuten: heute, morgen oder in ein paar Jahren. Wer weiß das schon so genau…?“ Die Anwohner von Vik jedenfalls nicht. Fest steht jedenfalls, dass ein gewaltiger Ausbruch und das darauffolgende Schmelzen des Gletschers Mýrdalsjökul zu einer Sturzflut führen würde, welche den Ort unter Umständen sogar vernichten kann. Deshalb führen die Bürger von Vik regelmäßig Rettungsübungen durch. Doch wohin rettet man sich, wenn einem heiße Lava unter den Füßen brennt? Zur Kirche natürlich, so wie das Menschen seit Jahrhunderten schon tun. Die Kirche von Vik i Myrdal ist nicht nur eine Kirche, sie ist auch eine rettende Oase. Da sie hoch oben auf einem Hügel gebaut wurde, würde sie vermutlich als das einzige Gebäude der Stadt eine Flut unbeschadet überstehen.

Dorthin würden sich die Menschen begeben. Diese Kirche fotografiere ich beim Sonnenuntergang, am pastellfarbenem Himmel.

Trockene Gräser wiegen sich im Wind, eingedrückt vom alten Schnee. Rau und streng präsentiert sich das Land und vor lauter Strand vergisst man manchmal auch, den Blick zu den Bergen hin zu werden. Die kleine Ortschaft schmiegt sich an die Berghänge wie ein Nest und fast übergangslos steigen die Hänge in die Höhe. Das gelbe, abgestorbene Gras ist bedeckt mit trockenen Stängeln, der Strand übersät mit schwarzen Steinen. Nur noch selten verirrt sich ein Licht hierher, der dann golden am Himmel auftaucht.

Ansonsten bleibt die Sonne bis in den späten Abend verschwunden. Hier in Vik spüre ich etwas, das mir an dieser überfüllten Bucht von Reynisfjara Black Beach völlig abhanden kam – dies ist ein besonderer Ort. Vielleicht bedarf es dazu einfach die Einsamkeit.

 

Eine Auszeit in Höfn

Sculi hat für uns alle am Abend einen großen Tisch reserviert. Wir verbringen die Nacht in Höfn, einem kleinen Ort, noch kleiner als Vik und circa dreieinhalb Stunden von Vik i Myrdal entfernt. Es ist dunkel, als wir ankommen, und Weihnachtsbeleuchtung schmückt das Hotel. Die Zimmer sind einfach, aber gemütlich und die schlicht und gewöhnlich aussehenden Betten sind… Wasserbetten, sie wiegen einen in den Schlaf.

Das Hotelrestaurant bietet ein Abendbuffet an. Ich bezahle mit Kreditkarte – was das Vergnügen in Euro ausmacht, rechne ich gar nicht erst um. Zum einen, um keinen Schlag zu bekommen, zweitens – man lebt nur einmal. Es gibt isländische Spezialitäten und internationales Essen und zum ersten Mal haben wir eine echte Möglichkeit, uns in der Gruppe miteinander auszutauschen. So erfahre ich, dass die Mitreisenden mitnichten alle aus China stammen, ein paar von ihnen sind Japaner und auch ein Mädchen aus Neuseeland ist dabei. Und während des Essens versucht Sculi, jeden einzelnen etwas besser kennen zu lernen. Doch wir sind alle ziemlich müde…

Das Hotel bietet die Möglichkeit, an einer Nordlichtertour teilzunehmen. Leider habe ich meine Kamera nicht dabei und auch kein Stativ, doch die Nordlichtparameter sehen nicht gut aus. Es gibt diverse Apps, mit denen man die Aktivitäten der Magnetfelder überprüfen kann, oder man ruft zu diesem Zweck gleich die offizielle Seite des Leirvogur Magnetic Observatory auf. Die Grafik verzeichnet die „Bewegung“ der Magnetischen Felder. Sie wird alle zehn Minuten aktualisiert. Wenn die Skala ausschlägt, ist die Wahrscheinlichkeit für Polarlichter sehr hoch.

Einen guten Beitrag hat dazu die Fotografin Isabel von Blog Synnatschke geschrieben, zudem gibt sie viele Tipps, wie man Nordlichter am besten fotografiert und ob man auch im Sommer die Chance hat, welche zu sehen.

Ich bleibe indessen auf dem Zimmer. Müde wie ich bin, werfe ich mich direkt in das schöne Wasserbett. Nur hin und wieder schaue ich hinaus in den verschneiten, stillen Garten, wo die kalte Luft stillsteht und in der Nacht nur die Weihnachtslichter leuchten. Die Skala des Leirvogur Observatorium ist kerzengerade. Keine Ausschläge, ich werde nichts verpassen. Beruhigt mache ich die Augen zu.

 

Was vom Tag hängen blieb…

Doch noch ehe ich einschlafe, grüble ich noch bis spät in die Nacht. Es ist etwas Wichtiges, was der Guide gesagt hat; etwas, was noch immer in meinem Kopf echot: „…erst die Touristen brachten uns bei, die Schönheit unseres Landes zu sehen.“

Die Touristen brachten den Menschen bei, ihr Land zu lieben und stolz darauf zu sein was es hat. Das war starker Tobak. Und es drehte meine Denkweise völlig auf dem Kopf. In unserem deutschsprachigen Kulturkreis neigen wir dazu, immer zu meckern, uns immer zu beschweren. Es ist modern geworden, kritisch zu sein, alles zu hinterfragen. Manchmal habe ich den Eindruck, als wolle man in allem das Schlechte sehen. Und so lief ich lange Zeit als Tourist mit vor Scham gesenktem Kopf herum, weil ich ja ein Eindringling sei in dieser heilen Welt, die ich besuche, weil ich die Orte zerstöre, die ich finde. Doch so, wie der isländische Guide es aussprach, habe ich das Ganze noch nie gesehen.

Natürlich stehen die negativen Auswirkungen eines Overtourism außer Frage. Und auch so mancher Isländer hat von den Menschenmassen die Nase voll. Doch ein mäßiger, kontrollierter Tourismus kann auch Gutes bewirken, es ist ein Nutzen für beide Seiten. Und das sage ich nicht bloß, um mich besser zu fühlen oder es mir schön zu reden…

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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4 Kommentare

  1. Dieses Licht, diese Farben – einfach grandios! Das Wasserbett hätte mir, abendliche Grübeleien hin oder her, auch außerordentlich gut gefallen. Sehe ich da Dickhornschafe auf den Dekokissen?

    1. Das Wasserbett war eine schöne Überraschung, total unerwartet, vor allem weil das Zimmer so bieder aussah. Dickhornschafe: ähm, JA, GENAU *ahnungslos guck*

  2. Danke liebe Kasia, für diesen, doch sehr interessanten Beitrag.
    Dir noch ein schönes Wochenende und liebe Grüße, Roland

    1. Schön, dass dir der Beitrag gefallen hat. Dir auch ein schönes Wochenende 🙂

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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